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Mann kommt heraus, geht auf uns zu, murmelt etwas in seinen imaginären<br />
Bart, spuckt in die Hände und kurbelt die betagte Eisenbrücke hoch. „Das<br />
kostet euch ein Bier“, grinst erund deutet auf die Kneipenreklame amHaus.<br />
„Tut mir leid“, antworte ich mit Blick auf die Uhr, „aber wir müssen weiter.“<br />
Wir verabschieden uns und nehmen Kurs auf die kleine Marina des Yacht<br />
Clubs inDeinze. Für 15 €gibt es einen komfortablen Liegeplatz mit Strom,<br />
schicken Sanitäranlagen und eine Großfamilie schnatternder Enten. Der<br />
nächsteTag steht im Zeichen des <strong>Gent</strong>-Oostende-Kanals.Wir hattenmit starkem<br />
Berufsverkehr gerechnet …und werden –angenehm –enttäuscht. Der<br />
ach so verrufeneBrückenschlag zur Nordseezeigt sich von seiner beschaulichsten<br />
Seite, sprich: es kommen uns gerade mal eine Handvoll Frachtschiffe entgegen.<br />
In Steenbrugge ändert sich das Bild. Der historische Fleck mit seinem<br />
mittelalterlichen Klosterist ein neuralgischer Straßenverkehrsknoten. Vorder<br />
Hebebrücke der N50wirddie Geduld zur Mutteraller Tugenden; wir warten<br />
…10Minuten, 20 Minuten, eine halbe Stunde …irgendwann hat der Brückenwärter<br />
Erbarmen, die Straßenschranken senken sich, die Brücke geht<br />
hoch und gibt uns die Fahrt ins Zentrum von Brügge frei.<br />
Weltkulturerbe Brügge<br />
Es war wohl ein Wunder, damals, 1134, als eine gewaltige Sturmflut durch<br />
das Wattenmeer fegte, der Stadt einen schiffbaren Zugang zur Nordsee bescherte<br />
und damit die Weichen für ihren kometenhaften Wirtschaftsaufstieg<br />
stellte. Rund 200 Jahre später zählte Brügge zu den reichsten Städten der damals<br />
bekannten Welt. Ende des 15. Jhs. versandete ihr Zugang zur Nordsee,<br />
die stolze Dameverlor an Bedeutung und verkam zum Armenhaus Flanderns.<br />
1892 hüllte der Schriftsteller Georges Rodenbach die Stadt mitseinem Roman<br />
„Bruges la Morte“ inliterarische Leichentücher. Damit läutete er–gewollt<br />
oder nicht –aber auch ihr glanzvolles Comebackein. Rund eine Million Besucher<br />
jährlich flanieren heute durch das bilderbuchschöne, von der UNESCO<br />
zum Weltkulturerbe gekürte Baujuwel.<br />
„Sucht ihr einen Liegeplatz?“ Wir nicken. „Okay“, sagt Jaques, „ich hab<br />
noch was frei.“ Sagt`s, stellt sich als Hafenmeister der Coupure Stadtmarina<br />
vor,kassiert10€und drückt uns eine Plastiktüteindie Hand. „Die istfür den<br />
Müll. Strom und Wasser gibt’s umsonst.“ Zehn Minuten später sitzen wir in<br />
einer offenen Pferdekutsche und nehmen das architektonische Erbedes Romanciers–ganz<br />
stilecht –von den bequemen Ledersitzen des Fiakers aus in Augenschein.<br />
Höhepunkt ist –nein, nein, nicht was Sie denken, keine Grachtentour,<br />
kein Welt abgeschiedenen Beginenhof und auch kein Blick vom 83 mhohen<br />
Belfried auf das historische Bau-Spektakel, nein, getreu Goethe –demnach<br />
Bier klüger macht und herrlichen Genussverschafft–kehren wir in der altehrwürdigen<br />
Brauerei De Halve Maan ein und lassenuns vom BraumeisterXavier<br />
Vannestehöchstpersönlich das goldgelbe Hirn-Tuning des Hauses servieren.<br />
Wo Licht ist, istauch Schatten. Das gilt –nicht nur aber auch –für die War-<br />
Mondänes Seebad und quirlige Hafenstadt: Zwischen dem imposanten Seebahnhof<br />
und dem Dreimaster Mercator tummeln sich inOostende große und kleine Yachten<br />
5/2012 Skipper