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wissheit. Er war sich nicht sicher, ob er zwei Tage<br />
in seinem Büro arbeiten konnte, wo ihn die Akten<br />
förmlich anschrien. Aber es waren Fälle, die keinen<br />
Aufschub duldeten, wenn er keine Mandanten<br />
verlieren wollte und das war das Letzte, was<br />
er sich in dieser Situation wünschte.<br />
Er fuhr in die Kanzlei, setzte sich an seinen<br />
Schreibtisch und fuhr den Computer hoch. Im<br />
Google gab er das Wort Aids ein, doch was er da<br />
zu lesen bekam, machte ihn auch nicht glücklicher.<br />
Immerhin war man schon so weit, dass<br />
man mit der Diagnose durchaus noch einige Jahre<br />
zu leben hatte, doch auch diese Erkenntnis<br />
befreite ihn kaum aus seinen Gedanken. Er sah<br />
die grinsende Fratze von Doktor Ehrbar, der ihm<br />
die schreckliche Wahrheit ins Gesicht schleuderte,<br />
den Gang zu seiner Frau, der dem nach Canossa<br />
nicht unähnlich sein würde, die Schmach,<br />
die auf ihn herabprasselte, wie eiergroße Hagelkörner<br />
und aus der es kein Entrinnen gäbe.<br />
Er dachte an seine Mutter, diese gottesfürchtige<br />
Person, die ihm bei jeder Kleinigkeit, die<br />
Schrecken der Hölle vor Augen führte und wie<br />
heiß es dort wäre und dass genau er dorthin<br />
kommen würde, dessen war er sich sicher. An<br />
all die Leute, die in seiner Fantasie dort schmorten<br />
und ihre gellenden Schmerzensschreie gen<br />
Himmel sandten. Brennende Gestalten tauchten<br />
vor seinem geistigen Auge auf, die mit ihren<br />
schmerzverzerrten Fratzen vor sich hin sengten<br />
und er war außerstande, sich gegen seine<br />
schrecklichen Gedanken zur Wehr zu setzen.<br />
5<br />
Seit dem Leichenfund waren nun vier Tage<br />
vergangen und die Ermittler traten auf der<br />
Stelle. Die eigentliche Achillesferse war noch immer<br />
das Motiv. Auch die Ausbeute aus der Befragung<br />
der Freier stellte sich als wenig ergiebig<br />
heraus, hinzu kam, dass jeder von ihnen ein wasserdichtes<br />
Alibi für die Tatzeit besaß. Monsch<br />
glaubte immer weniger daran, den Täter in den<br />
Reihen der Freier zu finden. Ganz im Gegensatz<br />
zu Paul, der die Idee von Corina, dass es sich<br />
um einen Racheakt eines Solchen handelte, zu<br />
seiner eigenen machte und sich lautstark dafür<br />
einsetzte. Trotzdem wurde in allen Bereichen<br />
mit Hochdruck gefahndet. Das Milieu wurde<br />
von oben nach unten gekehrt und auch unbescholtene<br />
Bürger nicht vor lästigen Befragungen<br />
verschont.<br />
Die dunkle Ahnung, die Monsch schon eine<br />
ganze Weile mit sich herumtrug, sollte am<br />
fünften Tag ihre Bestätigung finden. Unweit<br />
des ersten Tatortes wurde eine weitere Leiche<br />
gefunden und Monsch machte sich mit seiner<br />
Fahndungsgruppe auf zum Ort des Geschehens.<br />
Angestachelt vom ersten Mord war natürlich<br />
die Presse auch bereits dort und konnte nur<br />
44 45
mit Mühe zurückgedrängt werden. Selbst außerkantonale<br />
Blätter waren vor Ort, um ihren<br />
Sensations hunger zu stillen und die Polizisten<br />
konnten sie nur mit Drohungen von der Abschrankung<br />
fernhalten.<br />
Die ganze Situation zeigte zwar ein gewisse<br />
Ähnlichkeit, trotzdem war sie völlig anders. Die<br />
aufgebahrte Leiche war völlig verbrannt, der<br />
Duft von angesengtem Fleisch hing noch in der<br />
Luft und die Spurensicherung würde sich mit<br />
der Identifizierung schwer tun. Gleich der ersten<br />
Leiche steckte ein verbranntes Kruzifix in ihrer<br />
Scheide, die Dornenkrone auf ihrem Kopf war<br />
angesengt, der Rosenkranz, nur noch ein Schatten<br />
seiner selbst, lag zerbröselt auf ihrer Brust,<br />
doch anstelle der ausgestochenen Augen fehlten<br />
die Zähne, die sich aber bei genauem Hinsehen,<br />
wie sorgfältig einzeln ausgeschlagen, in der<br />
Mundhöhle wiederfanden. Der Dolch steckte an<br />
der genau gleichen Stelle.<br />
Sabine Müller stand wie immer breitbeinig<br />
vor der verkohlten Leiche und schüttelte den<br />
Kopf.<br />
»Dürfte schwierig werden, vielleicht anhand<br />
der Zähne?«<br />
»Wer hat die Leiche gefunden?«<br />
»Ein Bauer hat uns angerufen, er steht dort<br />
hinten.«<br />
»Du meldest dich, wenn du mehr weißt«,<br />
Monsch wandte sich ab und steuerte zu besagtem<br />
Bauern, der sichtlich entsetzt vor der Absperrung<br />
stand.<br />
»Wann haben Sie die Leiche gefunden?«<br />
»Eigentlich hab nicht ich sie gefunden, sondern<br />
mein Hund. Um vier Uhr morgens hat<br />
er plötzlich heftig angeschlagen, aber er war<br />
angekettet und konnte nicht weg. Als ich ihn<br />
dann schließlich losgebunden habe, ist er wie<br />
verrückt zum Wald gerannt und so bin ich ihm<br />
halt gefolgt. Dann hat er die Leiche gefunden.<br />
Sie hat noch lichterloh gebrannt. Ich nahm mein<br />
Handy und informierte die Polizei. Dann bin ich<br />
runtergeeilt, habe nasse Kartoffelsäcke geholt<br />
und das Feuer gelöscht, aber viel war da nicht<br />
mehr zu machen.«<br />
»Das war sehr klug. Gesehen haben Sie niemanden?«<br />
»Nein, es war weit und breit kein Mensch zu<br />
sehen.«<br />
»Und in den letzten Tage ist Ihnen auch niemand<br />
verdächtig vorgekommen, der diesen Altar<br />
kurz vor dem Mord gebaut hat?«<br />
»Doch, jetzt wo Sie‘s sagen. Ein junger Mann<br />
war zweimal hier oben.«<br />
»Und wie sah der aus?«<br />
»Schwer zu sagen, er war ziemlich weit weg.«<br />
»Größe, was hat er getragen?«<br />
»Er war klein, aber was er getragen hat …?«<br />
»War er mit dem Auto dort?«<br />
»Keine Ahnung.«<br />
»Haben Sie Ihren Hund dabei?«<br />
»Nein, aber ich kann ihn holen.«<br />
»Das wäre vielleicht gar keine schlechte Idee.«<br />
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Zehn Minuten später stand der Bauer mit seinem<br />
Hund, einem Deutschen Schäferrüden, vor<br />
Monsch.<br />
»Lassen Sie ihn in der Umgebung Witterung<br />
aufnehmen und dann wollen wir mal sehen, wo<br />
er hinzieht.«<br />
Der Bauer ging mit dem Hund zum Tatort und<br />
Monsch folgte ihnen. Der Hund schnupperte<br />
ausgiebig und plötzlich nahm er eine Fährte auf,<br />
die zum Wald hinausführte. Nach etwa zweihundert<br />
Metern gelangten sie an eine Lichtung, wo<br />
deutliche Reifenspuren zu sehen waren und der<br />
Hund abrupt stehen blieb. Monsch rief die Spurensicherung,<br />
um von den Spuren Abdrücke zu<br />
nehmen.<br />
Als er wieder zurück am Tatort war, rief ihn<br />
Sabine Müller.<br />
»Die eingeschlagenen Zähne beschäftigen<br />
mich. Die Füllungen wurden garantiert nicht<br />
hierzulande gelegt. Sieht mir ganz nach Osteuropa<br />
aus. Ich glaube kaum, dass es groß was<br />
bringt, die Zahnärzte in der Umgebung abzuklappern.<br />
Schade, dass es der einzige Hinweis<br />
ist, der auf ihre Identität hätte hindeuten können.«<br />
»Immerhin wissen wir, dass es keine Schweizerin<br />
war und zusammen mit dem, was wir bereits<br />
wissen, könnte eine Identifizierung trotzdem<br />
möglich sein.«<br />
»Du glaubst also, die zwei Morde gehören zusammen?«<br />
»Du etwa nicht? Ich glaube nicht, dass wir bereits<br />
jetzt einen Trittbrettfahrer haben. Kannst<br />
du schon etwas über den Todeszeitpunkt sagen?«<br />
»Das ist äußerst schwierig bei einer verkohlten<br />
Leiche, aber wenn wir dem Bauern Glauben<br />
schenken dürfen, stand sie kurz vor vier<br />
in Flammen. Ob das Feuer auch Todesursache<br />
war, kann ich erst später sagen. Allerdings habe<br />
ich ziemlich weit hinten in der Nase Russspuren<br />
gefunden, was darauf hindeutet, dass sie<br />
noch am Leben war, als sie angezündet wurde.<br />
Sie war auch festgebunden, und warum hätte<br />
er dies tun sollen, wenn sie bereits tot war? Den<br />
Fesselspuren nach hat sie sich auch ziemlich<br />
gewehrt.«<br />
»Mein Gott, auch das noch. Wahrscheinlich haben<br />
wir es hier mit einer wahren Bestie zu tun?«,<br />
meinte Monsch.<br />
Während er sich vom Tatort entfernte, geriet<br />
er ins Grübeln und versuchte, die einzelnen Puzzleteile<br />
zusammenzufügen. Er war keineswegs<br />
überrascht, bereits mit einer zweiten Leiche<br />
konfrontiert zu sein. Was ihm weit größeres<br />
Kopfzerbrechen bereitete, war die Tatsache,<br />
dass der Mörder ziemlich perfekt arbeitete und<br />
es geschickt vermied, verwertbare Spuren zu<br />
hinterlassen. Außer dem Ritual, welches auf<br />
einen religiösen Fanatiker hindeutete, besaßen<br />
sie nicht den geringsten Hinweis. Monsch<br />
hoffte, dass die weitere Untersuchung ebenfalls<br />
48 49
auf eine HIV-Infektion hinausführte, was der Argumentation<br />
von Corina neue Nahrung geben<br />
würde. Andererseits war es kaum denkbar, dass<br />
ein Mensch von zwei Personen gleichzeitig angesteckt<br />
wurde oder ist es gar jemand, der gar<br />
nicht selbst betroffen ist und andere rächt? Aber<br />
auch der Diebstahl der Leiche wollte ihm nicht<br />
aus dem Kopf. Worauf wollte der Täter damit<br />
aufmerksam machen? Die Frage nach dem Motiv<br />
schien das zentrale Thema zur Lösung dieser<br />
Verbrechen.<br />
Monsch‘ Handy läutete. »Ja, Monsch.«<br />
»Und wo?«<br />
»Wir kommen.«<br />
»Was ist los«, fragte Corina.<br />
»Eine weitere Leiche, doch diesmal männlich.<br />
Sie wurde in einem Container vor einer Garage<br />
an der Rossbodenstraße gefunden. Sabine!«<br />
»Ja.«<br />
»Noch eine Leiche.«<br />
»Sag, dass das nicht wahr ist.«<br />
Die Presse war bereits vollzählig versammelt,<br />
als sie am Tatort eintrafen. Woher die immer<br />
wussten, wo und wann etwas los war? Aber auch<br />
Monsch wusste, dass der Polizeifunk problemlos<br />
abgehört werden konnte. Beim Opfer handelte<br />
es sich um einen etwa fünfundvierzigjährigen<br />
Mann, der nackt in einem Container lag. Bei<br />
genauerem Hinsehen entdeckte Monsch einen<br />
Penis, der eingepackt in einem Präservativ in<br />
seinem Mund steckte. Um sein Handgelenk war<br />
ein Rosenkranz gewickelt und mitten im Herz<br />
steckte ein Dolch. Sein Hals war mit einem Priesterkragen<br />
versehen.<br />
Während sich Sabine an der Leiche zu schaffen<br />
machte, nahm Monsch Corina beiseite. »Was<br />
denkst du?«<br />
»Mir geht so einiges durch den Kopf. Vielleicht<br />
war er ja tatsächlich Priester und der Kragen<br />
nicht nur symbolisch. Glaubst du, es ist derselbe<br />
Täter?«<br />
»Die Grausamkeit lässt durchaus diesen<br />
Schluss zu. Hör dich doch in Kirchenkreisen ein<br />
bisschen um, vielleicht wird tatsächlich jemand<br />
vermisst?«<br />
»Alles klar«, sagte Corina und wandte sich ab.<br />
Aber Monsch hatte noch ein ganz anderes<br />
Problem und das war seine liebe Mutter, die ihn<br />
heute Morgen wieder einmal angerufen hatte<br />
und schlechte Laune verstreute. Andauernd beklagte<br />
sie sich, dass er sie nie besuchen würde,<br />
aber er hasste es, an diese egozentrische<br />
Person auch nur zu denken. Damals, als er den<br />
Polizeiberuf ergriff, wollte sie ihn für verrückt<br />
erklären, dabei hatte sie selbst nicht alle Tassen<br />
im Schrank. Sein Vater suchte schon das<br />
Weite, als Monsch zehn Jahre alt war und er<br />
konnte ihn heute durchaus verstehen. Er wollte<br />
den kleinen Jan sogar mitnehmen, aber seine<br />
Mutter setzte sich so energisch zur Wehr, dass<br />
er es schließlich bleiben ließ. Sie lebte in einem<br />
50 51
kleinen Haus in Haldenstein, wo es vor lauter<br />
Unrat schon fast kein Durchkommen mehr gab.<br />
Tagtäglich war sie unterwegs mit ihrem Leiterwagen,<br />
machte sich über Container und Mülleimer<br />
im ganzen Dorf und der näheren Umgebung<br />
her und schleppte alles nach Hause, was nicht<br />
niet- und nagelfest war. Daraus fertigte sie kleine<br />
Kunstwerke, na ja, sie nannte es wenigstens<br />
so. Haben wollte das Zeug schließlich niemand<br />
und so stapelten sich vermeintliche Kunst und<br />
Abfall in dem kleinen Haus bis unter die Decke.<br />
Dabei war sie mit ihren vierundsechzig Jahren<br />
durchaus nicht unattraktiv und sehr auf ihre<br />
Erscheinung bedacht. Zwar etwas mollig, aber<br />
ihr Gesicht war praktisch faltenlos und strahlte<br />
eine gewisse Witzigkeit aus. Mindestens eine<br />
Stunde stand sie morgens vor dem Spiegel und<br />
diese Allüre wollte so gar nicht zum Innern des<br />
Hauses passen.<br />
Sie ist nie darüber hinweggekommen, dass<br />
ihr Mann sie verlassen hat, dabei war es nicht<br />
einmal eine andere Frau gewesen, sondern<br />
er hatte schlicht und einfach genug von ihren<br />
stündlich wechselnden Launen und ihr nicht<br />
vorhandener Ordnungssinn gab ihm schließlich<br />
den Rest.<br />
Einladen konnte sie schon lange niemanden<br />
mehr und so war Monsch denn ihr einziger Gast,<br />
der sie besuchte. Immer wieder gab er vor, keine<br />
Zeit zu haben, aber seine Mutter dachte gar<br />
nicht daran, klein beizugeben und rief ihn in der<br />
Woche mindestens viermal an.<br />
Er passierte eben die Bahnbrücke in Haldenstein,<br />
seine Gedanken drehten sich um den Fall,<br />
der so ungeheure Ausmaße anzunehmen drohte.<br />
Wieder einmal machte sich seine Rotznase<br />
bemerkbar, doch Monsch dachte nicht daran,<br />
ein Taschentuch zur Hand zu nehmen. Der Fall<br />
schien ihn zu verfolgen wie der Schatten seiner<br />
selbst. Er wusste, dass er innerhalb kurzer Zeit<br />
greifbare Ergebnisse bringen musste, ansonsten<br />
man ihm den Fall entziehen würde. Schon bereute<br />
er, den Weg nach Haldenstein angetreten<br />
zu haben, denn er hatte wirklich Besseres zu<br />
tun. Was soll’s, einmal die Woche muss ich da<br />
hin, schließlich ist sie trotz allem meine Mutter<br />
und unternehmen konnte er ohnehin nicht viel,<br />
bis die Daten der Gerichtsmedizin vorlagen. Er<br />
parkte den Wagen vor dem Haus, sie schien ihn<br />
bereits bemerkt zu haben, denn der Vorhang<br />
ging zur Seite. Schon öffnete sich auch die Türe<br />
und Monsch graute davor, was er wieder Neues<br />
antreffen würde, denn sie sammelte alles von<br />
defekten Kühlschränken, Kleiderbügeln, Tassen<br />
mit abgebrochenen Henkeln über Kleider, Hüte<br />
und dergleichen. Auch die Gemeinde wurde<br />
schon auf diese exzentrische Vierundsechzigjährige<br />
aufmerksam, doch so lange sie schön<br />
brav ihre Steuern bezahlte und niemandem groß<br />
auf die Nerven ging, konnten sie nichts unternehmen<br />
und immerhin war ihr Sohn ja Polizist.<br />
Die Türe wurde geöffnet und Monsch trat ein,<br />
er versuchte es jedenfalls, denn die neuesten<br />
Errungenschaften seiner Mutter türmten sich<br />
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meist im Eingangsbereich. Im ganzen Haus kam<br />
es einem vor, wie wenn man in einem Mülleimer<br />
sitzt und auf eine Geröllhalde blickt. Monsch<br />
dachte immer mal wieder daran, wie er dieses<br />
Messigehabe beenden könnte, kam aber zu keiner<br />
Lösung.<br />
»Hallo Mama, wie geht’s dir?«<br />
»Es ginge mir sehr viel besser, wenn Du mich<br />
etwas öfter besuchen würdest.«<br />
Monsch kannte diesen Spruch nur zu gut,<br />
denn er hörte ihn schon seit vielen Jahren und<br />
er war immer der gleiche. »Du weißt ja, wie das<br />
ist, Mama. Aber sag mal, was willst Du denn mit<br />
dieser alten Stoßstange?«<br />
»Schön, nicht? Habe ich unten im Dorf gefunden,<br />
muss ein ziemlich alter Wagen gewesen<br />
sein, denn so richtige Stoßstangen gibt es ja<br />
heute kaum mehr.«<br />
»Und was willst Du damit?«<br />
»Das weiß ich jetzt noch nicht, aber mir wird<br />
schon was einfallen. Möchtest du einen Kaffee?«<br />
Monsch wusste, dass sie nur Pulverschnellkaffee<br />
trank und lehnte dankend ab.<br />
»Ist ja schrecklich, was da in Chur passiert.«<br />
»Du meinst die Morde?«<br />
»Ja, wer tut denn sowas?«<br />
»Das wüsste ich auch gern.«<br />
»Du solltest vorsichtig sein, mein Junge.«<br />
»Bin ich, Mama. Hast du ein Glas Wasser?«<br />
»Klar, setz dich doch.« Monsch räumte ein<br />
paar Schachteln zur Seite und setzte sich an den<br />
Küchentisch.<br />
»Du hättest nie Polizist werden dürfen, das ist<br />
viel zu gefährlich. Ich hatte schon damals, als<br />
dieser Kerl Dich mit dem Messer angriff, große<br />
Angst. Und jetzt das hier.«<br />
»Halb so wild Mama. Er hat‘s offensichtlich<br />
nur auf Mädchen und Geistliche abgesehen.«<br />
»Ich hoffe, du täuscht dich nicht. Hast du Hunger?«<br />
Monsch kannte Mutters Kochkünste, die im<br />
Öffnen von Dosen und dem Wärmen des Inhalts<br />
bestanden. Büchsen, die dann Eingang in eines<br />
ihrer ominösen Kunstwerke fanden und lehnte<br />
dankend ab.<br />
»Aber mein Junge, Du musst etwas essen.«<br />
»Ich habe aber schon gegessen.«<br />
»Hast Du etwas von deinem Vater gehört?«<br />
Das fragte sie jedesmal, wenn er bei ihr war<br />
und sie erhielt auch immer die gleiche Antwort.<br />
»Ja, es geht ihm gut.«<br />
Sie redeten noch zwei Stunden, so lange blieb<br />
Monsch normalerweise, wenn er nicht gerade<br />
eine Steuererklärung für sie ausfüllen musste,<br />
dann verabschiedete er sich mit den Worten:<br />
»Die Pflicht ruft.«<br />
54 55
aber das konnte er wohl kaum ins Feld führen.<br />
10<br />
Der Rauch an Lügen, den er hinter sich herzog,<br />
hätte gereicht, eine Armee zu ersticken.<br />
Einsam und vornübergebeugt saß er auf der<br />
harten Bank. Säulen dominierten die Szene<br />
und Weihrauchduft lag in der Luft. Wie fettige<br />
Tentakel hingen ihm die Haarsträhnen ins<br />
Gesicht und versperrten seinen Ausblick. Seine<br />
Hände und sein Rücken schmerzten und ganz<br />
vereinzelt rann eine Träne aus seinen Augenwinkeln<br />
und tropfte auf die holzige Bank. Doch eine<br />
große Erfüllung bemächtigte sich seiner, eine<br />
Erfüllung aus Rache und Vergeltung. Einzelne<br />
Sonnenstrahlen erhellten sein Antlitz und fielen<br />
von oben schräg wie Fächer auf sein Haupt.<br />
In der Hand hielt er eine brennende Kerze. Er<br />
schien nachzudenken, an was und worüber<br />
wuss te nur er und so sollte es auch bleiben. Niemanden<br />
ging es etwas an, was er wirklich wollte<br />
und dachte, nur ihn allein.<br />
Schritte hallten hinter ihm auf den Fliesen,<br />
doch er drehte sich nicht um, zu sehr waren sie<br />
ihm vertraut. Immer wieder hatte er sie gehört,<br />
und sie waren ihm eingeprägt wie das Brandzeichen<br />
eines Tieres. Die Schritte verstummten, es<br />
herrschte völlige Stille, nur ein leises Atmen war<br />
zu hören. Jetzt spürte er es in seinem Nacken.<br />
Er schauderte, aber nur kurz, denn auch dies<br />
war nicht neu. Viele Male hatte er diesen Atem<br />
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gerochen, der nun übelriechend seinen Nacken<br />
einhüllte? Zwiebelduft vermischt mit Knoblauch<br />
und Wein. Eine Stimme ertönte, leise und laut<br />
zugleich, um plötzlich zu versagen, doch noch<br />
drehte er sich nicht um, warum auch, er wusste<br />
auch so genug und hätte auch ohne die Stimme<br />
in seinem Nacken gewusst, was zu tun war. Dann<br />
wieder Laute, ächzende Laute, schrille Laute,<br />
ein leises Husten. Ungerührt blieb er sitzen und<br />
starrte auf seine Kerze, sie begann zu flackern.<br />
Er hielt den Atem an, um die Flamme zu beruhigen.<br />
Wieder die Stimme, diesmal laut und deutlich.<br />
»Du hast Gott gefallen, mein Sohn. Er wird<br />
Dich reich beschenken und bald wirst Du in die<br />
Ewigkeit eingehen, an seiner Seite sitzen mit<br />
all den Engeln des Wohlgefallens. Noch stehen<br />
Aufgaben vor Dir. Dein Werk ist noch nicht vollbracht.<br />
Lass die Fluten über sie hereinbrechen<br />
und ihre Köpfe darin versinken. Das Gesicht<br />
sollen sie verlieren und lass die Toten nicht zur<br />
Ruhe kommen, denn sie haben es nicht verdient.<br />
Und jetzt geh mit Gott, mein Sohn, er wird Dir<br />
den Weg zeigen.«<br />
Er stand auf, ohne sich umzudrehen und verschwand<br />
in der heißen Augustnacht.<br />
11<br />
Elvira war ziemlich ratlos. Was sollte sie nur<br />
tun? Sie ging auf die dreißig zu und hatte<br />
in ihrem Leben bis heute nur eins, Pech. Es<br />
schien förmlich an ihren Sohlen zu kleben, wie<br />
ein Stück Hundescheiße und war durch nichts<br />
abzuschütteln und wenn es doch gelang, blieb<br />
noch immer ein entsetzlicher Gestank zurück.<br />
Oft versank sie in Gedanken im Ozean ihres Lebens,<br />
doch genauso oft strampelte sie sich frei,<br />
frei von den Demütigungen, die sie immer und<br />
immer wieder erfahren und ihr einziger Trost<br />
war ihr kleiner Buchladen, den sie seit Jahren in<br />
der Altstadt besaß und da war noch etwas, ihr<br />
kleiner Sohn, ihr Ein und Alles.<br />
In drei Wochen war Einschulung und ihr kleiner<br />
Felix wusste noch immer nicht, wer sein Vater<br />
war, obwohl er ihr damit ständig in den Ohren<br />
lag. Bereits im Kindergarten begannen ihn<br />
die anderen Kinder zu hänseln, ihm an den Kopf<br />
zu werfen, er hätte ja nicht einmal einen Vater.<br />
Sollte das jetzt in der Schule seine Fortsetzung<br />
finden, gar noch schlimmer werden? Nicht, dass<br />
sie nicht wusste, wer dieser geheimnisvolle Unbekannte<br />
war. Zwar wollte ihr Geheimnis partout<br />
nichts von einer Vaterschaft wissen und Unterhaltsbeiträge<br />
zahlte er schon gar nicht, trotzdem<br />
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