medtropoleAktuelles aus der Klinik für einweisende Ärzte - Asklepios
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medtropole | Ausgabe Januar 2008<br />
ADHS im Erwachsenenalter<br />
Dipl.-Psych. Karina Günther<br />
Kennzeichnend <strong>für</strong> die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung<br />
(ADHS) sind vermin<strong>der</strong>te Aufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität.<br />
[4] Früher wurde ADHS mit den minimalen zerebralen Dysfunktionen<br />
gleichgesetzt. Darunter wurden die Symptome <strong>der</strong> ADHS und die <strong>der</strong> Teil -<br />
leistungsschwächen gefasst. Erstmals als eigenständiges Krankheitsbild ab -<br />
gegrenzt wurde die ADHS im ICD-9 (1978) und im DSM-III (1980), wobei<br />
<strong>der</strong> DSM-III dem Persistieren von Symptomen bis ins Erwachsenenalter mit<br />
<strong>der</strong> Bezeichnung „Attention Defizit Disor<strong>der</strong> Residual Type“ Rechnung trug.<br />
Mit einer Prävalenz von 5 – 9 Prozent ist<br />
die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung<br />
die häufigste kin<strong>der</strong>psychiatrische<br />
Störung. Bis Ende <strong>der</strong> 1990er-Jahre<br />
wurde sie in Deutschland nur im Kindesund<br />
Jugendalter diagnostiziert. Im Erwachsenenalter<br />
liegt die Prävalenzrate bei 1 – 6<br />
Prozent, wobei Männer drei Mal häufiger<br />
betroffen sind als Frauen. Man geht heute<br />
davon <strong>aus</strong>, dass keine Erstmanifestationen<br />
im Erwachsenenalter auftreten, son<strong>der</strong>n<br />
dass die Symptome über die Adoleszenz<br />
hin<strong>aus</strong> bestehen bleiben. Bei bis zu 2 /3 <strong>der</strong><br />
betroffenen Kin<strong>der</strong> treten auch im Erwachsenenalter<br />
Störungen auf. [1]<br />
Symptomatik<br />
Patienten im Erwachsenenalter werden<br />
meist wegen depressiver Verstimmungen<br />
vorstellig, Angstproblematiken o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
Sorge, den Überblick über ihr Leben zu<br />
verlieren. Meist wird eine <strong>aus</strong>geprägte<br />
Selbstwertproblematik mit Depressionen<br />
und psychosomatischen Symptomen sichtbar.<br />
Aufgrund fehlen<strong>der</strong> motorischer Un -<br />
ruhe können diese Symptome dem Bereich<br />
<strong>der</strong> Persönlichkeitsstörungen zugeordnet<br />
werden, sodass unter Umständen eine adäquate<br />
Behandlung <strong>aus</strong>bleibt. [1] Allerdings<br />
sind die Zusammenhänge zwischen ADHS<br />
und Persönlichkeitsstörungen (vor allem<br />
<strong>der</strong> Dissozialen und <strong>der</strong> Bor<strong>der</strong>line-Persönlichkeitsstörung)<br />
noch nicht hinreichend<br />
geklärt. Als wichtige Merkmale gelten<br />
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abnorme Ausmaße an Unaufmerksamkeit,<br />
Überaktivität und Impulsivität – und zwar<br />
über die Zeit stabil und situationsübergreifend.<br />
[3] Hauptmerkmal <strong>der</strong> Aufmerksamkeits-<br />
und Konzentrationsstörung ist die<br />
geringe Aufmerksamkeitsspanne auch im<br />
Erwachsenenalter. Häufig treten kurze<br />
Lernzeiten auf, sodass Schwierigkeiten bei<br />
alltäglichen Tätigkeiten deutlich werden,<br />
wie dem Anhören von Vorträgen o<strong>der</strong><br />
beim Zeitungslesen. Die leichte Ab lenkbar -<br />
keit kann Arbeitsstörungen <strong>aus</strong>lösen. Da die<br />
Betroffenen häufig stark auf die Störquellen<br />
fokussieren, kann eine Vermeidung von<br />
Reizüberflutung in fast allen Lebensbereichen<br />
die Folge sein. Die sozialen Rückzugstendenzen<br />
können fälschlich zur Diagnose<br />
einer sozialen Phobie führen.<br />
Die Störung <strong>der</strong> motorischen Aktivität bzw.<br />
Überaktivität ist ein weiteres Kennzeichen<br />
<strong>der</strong> ADHS. Sie ist im Erwachsenenalter<br />
weniger sichtbar. Betroffene haben aber<br />
Probleme, wenn sie länger sitzen bleiben<br />
müssen; zeigen generell Entspannungs -<br />
probleme. Als Ausgleich zu sitzenden<br />
Tätigkeiten treiben sie häufig mehrfach<br />
pro Woche Sport.<br />
Die Desorganisation <strong>der</strong> Betroffenen kann<br />
sich in <strong>der</strong> Unordnung aufgrund fehlen<strong>der</strong><br />
Selbststrukturierung zeigen. Diese fällt<br />
wegen <strong>der</strong> ständig wechselnden Inhalte<br />
<strong>der</strong> Aufmerksamkeitsfokussierung und<br />
damit einhergehen<strong>der</strong> fehlen<strong>der</strong> Selbstkon-<br />
trolle schwer. Die chaotische Organisation<br />
kann vermehrt Selbstwertzweifel hervor -<br />
rufen. Bei hyper-, aber auch hypoaktiven<br />
Menschen scheint die negative Selbsteinschätzung<br />
sogar an <strong>der</strong> Tagesordnung zu<br />
sein. Eigene Leistungen werden selten als<br />
positiv gewertet, häufig erleben sie sich als<br />
vermin<strong>der</strong>t leistungsfähig, was in einer<br />
Destabilisierung des Selbstwertgefühls<br />
münden kann.<br />
Die Störung <strong>der</strong> Impulskontrolle kann<br />
sich auf verschiedenen Ebenen zeigen.<br />
Kennzeichnend hier<strong>für</strong> ist die Neigung zu<br />
unüberlegtem Handeln, ohne die Konsequenzen<br />
abzuschätzen. Betroffene scheinen<br />
sich häufiger motorische Aktivitäten zu<br />
suchen, ohne die Risiken abzuschätzen.<br />
Außerdem zeigt sich eine aggressive<br />
Impulsivität in Stresssituationen, die im<br />
Wi<strong>der</strong>spruch zu <strong>der</strong> möglichen Fürsorglichkeit<br />
in Entspannungssituationen zu<br />
stehen scheint. Die Scheidungsrate ist im<br />
Vergleich zur Allgemeinbevölkerung höher<br />
(28 % vs. 15 %). [1]<br />
Diagnostik<br />
Die Erstdiagnose einer ADHS im Erwachsenenalter<br />
ist wegen des jahrelangen An -<br />
passungsprozesses an die Symptomatik<br />
meist schwierig. Im ersten Schritt sollte ein<br />
semistrukturiertes Interview erfolgen, in<br />
dem die aktuellen Beschwerden exploriert<br />
werden. Daten über Familienangehörige