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REMY GUBLER<br />
dAS GRÜNE jUWEL<br />
ABENTEUERROMAN
1<br />
TEIL 1<br />
Werde dich deines Zieles bewusst und verfolge es.<br />
Werde dich deiner Ehre bewusst und bewahre sie.<br />
Wagrem<br />
Der alte König<br />
32. April 414<br />
Themoch fühlte sich unwohl in diesem alten, aber reich<br />
eingerichteten Saal. Bilder hingen an den Wänden, von lang<br />
verstorbenen Königen. Er kannte sie gut, auch das alte<br />
Mobiliar aus über Jahre nachgedunkeltem Holz, sorgsam<br />
instand gehalten, die kostbaren Stücke mit Gold, Silber und<br />
Edelsteinen verziert. Zwischen Gemälden und anderen<br />
Ausstellungsstücken war reichlich Platz für Waffen reserviert.<br />
Für gute Waffen, wie er wusste, denn in diesem Gebiet hatte<br />
er eine sorgfältige Ausbildung erhalten. Dazu kamen einige<br />
Jagdtrophäen, vor allem ein paar prachtvolle Hirschgeweihe.<br />
Der Raum war nicht nur alt, er strahlte Macht aus. Selbst<br />
die hohen Fenster an den beiden Schmalseiten, die das<br />
Sonnenlicht eines schönen Frühlingstages hereinströmen<br />
ließen, was dem Saal ein freundlicheres Aussehen verlieh,<br />
konnten den wirklichen Zweck nicht verdecken. Hier befand<br />
ein Zentrum der Macht.<br />
Zu einem unbefangenen Besucher sprach die Kombination<br />
von Strenge und Reichtum, für den Kenner gab es subtilere<br />
Anzeichen, die den oberflächlichen Eindruck verstärkten und<br />
vertieften. Die Bilder von Königen und von Baronen<br />
reflektierten durch ihre Anordnung politische Beziehungen<br />
und die Geschichte Gardhuns. Die Waffen, meist neueren<br />
Datums und von höchster Qualität, gaben ein Bild von der<br />
Leistungsfähigkeit der militärischen Wirtschaft der einzelnen<br />
Provinzen. Themoch stellte sich oft vor, dass sein Vater<br />
abends allein in diesem Raum saß und darüber nachdachte,<br />
wie er sein Königreich regieren sollte. König Pegran war<br />
bekannt (und bei den Gegnern gefürchtet) für seine oft<br />
überraschenden Beschlüsse, mit denen er meist seine Ziele<br />
erreichte.<br />
Dennoch mochte Themoch den Raum nicht, in dem die<br />
Stimmung seines Vaters noch düsterer war, in dem er noch
gestrenger wirkte als sonst. Diese Herbheit hatte sich seit<br />
dem Tod Eldharas im Jahre 409 verstärkt. Themoch erinnerte<br />
sich gut an das tragische Ereignis; ein Blitz hatte das<br />
königliche Sommerhaus getroffen, der Vollbrand entwickelte<br />
sich innerhalb von Minuten. Schlimmer noch traf ihn der Tod<br />
seiner Mutter Serina durch die Pest, die drei Jahre später<br />
gewütet hatte. Vielleicht war der König darum so trübsinnig,<br />
ernst und streng in diesem Raum, weil seine Gedanken immer<br />
wieder zu diesen schrecklichen Geschehnissen<br />
zurückkehrten. Themoch glaubte jedoch, noch nicht die ganze<br />
Wahrheit hinter der Geschichte zu kennen. Früher dachte er<br />
an böse Zauberei aus dem Norden oder gar, dass ein Drache<br />
das Feuer entzündet habe. Jetzt jedoch vermutete er ihm noch<br />
unbekannte politische Verstrickungen, die durchaus ihn<br />
selbst betreffen mochten.<br />
Er hörte, wie König Pegran sich näherte und freute sich<br />
keineswegs auf die kommende Besprechung. Für ihn schien<br />
es in solchen Fällen vor allem die Rolle des Untergebenen zu<br />
geben, dem erklärt wurde, was er gut und was er schlecht<br />
gemacht hatte. Dabei überwog Kritik. Oder es wurden ihm<br />
Aufträge und Ratschläge erteilt. Irgendwann, irgendwie, er<br />
spürte es in sich brodeln, musste er aus dieser unterwürfigen<br />
Stellung ausbrechen. Die Abfolge seiner Gedanken wurde<br />
durch das Eintreten Pegrans unterbrochen. Obwohl sie Vater<br />
und Sohn waren, ähnelten sie sich wenig. In das gerade<br />
dunkle Haar des Königs mischten sich die ersten grauen<br />
Fäden. Sein Gesicht war leicht knochig, die Hautfarbe ein<br />
helles Braun mit einem sich verstärkenden ungesunden<br />
Grauton. Die dunklen und schmalen Augen lagen tief in ihren<br />
Höhlen, der Blick war scharf und beherrschend. Fremde<br />
staunten oft über Pegrans geringe Körpergröße. Die Energie<br />
des Herrschers und seine Ausstrahlung passten nicht ganz zu<br />
seinem Wuchs, der auch mit Wohlwollen nicht mehr als<br />
mittelmäßig genannt werden konnte.<br />
Im Gegensatz dazu war der Prinz groß gewachsen,<br />
athletisch und hatte ein einnehmendes Aussehen. Seine<br />
Haare von hellem Braun passten zu seinen haselnussfarbenen<br />
Augen, sein Gesicht besaß eine Weichheit, die seinem Vater<br />
völlig fehlte. Wer ihn aber unterschätzte, der lernte meist<br />
bald, wie falsch er mit seiner Beurteilung lag.<br />
Mit einer schnellen Bewegung seiner Hand wies Pegran<br />
seinen Sohn an, sich zu setzen, bevor er selbst Platz nahm.<br />
2
»Es ist Zeit, dass du in vermehrtem Maße Verantwortung<br />
übernimmst. Nicht, dass das bis jetzt ein Problem gewesen<br />
wäre, du hast keine großen Fehler gemacht. Auf Dauer reicht<br />
das aber nicht. Du kennst die Situation unserer Familie und<br />
die Rolle, die dir zukünftig zukommt. Wenn ich also von ‚gut‘<br />
rede, so gilt das für den jungen Adeligen, nicht aber für den<br />
Prinzen.«<br />
Themoch nickte. Sein Vater fuhr fort: »Diesmal werde ich<br />
dich nach Westen senden. Es gibt da eine wichtige<br />
Ausstellung in der Baronie Demlann, die du besichtigen<br />
kannst. Mit Festlichkeiten darum herum. Baron Rodhras hat<br />
eine Einladung an ein Mitglied der königlichen Familie<br />
geschickt. Es ist also nicht nur das Benehmen eines jungen<br />
Edelmannes gefragt. Es gilt, Netzwerke zu knüpfen,<br />
persönliche Freunde zu gewinnen und auch das Wohl unseres<br />
Königreiches im Auge zu behalten. Es gibt ja nur vier<br />
bedeutende Baronien, Terman, Demlann, Jonia und unsere,<br />
Sidren, die den König stellt. Somit sind wir wohl die Ersten,<br />
aber die anderen könnten unsere Herrschaft gefährden. Ich<br />
selbst halte diese Balance zwischen den wichtigen Häusern<br />
für erhaltenswert. Sie erlaubt uns, zu regieren, ohne dass wir<br />
deswegen als diktatorisch und überheblich verhasst sind. So<br />
zu werden, wäre, zumindest auf lange Sicht, das Ende unserer<br />
Vormachtstellung.«<br />
Themoch fand diese Argumente zwar einleuchtend, aber<br />
auch langweilig und vor allem überflüssig. »Ich werde deinen<br />
Hinweisen Rechnung tragen.« Er wusste das alles doch<br />
schon. Seinem Gefühl nach zögerte sein Vater zu sehr und<br />
regierte zu wenig straff. Plötzlich fühlte er den ungestümen<br />
Wunsch, zu agieren, frei, mit den Händen nach Macht zu<br />
greifen.<br />
»Und sei vorsichtiger mit den Mädchen. Diese Eskapade am<br />
Hofe der Terman ist nicht gerade gerne gesehen worden. Im<br />
Bette der Dienerin gefunden zu werden, wenn eigentlich Alda<br />
als zukünftige Frau infrage kommt, war dumm. Auch wenn<br />
kleine Abenteuer keineswegs unüblich sind.« Ein leises<br />
Lächeln Pegrans deutete eigene Erinnerungen an. »Ihr Vater,<br />
Baron Nordil, ist der zweitmächtigste Mann im Reich<br />
Themoch lief rot an: »Du weißt davon?«<br />
»Sie hat einen Brief geschrieben, halbwegs eine<br />
Entschuldigung. Anscheinend hast du einen einigermaßen<br />
3
ehrenwerten Ausweg gefunden. Besser aber, es wäre erst gar<br />
nicht zu dieser Geschichte gekommen.«<br />
Themoch zog es vor, nicht in die Augen des Vaters zu<br />
schauen. Er liebte es nicht, sich an die Szene zu erinnern, wie<br />
Alda voll Wut Rosni hatte auspeitschen wollen. Er hatte seine<br />
Mätresse verteidigt und erhielt dafür eine Ohrfeige. Es stand<br />
auch noch vor seinem inneren Auge, wie Alda plötzlich<br />
erschlaffte, nachdem sie ihn geschlagen hatte. Nur das<br />
unterdrückte Schluchzen der Dienerin unterbrach die<br />
folgende Stille. Schließlich befahl Alda ihm, Dimril zu<br />
verlassen.<br />
»Alda ist wunderschön, kann aber schrecklich schwierig<br />
sein«, begann Themoch plötzlich von seinem Abenteuer zu<br />
erzählen. »Es machte mich einfach verrückt. Dann sah ich<br />
Rosni. Sie ist nicht eigentlich schön, aber auf ihre Weise süß.<br />
Ich musste es einfach tun. Ich brauchte einfach eine<br />
Schäferstunde. Ich hoffe nur, ihr ist nichts passiert, nachdem<br />
ich abgereist bin.«<br />
»Ich habe nichts davon gehört. Übrigens, zur Beruhigung,<br />
der Brief kompromittiert dich nicht, er nennt keine Details. Es<br />
ist unnötig, mir zu beichten, was im Bett geschah.« Pegran<br />
schwieg kurz. »Nicht nach dem Gesetz, aber in Wirklichkeit<br />
bist du nach Tenadhren der Zweite in der Linie. Ethran zählt<br />
nicht und das weißt du sicherlich. Also wähle vorsichtig, wenn<br />
du die Liebe einer Frau brauchst. Und verliebe dich nicht in<br />
Mädchen wie Rosni. Sie mögen süß sein, aber sie sind keine<br />
Partnerinnen für dich. Wir, vom Geschlecht der Sidren,<br />
mögen unsere Affären haben, aber es gilt die Regel, dass<br />
nichts auf Kosten dieser Art von Frauen gehen soll, sie sollen<br />
eher etwas dafür bekommen. Ich werde den nächsten Emissär<br />
beauftragen, sich um sie zu kümmern. Ich denke, du hast<br />
bereits alles Mögliche getan und hoffe, es gleicht deinen<br />
Fehler etwas aus.«<br />
»Ich verstehe.«<br />
»Nordil ist wichtig. Ich kann mir kein klares Bild davon<br />
machen, wie er den Zwischenfall bewertet. Wie schätzt du ihn<br />
ein?«<br />
Themoch antwortete zögernd: »Es mag seltsam tönen, aber<br />
er schien es zu genießen. Am nächsten Tag war er höflich und<br />
lächelte, ein Lächeln, das ein Geheimnis zu verbergen<br />
schien.« Er stoppte, unsicher, ob er hinzufügen sollte, dass er<br />
befürchtete, Nordil eine Waffe in die Hand gegeben zu haben.<br />
4
Pegran starrte ihn durchdringend an, dann wechselte er<br />
plötzlich das Thema: »Ich sehe, dass du meine Ansicht über<br />
die Verhältnisse der drei Baronien nicht teilst.«<br />
Themoch hätte gerne widersprochen, doch fiel ihm die<br />
richtige Antwort nicht rechtzeitig ein. <strong>Das</strong> geschah ihm leider<br />
in Gegenwart des Vaters nur zu oft.<br />
»Du bist jung und stolz. Stolz auf unsere Familie und das ist<br />
gut so, vergiss das niemals. Du sollst bloß nicht unvorsichtig<br />
werden. Man kann sagen, wir kontrollieren das nördliche und<br />
zentrale Gardhun, mit der Königswürde das ganze, Demlann<br />
den westlichen Teil, Terman den östlichen und Jonia den<br />
südlichen. Unsere Vorherrschaft könnte unterminiert<br />
werden. Es gibt andere, kleinere Baronien. Wenn sich diese<br />
Barone durch uns bedroht fühlen, könnten sie die Seite<br />
wechseln. Ein Bürgerkrieg würde alles Erreichte gefährden.<br />
Die Grenze im Norden muss andauernd gesichert werden, nur<br />
schon bei der Schwarzen Festung und in Aglar stehen 450<br />
Mann, im Norden insgesamt über 800, fast die Hälfte unserer<br />
Streitkräfte. Im Süden ist es nur das Breite Gebirge, das uns<br />
gegen die Elben schützt. Baron Belem von Jonia mag sich<br />
‚Schild des Südens‘ nennen, aber das heißt nicht viel.«<br />
Themoch wusste, dass der König die jonische Armee als<br />
gering einschätzte. <strong>Das</strong> entsprach einer weitverbreiteten<br />
Meinung. ‚Belem taugt besser als Wirtshausschild denn als<br />
Schild des Südens‘, dieser spöttische Spruch fiel ihm ein, den<br />
er kürzlich von einem frechen Korporal gehört hatte: »Du<br />
denkst wirklich, wir sind gefährdet?«<br />
»Nein, zumindest solange nicht, als wir nicht dumm<br />
handeln. Darum spreche ich mit dir. Ich fürchte, dieser<br />
Rodhras könnte gefährlich werden. In den letzten Jahren hat<br />
er seinen Bereich dauernd ausgeweitet. Keine einzige Aktion<br />
ist dabei bedeutend, alles nur kleine Fische. Da eine Siedlung.<br />
Dort eine Verbindung mit einem Landadeligen. Ein neues<br />
Erzlager wird in den Bergen ausgebeutet, eine Werkstätte<br />
daneben aufgebaut. Sie stellen übrigens ausgezeichnete<br />
Schwerter her. Die Kontrolle über eine noble Familie in der<br />
Baronie verstärkt. Es ist delikat. Ich möchte, dass du deine<br />
Augen offen hältst, versuche herauszufinden, ob Rodhras nur<br />
ein guter Administrator ist, oder ob er ehrgeizigere Pläne<br />
verfolgt. Aber sei vorsichtig dabei. Und verärgere nicht<br />
wichtige Leute, sondern schließe Freundschaften. Behandle<br />
die jungen Frauen ihrem Range entsprechend. Du und dein<br />
5
Bruder, einer von euch sollte idealerweise eine Demlann, der<br />
andere eine Terman heiraten.«<br />
Dann schlug die Stimmung des Königs ins Melancholische<br />
um: »Es gibt ein altes Wort: Jeder König habe einen<br />
gefährlichsten Feind, heißt es da, einen Feind, der schwer zu<br />
erkennen sei, einen Feind, der zu seinem Sturz führen kann,<br />
so leicht wie kein anderer Feind. So wird es überliefert von<br />
Vater zu Sohn und nirgends niedergeschrieben. Idhran hat es<br />
mir mitgeteilt, doch hat er mir nicht erklärt, wer es ihm<br />
gesagt hat, denn er war ja nicht eines Königs Sohn.« Pegran<br />
schwieg wieder, aber das Gehörte beschäftigte Themoch noch<br />
lange, gerade weil es so seltsam klang, und auch die Frage,<br />
warum Vater zu ihm sprach, denn nicht er war ja Thronerbe,<br />
sondern Tenadhren, und er fragte sich, ob auch dieser vom<br />
Spruch wusste, ja und wer wohl dieser Feind seines Vaters<br />
war und wer der seine sein könnte. Denn, wenn er auch den<br />
Gedanken von sich wegschob, konnte er doch nicht<br />
vermeiden, dass er manchmal davon träumte, selbst König zu<br />
sein.<br />
Pegran schaute seinen Sohn plötzlich freundlich an: »Ich<br />
traue dir. Ich bin sicher, du wirst deine Sache gut machen.<br />
Geh nun und suche Gramik, er bereiste Demlann und die<br />
benachbarten Baronien und kann dich sicher gut beraten.<br />
Sende ihn nachher zu mir, ich will mit ihm sprechen.«<br />
--------<br />
Gramik wirkte unscheinbar. Er hatte keine athletische<br />
Figur, war weniger als fünf Fuß groß, sein unansehnliches<br />
Gesicht machte einen schläfrigen Eindruck. Themoch<br />
wunderte sich, warum sein Vater gerade einen solchen Diener<br />
mit wichtigen Geschäften betraute. Dann erinnerte er sich<br />
daran, den Namen gehört zu haben, ehe er nach Dimril<br />
gereist war. Offensichtlich erwies sich der Mann als sehr<br />
nützlich, etwas anderes erklärte seine Karriere nicht. Es<br />
passte ins Bild, dass er nach Demlann geschickt worden war,<br />
um die Lage zu erkunden. »Du bist Gramik?«, fragte er.<br />
Der Mann verbeugte sich leicht und schien keine<br />
Befangenheit in Gegenwart eines Prinzen zu verspüren: »So<br />
heiße ich. Pegran wollte, dass Ihr mit mir sprecht?«<br />
6
»So ist es, du sollst mich über die Situation im Westen<br />
aufklären, denn ich werde diesen Teil des Königreiches<br />
besuchen.«<br />
»Es gibt zwei wichtige Männer im Westen. Die Nummer eins<br />
ist Baron Rodhras von Demlann, die Nummer zwei Baron<br />
Belem von Jonia. Jonia liegt zwischen unserem Gebiet,<br />
Demlann und dem Breiten Gebirge, das von den Elben<br />
bevölkert ist. Rodhras hatte neben der Erstfrau eine<br />
Zweitfrau, sie ist bei der Geburt seines Sohnes Arnil<br />
gestorben. Seine Erstfrau Edhonia lebt immer noch und mit<br />
ihr hat er auch einen Sohn. Er heißt Adhren, ist ein seltsamer<br />
Typ, interessiert sich für Kunst und Religion und und bereitet<br />
seinem Vater keine Freude. Er hat zwei Schwestern, Nurala,<br />
die ältere, ist mit Morin, dem ältesten Sohn Belems<br />
verheiratet. Keine ideale Situation, um es deutlich zu sagen.<br />
Aber die Erbschaftslage ist verzwickt, denn Adhren wird nicht<br />
generell akzeptiert, Arnil ist der jüngere Sohn und der einer<br />
Zweitfrau, und Belem hat wegen dieser Heirat einen Fuß in<br />
der Türe.«<br />
»<strong>Das</strong> tönt ja, als sollten wir diese beiden Baronien<br />
entzweien.«<br />
»Nein, das wäre eine zu riskante Strategie. Ich denke eher,<br />
Ihr solltet Freunde suchen, persönliche Freunde, nicht<br />
politische, meine ich. Die Dinge werden sicher reifen und<br />
Freundschaft wird irgendwann zum Werkzeug. Es wird sicher<br />
nicht leichtfallen, einen Freund von Euch von seinen Rechten<br />
zu verdrängen. Versucht doch, mit Adhren Kontakt<br />
aufzunehmen, das ist der beste Zug. Er hält sich momentan<br />
nicht in Nedhrus auf, sondern wahrscheinlich in den<br />
Sturmbergen, Ihr werdet ihn suchen müssen. Der Weg<br />
dorthin mag über seinen Bruder führen, ich denke, Adhren<br />
bevorzugt ihn vor anderen Mitgliedern der Familie. Arnil<br />
selbst scheint nicht glücklich zu sein, sein Vater behandelt ihn<br />
hart. Ich kann das verstehen, seine Mutter ist bei seiner<br />
Geburt gestorben.<br />
Wirklich, es scheint mir auch ein guter Zug zu sein, seine<br />
Freundschaft zu gewinnen. Er ist zwei oder drei Jahre jünger<br />
als Ihr, es wird also ganz natürlich sein, wenn ihr zusammen<br />
etwas unternehmt, besonders, weil die anderen jungen<br />
Männer nicht euresgleichen sind. Sie stehen im Range viel<br />
tiefer, außer Remur, der dritte Sohn von Belem. Er führte sich<br />
zu Hause schlecht auf, er ist ein übler Kerl, es gibt ein<br />
7
Gerücht, er hätte die Tochter eines Bauern vergewaltigt. Auf<br />
jeden Fall hat er einen Diener schwer verletzt. Darum wurde<br />
er bei einem Baronet untergebracht, aber das funktionierte<br />
nicht. Er war zu arrogant, gehorchte nicht und wurde<br />
zurückgeschickt. Seid vorsichtig mit ihm. Er ist beinahe so alt<br />
wie Ihr und ein gemeiner und trickreicher Kämpfer.«<br />
Themoch lachte: »Du solltest mich kennen. Ich bin wirklich<br />
gut, ich glaube nicht, dass er sich mit mir messen kann. Aber<br />
es ist richtig, mich zu warnen. Unvorsichtigkeit ist das<br />
Dümmste, wenn es zum Kampf kommt.« Und gerade<br />
rechtzeitig fiel ihm noch ein: »Noch besser ist es, ihn zu<br />
meiden, er wäre politisch ganz schlecht. Hast du sonst noch<br />
etwas zu sagen?«<br />
»Der König deutete eine Frage an?«<br />
Themoch wunderte sich über diese verschlüsselte<br />
Formulierung und hatte dann einen Geistesblitz: »Du hast<br />
dich nach Meldon umgeschaut. Ich habe den Eindruck, er und<br />
dieser Adhren haben einiges gemeinsam. Beide interessieren<br />
sich für Kunst und Religion.«<br />
Der Diener war nun sehr vorsichtig. Es war keine<br />
Schläfrigkeit mehr in seinen Augen zu erkennen. Themoch<br />
musste zugeben, dass er den Mann unterschätzt hatte. Er<br />
verbeugte sich leicht und sagte: »Ich möchte mich<br />
keineswegs in die Geheimnisse zwischen dir und meinem<br />
Vater drängen. Falls eine Verbindung zwischen Meldon und<br />
der Politik in Demlann besteht, sollte ich das wissen,<br />
zumindest eine Richtschnur haben.«<br />
»Ihr habt recht, sie haben sich getroffen. Ich kann Euch das<br />
sagen, es ist bekannt in der Baronie, obwohl nicht von<br />
aktuellem Interesse. Ich glaube nicht, dass Meldon teilhat an<br />
irgendwelchen Plänen gegen uns. Es ist aber so, dass er<br />
Adhren getroffen hat und dann nach Westen gewandert ist.<br />
Ich weiß nicht einmal, ob er die Sturmberge überquert hat<br />
und nach Westland gegangen ist.«<br />
Themoch hatte plötzlich einen anderen Einfall: »Gibt es<br />
etwas, was ich vermeiden muss?«<br />
Da war Achtung in den Augen des Mannes, als er<br />
antwortete: »Eine gute Frage, ich hätte Euch informieren<br />
sollen. Seid vorsichtig mit Edhonia. Rodhras hat sie<br />
geheiratet, um seine Herrschaft zu sichern. Ich glaube nicht,<br />
dass je Liebe zwischen ihnen war. Dann aber verliebte er sich<br />
in Orine, diese schöne junge Frau, vielleicht ein Viertel<br />
8
elbisch. Er brachte es fertig, sie als Zweitfrau zu heiraten,<br />
Edhonia hasste sie deswegen zutiefst. Trotz der Tatsache,<br />
dass Orine nun seit Jahren tot ist, scheint sie sie immer noch<br />
zu hassen. Nennt den Namen nie in ihrer Hörweite, selbst<br />
wenn Ihr denkt, sie könne Euch nicht hören. Man kann nie<br />
wissen.« Er beugte sich plötzlich verschwörerisch vor und<br />
kicherte: »Eine Dienerin mit losem Maulwerk hat über sie<br />
gesagt: ‚Wenn ein Drache lächelt, ist das weder schön noch<br />
beruhigend!‘«<br />
Themoch hatte das dringende Bedürfnis, über das Gehörte<br />
nachzudenken. Eine plötzliche Traurigkeit befiel ihn, die er<br />
nicht verstand. »Besten Dank. Du kannst nun zum König<br />
gehen, er möchte mit dir sprechen.« Und dann fügte er hinzu:<br />
»Nochmals herzlichen Dank für die Informationen, sie werden<br />
mir helfen.«<br />
Nachdenklich schaute er dem Enteilenden nach. Es war<br />
schwierig, ihn zu beurteilen. Er stammte aus Polass, der Stadt<br />
nahe dem Königshof, wurde in jungen Jahren Diener und<br />
machte sich nützlich. Themoch konnte sich die Art dieser<br />
Nützlichkeit leicht vorstellen. Irgendwann hatte sein Vater<br />
sich entschieden, von Gramik Gebrauch zu machen. Der Prinz<br />
kannte seinen Vater gut. Er war überzeugt, dass diese<br />
Nützlichkeit nicht später Schaden anrichten würde. Wenn<br />
ihm also der König vertraute, durfte er das auch tun. Doch<br />
halt, das musste nicht zwingend stimmen. Möglicherweise<br />
hatte Pegran eine Waffe, eine alte Geschichte vielleicht. Also<br />
hatte auch er selbst nichts zu fürchten. Doch vielleicht galt<br />
das nur eingeschränkt. Immerhin schien es ihm, als sei der<br />
Mann, obwohl eine Art Spion, ehrlich und loyal auf seine<br />
Weise. Sicher konnte er aber nicht sein.<br />
Am meisten aber beunruhigte ihn die Verbindung zu<br />
Meldon, diesem unehelichen Sohn Pegrans. Er hatte ihn<br />
geliebt, als er noch ein Junge gewesen war, als genau den<br />
Kerl, den jedermann zu mögen schien. Er hatte ihm die<br />
kostbaren Geheimnisse der Knabenwelt gezeigt, wie man sich<br />
in Wäldern bewegen und zurechtfinden kann, hatte ihm das<br />
Schwimmen in Seen, das Rennen, den Kampf mit<br />
Holzschwertern beigebracht, kurzum, alles, was zu einem<br />
glücklichen Bubenleben gehörte.<br />
Es fiel Themoch plötzlich ein, dass sein Vater sich vielleicht<br />
nicht über diese Freundschaft freute. Als unehelicher Sohn<br />
stellte Meldon eine gewisse Gefahr für die legale Linie dar,<br />
9
esonders mit seiner Gabe, Freundschaft zu schließen. Falls<br />
die rechtmäßigen Erben in wichtiger Hinsicht versagten,<br />
könnten Barone oder Baronets versucht sein, den Bastard zu<br />
unterstützen, um ihre eigenen selbstsüchtigen Ziele<br />
durchzusetzen. Pegran hatte sich nie direkt gegen ihre<br />
Freundschaft ausgesprochen, außer, ja, außer dass sie beide<br />
mehrmals für Aufenthalte an anderen Höfen weggeschickt<br />
worden waren, nie aber zusammen. Eine schlaue Maßnahme,<br />
um sie zu trennen? Wer konnte es wissen?<br />
Rennen, dachte der Prinz. <strong>Das</strong> ist es! Ich denke zu viel, ich<br />
muss rennen. Es wurde ein langer Lauf. Er war ausdauernd<br />
und technisch beschlagen. Kein Gleichaltriger konnte da<br />
mithalten, und er war stolz darauf. Manchmal half rennen ihm<br />
dabei, die Gedanken zu klären. Sie verlangsamten sich,<br />
wurden einfacher, reduzierten sich auf das Wesentliche. Und<br />
es half ihm, im Fechten zu den Besten zu gehören. Er war<br />
ohnehin gut, verfügte über Geschick und Schnelligkeit und<br />
hatte auch die Kraft, schwere Schläge zu führen und<br />
abzuwehren. Dazu kam diese nahezu magische Gabe, die<br />
Bewegungen des Gegners vorauszusehen. Wenn das alles<br />
nicht reichte (selten!), erlaubte es seine Ausdauer ihm, zu<br />
warten, bis der andere müde wurde und Fehler machte.<br />
Es war, als wolle er all die bedrängenden Fragen mit<br />
körperlicher Anstrengung zum Schweigen bringen. Es gab zu<br />
viele Intrigen bei der ganzen Sache. Am liebsten hätte er zum<br />
Schwert gegriffen, um das ganze Gewebe zu zerhauen, aber<br />
er wusste, dass das keine Lösung war. Immerhin kam er zu<br />
innerer Ruhe, als er heimwärts rannte. Er beschloss, seiner<br />
Intuition zu trauen. Demlann mochte feindlich sein oder nicht,<br />
er würde seinen Aufenthalt genießen. Und er würde<br />
versuchen, Freunde zu gewinnen. Vielleicht fand er sogar<br />
eine junge, adelige Frau, die ihm gefiel. Die erste Wahl,<br />
Mudhrina, galt als hübsch. Zum letzten Mal hatte er sie als<br />
Mädchen gesehen, knochig und wenig attraktiv. Sicherlich<br />
war sie nicht so schön wie Alda, dafür wohl viel weniger<br />
zickig. Er seufzte, Frauen konnten echt schwierig sein.<br />
--------<br />
Wieder daheim, duschte er und schauderte unter dem<br />
kalten Wasser. Anscheinend war die doofe Zisterne, wohl<br />
wegen des Regenmangels der letzten Grauzeiten, mit kaltem<br />
10
Quellwasser gefüllt worden. Es schien den letzten Nebel aus<br />
seinem Gehirn zu vertreiben. Dieses Buch von Meldon, ich<br />
muss es sehen. Er zog sich an und suchte die Bibliothek auf.<br />
Der Bibliothekar, ein altes, verhutzeltes Männlein, erhob<br />
sich, als er ihn kommen hörte: »Hallo, Prinz Themoch, schön,<br />
Euch zu sehen. Nicht viele kommen im Frühling hierher. Ich<br />
machte gerade ein Nickerchen.«<br />
»Entschuldige, dass ich dich geweckt habe.«<br />
»Schadet nichts. Es ist besser, am Tage nicht zu lange zu<br />
schlafen. Sonst bleibt man nachts wach. Was möchtet Ihr?«<br />
»Meldons Buch, das, das er geschrieben hat.«<br />
»Es ist hinten in der Bibliothek. Ich habe es versteckt, damit<br />
nicht jeder seine Nase reinsteckt oder es gar beschädigt. Er<br />
war großartig, es gibt nicht viele wie ihn. Ein Adeliger, der<br />
ein Buch in seiner Jugend geschrieben hat, das kommt selten<br />
vor. Und sportlich war er obendrein.«<br />
Er schlurfte in den hinteren Teil der Bibliothek, der Prinz<br />
folgte ihm.<br />
»Wo ist es?«, rief der Alte plötzlich. »Schaut da mal«, fügte<br />
er hinzu, als er sich zu seinem Besucher umdrehte. »Da ist<br />
eine Lücke, wo eigentlich das Buch stehen sollte. Jemand hat<br />
es an sich genommen.«<br />
»Vielleicht der König?«<br />
»Oh nein, er hat es schon vor längerer Zeit ausgeborgt. Er<br />
ist gekommen und hat nach dem Buch gefragt, aber ein<br />
Diener hat es wenige Tage später zurückgebracht.«<br />
»Ein Diener? Kennst du seinen Namen?«<br />
»Gramik, es war Gramik, der es zurückgebracht hat.«<br />
<strong>Das</strong> hieß natürlich gar nichts. Wenn Pegran seinen Späher<br />
beauftragt hatte, herauszufinden, was mit Meldon passiert<br />
war, hatte er ihm sicher erlaubt, das Buch zu benutzen.<br />
Trotzdem fühlte sich Themoch alarmiert. Vielleicht befanden<br />
sich wichtige Informationen in diesem Buch. »Du kennst es?«,<br />
fragte er.<br />
»Ziemlich gut!«<br />
»Kannst du mir davon erzählen?«<br />
»Es ist eine ziemlich schwierige Angelegenheit. Meldon<br />
interessierte sich sehr für Geschichte. Ihr wisst ja, dass wir<br />
nicht immer hier gelebt haben. Wir kamen vom Osten, es ist<br />
mehr als vier Jahrhunderte her. Es hatte Erdbeben gegeben,<br />
Vulkanausbrüche, giftige Asche hatte es geregnet. Immer<br />
noch lebt niemand im Osten – außer einigen Ausgestoßenen.<br />
11
Es war nicht einfach, in dieses Land hier zu kommen. Zwerge<br />
lebten ganz im Norden, Elben im Süden, die meisten<br />
Siedlungen der Menschen standen unter deren Herrschaft.<br />
Aber dann gab es einen Helden, Hadhrim hieß er, der einte<br />
die Menschen und zusammen mit unseren Vorfahren<br />
kämpften sie gegen die Elben und Zwerge und befreiten das<br />
Land.«<br />
Themoch nickte. Er kannte diesen alten Bericht und war<br />
erstaunt: »Hat er wirklich diese alte Mär niedergeschrieben?<br />
Was kann so ein Buch nützen?«<br />
Der Alte schüttelte den Kopf: »<strong>Das</strong> Buch erzählt mehr als<br />
das, eine ziemlich andere Geschichte. Zum einen haben lange<br />
nicht alle Menschen hier unsere Vorfahren willkommen<br />
geheißen. Zum anderen wirft es neues Licht auf den Mann<br />
namens Wagrem.«<br />
»In einigen alten Geschichten gibt es einen Zauberer, der so<br />
heißt. Ich glaube, er wechselte die Seiten, half den Elben.«<br />
»Meldon beschreibt das nicht so. Es war Wagrem, der die<br />
Elben überzeugte, die Menschen hier ansiedeln zu lassen.<br />
Klar, es gab einige Kämpfe, denn die elbischen Barone und<br />
Prinzen gaben zuerst nicht nach. Aber zuletzt zogen sie den<br />
Rückzug nach Süden einem langen und verheerenden Krieg<br />
vor. <strong>Das</strong> Buch überzeugt. Ich denke, er konnte auf Dokumente<br />
aus elbischen Städten zurückgreifen. Ihr wisst vielleicht, dass<br />
er für ein Jahr an Belems Hof nahe Surran lebte. Er war in<br />
Eurem Alter und verließ den Hof, um zwei Monate in der<br />
Wildnis des Breiten Gebirges zu leben. <strong>Das</strong> ist wohl nicht ganz<br />
wahr. Ich denke, er besuchte die Städte dort.«<br />
»<strong>Das</strong> ist einleuchtend«, erwiderte der Prinz nachdenklich.<br />
»Die Elben leben in einer großen Region im Süden und sind<br />
zahlreicher als wir. Aber sie lieben unser nördliches Land<br />
nicht, sie fühlen sich hier nicht wohl. Wir hatten eine elbische<br />
Delegation an unserem Hof, als ich jung war. Einige bewegten<br />
sich schon etwas seltsam. Ich erinnere mich, weil man mir<br />
strengstens verboten hat, zu lachen. Sie waren groß und<br />
schlank, nicht besonders stark, aber schön. Es ist allerdings<br />
bekannt, dass sie ausgezeichnete Bogenschützen sind.«<br />
»Soll ich das Buch zurückverlangen?«<br />
»Nicht nötig, ich werde bald abreisen. So oder so, du hast<br />
mir nützliche Informationen geliefert. Schau nur gut auf die<br />
Bücher. Es sieht aus, als könnten sie uns wichtige Dinge<br />
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erzählen. Als ich jung war, habe ich nicht so gedacht, aber ich<br />
glaube, da habe ich mich geirrt.«<br />
Der Bibliothekar verbeugte sich höflich: »Vielen Dank für<br />
solche Worte. Es ist schön zu hören, wenn ein Prinz Bücher<br />
lobt. Möge Segen auf Eurem Weg sein.«<br />
Auch Themoch verbeugte sich leicht, bevor er ging. Die<br />
ganze Angelegenheit war noch überhaupt nicht klar, aber er<br />
hatte das Gefühl von Bedeutung. Vielleicht hatte sein Vater<br />
recht gehabt, er war zu unbedarft gewesen. Vielleicht lag sein<br />
Schicksal im Westen. Er konnte nicht wissen, wie wahr das<br />
war. Und wenn er es gewusst hätte, wäre er vielleicht nicht<br />
gegangen.<br />
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