Die Kunst des Verführens - aware – Magazin für Psychologie
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10 <strong>aware</strong> FS12 WISSENSCHAFTLICHES SCHREIBEN<br />
Ich, wir oder man?<br />
Dos und Don’ts beim wissenschaftlichen Schreiben<br />
Wissenschaftliche Texte müssen Informationen<br />
liefern, und zwar schnell. Unklarheiten<br />
haben keinen Platz. Sich beim Schreiben an<br />
der Leserschaft zu orientieren, ist daher die<br />
Grundregel.<br />
Von Simone Eberhart<br />
<strong>Die</strong> American Psychological Association<br />
(APA) bezeichnet in ihrem «Publication Manual»<br />
(sechste Auflage) klare Kommunikation<br />
als wichtigstes Kriterium <strong>für</strong> wissenschaftliches<br />
Schreiben. Was macht einen Text aber<br />
verständlich? Eigentlich einfach: Ein klarer<br />
Aufbau, ein roter Faden, prägnante Sätze und<br />
aussagekräftige Wörter. Auf ein paar heiss diskutierte<br />
Problempunkte sei aber dennoch genauer<br />
eingegangen.<br />
Immer Präsens?<br />
Während im Internet primär das Gebot «Niemals<br />
Vergangenheit!» kursiert, gibt die APA<br />
ganz klar eine andere Empfehlung ab: Diskutiert<br />
man Ergebnisse anderer Wissenschaftlerinnen<br />
und Wissenschaftler, so ist die Vergangenheitsform<br />
zu wählen. Ansonsten muss sich<br />
der Schreiber oder die Schreiberin allerdings<br />
selbst eine Strategie zurechtlegen. Wirklich<br />
entscheidend dabei ist, dass die Zeitformen<br />
konsequent verwendet werden.<br />
Emanzipations-I<br />
Beinhaltet die Leser auch die weiblichen Lesenden?<br />
Linguisten beantworten diese Frage<br />
anders als Politikerinnen und Politiker. Will<br />
man aber leserorientiert schreiben, bedeutet<br />
das auch, die Wünsche der Angesprochenen zu<br />
respektieren <strong>–</strong> und dementsprechend beide<br />
Formen zu nennen. Der Verständlichkeit steht<br />
dies aber leider sehr zuwider. Mit Pronomen<br />
zu arbeiten, ist eine Lösung. Synonyme oder<br />
zusammenfassende Substantive wie etwa Leserschaft<br />
oder Lehrpersonen zu verwenden,<br />
eine andere. <strong>Die</strong>se Gratwanderung zwischen<br />
Präzision und Einfachheit erfordert also vor<br />
allem eins: viel Kreativität. Neben der Doppelnennung<br />
(Patientin und Patient) sind übrigens<br />
auch eine Kombination mit Schrägstrich<br />
(Patient/-in) oder eine Klammerlösung<br />
möglich (Patient(in)). Aber aufgepasst:<br />
*Patienten/-innen ist nicht korrekt, da sich,<br />
wie es Duden beschreibt, in der ausgetauschten<br />
Endung «der Vokal ändert». «Darüber hinaus<br />
soll sich ein grammatisch korrektes und<br />
leicht lesbares Wort ergeben, wenn der Schrägstrich<br />
weggelassen wird.» <strong>Die</strong> Schreibung mit<br />
dem «Binnen-I» bzw. «Emanzipations-I», wie<br />
etwa in *AnfängerInnen, verletzt die amtlichen<br />
Regeln genauso.<br />
Zum Ich-Tabu<br />
Vom Menschen unabhängig Wissen in den<br />
Raum zu stellen, klingt zwar seriös-objektiv,<br />
faktisch sind aber die Ideen, die Vernetzung<br />
<strong>des</strong> Wissens und die Schlüsse aus den Ergebnissen<br />
sehr wohl an den Urheber oder die Urheberin<br />
gebunden <strong>–</strong> sonst müsste man nicht so<br />
viel Aufhebens um geistiges Eigentum machen.<br />
<strong>Die</strong> APA sagt daher: «I or we is perfectly<br />
acceptable in APA Style!» Mit ich und wir umgeht<br />
man aber nicht nur diese Pseudoobjektivität,<br />
sondern unter Umständen auch konkrete<br />
Missverständnisse: «Meier und Müller (2012)<br />
konnten zeigen, dass subjektive Müdigkeit<br />
nicht mit Sauerstoffgehalt in der Luft korreliert.<br />
<strong>Die</strong> Autoren replizierten dieses Ergebnis.»<br />
Sind mit «<strong>Die</strong> Autoren» nun Meier und<br />
Müller oder die Verfasser der Sätze gemeint?<br />
Ein wir wäre hier klarer.<br />
Alternative Passiv<br />
Im Namen der Objektivität werden oft folgende<br />
Optionen gewählt: die Passivform und<br />
die Formulierung mit man. Bei<strong>des</strong> unterschlägt,<br />
wer genau die Handlung ausführt, und<br />
ist somit unpräzise. Probleme bereitet dies jedoch<br />
nur, wenn die Inhalte missdeutet werden<br />
können: In einem Satz wie «Es wird angenommen,<br />
dass …» ist unklar, ob als Akteur die Autoren,<br />
die Gesellschaft oder die Wissenschaft<br />
gemeint ist. Genauso kann aber eine Formulierung<br />
mit wir verwirren: «Wir kategorisieren<br />
depressive Störungen…» <strong>Die</strong> APA empfiehlt<br />
<strong>des</strong>wegen eine ganz gezielte Anwendung von<br />
wir, nämlich dann, wenn die Verfasserinnen<br />
und Verfasser <strong>des</strong> Textes gemeint sind. Ansonsten<br />
sollte die Gruppe benannt oder zumin<strong>des</strong>t<br />
das wir expliziert werden: «Psychologinnen<br />
«I or we is perfectly acceptable in<br />
APA Style!» <strong>–</strong> APA<br />
und Psychologen kategorisieren depressive<br />
Störungen…» oder «Als Psychologen kategorisieren<br />
wir depressive Störungen…».<br />
Kurz gesagt: Ich und wir sind erwünscht <strong>–</strong> insbesondere<br />
wenn sie Mehrdeutigkeit reduzieren<br />
<strong>–</strong>, müssen aber erläutert werden, falls neue<br />
Unklarheiten aufkommen. Auf Biegen und<br />
Brechen aktiv zu formulieren, ist jedoch auch<br />
nicht nötig, gerade dann nicht, wenn ein neuer<br />
Konflikt lauert <strong>–</strong> etwa mit dem geschlechtergerechten<br />
Formulieren («Es wurde untersucht…»<br />
ist trotz allem verständlicher als «<strong>Die</strong><br />
Versuchsleiterinnen und Versuchsleiter untersuchten…»).<br />
Also: Es gibt kein Richtig oder<br />
Falsch. Der Schreiber oder die Schreiberin<br />
muss nach eigenem Gutdünken zwischen Genauigkeit<br />
und Lesbarkeit abwägen. Denn der<br />
Leser ist König <strong>–</strong> und die Leserin Königin.<br />
Alle beschriebenen Empfehlungen sind mit den<br />
Richtlinien der APA vereinbar.<br />
<strong>Die</strong>s ist eine Serie. In jeder Ausgabe wird<br />
eine andere Facette <strong>des</strong> wissenschaftlichen<br />
Schreibens beleuchtet. Letztes Mal: Überarbeiten<br />
erlaubt! Nächstes Mal: Digital Object<br />
Identifier (DOI) und andere elektronische<br />
Neuheiten.