10.10.2013 Aufrufe

Kurt Karrenberg: Der Freie Brüderkreis - bruederbewegung.de

Kurt Karrenberg: Der Freie Brüderkreis - bruederbewegung.de

Kurt Karrenberg: Der Freie Brüderkreis - bruederbewegung.de

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>Kurt</strong> <strong>Karrenberg</strong><br />

<strong>Der</strong> <strong>Freie</strong> <strong>Brü<strong>de</strong>rkreis</strong><br />

Ein Zweig <strong>de</strong>r »Brü<strong>de</strong>rbewegung«<br />

in Deutschland<br />

<strong>brue<strong>de</strong>rbewegung</strong> .<strong>de</strong>


Zuerst erschienen in: Viele Glie<strong>de</strong>r – ein Leib. Kleinere Kirchen,<br />

Freikirchen und ähnliche Gemeinschaften in Selbstdarstellungen.<br />

Hrsg. von Ulrich Kunz. Stuttgart (Quell-Verlag <strong>de</strong>r Evang. Gesellschaft)<br />

1953. S. 210–229. — 2. Auflage 1961: S. 266–282.<br />

Zeichengetreuer Abdruck <strong>de</strong>r 2. Auflage. Die Seitenzahlen <strong>de</strong>s Originals<br />

sind in eckigen Klammern und kleinerer, roter Schrift eingefügt.<br />

© dieser Ausgabe: 2005 <strong>brue<strong>de</strong>rbewegung</strong>.<strong>de</strong><br />

Texterfassung und Satz: Michael Schnei<strong>de</strong>r<br />

Veröffentlicht im Internet unter<br />

http://www.<strong>brue<strong>de</strong>rbewegung</strong>.<strong>de</strong>/pdf/karrenbergbrue<strong>de</strong>rkreis.pdf<br />

<strong>brue<strong>de</strong>rbewegung</strong> .<strong>de</strong>


[266]<br />

DER FREIE BRÜDERKREIS<br />

(Ein Zweig <strong>de</strong>r »Brü<strong>de</strong>rbewegung« in Deutschland)<br />

Von Schriftleiter <strong>Kurt</strong> <strong>Karrenberg</strong><br />

<strong>Der</strong> »<strong>Freie</strong> <strong>Brü<strong>de</strong>rkreis</strong>« ist in seiner Entwicklung und in seiner Eigenart von <strong>de</strong>r<br />

»Brü<strong>de</strong>rbewegung« nicht zu trennen. Wer seine Geschichte schreiben will, muß zwangs-<br />

1<br />

läufig die <strong>de</strong>r gesamten »Brü<strong>de</strong>rbewegung« schreiben . Und wer das Anliegen dieses noch<br />

jungen Zweiges <strong>de</strong>r »Brü<strong>de</strong>rbewegung« nennen will, ist genötigt, auf das ursprüngliche<br />

Anliegen <strong>de</strong>r »Brü<strong>de</strong>rbewegung« zurückzugreifen.<br />

Die Geschichte <strong>de</strong>r »Brü<strong>de</strong>rbewegung« ist gestaltet und geprägt von einzelnen Männern,<br />

die – nach meiner festen Überzeugung – von Gott <strong>de</strong>n Auftrag hatten, bestimmte<br />

biblische Wahrheiten aus <strong>de</strong>r Verborgenheit wie<strong>de</strong>r ins Licht zu stellen, und die durch die<br />

Verkündigung dieser Wahrheiten sehr vielen Menschen zum Segen gewor<strong>de</strong>n sind. Mit<br />

dieser Feststellung will ich jedoch keineswegs die Fehler und Mängel beschönigen o<strong>de</strong>r<br />

zu<strong>de</strong>cken, die sich im Laufe <strong>de</strong>r Geschichte <strong>de</strong>r »Brü<strong>de</strong>rbewegung« herausgestellt haben<br />

und die im wesentlichen bedingt sind durch die Überspitzung und einseitige Betonung <strong>de</strong>r<br />

Wahrheiten, die zu verkün<strong>de</strong>n jene Männer <strong>de</strong>n Auftrag hatten.<br />

Ganz bewußt schreibe ich in meiner Darstellung von <strong>de</strong>r »Brü<strong>de</strong>rbewegung«. Es han<strong>de</strong>lt<br />

sich nämlich nicht um eine ausgesprochene Freikirche. Unter »Kirche« und »Freikirche«<br />

verstehen wir allgemein einen Zusammenschluß von Menschen unter einer bestimmten<br />

Konfessionsbezeichnung, mit klaren Satzungen, fester Organisation und geregeltem<br />

Kultus. Die »Brü<strong>de</strong>r« haben es von vornherein abgelehnt, ihrer Gemeinschaft einen Namen<br />

zu geben, und das, wie sie meinten, aus biblischen Grün<strong>de</strong>n. Auch gibt es keine geschriebenen<br />

Satzungen und Statuten und für <strong>de</strong>n Verlauf <strong>de</strong>r Gottesdienste keine festgelegten<br />

Regeln. Dennoch trägt dieser Kreis <strong>de</strong>m Wesen nach freikirchliches Gepräge.<br />

[267] Entstehung und Geschichte<br />

Die Geschichte <strong>de</strong>r »Brü<strong>de</strong>r« beginnt im Jahre 1826 in England. Sie wur<strong>de</strong> eingeleitet<br />

durch starke Erweckungsbewegungen in <strong>de</strong>r anglikanischen Hochkirche, die sich inson<strong>de</strong>rheit<br />

gegen die katholisieren<strong>de</strong>n Ten<strong>de</strong>nzen innerhalb <strong>de</strong>r Staatskirche und gegen die<br />

liberale Theologie, die sich dort breitmachte, richteten. Diese Erweckungsbewegungen<br />

führten zur Bildung von Freikirchen wie auch zur Entstehung <strong>de</strong>r »Brü<strong>de</strong>rbewegung«.<br />

Von Außenstehen<strong>de</strong>n wird diese vielfach als »Darbysmus« bezeichnet, nach <strong>de</strong>m Namen<br />

<strong>de</strong>s englischen Theologen John Nelson Darby. Dieser ist freilich nicht <strong>de</strong>r eigentliche Begrün<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>r »Brü<strong>de</strong>rbewegung«, doch hat er sie in manchen Stücken geprägt.<br />

John Nelson Darby wur<strong>de</strong> am 18. November 1800 als Sproß einer irischen Aristokratenfamilie<br />

in London geboren. Er war außeror<strong>de</strong>ntlich begabt, so daß er schon mit 15<br />

Jahren das Reifezeugnis erwarb. Nach <strong>de</strong>m Wunsch seines Vaters sollte er Jurist wer<strong>de</strong>n.<br />

Deshalb studierte er die Rechtswissenschaften und bestand mit 19 Jahren das juristische<br />

1<br />

Anmerkung <strong>de</strong>s Herausgebers: Um das für unser Buch allgemein gültige Prinzip <strong>de</strong>r Selbstdarstellung<br />

nicht zu durchbrechen, mußten wir unseren Mitarbeiter bitten, keine Gesamtdarstellung <strong>de</strong>r »Brü<strong>de</strong>rbewegung«<br />

(<strong>de</strong>s Darbysmus) in Deutschland zu schreiben, son<strong>de</strong>rn sich tunlichst auf <strong>de</strong>n »<strong>Freie</strong>n <strong>Brü<strong>de</strong>rkreis</strong>«,<br />

<strong>de</strong>m er selbst angehört, zu beschränken. Da er jedoch im geschichtlichen Teil notgedrungen weiter ausholen<br />

mußte, vermittelt sein Beitrag trotz<strong>de</strong>m einen Eindruck von <strong>de</strong>r ganzen Bewegung.


KURT KARRENBERG: DER FREIE BRÜDERKREIS 4<br />

Examen mit Auszeichnung. Er hätte bei seiner Begabung und seiner vornehmen Abkunft<br />

als Jurist höchste Stellen erreichen können, doch veranlaßten ihn innere Kämpfe, seine<br />

aussichtsreiche Laufbahn aufzugeben und nachträglich noch Theologie zu studieren. In<br />

dieser Zeit erlebte er seine Bekehrung; aber er hatte, wie er später selbst erzählte, noch<br />

sieben Jahre lang unter heftigen Anfechtungen und Zweifeln zu lei<strong>de</strong>n, bis er endlich zur<br />

vollen Heilsgewißheit und zum Frie<strong>de</strong>n kam. Im Jahre 1826 wur<strong>de</strong> er zum Priester geweiht.<br />

Aber in <strong>de</strong>r Staatskirche fand er keine Befriedigung, so daß er, von <strong>de</strong>r Erweckungsbewegung<br />

erfaßt, im Winter 1827/28 auf sein Pfarramt verzichtete, ohne jedoch<br />

zunächst die Verbindung mit <strong>de</strong>r Staatskirche zu lösen. Vom Jahre 1828 an bis an sein<br />

Lebensen<strong>de</strong> entwickelte er eine rege Reisetätigkeit. Er starb, unverheiratet geblieben, am<br />

28. April 1882.<br />

Ich sagte bereits, daß Darby nicht <strong>de</strong>r eigentliche Begrün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r nach ihm benannten<br />

Bewegung ist. Schon seit <strong>de</strong>m Jahre 1826 fan<strong>de</strong>n sich auf <strong>de</strong>m irischen Schlosse <strong>de</strong>r Gräfin<br />

Powerscourt allmonatlich gottesfürchtige Männer aus <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nsten Benennungen<br />

zu gemeinsamer Wortbetrachtung zusammen. Zu ihnen gesellte sich bald auch Darby, und<br />

es dauerte nicht lange, bis er zur führen<strong>de</strong>n Persönlichkeit dieses Kreises wur<strong>de</strong>. Hier soll<br />

ihm auch das Licht über die Schriftwahrheiten geschenkt wor<strong>de</strong>n sein, [268] die er später<br />

mit so starkem Nachdruck verkün<strong>de</strong>te. Auch in Plymouth fan<strong>de</strong>n bereits 1826 Versammlungen<br />

statt nach <strong>de</strong>r Art <strong>de</strong>r späteren »Brü<strong>de</strong>rversammlungen«. Aus diesem Grun<strong>de</strong><br />

wer<strong>de</strong>n die »Brü<strong>de</strong>r« in England auch oft als »Plymouth-Brü<strong>de</strong>r« bezeichnet. Während<br />

diese Versammlungen anfänglich nur <strong>de</strong>r gemeinsamen Wortbetrachtung und <strong>de</strong>m Gebet<br />

dienten, wobei die Teilnehmer nach wie vor verschie<strong>de</strong>nen Benennungen angehörten,<br />

fand man diesen Zustand auf die Dauer als nicht vereinbar mit <strong>de</strong>r Schrift und kam daher<br />

überein, auch »das Brot zu brechen«. Vielleicht entspricht <strong>de</strong>r Bericht <strong>de</strong>n Tatsachen,<br />

wonach im Winter 1827/28 in Dublin im Hause Hutchisons die fünf Freun<strong>de</strong> J. G. Bellet,<br />

Dr. Cronin, Hutchison, Brooke und Darby erstmalig zur Abendmahlsfeier zusammenkamen<br />

und damit die Lösung <strong>de</strong>r »Brü<strong>de</strong>rbewegung« von an<strong>de</strong>ren Kreisen und die Bildung<br />

ihrer Eigenständigkeit einleiteten.<br />

Darbys ausge<strong>de</strong>hnte Reisetätigkeit, von <strong>de</strong>r schon vorhin die Re<strong>de</strong> war, führte zur<br />

Entwicklung <strong>de</strong>r »Brü<strong>de</strong>rbewegung« in <strong>de</strong>r Schweiz, <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n, Belgien, Frankreich<br />

und Nordamerika.<br />

Die »Brü<strong>de</strong>rbewegung« in Deutschland entstand zunächst unabhängig von Darbys<br />

Tätigkeit. Schon im Jahre 1847 fin<strong>de</strong>n wir sowohl in Tübingen als auch in Düsseldorf, also<br />

an zwei weit voneinan<strong>de</strong>r entfernten Orten, kleine Gemein<strong>de</strong>n, die nach <strong>de</strong>r Art <strong>de</strong>r späteren<br />

»Versammlungen« – die »Brü<strong>de</strong>rbewegung« wur<strong>de</strong> in Deutschland vielfach unter<br />

<strong>de</strong>m Namen »Christliche Versammlung« bekannt – zusammenkamen. In Tübingen war es<br />

ein Lehrer namens Peter Nippel, <strong>de</strong>r, angeregt durch Schriften von J. N. Darby, diese<br />

Gemein<strong>de</strong> ins Leben rief. In Düsseldorf ist sie mit <strong>de</strong>n Namen H. C. Werth, J. von Poseck<br />

und William Darby verbun<strong>de</strong>n. Geschichtlich wichtiger ist jedoch die »Brü<strong>de</strong>rbewegung«,<br />

die in <strong>de</strong>n fünfziger Jahren <strong>de</strong>s vorigen Jahrhun<strong>de</strong>rts von Elberfeld ausging. Hier war am<br />

3. Juli 1850 <strong>de</strong>r »Evangelische Brü<strong>de</strong>rverein« gegrün<strong>de</strong>t wor<strong>de</strong>n. Schriftführer und Vorstandsmitglied<br />

dieses Vereins war Carl Brockhaus. Da dieser als <strong>de</strong>r eigentliche erste Führer<br />

<strong>de</strong>r »Christlichen Versammlung«, d. h. <strong>de</strong>r »Brü<strong>de</strong>rbewegung« in Deutschland, anzusehen<br />

ist, muß auch seiner Person und seines Wirkens beson<strong>de</strong>rs gedacht wer<strong>de</strong>n.<br />

Carl Brockhaus wur<strong>de</strong> am 7. April 1822 in Himmelmert bei Plettenberg (Westf.) geboren.<br />

Er besuchte das Lehrerseminar in Soest und wur<strong>de</strong> nach <strong>de</strong>ssen Absolvierung Lehrer<br />

in Breckerfeld bei Hagen (Westf.). Im Dezember 1845 erlebte er seine Bekehrung [269]<br />

und fing danach sogleich an, in seinem Schulzimmer Bibelstun<strong>de</strong>n zu halten. 1848 nahm<br />

er eine Lehrerstelle in Elberfeld an. Hier kam er seit 1850 unter <strong>de</strong>n Einfluß <strong>de</strong>s Schwei-


KURT KARRENBERG: DER FREIE BRÜDERKREIS 5<br />

zers Thorens, <strong>de</strong>r in St. Croix im Schweizer Jura Darbys Schriftauffassungen kennengelernt<br />

und sich zu eigen gemacht hatte. Dieser Thorens übte in Elberfeld allgemein und auf<br />

Carl Brockhaus beson<strong>de</strong>rs einen nachhaltigen Einfluß aus. Brockhaus hielt mit seinen so<br />

gewonnenen Erkenntnissen nicht zurück, fand eine große Anzahl Brü<strong>de</strong>r, die sich ihm<br />

anschlossen, geriet aber je länger je mehr in Spannungen zu <strong>de</strong>n älteren Brü<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s<br />

»Evangelischen Brü<strong>de</strong>rvereins« und trat schließlich am 10. Dezember 1852 mit einigen<br />

seiner Mitarbeiter aus diesem aus. Sein Austritt aus <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>skirche erfolgte jedoch erst<br />

im Jahre 1856. – Mit Brief vom 2. Mai 1853 kündigte J. N. Darby seinen ersten Besuch bei<br />

C. Brockhaus an. Dieser kam allerdings erst im September 1854 zustan<strong>de</strong>. Von da an<br />

haben diese bei<strong>de</strong>n Männer in dauern<strong>de</strong>r persönlicher und brieflicher Verbindung gestan<strong>de</strong>n,<br />

einer Verbindung, die <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen »Brü<strong>de</strong>rbewegung« unbedingt das Gepräge<br />

Darbys gegeben hat, wenn auch die englische und die <strong>de</strong>utsche Richtung nicht in allen<br />

Punkten übereinstimmen. – Carl Brockhaus entschlief am 9. Mai 1899.<br />

<strong>Der</strong> eigenartige Kirchenbegriff Darbys ist neben <strong>de</strong>m rein Menschlichen die Ursache<br />

für mancherlei Trennungen innerhalb <strong>de</strong>r »Brü<strong>de</strong>rbewegung«, vor allem in England. Auf<br />

Einzelheiten <strong>de</strong>s Darbyschen Kirchenbegriffs komme ich weiter unten zu sprechen. Aus<br />

einem im Jahre 1846 in Plymouth wegen Behandlung von Irrlehren entstan<strong>de</strong>nen Streit<br />

ergab sich 1848 die große »Bethesda-Trennung«, die die bei<strong>de</strong>n alten Kampfgenossen<br />

J. N. Darby und Georg Müller, <strong>de</strong>n bekannten Waisenvater von Bristol, auseinan<strong>de</strong>rbrachte.<br />

Diese Trennung führte zur Bildung <strong>de</strong>r weitaus größten Brü<strong>de</strong>rgruppe in England, <strong>de</strong>r<br />

»Offenen Brü<strong>de</strong>r«. 1894 entstand die erste <strong>de</strong>utsche Versammlung <strong>de</strong>r »Offenen Brü<strong>de</strong>r«<br />

in Bad Homburg. Um die gleiche Zeit und später bil<strong>de</strong>ten sich auch in Stuttgart, in Berlin,<br />

in Sachsen und im Rheinland (z. B. Wie<strong>de</strong>nest) »Offene Brü<strong>de</strong>r«-Versammlungen.<br />

Im April 1937 erfolgte durch die Geheime Staatspolizei <strong>de</strong>r damaligen Regierung<br />

schlagartig das Verbot <strong>de</strong>r »Christlichen Versammlung« und damit <strong>de</strong>s weitaus größten<br />

Teils <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen »Brü<strong>de</strong>rbewegung«. Als Grün<strong>de</strong> dieses Verbots wur<strong>de</strong>n genannt:<br />

einmal die internationalen Verbindungen <strong>de</strong>r »Versammlung«, zum an<strong>de</strong>ren ihre Ablehnung<br />

aktiver Tätigkeit für [270] <strong>de</strong>n Staat und schließlich das Fehlen einer klaren und<br />

durchsichtigen Organisation mit verantwortlicher Führung. Trotz mancher Versuche gelang<br />

es nicht, zu erreichen, daß das Verbot rückgängig gemacht wur<strong>de</strong>. Erst nach vielen<br />

Unterredungen mit <strong>de</strong>n maßgeblichen staatlichen Stellen erhielt Dr. Hans Becker die Genehmigung,<br />

unter Schaffung einer festen Organisation mit exaktem Namen <strong>de</strong>njenigen<br />

Glie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r verbotenen »Versammlung«, die auf diese For<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s Staates eingehen<br />

wollten, die Möglichkeit zu bieten, sich wie<strong>de</strong>r zu versammeln. Dabei muß ausdrücklich<br />

betont wer<strong>de</strong>n, daß es sich nicht um For<strong>de</strong>rungen han<strong>de</strong>lte, die von <strong>de</strong>r Schrift her abzulehnen<br />

waren, son<strong>de</strong>rn lediglich um solche, die Fragen <strong>de</strong>r Organisation und <strong>de</strong>r äußeren<br />

Ordnung betrafen. <strong>Der</strong> weitaus größte Teil <strong>de</strong>r Glie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r verbotenen »Christlichen<br />

Versammlung« schloß sich <strong>de</strong>nn auch <strong>de</strong>m neu gegrün<strong>de</strong>ten »Bund freikirchlicher Christen«<br />

an. Eine Anzahl vor allem älterer Glie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r »Versammlung« glaubte, <strong>de</strong>s Gewissens<br />

wegen <strong>de</strong>m »Bund« nicht beitreten zu können. Manche von ihnen versammelten sich<br />

trotz Verbots in <strong>de</strong>n Häusern weiter und nahmen auch Haft- und an<strong>de</strong>re Strafen in Kauf.<br />

Es han<strong>de</strong>lte sich damals, wie gesagt, um eine verschwin<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Min<strong>de</strong>rheit, doch ist die<br />

Zahl dieser Gruppe nach <strong>de</strong>m <strong>de</strong>utschen Zusammenbruch 1945 in die Höhe gegangen.<br />

Wenn das Verbot von 1937 auf <strong>de</strong>r einen Seite eine auch heute noch als schmerzhaft<br />

empfun<strong>de</strong>ne Trennung mit sich brachte, so hatte es an<strong>de</strong>rerseits doch eine erfreuliche<br />

Vereinigung zur Folge. Im August 1937 nämlich schlossen sich die <strong>de</strong>utschen »Offenen<br />

Brü<strong>de</strong>r«, die schon vorher <strong>de</strong>r For<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Staates auf Organisation so weit entgegengekommen<br />

waren, daß sie die Bezeichnung »Kirchenfreie christliche Gemein<strong>de</strong>n« angenom-


KURT KARRENBERG: DER FREIE BRÜDERKREIS 6<br />

men hatten, <strong>de</strong>m »Bund freikirchlicher Christen« an. Dieser Vorgang hat <strong>de</strong>r »Brü<strong>de</strong>rbewegung«<br />

in Deutschland einen starken Auftrieb gegeben.<br />

Im Februar 1941 löste sich <strong>de</strong>r »Bund freikirchlicher Christen« auf, und seine Ortsgemein<strong>de</strong>n<br />

traten in <strong>de</strong>n »Bund <strong>de</strong>r Baptistengemein<strong>de</strong>n in Deutschland« ein, <strong>de</strong>r sich<br />

2<br />

dann »Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemein<strong>de</strong>n in Deutschland« nannte.<br />

Da bei<strong>de</strong> Partner dieses Bun<strong>de</strong>s eine sehr verschie<strong>de</strong>ne Geschichte hinter sich haben<br />

und die »Brü<strong>de</strong>r« überdies von Haus aus aller Organisation grundsätzlich ablehnend gegenüberstehen<br />

[271] (vgl. <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Abschnitt), ist es nicht verwun<strong>de</strong>rlich, daß nicht<br />

alle »Brü<strong>de</strong>r« <strong>de</strong>n Zusammenschluß innerlich freudig bejahen konnten. Für die Dauer <strong>de</strong>s<br />

Krieges trat diese innere Spannung nicht weiter in Erscheinung. Aber nach <strong>de</strong>m Zusammenbruch<br />

<strong>de</strong>s »Dritten Reiches« kam es zu Abwan<strong>de</strong>rungen zur alten »Christlichen Versammlung«,<br />

die nun wie<strong>de</strong>r frei auftreten konnte. Von dieser Austritts- und Übertrittsbewegung<br />

wur<strong>de</strong>n einzelne Glie<strong>de</strong>r, aber auch etliche kleine Gemein<strong>de</strong>n erfaßt. Viele<br />

an<strong>de</strong>re Gemein<strong>de</strong>n, die <strong>de</strong>n Zusammenschluß im »Bund« ablehnten, aber doch auch nicht<br />

in die Exklusivität <strong>de</strong>r »Christlichen Versammlung« zurückfallen wollten, fan<strong>de</strong>n sich<br />

nach einer Konferenz im Jahre 1949 in Wermelskirchen zum »<strong>Freie</strong>n <strong>Brü<strong>de</strong>rkreis</strong>« zusammen.<br />

2<br />

3<br />

vgl. S. 157ff.<br />

Die Eigenart <strong>de</strong>r Brü<strong>de</strong>rbewegung<br />

Wenn man Verständnis gewinnen will für die Lehrauffassungen <strong>de</strong>r »Brü<strong>de</strong>rbewegung«,<br />

so ist es notwendig, zunächst einmal Darbys Kirchenbegriff näher zu beschreiben.<br />

Darby kommt, wie oben dargetan, aus <strong>de</strong>r anglikanischen Staatskirche. Seinen Kirchenbegriff<br />

hat er, wie sich an Hand seiner zahlreichen Veröffentlichungen klar nachweisen<br />

läßt, erst allmählich entwickelt, aber von vornherein im scharfen Gegensatz zur Staatskirche.<br />

Drei Punkte sind zu nennen, die seinen Wi<strong>de</strong>rspruch gegen die Staatskirche auslösten:<br />

1. <strong>Der</strong> größte Teil ihrer Mitglie<strong>de</strong>r bestand aus Unbekehrten.<br />

2. Sie besaß, ähnlich <strong>de</strong>r römischen Kirche, <strong>de</strong>ren Nachfolgerin sie in England ja praktisch<br />

ist, eine straffe Organisation, für die es im Neuen Testament keine Grundlage gibt.<br />

3. Ebenso entbehrt die Behauptung <strong>de</strong>r apostolischen Sukzession ihrer Bischöfe <strong>de</strong>r<br />

Grundlage im Neuen Testament.<br />

Darby ließ es nun aber nicht bei <strong>de</strong>r Bildung von Gläubigengemein<strong>de</strong>n nach neutestamentlichem<br />

Muster bewen<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn zog aus <strong>de</strong>n Fehlern <strong>de</strong>r Staatskirche <strong>de</strong>n Schluß,<br />

daß die Kirche allgemein in Verfall geraten sei. Dabei setzte er voraus, daß die Urkirche<br />

in weitestmöglichem Maße vollkommen war. Nach seiner Auffassung war die Urkirche in<br />

ihrer Lehre einheitlich, ein nach außen sichtbares, nur aus Wie<strong>de</strong>rgeborenen bestehen<strong>de</strong>s<br />

Ganzes. Auch im Han<strong>de</strong>ln war sie einheitlich, d. h. Beschlüsse <strong>de</strong>r einen Ortsgemein<strong>de</strong><br />

waren bin<strong>de</strong>nd für alle übrigen Gemein<strong>de</strong>n. [272] Von <strong>de</strong>r Welt und ihrer Kultur lebte sie<br />

vollkommen abgeson<strong>de</strong>rt.<br />

Mit dieser Auffassung stützt sich Darby vor allem auf 1. Tim. 3, 15, wo es heißt: »…<br />

auf daß du wissest, wie man sich verhalten soll im Hause Gottes, welches die Versamm-<br />

3<br />

lung <strong>de</strong>s lebendigen Gottes ist, <strong>de</strong>r Pfeiler und die Grundfeste <strong>de</strong>r Wahrheit «. In dieser<br />

Aussage sieht er <strong>de</strong>n Beweis dafür, daß die Urkirche eine sichtbare, in Lehre und Kultus<br />

Schriftstellen sind nach <strong>de</strong>m Wortlaut <strong>de</strong>r »Elberfel<strong>de</strong>r Übersetzung« angeführt.


KURT KARRENBERG: DER FREIE BRÜDERKREIS 7<br />

einheitliche Größe war. In <strong>de</strong>r Folge sei sie mehr und mehr durch die Untreue <strong>de</strong>r Menschen,<br />

<strong>de</strong>nen sie anvertraut war, in Verfall geraten. Für diesen Verfall macht er drei Grün<strong>de</strong><br />

verantwortlich:<br />

1. Eindringen falscher Lehren;<br />

2. Aufnahme Unbekehrter in die Kirche, die damit zur Massen- und Weltkirche wur<strong>de</strong>,<br />

vor allem seit Konstantin (306–337) das Christentum zur Staatsreligion machte;<br />

3. Schaffung einer Organisation, vor allem Einführung <strong>de</strong>s theologischen Lehramtes<br />

und damit Unterscheidung zwischen Geistlichen und Laien.<br />

In 2. Tim. 2, 20 sieht Darby wie<strong>de</strong>r eine Bestätigung seiner Lehrauffassung. Die Stelle<br />

lautet: »In einem großen Hause aber sind nicht allein gol<strong>de</strong>ne und silberne Gefäße, son<strong>de</strong>rn<br />

auch hölzerne und ir<strong>de</strong>ne; und die einen zur Ehre, die an<strong>de</strong>ren zur Unehre.« Aus<br />

<strong>de</strong>m »Hause Gottes« in 1. Tim. 3, 15 war somit ein »großes Haus« gewor<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>m<br />

nicht nur Gefäße aus edlen Stoffen, son<strong>de</strong>rn auch solche aus unedlen zu fin<strong>de</strong>n waren,<br />

d. h. Gläubige und Ungläubige. Auch in <strong>de</strong>n sieben Sendschreiben in Offb. 2 und 3 sieht<br />

Darby eine prophetische Darstellung <strong>de</strong>s Verfalls <strong>de</strong>r Kirche.<br />

Weiter lehrt Darby, daß die Kirche, als eine verfallene Größe, nicht wie<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n<br />

Zustand ihrer früheren Vollkommenheit gebracht wer<strong>de</strong>n kann. Alle dahin zielen<strong>de</strong>n<br />

Versuche sind nicht allein zum Scheitern verurteilt, son<strong>de</strong>rn laufen Gottes Willen und<br />

Absichten zuwi<strong>de</strong>r. Als unsichtbare Kirche besteht sie aber auf <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> weiter, und zwar<br />

bil<strong>de</strong>n alle wahren Gläubigen zu je<strong>de</strong>r Zeit diese unsichtbare Kirche, gleichgültig, zu welcher<br />

Benennung sie sich zählen. Und auch an je<strong>de</strong>m Ort bil<strong>de</strong>n alle dort wohnen<strong>de</strong>n Gläubigen<br />

die unsichtbare Ortsgemein<strong>de</strong>. Dies gilt bis zur Wie<strong>de</strong>rkunft Christi, wo die jetzt<br />

unsichtbare Kirche in Reinheit und Vollkommenheit wie<strong>de</strong>r sichtbar wird.<br />

[273] Sodann lehrt Darby, daß sich die Gläubigen von <strong>de</strong>r Welt und, weil die Volkskirchen<br />

mit <strong>de</strong>r Welt vermischt sind, auch von diesen abzuson<strong>de</strong>rn haben. Er macht aber<br />

auch Freikirchen und Gemeinschaften wegen ihrer Schaffung neuer, nicht durch das Neue<br />

Testament zu begrün<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Organisationen mit für <strong>de</strong>n Verfall <strong>de</strong>r Gesamtkirche verantwortlich;<br />

<strong>de</strong>shalb sei die Abson<strong>de</strong>rung von allen Denominationen überhaupt erfor<strong>de</strong>rlich.<br />

Als Begründung führt er 2. Tim. 2, 21 an: »Wenn sich nun jemand von diesen (weg) reinigt,<br />

wird er ein Gefäß zur Ehre sein, nützlich <strong>de</strong>m Hausherrn, zu je<strong>de</strong>m guten Werke<br />

bereitet«, und Hebr. 13, 13: »Deshalb laßt uns zu ihm hinausgehen, außerhalb <strong>de</strong>s Lagers,<br />

seine Schmach tragend.« Die sich so Abson<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n sollen sich nach Matth. 18, 20 nur<br />

»zum Namen Jesu hin« versammeln, ohne Organisation, ohne menschliche Führung und<br />

Leitung, ohne feste Gottesdienstordnung usw. Alles soll allein unter <strong>de</strong>r Leitung <strong>de</strong>s Heiligen<br />

Geistes geschehen.<br />

Nach Darbys Lehre bil<strong>de</strong>n Gläubige, die sich in solcher Weise an einem Ort versammeln,<br />

zwar nicht die Ortsgemein<strong>de</strong> – die ja, wie vorhin gesagt, aus allen Gläubigen <strong>de</strong>s<br />

Ortes besteht –, aber sie stellen die örtliche Gemein<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r Versammlung dar. Und weiter<br />

ist dieses Sich-Versammeln <strong>de</strong>r Gläubigen nicht nur eine Darstellung <strong>de</strong>r Ortsgemein<strong>de</strong>,<br />

son<strong>de</strong>rn auch eine solche <strong>de</strong>r gesamten unsichtbaren Kirche. Dies gilt allerdings nicht für<br />

alle Zusammenkünfte <strong>de</strong>r Versammlung, son<strong>de</strong>rn im Sinne von 1. Kor. 11, 18: »… wenn<br />

ihr als Versammlung zusammenkommt«, ist praktisch also beschränkt auf das Zusammenkommen<br />

zur Feier <strong>de</strong>s Herrnmahles.<br />

Das Mahl <strong>de</strong>s Herrn wird, unter Berufung auf Apg. 20, 7, je<strong>de</strong>n Sonntag gefeiert.<br />

Teilnehmen darf nur, wer sich zu dieser Teilnahme gemel<strong>de</strong>t hat und von wem die Brü<strong>de</strong>r<br />

glauben sagen zu dürfen, daß auf ihn das dreifache Urteil zutrifft: Rein im Glauben, rein<br />

im Wan<strong>de</strong>l, rein in <strong>de</strong>r Lehre. Nach Darbys Lehre schließt eine Zulassung zum Tisch <strong>de</strong>s<br />

Herrn in <strong>de</strong>r »Versammlung« die Teilnahme am Abendmahl in Kirchen und Gemeinschaften<br />

grundsätzlich aus. Ebenso ist eine regelmäßige Teilnahme von Glie<strong>de</strong>rn an<strong>de</strong>rer Ge-


KURT KARRENBERG: DER FREIE BRÜDERKREIS 8<br />

meinschaften am Brotbrechen <strong>de</strong>r Versammlung nicht gestattet, weil es gastweise Teilnahme<br />

nur in Ausnahmefällen gibt. Wer als Auswärtiger teilnehmen will, muß entwe<strong>de</strong>r<br />

Brü<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r örtlichen Versammlung bekannt sein o<strong>de</strong>r ein Empfehlungsschreiben seiner<br />

Heimatgemein<strong>de</strong> vorlegen.<br />

[274] Wie es eine Zulassung zum Brotbrechen gibt, so auch einen Ausschluß auf <strong>de</strong>m<br />

Wege <strong>de</strong>r Zucht. Die Zucht wird streng gehandhabt, und zwar unterliegen ihr alle, die sich<br />

im Wan<strong>de</strong>l und in <strong>de</strong>r Lehre als »Böse« (1. Kor. 5, 13) erwiesen haben.<br />

Die »Offenen Brü<strong>de</strong>r« haben <strong>de</strong>n geschil<strong>de</strong>rten Kirchenbegriff Darbys stets abgelehnt.<br />

Die Gemein<strong>de</strong>n, die sich 1937 <strong>de</strong>m »Bund freikirchlicher Christen« angeschlossen haben,<br />

und diejenigen, die sich seit 1949 organisatorisch vom Bund gelöst haben und sich in freier<br />

Weise versammeln, nehmen grundsätzlich die gleiche Stellung ein wie die »Offenen Brü<strong>de</strong>r«.<br />

Sie vertreten die Selbständigkeit je<strong>de</strong>r örtlichen Gemein<strong>de</strong>, wenn sie auch brü<strong>de</strong>rliche<br />

Rücksichtnahme gegenüber an<strong>de</strong>ren Gemein<strong>de</strong>n üben. Einer falschen Unabhängigkeit<br />

wird also nicht das Wort gere<strong>de</strong>t.<br />

Entsprechend <strong>de</strong>r Überzeugung, daß in allen Versammlungsstun<strong>de</strong>n, vornehmlich aber<br />

beim Brotbrechen, <strong>de</strong>r Heilige Geist die Leitung haben und menschliche Leitung weitgehend<br />

ausgeschlossen sein soll, gibt es auch heute noch in <strong>de</strong>r »Brü<strong>de</strong>rbewegung« keine<br />

Liturgie, keine feste Gottesdienstordnung. Es gibt aber auch keine angestellten Prediger<br />

und Gemein<strong>de</strong>leiter, grundsätzlich auch keine von <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> bestellten und als solche<br />

bezeichneten Ältesten und Diakone, obwohl die erfor<strong>de</strong>rlichen Dienste anerkannt und<br />

auch ausgeübt wer<strong>de</strong>n.<br />

Zum Dienst an und in <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> ist je<strong>de</strong>r berechtigt, vorausgesetzt, daß er eine<br />

erkennbare Gabe (charisma) eines Dienstes vom Herrn empfangen hat und die innere<br />

Freiheit und Freudigkeit besitzt. Dieser Grundsatz führt aber nicht zur Zügellosigkeit. Die<br />

Gemein<strong>de</strong> hat das Recht und die Pflicht, die einzelnen Dienste zu beurteilen, und sie<br />

macht hiervon auch Gebrauch. Öffentlicher Dienst <strong>de</strong>r Frauen, auch <strong>de</strong>ren öffentliches<br />

Gebet, wird für die offiziellen Versammlungsstun<strong>de</strong>n abgelehnt. Diese Beschränkung gilt<br />

nicht für <strong>de</strong>n Dienst an Kin<strong>de</strong>rn, an <strong>de</strong>r Jugend o<strong>de</strong>r auf beson<strong>de</strong>ren Frauenzusammenkünften.<br />

Wenn die »Brü<strong>de</strong>rbewegung« auch keine Bestallungen und Anstellungen von Predigern<br />

kennt, so gibt es doch eine Anzahl Brü<strong>de</strong>r, die ganz in <strong>de</strong>r Arbeit am Werk <strong>de</strong>s Herrn<br />

stehen. Sie wer<strong>de</strong>n zu dieser Arbeit ausgeson<strong>de</strong>rt entsprechend ihrer beson<strong>de</strong>ren Begabung<br />

(Evangelisten, Hirten, Lehrer) und bedürfen zur Tätigkeit im übergemeindlichen<br />

Dienst zunächst <strong>de</strong>r Empfehlung ihrer Heimatgemein<strong>de</strong>, dann aber auch <strong>de</strong>r Anerkennung<br />

ihres Dienstes in weiterem Bereich. Für die äußeren Bedürfnisse dieser Brü<strong>de</strong>r, die, von<br />

wenigen Ausnahmen abgesehen, [275] verheiratet sind und Familie haben, sorgen die Gemein<strong>de</strong>n,<br />

in <strong>de</strong>nen sie Dienst tun. Außer<strong>de</strong>m besteht eine »Kasse für das Werk <strong>de</strong>s<br />

Herrn«, aus <strong>de</strong>r Zuschüsse gezahlt wer<strong>de</strong>n, wenn die Gaben <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong>n nicht ausreichen.<br />

Wie die »Brü<strong>de</strong>rbewegung« eine feste Organisation mit klar umrissener Verfassung<br />

ablehnte und auch heute noch weitgehend ablehnt – eine Ausnahme bil<strong>de</strong>t die Gruppe,<br />

die im »Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemein<strong>de</strong>n« mit <strong>de</strong>r Baptistenkirche zusammengeschlossen<br />

ist –, so hat sie sich auch nie selbst einen Namen gegeben. Die Bezeichnung<br />

»Bund freikirchlicher Christen« wur<strong>de</strong> notgedrungen aus zeitbedingten Grün<strong>de</strong>n<br />

angenommen, ist aber nie populär gewor<strong>de</strong>n. <strong>Der</strong> Name »Darbysten« wur<strong>de</strong> von Außenstehen<strong>de</strong>n<br />

geprägt; er ist von <strong>de</strong>n »Brü<strong>de</strong>rn« selbst immer zurückgewiesen wor<strong>de</strong>n. In<br />

Deutschland hatte sich <strong>de</strong>r Name »Christliche Versammlung« und, für die freiere Richtung,<br />

»Offene Brü<strong>de</strong>r« eingebürgert, doch sind auch das keine offiziellen Bezeichnungen,<br />

ebenso wie <strong>de</strong>r für die seit 1949 vom »Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemein<strong>de</strong>n«


KURT KARRENBERG: DER FREIE BRÜDERKREIS 9<br />

gelösten, aber nicht in <strong>de</strong>n Kreis <strong>de</strong>r »Christlichen Versammlung« zurückgekehrten Gemein<strong>de</strong>n<br />

geprägte Name »<strong>Freie</strong>r <strong>Brü<strong>de</strong>rkreis</strong>«.<br />

In <strong>de</strong>r »Brü<strong>de</strong>rbewegung« gibt es kein offizielles Glaubensbekenntnis (auch hier bil<strong>de</strong>t<br />

<strong>de</strong>r im »Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemein<strong>de</strong>n« stehen<strong>de</strong> Teil eine Ausnahme).<br />

Wohl wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r ersten Generation <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen »Brü<strong>de</strong>r« ein Glaubensbekenntnis<br />

schriftlich fixiert, doch ist dieses m. W. nicht veröffentlicht, vor allem nie als Grundlage<br />

für die Aufnahme in die örtliche Versammlung betrachtet wor<strong>de</strong>n. Die Hauptpunkte besagen:<br />

Wir glauben an die göttliche Eingebung und das göttliche Ansehen <strong>de</strong>r Heiligen Schrift<br />

in allen ihren Teilen, sowohl <strong>de</strong>s Alten als <strong>de</strong>s Neuen Testamentes – nicht <strong>de</strong>r Apokryphen<br />

–, und erkennen in ihr die einzige und unfehlbare Richtschnur unseres Glaubens und Lebens.<br />

Wir glauben an die Einheit <strong>de</strong>s göttlichen Wesens und die Dreiheit <strong>de</strong>r Personen: Gott<br />

Vater, Gott Sohn und Gott Heiliger Geist.<br />

Wir glauben an die gänzliche Ver<strong>de</strong>rbtheit und Ohnmacht <strong>de</strong>r menschlichen Natur<br />

infolge <strong>de</strong>s Sün<strong>de</strong>nfalles.<br />

Wir glauben an die Menschwerdung <strong>de</strong>s Sohnes Gottes, Jesu Christi, an Seinen Opfertod<br />

am Kreuze zur Versöhnung unserer Sün<strong>de</strong>n, an Seine Auferstehung aus <strong>de</strong>n Toten,<br />

welche Ihn als Sohn Gottes in Kraft erwiesen und unsere Rechtfertigung völlig bestätigt<br />

hat, an Seine Himmelfahrt und Sein Sitzen zur Rechten [276] <strong>de</strong>r Majestät Gottes als Erbe<br />

aller Dinge, an Sein Mittleramt als Hohepriester, an Seine Wie<strong>de</strong>rkunft zur Aufnahme<br />

sowohl <strong>de</strong>r Versammlung, welche Sein Leib ist, als auch aller Heiligen (dies ist die erste<br />

Auferstehung) sowie <strong>de</strong>ren Vereinigung mit Ihm in Seiner Herrlichkeit, an Seine Erscheinung<br />

mit allen Gläubigen und Heiligen in Kraft und Herrlichkeit zum Gericht <strong>de</strong>r Welt, an<br />

die Auferstehung <strong>de</strong>r gestorbenen Gottlosen und das letzte Gericht.<br />

Wir glauben an die Notwendigkeit <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rgeburt (Bekehrung, Erneuerung) je<strong>de</strong>s<br />

Sün<strong>de</strong>rs, um <strong>de</strong>s Heils in Christo teilhaftig zu wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>ssen Rechtfertigung allein durch<br />

<strong>de</strong>n Glauben an Christum Jesum, an seinen Beruf, in diesem Glauben zu beharren und in<br />

<strong>de</strong>r Furcht Gottes in Heiligkeit zu wan<strong>de</strong>ln; und wir erkennen dies alles nur als ein Werk<br />

<strong>de</strong>r freien Gna<strong>de</strong> Gottes in Christo Jesu durch <strong>de</strong>n Heiligen Geist, welcher allen Kin<strong>de</strong>rn<br />

Gottes gegeben ist zur Versiegelung ihrer Kindschaft, zum Unterpfand ihres Erbes und um<br />

sie zu erleuchten, zu leiten, zu stärken, zu trösten und bei und in ihnen zu bleiben.<br />

Wir glauben an die Erwählung zur Seligkeit in Christo Jesu vor Grundlegung <strong>de</strong>r Welt.<br />

Wir glauben an die göttliche Einsetzung und Fortdauer <strong>de</strong>r Taufe und <strong>de</strong>s Abendmahls.<br />

Wir erkennen in allen Gläubigen und Heiligen in Christo Jesu unsere Brü<strong>de</strong>r. Diese<br />

bil<strong>de</strong>n zusammen die wahre Versammlung o<strong>de</strong>r Kirche Christi, weil sie alle durch einen<br />

Geist zu einem Leibe, <strong>de</strong>m Leibe Christi, getauft sind; aber untereinan<strong>de</strong>r ist einer <strong>de</strong>s<br />

an<strong>de</strong>ren Glied.<br />

Wir glauben, daß <strong>de</strong>r eine Geist, Herr und Gott mancherlei Gna<strong>de</strong>ngaben, Bedienungen<br />

und Wirkungen zur Vollendung <strong>de</strong>r Heiligen – für das Werk <strong>de</strong>s Dienstes und für die<br />

Erbauung <strong>de</strong>s Leibes Christi – darreicht, und halten uns verpflichtet, für die Erhaltung und<br />

Zunahme <strong>de</strong>rselben anhaltend im Glauben zu bitten und dieselben, soweit sie vorhan<strong>de</strong>n<br />

sind, mit herzlichem Dank gegen Gott anzuerkennen und zu benutzen.<br />

Wir erkennen an, daß die Gläubigen das allgemeine Priestertum bil<strong>de</strong>n und als solche<br />

gehalten sind, sich selbst Gott zu einem Ihm wohlgefälligen Opfer in Christo Jesu darzubringen.<br />

Wir glauben an die göttliche Stiftung <strong>de</strong>r Ehe.


KURT KARRENBERG: DER FREIE BRÜDERKREIS 10<br />

Wir glauben an die göttliche Verordnung <strong>de</strong>r Obrigkeit zum Schutze <strong>de</strong>r Rechtlichen<br />

und zur Bestrafung <strong>de</strong>r Übeltäter und erkennen die Pflicht, um <strong>de</strong>s Herrn willen ihr die<br />

gebühren<strong>de</strong> [277] Ehre und Steuer zu geben sowie allen ihren Anordnungen, soweit diese<br />

nicht <strong>de</strong>r göttlichen Ordnung zuwi<strong>de</strong>rlaufen, Gehorsam zu leisten und für sie zu beten.<br />

Je<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r vorstehen<strong>de</strong>n Sätze ist mit einer Anzahl Schriftstellen belegt und begrün<strong>de</strong>t.<br />

Einige Punkte möchte ich noch herausheben und beson<strong>de</strong>rs unterstreichen:<br />

Die Glie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r »Brü<strong>de</strong>rbewegung«, gleichgültig, welcher Richtung sie sich zuzählen,<br />

halten allgemein an <strong>de</strong>r Verbalinspiration <strong>de</strong>r Heiligen Schrift fest.<br />

Abendmahl und Taufe sind in <strong>de</strong>r »Brü<strong>de</strong>rbewegung« nicht Sakramente, son<strong>de</strong>rn<br />

Zeichen. Dabei rangiert das Abendmahl, wie oben dargetan, unbedingt an erster Stelle. Es<br />

wird gefeiert als Gedächtnismahl, in <strong>de</strong>m Lei<strong>de</strong>n, Sterben und Versöhnungswerk <strong>de</strong>s<br />

Herrn <strong>de</strong>n Gläubigen in beson<strong>de</strong>rer Weise vor Augen gestellt wer<strong>de</strong>n. Gleichzeitig wird<br />

am Tisch <strong>de</strong>s Herrn <strong>de</strong>r Einheit <strong>de</strong>r Gotteskin<strong>de</strong>r Ausdruck gegeben. Die »Brü<strong>de</strong>rbewegung«<br />

in Deutschland vertritt erkenntnisgemäß die Erwachsenen- o<strong>de</strong>r besser Gläubigentaufe.<br />

Diese gilt als Bekenntnis <strong>de</strong>s Verbun<strong>de</strong>nseins <strong>de</strong>s Täuflings mit <strong>de</strong>m gestorbenen,<br />

auferstan<strong>de</strong>nen und verherrlichten Herrn. Die Taufe soll im allgemeinen <strong>de</strong>r Zulassung<br />

zum Brotbrechen vorausgehen.<br />

Die in Christi Blut begrün<strong>de</strong>te und durch Gottes Geist bewirkte Einheit aller Gläubigen,<br />

gleichgültig, zu welcher Benennung sie gehören, wird sehr stark betont. Ich glaube<br />

sagen zu dürfen, daß die Verkündigung dieser biblischen Wahrheit <strong>de</strong>r Hauptauftrag <strong>de</strong>r<br />

»Brü<strong>de</strong>r« war.<br />

Die Betrachtung <strong>de</strong>r Bibel nimmt in <strong>de</strong>r »Brü<strong>de</strong>rbewegung« einen breiten Raum ein.<br />

Das Alte Testament kommt voll zu seinem Recht, wobei eine symbolische Auslegung im<br />

Lichte <strong>de</strong>s Neuen Testaments geübt wird. Im Neuen Testament stehen die Belehrungen<br />

<strong>de</strong>r paulinischen Briefe im Vor<strong>de</strong>rgrund <strong>de</strong>s Interesses. Beson<strong>de</strong>rs stark wird die Erwartung<br />

<strong>de</strong>s wie<strong>de</strong>rkommen<strong>de</strong>n Herrn zur Aufnahme Seiner Gemein<strong>de</strong> betont. Auch die<br />

Literatur – Betrachtungen über die einzelnen Bücher <strong>de</strong>r Bibel sowie zahlreiche Abhandlungen<br />

über einzelne biblische Themen – stellt die Erwartung <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft <strong>de</strong>s Herrn<br />

in <strong>de</strong>n Mittelpunkt.<br />

In <strong>de</strong>r Heilslehre stimmt die »Brü<strong>de</strong>rbewegung« im wesentlichen mit <strong>de</strong>n evangelischen<br />

Freikirchen und Gemeinschaften überein. Betont wird neben <strong>de</strong>r objektiven Heilstatsache,<br />

die im Werk [278] Jesu auf Golgatha begrün<strong>de</strong>t ist, auch die subjektive Heilserfahrung<br />

in Bekehrung o<strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rgeburt. Die Notwendigkeit <strong>de</strong>r praktischen Heiligung<br />

wird gemäß <strong>de</strong>r Heiligen Schrift gelehrt, stark betont wird jedoch die vor Gott gültige<br />

Tatsache <strong>de</strong>r Heiligkeit durch das vollkommene Werk Jesu. Das darf aber nicht mit <strong>de</strong>m<br />

4<br />

sogenannten Perfektionismus verwechselt wer<strong>de</strong>n, wie er in manchen Gemeinschaften<br />

vertreten wird und wie man ihn auch <strong>de</strong>n »Brü<strong>de</strong>rn« je und dann zu Unrecht nachsagt.<br />

Nicht unerwähnt bleiben darf, daß die »Brü<strong>de</strong>rbewegung« eine eigene Bibelübersetzung<br />

besitzt. Bei <strong>de</strong>r grundsätzlichen Einstellung Darbys und <strong>de</strong>r »Brü<strong>de</strong>r« überhaupt zur<br />

Bibel gehörte es zu ihren Hauptanliegen, wortgetreue Übersetzungen <strong>de</strong>r Bibel in <strong>de</strong>n<br />

Hauptsprachen zu schaffen. Von <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Bibelübersetzung, <strong>de</strong>r sogenannten »Elberfel<strong>de</strong>r<br />

Bibel«, erschien die erste Auflage <strong>de</strong>s Neuen Testaments im Jahre 1855, die<br />

erste <strong>de</strong>s Alten Testaments im Jahre 1870. Die Übersetzungen wur<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Hauptsache<br />

von <strong>de</strong>n Brü<strong>de</strong>rn Darby, Brockhaus und von Poseck vorgenommen, spätere Auflagen<br />

wur<strong>de</strong>n revidiert von <strong>de</strong>n Brü<strong>de</strong>rn Dr. Rochat und Dr. Dönges. – Die »Elberfel<strong>de</strong>r Bibel«<br />

4<br />

Unter Perfektionismus versteht man die Lehre, daß <strong>de</strong>r Christ in seinem irdischen Leben vollkommene<br />

Sündlosigkeit erreichen könne und müsse.


KURT KARRENBERG: DER FREIE BRÜDERKREIS 11<br />

gilt auch heute noch als die wortgetreueste Übersetzung <strong>de</strong>r Heiligen Schrift, wenn sie sich<br />

auch manche Angriffe und Verunglimpfungen gefallen lassen mußte, beson<strong>de</strong>rs weil <strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>utsche Text, eben wegen <strong>de</strong>s Versuchs einer möglichst wortgetreuen Wie<strong>de</strong>rgabe <strong>de</strong>s<br />

Grundtextes, oft etwas schwerfällig und wenig flüssig erscheint. Doch wenn ein Fachmann<br />

wie <strong>de</strong>r als Bibelübersetzer weithin bekannte Gymnasialdirektor Dr. H. Menge schreibt<br />

(1920 an R. Brockhaus): »Das Alte Testament ist für unser Volk seit Luthers Tagen nirgends<br />

besser ver<strong>de</strong>utscht wor<strong>de</strong>n als in Ihrer Bibelausgabe, und <strong>de</strong>r Segen, <strong>de</strong>n die Elberfel<strong>de</strong>r<br />

Bibel gestiftet hat, kann nicht leicht zu hoch angeschlagen wer<strong>de</strong>n …«, dann besagt<br />

das genug.<br />

Auch über ein eigenes Lie<strong>de</strong>rbuch verfügt die »Brü<strong>de</strong>rbewegung«. Es ist unter <strong>de</strong>m<br />

Titel »Kleine Sammlung geistlicher Lie<strong>de</strong>r« erschienen, und zwar, wie die Elberfel<strong>de</strong>r<br />

Bibel, im Verlag R. Brockhaus, Wuppertal. Das Liedgut ist in <strong>de</strong>r Hauptsache abgestimmt<br />

auf die Anbetungsstun<strong>de</strong>n am Tisch <strong>de</strong>s Herrn und auf <strong>de</strong>n Ausdruck <strong>de</strong>r Erwartung Seiner<br />

Wie<strong>de</strong>rkunft, umfaßt jedoch auch <strong>de</strong>n Weg <strong>de</strong>s Heils und <strong>de</strong>s praktischen Glaubens<br />

und Vertrauens.<br />

[279] <strong>Der</strong> heutige Stand <strong>de</strong>r Brü<strong>de</strong>rbewegung<br />

Weil keine feste Organisation vorhan<strong>de</strong>n ist, können genaue Zahlenangaben nicht<br />

gemacht wer<strong>de</strong>n. Aus einigen Unterlagen, die mir zur Verfügung stehen, glaube ich jedoch<br />

bei gewissenhafter Schätzung sagen zu dürfen, daß die Zahl <strong>de</strong>r Glie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r »Brü<strong>de</strong>rbewegung«<br />

in Deutschland, die am Brotbrechen teilnehmen[,] insgesamt 30 000 – 35 000<br />

beträgt, und mit Familienangehörigen und Freun<strong>de</strong>n, die die Versammlungen regelmäßig<br />

besuchen, 70 000 – 80 000. Die Gesamtzahl <strong>de</strong>r zur »Brü<strong>de</strong>rbewegung« Zählen<strong>de</strong>n auf <strong>de</strong>r<br />

Er<strong>de</strong>, einschließlich Familienangehörigen und Freun<strong>de</strong>n, wird sich auf etwa 450 000 –<br />

480 000 belaufen.<br />

Die »Brü<strong>de</strong>rbewegung« hat ihre Glie<strong>de</strong>r in allen Erdteilen. Am stärksten ist sie in<br />

Großbritannien, ihrem Ursprungsland, vertreten. <strong>Der</strong> nächststarke Teil lebt in Deutschland.<br />

Aber auch die USA, Kanada, Neuseeland, Australien, die Schweiz, Belgien und die<br />

Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong> haben zahlenmäßig beachtliche Gruppen.<br />

In Deutschland selbst gibt es Versammlungen in Nord und Süd. Die Verbreitungsschwerpunkte<br />

liegen im rheinisch-westfälischen Raum einschließlich <strong>de</strong>s Bergischen Lan<strong>de</strong>s,<br />

in Nordhessen einschließlich Siegerland, in Sachsen sowie im Berliner Raum.<br />

Unter Berücksichtigung <strong>de</strong>r heutigen Situation ergibt sich folgen<strong>de</strong>r Überblick:<br />

1. Die »Christliche Versammlung«. Diese Gruppe hält am stärksten an <strong>de</strong>r völligen<br />

5<br />

Organisationslosigkeit fest . Die Zen- [280] trale o<strong>de</strong>r Korrespon<strong>de</strong>nzstelle ist mir nicht be-<br />

5<br />

Anmerkung <strong>de</strong>s Herausgebers: Lei<strong>de</strong>r war es uns nicht möglich, auch eine Darstellung <strong>de</strong>r »Christlichen<br />

Versammlung« in unser Buch aufzunehmen. Herr Oberlandwirtschaftsrat i. R. Otto Müller, (16) Dillenburg,<br />

Hollerstraße 4, an <strong>de</strong>n ich mich dieserhalb gewandt hatte, teilte mir unter <strong>de</strong>m 23. Mai 1952 mit:<br />

»… Lei<strong>de</strong>r kann ich aber in voller Übereinstimmung mit <strong>de</strong>n von Ihnen als ›Christliche Versammlung‹<br />

angesprochenen Christen Ihrem Wunsche nach einer Darstellung <strong>de</strong>r von uns vertretenen Glaubenslehren<br />

für Ihr Buch nicht entsprechen, ohne damit zugleich gegen eine <strong>de</strong>r Grundwahrheiten <strong>de</strong>s christlichen Glaubens,<br />

so wie wir diese erkannt haben, zu verstoßen, nämlich gegen die von <strong>de</strong>r Einheit <strong>de</strong>s Leibes Christi.«<br />

Was er mir zunächst zu meiner persönlichen Orientierung über die Einstellung <strong>de</strong>r »Christlichen Versammlung«<br />

schrieb, darf mit seiner ausdrücklichen Genehmigung hier auszugsweise wie<strong>de</strong>rgegeben wer<strong>de</strong>n:<br />

»Wir halten auf das entschie<strong>de</strong>nste an all <strong>de</strong>n Grundlagen <strong>de</strong>s christlichen Glaubens fest, wie dieser uns


KURT KARRENBERG: DER FREIE BRÜDERKREIS 12<br />

kannt. Ein Schriften<strong>de</strong>pot befin<strong>de</strong>t sich bei Richard Mohnke, Hückeswagen (Rhld.). Monatsschrift:<br />

»Ermunterung und Ermahnung«.<br />

2. Die noch im »Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemein<strong>de</strong>n« stehen<strong>de</strong>n Versammlungen<br />

<strong>de</strong>s ehemaligen »Bun<strong>de</strong>s freikirchlicher Christen« (siehe Seite 163ff.).<br />

3. <strong>Der</strong> »<strong>Freie</strong> <strong>Brü<strong>de</strong>rkreis</strong>«. Dieser aus <strong>de</strong>m »Bund« ausgetretene, aber die brü<strong>de</strong>rliche<br />

Verbindung mit ihm halten<strong>de</strong> Teil <strong>de</strong>r »Brü<strong>de</strong>rbewegung« hat, wie die »Christliche<br />

in <strong>de</strong>r Heiligen Schrift, <strong>de</strong>m Worte Gottes, als <strong>de</strong>r für unseren Glauben und unser praktisches Leben allein<br />

gültigen Autorität geoffenbart ist …« [280] (Es folgt eine summarische Darlegung gemeinchristlicher Glaubenswahrheiten.<br />

Dann heißt es weiter:)<br />

»Alle diese Grundlagen <strong>de</strong>s christlichen, lebendigen Glaubens halten wir gemeinsam mit vielen an<strong>de</strong>ren<br />

bibelgläubigen Christen innerhalb <strong>de</strong>r Freikirchen und Gemeinschaften fest, und in geistlicher Verbun<strong>de</strong>nheit<br />

erkennen wir alle solche Christen, in welchem Gemeinschaftskreis und unter welcher Benennung<br />

sie auch gefun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n, als wahre Christen und Glie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Leibes Christi an, sofern sie durch die Gna<strong>de</strong><br />

Gottes und die Wirksamkeit <strong>de</strong>s ihnen gegebenen Heiligen Geistes in Wahrheit und von Herzen an diesen<br />

eben genannten Grundlagen <strong>de</strong>s christlichen Glaubens festhalten. Wir lieben solche als Brü<strong>de</strong>r und Schwestern<br />

von Herzen, ungeachtet <strong>de</strong>ssen, ob sie im übrigen mit uns <strong>de</strong>n gleichen Weg gehen und dieselbe Erkenntnis<br />

haben.<br />

Aber an diese Erkenntnis knüpft sich für uns noch eine weitere christliche Grundwahrheit: die von <strong>de</strong>r<br />

Einheit <strong>de</strong>s Leibes Christi und damit von <strong>de</strong>r Einheit <strong>de</strong>r Kirche …« (Als Belege wer<strong>de</strong>n 1. Kor. 12, 27;<br />

1. Kor. 12, 13; Joh. 17, 21 angeführt.)<br />

»Auch diese christliche Wahrheit wird zwar theoretisch ebenfalls von allen bibelgläubigen Christen<br />

festgehalten, aber lei<strong>de</strong>r praktisch nur sehr wenig verwirklicht. Das Festhalten dieser Wahrheit aber, daß<br />

<strong>de</strong>r Herr <strong>de</strong>r Kirche selber die durch Ihn bewirkte Einheit aller wahren Kin<strong>de</strong>r Gottes will, schließt nach<br />

unserer Erkenntnis je<strong>de</strong>n ›Kreis‹, je<strong>de</strong> ›Gemeinschaft‹, je<strong>de</strong> ›Son<strong>de</strong>rkirche‹, je<strong>de</strong> ›Sekte‹, die als solche von<br />

an<strong>de</strong>ren lebendigen Christen abgetrennt und unterschie<strong>de</strong>n ist, aus. Auch eine nur für einzelne Tage o<strong>de</strong>r<br />

Wochen im Jahre wirksame sogenannte Allianz ist in Wirklichkeit doch nur Scheineinheit, weil sie die unbiblische<br />

Zerrissenheit <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r Gottes nicht dauernd beseitigt; sie täuscht nur für kurze Zeit darüber<br />

hinweg.<br />

Deshalb erkennen wir aus Gehorsam gegen Gottes Wort und <strong>de</strong>n uns in <strong>de</strong>mselben <strong>de</strong>utlich genug<br />

geoffenbarten Willen <strong>de</strong>s Herrn <strong>de</strong>r Kirche unter <strong>de</strong>n an Ihn Glauben<strong>de</strong>n nur eine Kirche an, nämlich <strong>de</strong>n<br />

eben gekennzeichneten Leib Christi, die Behausung Gottes im Geiste (Eph. 2, 22). Wir lehnen daher je<strong>de</strong><br />

nur geschichtlich gewor<strong>de</strong>ne Kirche und je<strong>de</strong>s über die klaren und ein<strong>de</strong>utigen Lehren <strong>de</strong>r Heiligen Schrift<br />

hinaus- [281] gehen<strong>de</strong> Son<strong>de</strong>rbekenntnis ab, ebenso alle menschlichen Organisationen und Bün<strong>de</strong> und Benennungen,<br />

die uns von an<strong>de</strong>ren echten, aus Gott geborenen Christen unterschei<strong>de</strong>n und damit doch nur<br />

trennen wür<strong>de</strong>n. Uns genügt daher <strong>de</strong>r biblisch bezeugte Name ›Christ‹ und die Anre<strong>de</strong> ›Bru<strong>de</strong>r‹, ungeachtet<br />

<strong>de</strong>ssen, wie an<strong>de</strong>re uns bezeichnen mögen.<br />

Wir versammeln uns nach <strong>de</strong>r Weise <strong>de</strong>r ersten Christen zur Erbauung in <strong>de</strong>r Lehre <strong>de</strong>r Apostel, zur<br />

praktischen Betätigung <strong>de</strong>r Gemeinschaft, zum Brechen <strong>de</strong>s Brotes und zum Gebet (Apg. 2, 42). In <strong>de</strong>m<br />

Bewußtsein, daß unser Bürgertum droben und unsere Berufung himmlischer Art ist (Hebr. 3, 1), suchen<br />

wir, ›was droben ist, wo Christus ist‹ (Kol. 3, 1), und erkennen die Verpflichtung, uns auf <strong>de</strong>r Höhe dieser<br />

himmlischen Berufung zu bewegen (Eph. 4, 1), wenn wir bei allem auch viel Schwachheit und Versagen<br />

bekennen müssen. Wenn aber jemand offensichtlich nicht <strong>de</strong>m entspricht, was einem lebendigen Christen<br />

geziemt, sei es in Sachen <strong>de</strong>r Moral o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Glaubens, so halten wir uns von einem solchen getrennt. Entsprechend<br />

<strong>de</strong>r himmlischen Berufung <strong>de</strong>s Christen enthalten wir uns auch <strong>de</strong>r Vergnügungen und Lustbarkeiten<br />

dieser Welt und mischen uns nicht in ihre Hän<strong>de</strong>l. Wir sind unterwürfig <strong>de</strong>n Obrigkeiten als von<br />

Gott eingesetzt (Röm. 13, 1f.), es sei <strong>de</strong>nn, daß sie etwas von uns verlangen wür<strong>de</strong>n, was <strong>de</strong>m Willen<br />

Gottes und Christi ausdrücklich zuwi<strong>de</strong>rläuft (Apg. 5, 29 und 4, 19. 20).<br />

Die Zahl <strong>de</strong>rer, die im In- und Ausland seit etwa 120 Jahren mit uns diesen Weg gehen, können wir<br />

nicht angeben, weil wir uns in <strong>de</strong>m Wunsche, vor Gott <strong>de</strong>mütig und gering zu bleiben, nicht zählen.<br />

Sie wer<strong>de</strong>n nach <strong>de</strong>m Gesagten verstehen, wenn wir unter Hinweis auf obige Grundwahrheit von <strong>de</strong>r<br />

einen Kirche und <strong>de</strong>m einen Leibe (Eph. 4, 4) nicht in <strong>de</strong>r Lage sind, Ihrem Wunsche zu entsprechen. Wir<br />

sind vielmehr <strong>de</strong>r Überzeugung, daß wir in <strong>de</strong>m von Ihnen beabsichtigten Buche über die <strong>de</strong>utschen Freikirchen<br />

keinen Platz fin<strong>de</strong>n können, weil wir eben keine Freikirche (neben an<strong>de</strong>ren) sind und uns auch<br />

nicht als eine beson<strong>de</strong>re christliche Gemeinschaft betrachten …«


KURT KARRENBERG: DER FREIE BRÜDERKREIS 13<br />

Versammlung«, keine Leitung und keine Zentrale. Korrespon<strong>de</strong>nzstellen befin<strong>de</strong>n sich<br />

bei: Hugo Hartnack, Betzdorf (Sieg), Martin-Luther-Straße 4, und Verwaltungsamtmann<br />

Walter Schmidt, Nie<strong>de</strong>rschel<strong>de</strong>n (Sieg), Adolfstraße 50. Die »Kasse für das Werk <strong>de</strong>s<br />

Herrn« ist bei Ernst H. Birk, Bischoffen über Herborn/Dillkreis. Die »<strong>Freie</strong>n Brü<strong>de</strong>r«<br />

unterhalten mehrere Missionszelte und Missionswagen. Diese arbeiten unter <strong>de</strong>r Bezeichnung<br />

»Zeltmission zur Verbreitung biblischen Evangeliums« e. V., Wuppertal. Kor- [281]<br />

respon<strong>de</strong>nzstelle: Hans Platte, Wuppertal-Barmen, Zur Scheuren 6. Konferenzorte sind<br />

u. a. Wermelskirchen und Wuppertal-Barmen; nahestehen<strong>de</strong>r Verlag ist die Christliche<br />

Verlagsgesellschaft m. b. H., Dillenburg (Herausgabe <strong>de</strong>r Zeitschriften »Freund <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r«,<br />

»Gute Botschaft <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns« und <strong>de</strong>r weitverbreiteten Dillenburger Kalen<strong>de</strong>r).<br />

Folgen<strong>de</strong> Einrichtungen, die alle einen eigenen Rechtsstatus haben, wer<strong>de</strong>n vom<br />

»Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemein<strong>de</strong>n« und von <strong>de</strong>r überwiegen<strong>de</strong>n Mehrheit <strong>de</strong>r<br />

<strong>Freie</strong>n Brü<strong>de</strong>r versammlungen [sic] gemeinsam getragen: Stiftung Christliches Erholungsheim<br />

»Westerwald«, Rehe über Rennerod; Missionshaus Bibelschule, Wie<strong>de</strong>nest (Bez.<br />

Köln); »Kin<strong>de</strong>rheimat«, Plettenberg-Oesterau; Diakonissenmutterhaus »Persis«, Wuppertal;<br />

Altersheim »Frie<strong>de</strong>nshort«, Wuppertal-Ronsdorf; Altersheim Crivitz (Mecklenburg);<br />

Christliche Pflegeanstalt, Aue bei Schmalkal<strong>de</strong>n.<br />

<strong>Der</strong> Verlag R. Brockhaus, Wuppertal, <strong>de</strong>r die Zeitschriften »Die Botschaft«, »Tenne«<br />

und »Samenkörner« herausgibt, will <strong>de</strong>n unter 2. und 3. genannten <strong>Brü<strong>de</strong>rkreis</strong>en dienen.<br />

[282] LITERATUR<br />

N. L. Noel: The History of the Brethren. Verlag W. F. Knapp, Denver (Colorado, USA), 1936. – W. G.<br />

Turner: John Nelson Darby. Verlag R. Müller-Kersting, Huttwil/Bern (Schweiz), 1928. – Gustav Ischebeck:<br />

John Nelson Darby, seine Zeit und sein Werk. Bun<strong>de</strong>s-Verlag, Witten (Ruhr), 1929. – Dr. Hans Becker: Die<br />

Wahrheit über <strong>de</strong>n B. f. C. Verlag R. Brockhaus, Elberfeld, 1937. – J. N. Darby: Ein Brief über die Brü<strong>de</strong>r,<br />

ihre Lehre usw. Verlag R. Brockhaus, Elberfeld, 1926. – Generalleutnant Georg von Viebahn: Was ich bei<br />

<strong>de</strong>n Christen gefun<strong>de</strong>n habe, die sich nur im Namen Jesu versammeln. Selbstverlag. – C. H. Mackintosh, H.<br />

Rossier, J. N. Darby u. a.: Betrachtungen über das Wort Gottes. Verlag R. Brockhaus, Elberfeld. – Dr. Emil<br />

Dönges: Was bald geschehen muß. Christliche Verlagsgesellschaft, Dillenburg, 1959. – Andrew Miller:<br />

Geschichte <strong>de</strong>r christlichen Kirche. Verlag R. Brockhaus, Elberfeld, 1886.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!