Magazin 197707
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Die zivile Verteidigung im Spiegel der politischen Diskussionen<br />
Einmütiges Bestreben:<br />
eine effektive Zivilverteidigung<br />
Eine Dokumentation zu den Debatten im Deutschen Bundestag, den Vorschlägen<br />
des Bundesinnenministers und der Kabinettsberatung am 6. Juli 1977<br />
Die Diskussion um die zivile Verteidigung<br />
in der Bundesrepublik Deutschland ist<br />
seit Beginn des Jahres 1977 mit einer intensität<br />
geführt worden wie selten in den<br />
letzten Jahren - etwa seit Verabschiedung<br />
des Gesetzes über die Erweiterung des<br />
Katastrophenschutzes 1968 und der Vorlage<br />
des Weißbuches zur Zivilverteidigung<br />
im Jahr 1972.<br />
Auf die wichtigsten nationalen und internationalen<br />
Aspekte. die dazu geführt haben,<br />
daß Zivilverteidigung. Zivil- und Katastrophenschutz<br />
heute tiefer in das Bewußtsein<br />
der Menschen in unserem Land gedrungen<br />
sind, soll einleitend eingegangen werden,<br />
um die allgemeine Situation zu erhellen.<br />
Bundesinnenminister Prof. Dr. Maihofer<br />
hatte bei der Beauftragung des neuen<br />
Leiters der Abteilung .. Zivile Verteidigung"<br />
im Bundesinnenministerium, Ministerialdirektor<br />
Peter Menke-Glückert, den Auftrag<br />
erteilt, für die im April dieses Jahres vorgesehene<br />
Kabinettsberatung Vorschläge<br />
für eine Steigerung der Leistungsfähigkeit<br />
der Zivilverteidigung und des erweiterten<br />
Katastrophenschutzes zu erarbeiten. Die<br />
unübersehbare Diskrepanz zwischen militärischer<br />
und ziviler Verteidigung - die auch<br />
von maßgeblichen Vertretern der militärischen<br />
Seite mit zunehmender Besorgnis<br />
beobachtet wird - ist ein Problem. das<br />
in allen Partnerstaaten der NATO gleichermaßen<br />
besteht.<br />
Die zivile Komponente<br />
mit weitem Abstand<br />
an zweiter Stelle<br />
In der Debatte über die Regierungserklärung<br />
am 21 . Januar 1977 im Deutschen<br />
Bundestag ging der Oppositionssprecher<br />
Dr. Alfred Dregger auf die zivile Verteidigung<br />
in der Bundesrepublik ein: " Und<br />
wie steht es mit den Vorbereitungen auf<br />
den äußeren Verteidigungsfall, soweit es<br />
nicht die Bundeswehr angeht? Von einem<br />
Krieg wäre ja in unserem dichtbesiedelten<br />
Land in schrecklichster Weise auch die<br />
Zivilbevölkerung betroffen. Sind wir darauf<br />
vorbereitet? ...<br />
Die zivile Komponente der Gesamtverteidigung<br />
stand bei uns immer mit weitem<br />
Abstand an zweiter Stelle. Das mag zur<br />
Zeit der Aufstellung der Bundeswehr aus<br />
politisch-psychologischen Gründen geboten<br />
und aufgrund der sicherheitspOlitischen<br />
Gesamtlage vertretbar erschienen sein.<br />
Aber haben sich seitdem die militärischen<br />
und politischen Rahmenbedingungen unse-<br />
6<br />
rer Sicherheitspolitik nicht grundlegend<br />
geändert? Damals war unser Hauptverbündeter,<br />
die USA, dem möglichen Angreifer<br />
auch militärisch weit überlegen. In der<br />
NATO galt die Doktrin der massiven Abschreckung,<br />
das heißt bei einem Angriff<br />
auf unser Land mit nennenswerten Kräften<br />
konnte der Angreifer sicher sein, unmittelbar<br />
darauf vom amerikanischen Atomschwert<br />
getroffen zu werden. Heute ist<br />
das anders! Von einer militärischen überlegenheit<br />
unseres Hauptverbündeten kann<br />
nicht mehr die Rede sein! Die Doktrin<br />
der massiven Abschreckung ist seit Jahren<br />
durch die der abgestuften ersetzt. Unterstellen<br />
wir einmal. ein zum Angriff entschlossener<br />
Gegner würde sich auf diese<br />
Dr. Alfred Dregger (CDU / CSU)<br />
westtiche Theorie einlassen und mit dem<br />
Einsatz von Atomwaffen zunächst zurückhalten,<br />
so bedeutet doch diese Doktrin<br />
der abgestuften Abschreckung, daß das<br />
amerikanische Atomschwert zumindest<br />
die Unmittelbarkeit seiner Abschreckungswirkung<br />
verloren hat mit der Folge, daß<br />
zumindest ein zeitlich und räumlich begrenzter<br />
Krieg in Europa wieder denkbarer<br />
geworden ist, als es vorher der Fall war.<br />
Für einen solchen Krieg wäre unser Land<br />
sowohl nach der Stoß richtung eines möglichen<br />
Angreifers wie nach der rein defensiven<br />
Verteidigungskonzeption der NATO<br />
das Hauptschlachtfeld. Können wir darauf<br />
verzichten, uns außerhalb des militärischen<br />
Bereichs nennenswert darauf vorzubereiten?<br />
Eine ernste Frage an die Verteidigungspolitikl<br />
Wäre die Bundeswehr, eine<br />
Wehrpflichtarmee, moralisch wie militärisch<br />
überhaupt in der Lage zu kämpfen, wenn<br />
die Vorbereitungen für einen Schutz der<br />
Zivilbevölkerung fehlen? "<br />
Auf dem Sektor<br />
Schutzraumbau<br />
ein Stückehen vorankommen<br />
Der CSU-Bundestagsabgeordnete Franz<br />
Handlos ging in der Verteidigungsdebatte<br />
am 10. Februar 1977 u. a. auf die Zivilverteidigung.<br />
besonders auf den Schutzraumbau,<br />
ein: " Der U-Bahn-Bau hier in Bonn<br />
ist eines der letzten Projekte, die die Bundesregierung<br />
im Rahmen des Atomschutzbaues<br />
finanziert. Ich darf Sie ... an dieser<br />
Stelle gleich fragen: Warum trifft diese<br />
Bundesregierung. wenn sie ein Inveslitionsprogramm<br />
auflegt, nicht gleich zwei<br />
Fliegen mit einem Schlag? Warum ergreift<br />
sie nicht einerseits Maßnahmen, um die<br />
Bauindustrie zu stärken - was sie ja vorhat<br />
- , und betreibt zugleich andererseits<br />
den Schutzraumbau, damit wir auf diesem<br />
Sektor endlich ein Stückehen vorankommen?<br />
Das wäre doch in diesem Bereich<br />
zum Beispiel eine Möglichkeit. Ich sage<br />
immer, meine Damen und Herren - und<br />
das muß hier einmal ganz neutral betraChtet<br />
werden - : Was nützt, sehr geehrter<br />
Herr Minister, die beste Bundeswehr, wenn<br />
sie zum Schluß nur Friedhöfe verteidigt,<br />
weil bei der Gesamtverteidigung, bei der<br />
zivilen Verteidigung einfach nichts da ist?<br />
Wir mussen doch hier einmal alle miteinander<br />
feststellen: Das und sonst nichts<br />
ist der Tatbestand."<br />
Berichte aus den Vereinigten Staaten über<br />
massive Zivilverteidigungsbemühungen<br />
der Sowjetunion, das Buch des belgisehen<br />
Generals Robert Close " Europa ohne Verteidigung",<br />
Konzeptionsdiskussionen der<br />
militärischen Fachleute - etwa über die<br />
raum deckende Verteidigung, die Generalmajor<br />
a. D. Löser befürwortet und die sicherlich<br />
eine funktionierende Zivilverteidigung<br />
bedingt - und viele andere Faktoren<br />
haben im Laufe des Frühjahrs und des<br />
Frühsommers zu der heute festzustellenden<br />
eingehenden Diskussion über zivile Vorsorge<br />
geführt. Dazu gehört das Ergebnis<br />
der " Wintex" -Obung, bei der zum ersten<br />
Male auch Zivilschutzmaßnahmen durchgespielt<br />
wurden. Der Innenausschuß des