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© siehe Impressum<br />

Synthese<br />

... das Phänomen von Polarität und Steigerung<br />

Werfen wir einen Blick auf die Geistesart<br />

der beiden Freunde:<br />

Goethe ist Empiriker. Er sucht den Gott in den Erscheinungen<br />

der Natur durch kontemplatives<br />

Schauen, Beobachten, Entdecken und bildet sich<br />

lebendige Begriffe. Seine Gedanken sind nie abstrakt,<br />

sondern stetes geht er vom Konkreten aus und sucht<br />

das Urphänomen 1 dahinter. Diese Vorgehensweise<br />

kennen wir als Goetheanismus. Goethes Dichtungen<br />

sind aus imaginativer traumwandlerischer Intuition<br />

heraus gestaltet, doch alle seine Naturwissenschaftlichen<br />

Studien sind Früchte eigener Erkenntnisleistung.<br />

In Schiller findet er den Freund, der ihn mit der philosophischen<br />

Methode vertraut macht und ihm damit<br />

die denkerische Rechtfertigung seiner Sinnesart gibt.<br />

Erst durch Schiller kommt er z.B. dazu, entscheidende<br />

Kapitel seines Faust-Dramas zu schreiben, das<br />

über Jahre geschlummert hatte.<br />

Schiller befindet sich am<br />

entgegengesetzten Pol, dem<br />

Denkpol.<br />

Sein geistiger Weg geht durch die Eiswüste der reinen<br />

Abstraktion, den Todesbereich des logischen<br />

Verstandesdenkens, das, von der Natur losgerissen,<br />

nur Totes erfassen kann. Im reinen Gedanken sucht er<br />

den Weg zur geistigen Welt. Alle Natur zerfällt wieder<br />

zu Staub, die Gedanken sind ewig.<br />

In der Natur sieht Schiller einen Widerpart, einen<br />

Gegenspieler der Freiheit, die sein großes Thema ist.<br />

Wie findet der Mensch zur Freiheit zwischen Vernunftnotwendigkeit,<br />

moralischer Forderung und<br />

Naturnotwendigkeit, dem Zwang der Instinkte und<br />

Triebe? Was muss der Mensch an sich selber tun, um<br />

wahrhaft frei zu werden? Dies ist seine große Frage,<br />

um die auch seine philosophischen Briefe „Über die<br />

ästhetische Erziehung des Menschen“ kreisen, die<br />

schon stark von Goethes Geist beeinflusst sind. Im<br />

Künstlerischen findet Schiller die Brücke. Der künstlerisch<br />

schaffende Mensch nimmt das Schöne wahr<br />

und bringt Schönes hervor. Er bildet frei am vorliegenden<br />

Stoff, an allem, was formbar ist, auch an seinem<br />

eigenen Charakter. An die Freiheitsfrage knüpft<br />

sich unmittelbar die Frage nach der Möglichkeit des<br />

Menschen zum Bösen. Alle Dramen Schillers loten<br />

dieses Spannungsfeld auf verschiedenste Weise aus.<br />

Zehn Jahre lang haben die beiden Freunde Goethe<br />

und Schiller ein umfassendes Gespräch geführt und<br />

sich darin gegenseitig „erquickt“, befruchtet und<br />

inspiriert, um sich schließlich in einer Weise gegenseitig<br />

zu erhöhen, dass jeder durch den anderen über<br />

sich selbst hinauswachsen konnte. Aus der<br />

Polarität entwickelte sich eine gegenseitige<br />

Steigerung. Die zahlreichen Briefe geben<br />

davon Zeugnis. Was die beiden in ihren<br />

Gesprächen von Mund zu Ohr, die sie oft<br />

bis tief in die Nacht hinein führten, alles<br />

bewegt haben mögen, lässt sich nur<br />

ahnen.

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