Dokument 1.pdf - OPUS - Universität Würzburg
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138<br />
Strittige Themen beim<br />
Studium Generale<br />
Das Thema für eine Reihe von Vorträgen<br />
des Studium Generale war im Studienjahr<br />
1997/98 das, was vor allem in der Öffent-<br />
Durch die Verabschiedung eines<br />
bundeseinheitlichen Transplantationsgesetzes<br />
am 01.12.1997 wurde<br />
auch ein vorläufiger Schluss-Strich<br />
unter eine jahrelange Diskussion um<br />
die Validität des Hirntodkriteriums<br />
als personeller Tod des Menschen<br />
gezogen. Trotzdem bleibt im<br />
Bewusstsein derer, die eine gesetzliche<br />
Festschreibung dieses Kriteriums<br />
abgelehnt haben, der Hirntod als<br />
Tod des Menschen weiterhin abstrakt,<br />
uneinjühlbar - oder gar ein<br />
zweckgebundenes 1nstrument der<br />
Transplantationsmedizin zur" Organbeschaffung<br />
H.<br />
Diese Kontroverse ist nicht zuletzt durch<br />
ein in unserer abendländisch-christlichen<br />
Tradition verwurzeltes kardiozentrisches<br />
Menschenbild zu verstehen, welches das<br />
Herz als Zentrum des Lebens, als vermeintlichen<br />
Ausdruck der personellen Integrität<br />
des Menschen betrachtet. Die dem Herzen<br />
zugemessene Bedeutung als Zentralorgan<br />
des Körpers lässt sich bis in die Frühgeschichte<br />
der Menschheit zurückverfolgen,<br />
wie die wahrscheinlich bisher älteste Darstellung<br />
des Herzens in einer Höhlenmalerei<br />
aus Asturien (ca. 30.000 v.Chr.) belegt.<br />
Ebenso war der altägyptische Totenglauben,<br />
wegweisend für alle Kulturen der nachfolgenden<br />
Jahrtausende, "kardiozentrisch"<br />
ausgerichtet - auf das Herz als Zentralorgan<br />
des Körpers, als vermeintlichen Sitz der Ver- .<br />
nunft und des Denkens. Es verblieb als einziges<br />
der inneren Organe im Körper, während<br />
das Gehirn an Haken durch die Nasenhöhlen<br />
entfernt und verworfen oder mit den<br />
übrigen Eingeweiden separat bestattet wurde.<br />
Die Wägung des Herzens beim Totengericht<br />
(ca. l.000 v.Chr.) entschied darüber,<br />
welcher Platz einem Verstorbenen im Jenseits<br />
gebührte.<br />
lichkeit strittig war. Es war nicht schwierig,<br />
solche Themen zu finden. Schwieriger war<br />
es schon, Referenten zu gewinnen. Gleichwohl,<br />
es fanden fünf unstrittig interessante<br />
und anregende Vorträge zu Strittigem statt,<br />
von denen einige im folgenden abgedruckt<br />
werden. Zweimal waren es die Naturwissen-<br />
BLICK<br />
schaften bzw. die Medizin und zweimal -<br />
auch das ist sicherlich kein Zufall - war es<br />
die Sprachwissenschaft, welche die Öffentlichkeit<br />
und das Publikum der Vorträge zum<br />
Diskutieren angeregt hat.<br />
Norbert Richard Wolf<br />
Hirntod - Spannungsfeld<br />
zwischen Medizin und Ethik<br />
Hans-Peter Schlake, Neurochirurgische Klinik und Poliklinik<br />
In Altmexiko entwickelte sich aus kultischen<br />
Tieropfern die spätere Massenabschlachtung<br />
von Kriegsgefangenen und Sklaven<br />
bei den Azteken. Das in sakraler Feier<br />
lebendig herausgerissene Opferherz sollte<br />
dem kriegerischen Sonnengott zur Regeneration<br />
dienen und den Kosmos erhalten.<br />
Während unter dem Einfluss der Humoralpathologie<br />
Galens (131-201 n.Chr.) die<br />
mittelalterliche Medizin im Abendland in<br />
einen vorchristlichen Mystizismus zurückverfiel,<br />
entstand im vorderen Orient um die<br />
Jahrtausendwende eine hochentwickelte arabische<br />
Medizin, welche ebenfalls kardiozentrisch<br />
ausgerichtet war.<br />
Seit der hochmittelalterlichen Mystik hat<br />
die christliche Ikonologie eine reiche Herzsymbolik<br />
entwickelt, welche in nachmittelalterlieher<br />
Zeit durch eine ebenfalls reichhaltige<br />
Herzemblematik ersetzt wurde. Beiden<br />
Bildkreisen läuft eine profane Motivik<br />
der Liebesallegorie parallel. Aus diesem<br />
Kontext lässt sich die in unserer abendländisch-christlichen<br />
Tradition bis heute verhaftete<br />
Bedeutung des Herzens als Symbol des<br />
Lebens verstehen, aus welchem der "klassisehe"<br />
oder Herztod - im Gegensatz zum<br />
Hirntod - seine Anschaulichkeit bezieht.<br />
Descartes (1596-1650) sah im menschlichen<br />
Körper ein den Tieren vergleichbares<br />
mechanisches System, in der Seele jedoch<br />
eine einzigartige menschliche Eigenschaft,<br />
welche nicht der gleichen physischen Welt<br />
angehören könne. Er war überzeugt, die<br />
Analyse des eigenen Denkens könne nicht<br />
die Existenz von etwas beweisen, was außerhalb<br />
der persönlichen Erfahrung liegt. Der<br />
Cartesianische Dualismus, dem eine strikte<br />
Trennung zwischen Geist und Körper zugrunde<br />
liegt, führte zu der bis heute nicht<br />
gelösten phi losophisch -theologischen<br />
Grundfrage des "Leib-Seele-Problems".<br />
Einer weit entwickelten Bestattungskultur<br />
stand bis zur Epoche der Aufklärung eine<br />
- insbesondere zu Kriegs- und Epidemiezeiten<br />
- oftmals nur recht vage und willkürliche,<br />
ja beiläufige Praxis der Todesfeststellung<br />
gegenüber, welche sich auf einen unsystematischen<br />
und zumeist rein phänomenalen<br />
Ausschluss von "äußeren Lebenszeichen"<br />
wie spontanen Bewegungen, Atmung<br />
und Pulsschlag beschränkte.<br />
Mit der Entdeckung der galvanischen<br />
Elektrizität wurden im 18. Jahrhundert erstmals<br />
elektrische Reizexperimente an abgetrennten<br />
Körperteilen Verstorbener möglich;<br />
hierbei waren als vermeintlicher Ausdruck<br />
einer "vitalen Kraft" postmortale Muskelzukkungen<br />
nachzuweisen, wodurch das Dogma<br />
des Herzstillstandes als endgültigem Tod des<br />
Menschen in Frage gestellt wurde.<br />
Erregte Scheintod-Diskussion zur Zeit<br />
von Edgar Allen Poe<br />
Es kamen auch Zweifel an der bis dahin<br />
geübten Praxis einer nur oberflächlichen<br />
Todesfeststellung auf, wodurch ein "Scheintod"<br />
mit flacher Atmung und kaum fühlbarem<br />
Puls einem Nachweis entgehen konnte.<br />
Die 1844 erschienene Erzählung "The Premature<br />
Burial" (Lebendig begraben) von<br />
Edgar Allen Poe wurde zu einem Bestseller<br />
des 19. Jahrhunderts und spiegelt die erregte<br />
Scheintod-Diskussion der damaligen Zeit<br />
wieder. Diese führte auch zu sinnreichen<br />
Erfindungen wie einem 1880 in Hamburg<br />
patentierten "Rettungsapparat für begrabene<br />
Scheintodte". Erst Anfang des 20. Jahrhunderts<br />
erfolgte eine einheitliche Begriffsbildung<br />
des Individualtodes als irreversibler<br />
Stillstand von Atmung und Kreislauf. Zugleich<br />
hat die modeme Gerichtsmedizin mit<br />
der zusätzlichen Festlegung von sogenannten<br />
"sicheren Todeszeichen" die Grundlage<br />
für die noch heute gültige "klassische" Todesfeststellung<br />
geschaffen.