Ausgabe 1/2012 Ausgabe 1/2012 - Film und Buch
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Meyrink verwandelten. Es handelt sich Paul<br />
Leppin <strong>und</strong> Egon Erwin Kisch. (11)<br />
Paul Leppin kannte Meyrink bereits seit den<br />
Tagen der Haschisch-Seancen <strong>und</strong> gehörte als<br />
Schriftsteller ebenfalls zum sogenannten<br />
„Prager Kreis“. Heute fast unbekannt, verdient<br />
die Lektüre seines Romans „Severins Gang in<br />
die Finsternis“ allein deshalb größere<br />
Aufmerksamkeit, weil Gustav Meyrink in ihm<br />
dem Leser kaum verfremdet gegenüber tritt.<br />
„In seiner Bibliothek“, erzählte Paul Leppin,<br />
„waren Edgar Allan Poe, E.T.A. Hoffmann, vor<br />
allem aber die Blavatzky vertreten. Überhaupt<br />
sah es bei ihm recht phantastisch aus. Er hatte<br />
ein Terrarium mit zwei afrikanischen Mäusen,<br />
die er nach Maeterlinck-Figuren benannte,<br />
einen wirklichen Beichtstuhl, den er, Gott weiß<br />
wo, aufgetrieben hatte, Bilder der Blavatzky,<br />
die Plastik eines Geistes, der in der Wand<br />
verschwindet u.v.a., was in eine Privatwohnung<br />
eines Bankiers nicht hineingehört. ... Meyrink<br />
war der witzigste <strong>und</strong> packendste Erzähler, der<br />
die unglaublichsten Dinge so plastisch<br />
darstellte, dass sie bei den skeptischsten<br />
Zuhörern Glauben fanden. Bosheit paarte sich<br />
mit weltmännischer Grazie. So war er ein<br />
Liebling <strong>und</strong> später ein Verfemter. ...<br />
Erst im Gefängnis ... begann er seine<br />
Schriftstellertätigkeit mit der Skizze „Izzi-Pizzi“,<br />
die im „Simplizissimus“ erschien. ... Seinen<br />
Hauptgegner, den Polizeirat Oliè, hat er nur<br />
wenig überlebt. ... Meyrink hat, bevor er noch<br />
als Dichter bekannt wurde, in Prag, in der<br />
Schwarzen Rose am Graben ein Bankgeschäft<br />
betrieben, musste aber wegen verschiedener<br />
Misshelligkeiten die Stadt verlassen. ...<br />
Insbesondere hat eine Duellaffäre <strong>und</strong> die sich<br />
an die Ehrenangelegenheit anschließende<br />
Gerichtsverhandlung sehr viel Staub<br />
aufgewirbelt. Einmal ereignete sich nämlich,<br />
dass ein Herr Ganghofer die Frau Meyrinks<br />
nicht grüßte. Meyrink ... fühlte sich in<br />
Anbetracht des Umstandes, dass Ganghofer<br />
ebenso wie er, dem Ruderklub Regatta<br />
angehörte, verletzt <strong>und</strong> stellte Herrn Ganghofer<br />
zur Rede. Es kam zur Nennung von Zeugen,<br />
doch wurde Herrn Meyrink von Ganghofer, der<br />
Reserveoffizier war, die Satisfaktionsfähigkeit<br />
abgesprochen, angeblich, weil er das<br />
uneheliche Kind einer Schauspielerin wäre, eine<br />
Begründung, die heute geradezu unglaublich<br />
erscheint. Die sich daran schließenden<br />
Beleidigungen bildeten den Gegenstand des<br />
erwähnten Prozesses. Die Kartellträger<br />
Meyrinks waren Graf Resseguier <strong>und</strong> Herr<br />
Kolischer ... Auf der Gegenseite spielten<br />
Angehörige der Verbindung „Markomannia“<br />
eine Rolle, die Meyrink in seinen späteren<br />
Satiren wiederholt gezaust hat. ...“ (12)<br />
Leppin schildert weiter, dass der eigentliche<br />
Gr<strong>und</strong> für Meyrinks Vertreibung aus Prag der<br />
Polizeirat Oliè gewesen war. Dieser mächtige<br />
Mann hatte sein Auge auf eine Sängerin<br />
geworfen, mit der Meyrink vor dessen zweiter<br />
Ehe liiert gewesen sein soll. Er verfolgte den<br />
erfolgreichen Banker mit glühender Eifersucht<br />
<strong>und</strong> griff die Gerichtsverhandlung anlässlich<br />
der Duellaffäre dankbar auf. Im Verlauf des<br />
Verfahrens kamen Gerüchte über unsaubere<br />
Banktransaktionen zur Sprache, die der<br />
Polizeirat nutzte, um eine Durchsuchung der<br />
Geschäftsräume zu veranlassen.<br />
Alle Geschäftsvorgänge des Ersten christlichen<br />
Bankgeschäfts, das Meyer seit 1893 allein<br />
betrieb, wurden aufs peinlichste durchleuchtet.<br />
Es stellte sich schließlich zwar heraus, dass die<br />
Gerüchte <strong>und</strong> Vorwürfe unhaltbar waren, alle<br />
Transaktionen waren ordentlich <strong>und</strong> nach den<br />
<strong>Buch</strong>staben der Gesetze abgewickelt worden,<br />
doch die Rufschädigung blieb. Die K<strong>und</strong>en<br />
hatten ihr Vertrauen in die Bank verloren <strong>und</strong><br />
es kam zum Zusammenbruch des<br />
Unternehmens, in dessen Folge Meyrink Prag<br />
verließ.<br />
Die Darstellung, die Egon Erwin Kisch von den<br />
Vorfällen gibt, unterscheidet sich in einigen<br />
Punkten von der Schilderung Leppins. Am<br />
Resultat der zweieinhalb Monate dauernden<br />
Untersuchungshaft, die zwar mit einer<br />
bedingungslosen Einstellung des Verfahrens<br />
endete, änderte sich allerdings nichts: Der<br />
Bankier Meyer war ruiniert <strong>und</strong> wurde zum<br />
Schriftsteller Gustav Meyrink. (13)<br />
Den neuen Namen übernahm er von seinen<br />
Vorfahren mütterlicherseits.