Die Kunst des Verführens - aware – Magazin für Psychologie
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<strong>aware</strong> FS12 FELDER DER PSYCHOLOGIE<br />
«Oh Gott!» <strong>–</strong> Ein Handbuch «<strong>Psychologie</strong><br />
der Spiritualität»?<br />
«Was ist das denn?» Skepsis und Argwohn gegenüber einem Handbuch zur <strong>Psychologie</strong> der<br />
Spiritualität ist nicht nur von Seiten der <strong>Psychologie</strong> zu erwarten. Denn das Wort «spirituell»<br />
wird alltagssprachlich genauso kontrovers wie häufig verwendet. Kann <strong>–</strong> oder vielleicht<br />
sogar muss <strong>–</strong> die «Spiritualität» auch Gegenstand wissenschaftlichen Interesses sein?<br />
Von Juliana Graf<br />
Es folgt ein Einblick in das 2007 erschienene<br />
Buch von Anton A. Bucher, der an der Universität<br />
Salzburg Professor im Fachbereich Praktische<br />
Theologie und Religionspädagogik ist.<br />
<strong>Die</strong>s soll aus einer religionswissenschaftlichen<br />
Perspektive (siehe Infokasten) geschehen, in der<br />
Hoffnung, dass diese Wissenschaft das öde<br />
Sperrgebiet zwischen Theologie und <strong>Psychologie</strong><br />
fruchtbarer machen kann.<br />
Problematik <strong>des</strong> Begriffs «Spiritualität»<br />
Der Religionswissenschaftler Richard King<br />
(2005) sieht die Handhabung von «Spiritualität»<br />
als wissenschaftlichen Begriff problematisch.<br />
Religionswissenschaft<br />
Religionswissenschaft versteht sich als Kulturwissenschaft,<br />
die sowohl mit historischen,<br />
philologischen als auch sozialwissenschaftlichen<br />
Methoden arbeitet. Unter-<br />
suchungsgegenstand können nicht nur<br />
verschiedene religiöse Traditionen sein,<br />
sondern auch allgemein Sinn- und Orientierungsangebote<br />
(z. B. westliche Yogazentren,<br />
Vegetarismus als alternative Lebensweise)<br />
(von Brück, 2007).<br />
Im Unterschied zur Theologie wird in den<br />
Teildisziplinen Religionssoziologie, -ethnologie,<br />
-geschichte und -psychologie der Glaube,<br />
also Vorstellungen innerhalb von Religionen,<br />
nur <strong>des</strong>kriptiv, nicht normativ<br />
behandelt. Das konstruktivistische Paradigma<br />
fordert dazu auf, subjektive Wirklichkeiten<br />
und das daraus resultierende Handeln<br />
zu analysieren. Ein objektiver Beweis<br />
von etwas «Heiligem» oder «Übernatürlichem»<br />
kann nicht angestrebt werden,<br />
trotzdem werden religiöse Erfahrungen als<br />
Sein inflationärer, alltagssprachlicher Gebrauch<br />
zeugt von seiner vagen Bestimmtheit: Ist damit<br />
eine übernatürliche oder magische Erfahrung<br />
gemeint? Oder ein höheres Bewusstsein jenseits<br />
rein materieller Weltanschauung? Wie ist er von<br />
«Religiosität» zu unterscheiden? Hilfreich ist<br />
auch die sprachgeschichtliche Entstehung eines<br />
schwierig fassbaren Begriffs zu verfolgen. Demnach<br />
kommt «Spiritualität» vom lateinischen<br />
«spiritus», was sowohl Luft, Atem, Seele, Geist<br />
als auch Mut, Sinn und Begeisterung bedeuten<br />
kann.<br />
«Spiritualität» liegt im Trend<br />
Eben weil Spiritualität in seinen vielfältigen<br />
Ausprägungen boomt, besteht nach Meinung<br />
von Bucher, aber auch <strong>des</strong> renommierten Entwicklungspsychologen<br />
Rolf Oerter, der das Geleitwort<br />
verfasst hat, die Notwendigkeit psychologischer<br />
Erforschung.<br />
Ob Yoga, TCM (Traditionelle chinesische Medizin),<br />
Zen-Meditation, Selbstfindungs-Ratgeber<br />
oder eine der vielen NRMs (New Religious Mo-<br />
vements) <strong>–</strong> der spirituelle Markt und die Sinnsuche-Kultur<br />
werden immer grösser, so der Soziologe<br />
Roof (2000) und der Religions-<br />
wissenschaftler Gladigow (1995).<br />
Laut einer soziologischen Studie (Roof, 1993;<br />
2000) bezeichnet sich in den USA jeder Siebte<br />
als weder religiös noch spirituell. <strong>Die</strong> Zahl der<br />
«nur» Spirituellen (nicht Religiösen) steigt jedoch<br />
nicht nur in den USA (schätzungsweise 20<br />
Prozent), sondern vor allem im stärker säkularisierten<br />
Mitteleuropa. In einer nicht repräsentativen<br />
Studie mit ausschliesslich Studierenden<br />
fand Bucher (2007) heraus, dass die «nur» Spirituellen<br />
sogar in dieser Stichprobe die grösste<br />
Gruppe bilden.<br />
Dahinter steht häufig die Assoziation, dass Spiritualität<br />
vom freiheitlichen Suchen und Auswählen<br />
<strong>des</strong> Individuums aus verschiedenen<br />
Weltanschauungsangeboten geprägt ist. Im Gegensatz<br />
dazu wird Religiosität mit Dogmatik,<br />
Traditionalismus und Institutionsgebundenheit<br />
in Zusammenhang gesetzt, was eine spirituelle<br />
Religiosität aber nicht ausschliesst.<br />
Wie kann man «Spiritualität» wissenschaftlich<br />
fassbar machen?<br />
Buchers «<strong>Psychologie</strong> der Spiritualität» bekommt<br />
seinen Handbuch-Charakter durch die<br />
psychische Realität anerkannt. Sonderausstellung «Mystik» im Museum Rietberg in Zürich. Themenwahl und grosser Besucherzustrom bezeugen<br />
die Popularität von «Spiritualität».<br />
Bildquelle: Juliana Graf