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STATT EINES VORWORTS. Von Mathias Döpfner - Axel Springer AG

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<strong>STATT</strong> <strong>EINES</strong> <strong>VORWORTS</strong><br />

<strong>Von</strong> <strong>Mathias</strong> <strong>Döpfner</strong><br />

Auf Peter Boenischs Beerdigung, die Trauernden umstanden bei sengender<br />

Hitze den Sarg, erzählte mir ein Freund, mit Blick auf den im Schatten des<br />

einzigen Baums stehenden zweiundneunzigjährigen Ernst Cramer, den<br />

vielleicht treuesten Weggefährten <strong>Axel</strong> <strong>Springer</strong>s, Boenisch hätte über Cramer<br />

gesagt: „Der hat <strong>Axel</strong> <strong>Springer</strong> nie so gesehen, wie er war, sondern immer so, wie<br />

er ihn sehen wollte.“ Kurz überlegte ich, ob das von Boenisch wohl kritisch oder<br />

liebevoll gemeint war, aber noch bevor ich eine Antwort darauf wußte, wurde mir<br />

klar: Genauso geht es mir auch. Ich sehe <strong>Axel</strong> <strong>Springer</strong> nur so, wie ich ihn sehen<br />

will, nie so, wie er war.<br />

<strong>Axel</strong> <strong>Springer</strong> setzt sich für mich zusammen aus Gelesenem, Erzähltem, aus dem<br />

Miterleben von Reaktionen, die er ausgelöst hat – und auch zwei Jahrzehnte nach<br />

seinem Tod mit einer beeindruckenden Kraft immer noch auslöst. Und natürlich<br />

spielen eigene Projektionen eine große Rolle. Das, was ich in <strong>Axel</strong> <strong>Springer</strong> sehe,<br />

das, was – ich glaube – er hätte gedacht haben können, das, was – ich mir wünsche –<br />

er hätte gemacht haben können.<br />

MeinVerhältnis zu <strong>Axel</strong> <strong>Springer</strong>, demVerleger, dem Gründer des Hauses, für das<br />

ich arbeite, ist frei von Enttäuschungen. Es kann nie enttäuscht werden, weil es nie<br />

eine Überprüfung durch die Realität gegeben hat und weil es nie eine solche Prüfung<br />

geben wird. Auch deshalb ist das vorliegende Buchprojekt für mich auf sehr persönliche<br />

Weise so aufregend. Es ist ein Annäherungsversuch; bei der Arbeit – mit Hilfe<br />

anderer Autoren, denen ich für ihre facettenreichen, ehrlichen und zum Teil sehr<br />

überraschenden Beiträge herzlich danken möchte.<br />

Das Buch hilft vielleicht, <strong>Axel</strong> <strong>Springer</strong> ein bißchen mehr so zu sehen, wie er war,<br />

und nicht nur so, wie ich, und wie viele andere ihn sehen wollen.<br />

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<strong>STATT</strong> <strong>EINES</strong> <strong>VORWORTS</strong> <strong>Mathias</strong> <strong>Döpfner</strong><br />

Ich weiß gar nicht, nicht im entferntesten, wie <strong>Axel</strong> <strong>Springer</strong> war. Ich habe ihn nie<br />

kennengelernt. Als <strong>Axel</strong> <strong>Springer</strong> starb, im Jahr 1985, schrieb ich Musikkritiken für<br />

die FAZ. <strong>Axel</strong> <strong>Springer</strong> interessierte mich nicht. Als Verlagshaus nicht, und auch als<br />

Person nicht wirklich. Mich interessierte nur Die Welt. Die war unser Konkurrent.<br />

Und ich hatte das Gefühl, nein die Gewißheit: Wir bei der FAZ sind besser.<br />

1995, zehn Jahre später, arbeitete ich als Chefredakteur der in Berlin erscheinenden<br />

Wochenpost. Das ehemals ostdeutsche, bedingt linientreue Blatt hatte eine zerklüftete<br />

Redaktion: ein Drittel unideologische, veränderungswütige Modernisierer, ein Drittel<br />

in der Wolle gefärbte und im Rätsel- oder Leserbriefressort versteckte SED-Jünger<br />

und ein Drittel nostalgisch verklärte Alt-68er. Dazwischen ich, der Jungchefredakteur,<br />

auf den niemand gewartet hatte – zwangsentsandt vom großen Gruner + Jahr-<br />

Konzern aus Hamburg.<br />

Es krachte oft und heftig. Einmal besonders laut: Ich hatte einen Text über den<br />

Friedensprozeß im Mittleren Osten aus dem Blatt genommen, der nach meiner<br />

Wahrnehmung die Israelis als übermächtige Aggressoren, die Palästinenser als kleine,<br />

bedrohte Minderheit von Friedensengeln beschrieb, denen man nur mehr Vertrauen<br />

entgegenbringen müsse. In der nächsten Konferenz wurde ich deshalb kritisiert. Das<br />

sei eine Beschränkung der Meinungsfreiheit, des verabredeten Redaktionspluralismus<br />

und so weiter.Ich holte zu einer Gegenrede aus: Als ostwestdeutsche Zeitung seien wir<br />

nicht nur ein Seismograph derWiedervereinigung,es gebe meiner Meinung nach noch<br />

ein paar andere Grundprinzipien, für die dieses Blatt stehen müsse: Marktwirtschaft<br />

statt Planwirtschaft, eine gleichermaßen deutliche Kritik von linkem und rechtem<br />

Extremismus sowie keinerlei Toleranz von Antisemitismus und Antiisraelismus.<br />

Da brüllte ein Ressortleiter, ich glaube es war die Innenpolitik, dazwischen: Da<br />

können Sie ja gleich zu <strong>Springer</strong> gehen, da steht das in den Verträgen. Ich war verdutzt,<br />

weil ich damals von den Präambeln in den Arbeitsverträgen des <strong>Axel</strong> <strong>Springer</strong><br />

Verlages keine Ahnung hatte. Es war ein Zufall. Oder eben keiner. Auf jeden Fall<br />

ein Schlüsselerlebnis. Nicht, daß mich diese Begebenheit in die Arme des Verlages<br />

getrieben hätte. Das wäre Legende. Aber neugierig gemacht auf das geistige Erbe<br />

<strong>Axel</strong> <strong>Springer</strong>s hat es mich doch.<br />

Wieder zehn Jahre später, im Jahr 2005, stehe ich als Vorstandsvorsitzender an<br />

der Spitze der <strong>Axel</strong> <strong>Springer</strong> <strong>AG</strong>. In dieser Funktion bin ich verantwortlich für den<br />

wirtschaftlichen Erfolg dieses Unternehmens. Und der ist bei einem publizistischen<br />

Unternehmen, das von Nachrichten, Gedanken, Meinungen lebt, ohne geistigen,<br />

inhaltlichen Erfolg nicht denkbar. Der Geist bestimmt immer noch das Geld – und<br />

nicht umgekehrt.<br />

Und hier setzt meine Bewunderung an, meine verspätete Bewunderung und<br />

meine durch die Arbeit induzierte Annäherung. <strong>Axel</strong> <strong>Springer</strong>, so sehe ich ihn, war<br />

wahrlich kein Intellektueller, aber doch ein Geistesmensch. Er stattete den Idealisten<br />

mit den Instrumenten des Pragmatikers aus. Er wollte etwas, und er wollte davon<br />

nicht nur träumen, er wollte es auch machen. Was er sich vornahm, war so unbescheiden<br />

wie klar: Die Welt verbessern.<br />

Die Welt verbessern mit Bild? Ja, sogar das. „Hätte es Bild gegeben, wäre Adolf<br />

Hitler nicht gekommen“, hat er einmal gesagt. Unabhängig davon, ob es stimmt,<br />

geglaubt hat er es – glaube ich.<br />

Der Nachkriegs-Glücksritter entwickelte sich zum politischen Verantwortungsethiker,<br />

der darunter litt, daß es zu seiner Tragik gehörte, bisweilen wie eine Kraft<br />

zu erscheinen, die stets das Gute will, und manchmal doch das Böse schafft. Mit<br />

mancher Attacke im Kalten Krieg, mit der Eskalation gegen die 68er-Bewegung<br />

und mit mancher Schlagzeile.<br />

Die Zuspitzungen während der Studenten-Revolte haben demVerlag geschadet.<br />

Die Epigonen des Verlegers beschädigten das Haus durch Übereifer. Schlagzeilen<br />

glichen mehr Schlägen als Zeilen. Selbst Kunst- und Musikkritiken lasen sich manchmal<br />

so, als seien sie „auf Linie“ gebracht worden. Viele gute Autoren machten das<br />

nicht mit – und gingen. Die Intelligenz wurde zur Anti-<strong>Springer</strong>-Bastion. Nur ein<br />

paar ganz wenige wirklich Gute sind geblieben. Die, die verstanden, daß <strong>Axel</strong><br />

<strong>Springer</strong>s Anhänger sich zwar in den Mitteln, in den Formulierungen vergriffen,<br />

in der Sache aber oft einfach recht hatten. Und daß die noch größere Intoleranz<br />

auf der anderen Seite gepflegt wurde, gerechtfertigt durch die gute Gesinnung, die<br />

vermeintlich ideelle Absicht.<br />

Die Anti-68er-Bewegung hat <strong>Axel</strong> <strong>Springer</strong> isoliert, hat eine Bunker- und Barrikaden-Mentalität<br />

in den eigenen Reihen erzeugt, auch eine Verbissenheit und<br />

Unfröhlichkeit, ein selbst bis heute nicht überall verschwundenes, manchmal irgendwie<br />

verdruckstes Selbstbewußtsein. Die Intelligenz war 20 Jahre lang links,<br />

irgendwie antispringer. Statt eines fröhlichen Antikommunismus, statt der leisen<br />

Souveränität des Gewinners, statt einer bürgerlichen Haltung des gelassenen Selbstbewußtseins<br />

haben viele Mitarbeiter, vor allem die Intellektuellen unter ihnen, eine<br />

Art geistigen Minderwertigkeitskomplex ausgeprägt. Ohne Grund:<br />

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<strong>STATT</strong> <strong>EINES</strong> <strong>VORWORTS</strong><br />

A la longue nämlich fasziniert die Persönlichkeit <strong>Axel</strong> <strong>Springer</strong> eben gerade nicht<br />

als tragischer Held, als visionärer Idealist, den die Erfolglosigkeit moralisch nur noch<br />

mehr adelt, sondern er fasziniert und polarisiert, weil er mit seinen Grundprinzipien,<br />

mit seinen politischen und gesellschaftspolitischen Zielen auf geradezu bestürzende<br />

Weise recht behalten und von der Geschichte recht bekommen hat.<br />

Sein Weltbild ist einfach. Sein gesellschaftspolitisches Wollen ist – wie alle<br />

wirklich großen und erfolgreichen Entwürfe – fast simplizistisch. Der Einwand,<br />

so einfach sei die Sache nun wirklich nicht, man müsse hier differenzieren, traf<br />

und trifft auch ihn. Der Einwand kann ihm egal sein, er ist akademisch. Realpolitisch<br />

geht er ins Leere. „Wer verstanden werden will, muß vereinfachen“,<br />

donnerte Marcel Reich-Ranicki auf den Redaktionsfluren. Brandt, Adenauer,<br />

Reagan, Thatcher hatten Erfolg, weil sie vereinfachten, sich auf Wesentliches<br />

konzentrierten.<br />

Wofür stand und steht <strong>Axel</strong> <strong>Springer</strong>?<br />

Für die gleichermaßen klare Bekämpfung von linkem und rechtem<br />

Extremismus und Terrorismus.<br />

Für ein wiedervereinigtes Deutschland.<br />

Für Berlin als gesamtdeutsche Hauptstadt.<br />

Für das Scheitern des Kommunismus.<br />

Für die Verteidigung der Marktwirtschaft.<br />

Für eine verläßliche transatlantische Partnerschaft und Freundschaft.<br />

Für die Unterstützung des Staates Israel und seiner Bewohner als Brückenkopf<br />

der Demokratie im zum Teil fundamentalistisch islamistischen Nahen Osten.<br />

Für die Aussöhnung mit den Juden als Voraussetzung eines Deutschlands,<br />

das sich seiner selbst gewiß ist, ohne selbstgewiß zu werden.<br />

<strong>Axel</strong> <strong>Springer</strong> war ein bewußter Deutscher, aber alles andere als ein Nationalist.<br />

Wie sieht seine gesellschaftspolitische Bilanz 20 Jahre nach seinem Tod aus? Überwältigend<br />

erfolgreich, um es gelinde auszudrücken.<br />

Der antitotalitäre Grundkonsens ist mittlerweile eine Art Fundament der Republik<br />

geworden, der Irrglaube, daß linker Extremismus irgendwie besser sei als rechter,<br />

ist spätestens seit der historischen Aufarbeitung der RAF-Methoden ins Reich der<br />

Legenden verwiesen.<br />

Die Wiedervereinigung hat stattgefunden. Sie ist ein grandioser Erfolg und hat<br />

16 Millionen Menschen aus einer Diktatur befreit.Wer – wie ich – in der Universität<br />

zu Frankfurt noch gelernt hat, daß die „deutsche Frage“ nicht zu stellen sei und daß,<br />

wer sie dennoch stelle, ein „Reaktionär und Präfaschist“ sei, der weiß, daß er damals<br />

Unsinn gelernt hat. Die Wiedervereinigung hat eben nicht dazu geführt, daß auf<br />

dem Boulevard Unter den Linden wieder in Schaftstiefeln paradiert wird. Sondern<br />

sie hat gezeigt, daß der „Brandenburger Tor“ – wie <strong>Axel</strong> <strong>Springer</strong> damals<br />

verspottet wurde – recht hatte und daß das Brandenburger Tor heute nicht nur offen<br />

ist, sondern ein Ort für die Love Parade, für türkische Grillfeste und Aids-Hilfe-Parties.<br />

Berlin ist seit mehr als einem Jahrzehnt deutsche Hauptstadt. Und da, wo <strong>Axel</strong><br />

<strong>Springer</strong> vor mehr als 40 Jahren, kurz nachdem die Mauer gebaut war, sein Verlagshaus<br />

eröffnet hat („eines Tages wird es in der Mitte der deutschen Hauptstadt<br />

stehen“), verläuft heute mehr denn je die Nahtstelle zwischen Ost und West, die<br />

Schlagader des Tourismus zwischen Checkpoint Charlie, Mauermemorial und<br />

Jüdischem Museum. Bereits 1959 hat er gesagt: „Ich glaube an Deutschland. …An ein<br />

Deutschland mit der Hauptstadt Berlin. Aber ich glaube nicht nur an dieses<br />

Deutschland, sondern ich will es eben auch. Und deshalb baue ich in Berlin.“<br />

Berlin ist heute mehr denn je deutsche Wirklichkeit, mit 60 Milliarden Schulden,<br />

schreienden sozialen Problemen, der lebendigsten, hedonistischsten Entertainment-<br />

Kultur des Landes, der politischen und geistigen Elite. Und <strong>Axel</strong> <strong>Springer</strong> mittendrin.<br />

Als hätte er es gewußt.<br />

Der Kommunismus ist gescheitert. Noch kläglicher, noch krachender als selbst<br />

<strong>Axel</strong> <strong>Springer</strong> das vorherzusagen gewagt hätte. Der Versuch, die DDR als Dritten<br />

Weg, als alternatives gesellschaftspolitisches Modell zu idealisieren, ist endgültig als<br />

naive Idee fixe diskreditiert. DieVerherrlichungs-Touristen, die in den Osten fuhren,<br />

um zu belegen, daß alles nicht so schlimm sei, sind endgültig aus der Zeit gefallen.<br />

Auch hier hat <strong>Axel</strong> <strong>Springer</strong> einfach recht behalten, auf ganz trockene, heute vielen<br />

unangenehme Weise.<br />

Die freie Marktwirtschaft, der Kapitalismus haben sich auch dem verbissensten<br />

Antikapitalisten als geringeres Übel erwiesen. Es gibt keine echte Alternative. Tony<br />

Blair folgt wirtschaftspolitisch Maggie Thatcher – und hat in der dritten Amtszeit<br />

Erfolg. Die Iren deregulieren den Arbeitsmarkt, senken die Steuern und die Staatsquote,<br />

halbieren dabei die Arbeitslosigkeit und verdoppeln das Volksvermögen. Die<br />

Deutschen und die Franzosen meinen, es gehe anders, etatistischer, mit Kündigungs-<br />

<strong>Mathias</strong> <strong>Döpfner</strong><br />

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<strong>STATT</strong> <strong>EINES</strong> <strong>VORWORTS</strong><br />

schutz, 38-Stunden-Woche und einer Arbeitslosenunterstützung, die höher ist als<br />

das Grundgehalt eines Fließbandarbeiters, und wundern sich, daß die Arbeitslosenquote<br />

höher ist als zehn Prozent. <strong>Axel</strong> <strong>Springer</strong> hatte das schon 1967 gesehen: „Und<br />

wenn ich schließlich als letzten unserer Grundsätze die Erhaltung der sozialen Marktwirtschaft<br />

bezeichne, so nicht deshalb, weil ich unter diesem System Erfolg gehabt<br />

habe, sondern weil es mir als das fairste erscheint, das ich kenne, ein System, in dem<br />

jeder maximale Chancen hat.“<br />

Der antitotalitäre Grundkonsens gilt, Deutschland ist wiedervereinigt, Berlin ist<br />

Hauptstadt, der Kommunismus ist entzaubert und der Kapitalismus hat sich trotz<br />

Heuschreckendebatte als das geringste Übel erwiesen – <strong>Axel</strong> <strong>Springer</strong> hat mehr recht<br />

gehabt, mehr durchgesetzt als in zwei Politikerleben und drei Unternehmerleben<br />

normalerweise hineingeht.<br />

Zwei Rechnungen aber sind noch offen: Die transatlantische Wertegemeinschaft<br />

und die Unterstützung des Staates Israel. Um beides steht es schlecht. Die deutschen<br />

sind antiamerikanischer und antisraelischer denn je. Hat <strong>Axel</strong> <strong>Springer</strong> sich hier getäuscht?<br />

Hat er die Freunde in Washington DC und Jerusalem falsch eingeschätzt?<br />

Oder hat er die Gefährdungen, die außenpolitischen und psychologischen Irrungen<br />

und Wirrungen seiner eigenen Landsleute nur etwas früher geahnt als die meisten<br />

seiner Zeitgenossen?<br />

Ein europäischer Minderwertigkeitskomplex, stimuliert den Neid auf die ordnende<br />

Kraft der demokratischen Weltmacht USA. Das eigene gestörte Verhältnis zur<br />

Freiheit führt zu vulgärem Antiamerikanismus, der sich als Anti-Irak-Empörung<br />

oder Anti-Bush-Moral tarnt. In Wahrheit ist der Antiamerikanismus der Deutschen<br />

das Selbsteingeständnis mangelnder Freiheitsfähigkeit. InWirklichkeit ist der<br />

Irrglaube, es gebe einen europäischen Weg gegen Amerika die größte Gefährdung<br />

deutscher Interessen und der demokratischen Weltordnung seit Gründung der<br />

Bundesrepublik.<br />

Im gestörten Verhältnis zu Israel artikulieren sich andere, subtilere Derangements<br />

der deutschen Seele. Antisemitismus ist seit dem Holocaust nicht mehr gesellschaftsfähig.<br />

Mit Antiisraelismus aber kann man noch Staat machen. Er ist die moderne,<br />

die „politisch korrekte“, die links wie rechts akzeptierte Form, antijüdisch zu sein.<br />

Anstatt die rassistischeVernichtungspolitik der antidemokratischen Kräfte im Mittleren<br />

Osten zu geißeln, suchen weite Teile der deutschen Öffentlichkeit und des Zeitgeistmainstreams<br />

das Haar in der Suppe israelischer Innen- undVerteidigungspolitik.<br />

Auch hier ist die geistige Avantgarde der 68er gedankliches Establishment geworden.<br />

Im Jahr 1970 hetzte der Sozialistische Deutsche Studentenbund in einem<br />

Flugblatt zum Besuch des israelischen Außenministers gegen den „ökonomisch<br />

und politisch parasitären Staat Israel“: „Nieder mit dem chauvinistischen und rassistischen<br />

Staatsgebilde.“ Götz Aly, einer der wenigen nachdenklichen und selbstkritischen<br />

Akteure von damals, brachte diesen linksgedrehten Antisemitismus und<br />

indirekten Geschichtsrevanchismus fast 40 Jahre später in der LiterarischenWelt auf<br />

den Punkt: „Die deutschen 68er waren ihren Eltern auf elende Weise ähnlich.“<br />

<strong>Axel</strong> <strong>Springer</strong> spürte das. Der autoritäre, selbstgerechte Gestus der Bewegung<br />

war ihm ebenso zuwider wie das weltpolitische Szenario, das sich aus einer solchen<br />

Politik langfristig ergeben würde. Er erkannte sehr früh die Notwendigkeit einer<br />

christlich-jüdischen, abendländischen Wertegemeinschaft zur Verteidigung der<br />

freien westlichen Welt gegen einen aggressiven islamistischen Fundamentalismus,<br />

gegen ein intolerantes, kollektivistisches Gesellschaftsmodell. Auch hier war er<br />

eben wieder Bauchmensch und Visionär zugleich. Ob dieses Kapitel aber ein ähnlich<br />

gutes Ende nehmen wird wie die vorgenannten – das ist eine offene Frage.<br />

Hier jedenfalls finden die wirklichen Reibungen an seinem geistigen Erbe in der<br />

Gegenwart statt.<br />

<strong>Axel</strong> <strong>Springer</strong> hatte all diese Erkenntnisse, Wertevorstellungen und Visionen<br />

wahrlich nicht exklusiv. Aber er verdichtete, destillierte und popularisierte sie in<br />

einzigartiger Form. Und er hatte den siegfriedhaften Mut, sie gegen alle Widerstände<br />

zu verteidigen.<br />

Wie wird <strong>Axel</strong> <strong>Springer</strong> heute gesehen? Gerecht, angemessen, verzerrt oder<br />

verkannt? Ich weiß es nicht. Vielleicht ist es auch nicht so wichtig. Zumal es das<br />

angemessene, objektive, wirkliche Bild nie geben kann. Dazu war <strong>Springer</strong> viel zu<br />

vielschichtig. Im „Steppenwolf“ von Herrmann Hesse heißt es: „Aber nicht nur<br />

zwei, Tausende Seelen wohnen in meiner Brust.“<br />

<strong>Axel</strong> <strong>Springer</strong>, das war der Selfmademan und der Playboy, der Lustmensch und<br />

Exzessor, das war die Frau im Männerkörper, wie Peter Tamm das in Anspielung<br />

auf seine weibliche, emotionale Intelligenz genannt hat. Das war der Unternehmer<br />

mit ausgesprochen ausgeprägtem Erwerbssinn, der sich sozial inszenierte und unter<br />

der wärmenden Oberfläche des Patriarchen knallhart an der eigenen Gewinnmaximierung<br />

bastelte. Das war auch der unsichere Zauderer, Zögerer, der wankelmütige<br />

Entscheidungsrevidierer, der noch am Morgen seinen Konzern an Bertelsmann<br />

<strong>Mathias</strong> <strong>Döpfner</strong><br />

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<strong>STATT</strong> <strong>EINES</strong> <strong>VORWORTS</strong><br />

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verkauft hatte und am Abend seinen Consigliere Bernhard Servatius losschickte,<br />

das Ganze wieder rückgängig zu machen, der an einem Tag DieWelt einstellen wollte<br />

und schon die Pressemitteilung zur Entlassung von 700 Mitarbeitern formuliert<br />

hatte, um das Vorhaben im letzten Moment dann doch noch zu stoppen. <strong>Axel</strong><br />

<strong>Springer</strong> war, wie fast alle Großen, ein Mann der Widersprüche.<br />

Er war ein genialer Verleger mit einem untrüglichen Sinn für erfolgreiche Zeitungen<br />

und Zeitschriften. Er war ein Anreger und Erfinder. Und er war eben auch<br />

und in der zweiten Lebenshälfte immer mehr ein politischer, nicht übrigens parteipolitischer<br />

Mensch – und in dieser Eigenschaft sicher eine der geistig prägendsten<br />

deutschen Persönlichkeiten der Nachkriegsjahrzehnte.<br />

Vor allem aber war <strong>Axel</strong> <strong>Springer</strong> ein Mann, der seine eigenen Erfahrungen mit<br />

der Nazi-Diktatur in einen Lebensentwurf der Freiheit und in eine alles überlagernde<br />

politische Vision der Freiheit verwandelte.<br />

Wenn wir glauben wollen, daß einer so ist, wie die Musik, die er hört, dann nur<br />

soviel: Während Rudolf Augstein Richard Wagner verehrte, liebte <strong>Axel</strong> <strong>Springer</strong><br />

amerikanischen Jazz.<br />

Er, ja er, war ein Liberaler. Und er war klug genug, schließlich die Frau zu finden,<br />

die dieseWesenszüge in einem Konzept bewahrte, das über seinen Tod Bestand hat.<br />

<strong>Mathias</strong> <strong>Döpfner</strong><br />

(* 1963), Journalist, u. a. 1994–1996 Chefredakteur<br />

von Wochenpost, 1996–1998 Hamburger<br />

Morgenpost und 1998–2000 Die Welt, 2000–2001<br />

Vorstand Zeitungen und Elektronische Medien<br />

<strong>Axel</strong> <strong>Springer</strong> <strong>AG</strong>, seit 2002 Vorstandsvorsitzender

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