Booklet - Österreichisches Filmmuseum
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53 VertovSestaja_booklet:ef 14.12.2009 11:42 Uhr Seite 26<br />
Technische Anmerkungen<br />
Michael Loebenstein<br />
Die vorliegende Doppel-Edition von Dziga Vertovs Filmen stellt editorisch wie technisch eine<br />
beträchtliche Anstrengung dar. DVD-Editionen sind unserer Ansicht nach ein „Apparat“ zum<br />
Filmereignis – mittels digitaler Technologien werden „Abschriften“ des ursprünglich für den<br />
Kinoraum gedachten und mittels analoger Filmtechnologie hergestellten Werkes einer breiten<br />
Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Zugleich vermittelt der digitale Gegenstand DVD auch<br />
Wissen über einen bestimmten Autor und seine Arbeit: Veröffentlichungen wie jene in<br />
der Edition <strong>Filmmuseum</strong> dienen auch dazu, wissenschaftliche Erkenntnisse aufzubereiten,<br />
die im Zusammenspiel zwischen Archiven, Museen, der Kunst und den Wissenschaften<br />
produziert werden.<br />
Die Filme Dziga Vertovs sind dabei eine spezielle Herausforderung. Zum einen antizipiert<br />
der Filmemacher und Theoretiker in vielen seiner Methoden digitale Verfahren. Zum anderen<br />
sind die von ihm erhaltenen Filme geprägt von der Idee eines „Kino-Auges“, das eben<br />
nicht nur filmt, sondern sich auch erst in der analogen Projektion, im Kinosaal, im<br />
Rhythmus der Flügelblende und in gleißendem 35mm-Schwarzweiß entfaltet. Nicht zuletzt<br />
zeugen die Filme auch von der zerstörerischen Kraft der Entropie, der das ursprüngliche<br />
Material unterworfen ist: Sie sind zum Teil stark beschädigt und vermutlich unvollständig<br />
überliefert.<br />
Im Rahmen des Forschungsprojekts Digital Formalism konnten Vertovs Langfilme erstmals<br />
vollständig digitalisiert und Kader für Kader analysiert werden. Die Resultate dieser interdisziplinären<br />
Recherche finden Sie sowohl im Video-Feature Vertov in Blum auf Disc 2 als<br />
auch in den interaktiven Demonstrationen und Recherche-Dossiers im ROM-Bereich der<br />
Disc. In beiden Features liegt der Film Odinnadcatyj (beziehungsweise die Ausschnitte<br />
daraus) kadergenau digitalisiert vor. Vertovs Filme wurden, wie zur Zeit des Stummfilms<br />
üblich, mit variabler Geschwindigkeit gedreht und mit einer niedrigeren Bildfrequenz als<br />
den auf Video und im TV üblichen 25 Bildern/Sekunde wiedergegeben. Um eine exakte<br />
Wiedergabe jedes Bilds ohne zusätzlich erzeugte, interpolierte Kader zu gewährleisten, wird<br />
Vertovs Material im wissenschaftlichen Apparat der DVD also subjektiv zu schnell abgespielt.<br />
Für eine DVD-Edition der Filme selbst ist dies jedoch kein gangbarer Weg. Technisch<br />
haben wir versucht, einen Mittelweg zwischen Werktreue und editorischer Praxis zu finden.<br />
Um die Analyse im Projekt Digital Formalism zu optimieren, aber auch die Qualität des DVD-<br />
Release zu garantieren, wurden Šestaja čast’ mira und Odinnadcatyj mit Unterstützung von<br />
ZDF / ARTE in HD-Auflösung (1920 1080 Pixel) mit 25 Bildern/Sekunde auf HDCam transferiert.<br />
Als Quelle dienten die Sicherungspositive der Filme, die dem Österreichischen <strong>Filmmuseum</strong><br />
in den späten 1960er Jahren vom Gosfilmofond (Moskau) übergeben wurden, und die eine<br />
erstaunliche Bildqualität aufweisen. Anschließend wurde digital vor allem jene Bildkorrektur<br />
durchgeführt, die bei der ‚Live-Vorführung‘ in einer Cinematheque vom Vorführer übernommen<br />
wird: Der Bildstand, der aufgrund unterschiedlicher Schrumpfung und Beschädigungen<br />
des Streifens sowie durch analoge Kopierfehler uneinheitlich ist, wurde angepasst. Weiters<br />
wurden wenige Kader lange Reste „falschen“ Materials (Spring titel-Reste, einkopierte<br />
© Interactive Media Systems Group, TU Wien<br />
Überblendzeichen) und mitkopierte Klebestellen mittels Software von Adobe und Apple<br />
entfernt. Ein großes Problem stellte am Ende die Herstellung der „korrekten“ Laufgeschwin -<br />
digkeit dar: Ein groteskes Defizit der neuen digitalen Audio visionen – von DVD über BluRay<br />
bis zum Digitalen Kino – ist ihr Unvermögen, variable Bildfrequenzen zuzulassen. Um auf<br />
das Äquivalent von 18 oder 20 Bildern pro Sekunde zu kommen, müssen von der Software<br />
in jeder Sekunde 5–7 zusätzliche Bilder errechnet werden. Diese duplicate frames bzw.<br />
interpolated frames sind nicht nur Bilder, die der Autor nie gemacht hat; sie produzieren<br />
auch digitale „Artefakte“ (in diesem Fall sind damit „Fehler“ gemeint), die den Filmeindruck<br />
beeinträchtigen.<br />
Nun leben wir in keiner perfekten Welt; das Ziel war vor allem, dem Eindruck von Vertovs<br />
Filmen keinen Abbruch zu tun. Gewählt wurde letztlich, nach einer Vielzahl von Experi -<br />
menten in Wien (Alexandra Braschel) und München, wo Christian Ketels die Postproduktion<br />
von Šestaja čast’ mira besorgte, eine Mischform aus frame duplication (jeder dritte bis<br />
fünfte Kader wird dupliziert) und frame blending (alle fünf Kader wird aus zwei benach -<br />
barten Bildern ein neues, überblendetes Bild produziert). Einstellung für Einstellung wurde<br />
– je nach Bewegungsgrad der Szene – zwischen blending und duplication abgewogen.<br />
Bis die Unterhaltungsindustrie die Forderung der internationalen Filmarchive nach einem<br />
Bildfrequenz-agnostischen digitalen Standard anerkennt, bleibt dies die einzige Möglichkeit.