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STATT EINES VORWORTS. Von Mathias Döpfner - Axel Springer AG

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<strong>STATT</strong> <strong>EINES</strong> <strong>VORWORTS</strong><br />

schutz, 38-Stunden-Woche und einer Arbeitslosenunterstützung, die höher ist als<br />

das Grundgehalt eines Fließbandarbeiters, und wundern sich, daß die Arbeitslosenquote<br />

höher ist als zehn Prozent. <strong>Axel</strong> <strong>Springer</strong> hatte das schon 1967 gesehen: „Und<br />

wenn ich schließlich als letzten unserer Grundsätze die Erhaltung der sozialen Marktwirtschaft<br />

bezeichne, so nicht deshalb, weil ich unter diesem System Erfolg gehabt<br />

habe, sondern weil es mir als das fairste erscheint, das ich kenne, ein System, in dem<br />

jeder maximale Chancen hat.“<br />

Der antitotalitäre Grundkonsens gilt, Deutschland ist wiedervereinigt, Berlin ist<br />

Hauptstadt, der Kommunismus ist entzaubert und der Kapitalismus hat sich trotz<br />

Heuschreckendebatte als das geringste Übel erwiesen – <strong>Axel</strong> <strong>Springer</strong> hat mehr recht<br />

gehabt, mehr durchgesetzt als in zwei Politikerleben und drei Unternehmerleben<br />

normalerweise hineingeht.<br />

Zwei Rechnungen aber sind noch offen: Die transatlantische Wertegemeinschaft<br />

und die Unterstützung des Staates Israel. Um beides steht es schlecht. Die deutschen<br />

sind antiamerikanischer und antisraelischer denn je. Hat <strong>Axel</strong> <strong>Springer</strong> sich hier getäuscht?<br />

Hat er die Freunde in Washington DC und Jerusalem falsch eingeschätzt?<br />

Oder hat er die Gefährdungen, die außenpolitischen und psychologischen Irrungen<br />

und Wirrungen seiner eigenen Landsleute nur etwas früher geahnt als die meisten<br />

seiner Zeitgenossen?<br />

Ein europäischer Minderwertigkeitskomplex, stimuliert den Neid auf die ordnende<br />

Kraft der demokratischen Weltmacht USA. Das eigene gestörte Verhältnis zur<br />

Freiheit führt zu vulgärem Antiamerikanismus, der sich als Anti-Irak-Empörung<br />

oder Anti-Bush-Moral tarnt. In Wahrheit ist der Antiamerikanismus der Deutschen<br />

das Selbsteingeständnis mangelnder Freiheitsfähigkeit. InWirklichkeit ist der<br />

Irrglaube, es gebe einen europäischen Weg gegen Amerika die größte Gefährdung<br />

deutscher Interessen und der demokratischen Weltordnung seit Gründung der<br />

Bundesrepublik.<br />

Im gestörten Verhältnis zu Israel artikulieren sich andere, subtilere Derangements<br />

der deutschen Seele. Antisemitismus ist seit dem Holocaust nicht mehr gesellschaftsfähig.<br />

Mit Antiisraelismus aber kann man noch Staat machen. Er ist die moderne,<br />

die „politisch korrekte“, die links wie rechts akzeptierte Form, antijüdisch zu sein.<br />

Anstatt die rassistischeVernichtungspolitik der antidemokratischen Kräfte im Mittleren<br />

Osten zu geißeln, suchen weite Teile der deutschen Öffentlichkeit und des Zeitgeistmainstreams<br />

das Haar in der Suppe israelischer Innen- undVerteidigungspolitik.<br />

Auch hier ist die geistige Avantgarde der 68er gedankliches Establishment geworden.<br />

Im Jahr 1970 hetzte der Sozialistische Deutsche Studentenbund in einem<br />

Flugblatt zum Besuch des israelischen Außenministers gegen den „ökonomisch<br />

und politisch parasitären Staat Israel“: „Nieder mit dem chauvinistischen und rassistischen<br />

Staatsgebilde.“ Götz Aly, einer der wenigen nachdenklichen und selbstkritischen<br />

Akteure von damals, brachte diesen linksgedrehten Antisemitismus und<br />

indirekten Geschichtsrevanchismus fast 40 Jahre später in der LiterarischenWelt auf<br />

den Punkt: „Die deutschen 68er waren ihren Eltern auf elende Weise ähnlich.“<br />

<strong>Axel</strong> <strong>Springer</strong> spürte das. Der autoritäre, selbstgerechte Gestus der Bewegung<br />

war ihm ebenso zuwider wie das weltpolitische Szenario, das sich aus einer solchen<br />

Politik langfristig ergeben würde. Er erkannte sehr früh die Notwendigkeit einer<br />

christlich-jüdischen, abendländischen Wertegemeinschaft zur Verteidigung der<br />

freien westlichen Welt gegen einen aggressiven islamistischen Fundamentalismus,<br />

gegen ein intolerantes, kollektivistisches Gesellschaftsmodell. Auch hier war er<br />

eben wieder Bauchmensch und Visionär zugleich. Ob dieses Kapitel aber ein ähnlich<br />

gutes Ende nehmen wird wie die vorgenannten – das ist eine offene Frage.<br />

Hier jedenfalls finden die wirklichen Reibungen an seinem geistigen Erbe in der<br />

Gegenwart statt.<br />

<strong>Axel</strong> <strong>Springer</strong> hatte all diese Erkenntnisse, Wertevorstellungen und Visionen<br />

wahrlich nicht exklusiv. Aber er verdichtete, destillierte und popularisierte sie in<br />

einzigartiger Form. Und er hatte den siegfriedhaften Mut, sie gegen alle Widerstände<br />

zu verteidigen.<br />

Wie wird <strong>Axel</strong> <strong>Springer</strong> heute gesehen? Gerecht, angemessen, verzerrt oder<br />

verkannt? Ich weiß es nicht. Vielleicht ist es auch nicht so wichtig. Zumal es das<br />

angemessene, objektive, wirkliche Bild nie geben kann. Dazu war <strong>Springer</strong> viel zu<br />

vielschichtig. Im „Steppenwolf“ von Herrmann Hesse heißt es: „Aber nicht nur<br />

zwei, Tausende Seelen wohnen in meiner Brust.“<br />

<strong>Axel</strong> <strong>Springer</strong>, das war der Selfmademan und der Playboy, der Lustmensch und<br />

Exzessor, das war die Frau im Männerkörper, wie Peter Tamm das in Anspielung<br />

auf seine weibliche, emotionale Intelligenz genannt hat. Das war der Unternehmer<br />

mit ausgesprochen ausgeprägtem Erwerbssinn, der sich sozial inszenierte und unter<br />

der wärmenden Oberfläche des Patriarchen knallhart an der eigenen Gewinnmaximierung<br />

bastelte. Das war auch der unsichere Zauderer, Zögerer, der wankelmütige<br />

Entscheidungsrevidierer, der noch am Morgen seinen Konzern an Bertelsmann<br />

<strong>Mathias</strong> <strong>Döpfner</strong><br />

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