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Friedrich Kaiser<br />

<strong>Ist</strong> <strong>die</strong> <strong>sogenannte</strong><br />

<strong>Versammlung</strong> (darbystische)<br />

in ihren Lehren und<br />

Einrichtungen biblisch?<br />

<strong>brue<strong>de</strong>rbewegung</strong> .<strong>de</strong>


Zeichengetreuer Abdruck <strong>de</strong>s Originals. Sperrdruck <strong>de</strong>r Vorlage ist durch<br />

Kursivdruck, Antiqua durch Groteskschrift wie<strong>de</strong>rgegeben. Die Seitenzahlen<br />

<strong>de</strong>s Originals sind in eckigen Klammern und kleinerer Schrift<br />

eingefügt. Korrekturen <strong>de</strong>s Herausgebers sind ebenfalls durch eckige<br />

Klammern gekennzeichnet.<br />

© <strong>die</strong>ser Ausgabe: 2003 <strong>brue<strong>de</strong>rbewegung</strong>.<strong>de</strong><br />

Texterfassung und Satz: Michael Schnei<strong>de</strong>r<br />

Veröffentlicht im Internet unter<br />

http://www.<strong>brue<strong>de</strong>rbewegung</strong>.<strong>de</strong>/pdf/kaiser.pdf<br />

<strong>brue<strong>de</strong>rbewegung</strong> .<strong>de</strong>


<strong>Ist</strong> <strong>die</strong> <strong>sogenannte</strong> <strong>Versammlung</strong><br />

(darbystische) in ihren Lehren und<br />

X Einrichtungen biblisch? Z<br />

von<br />

Friedrich Kaiser<br />

Bonn 1911<br />

Kommissionsverlag von Johannes Schergens


Viele Anhänger <strong>de</strong>r <strong>sogenannte</strong>n <strong>Versammlung</strong>en halten es für eine ihrer Hauptaufgaben,<br />

Gläubige aus an<strong>de</strong>ren christlichen Kreisen durch mündliche und schriftliche Belehrung<br />

und Einwirkung aufs Gewissen zu überzeugen, daß sie <strong>de</strong>n völligen Gehorsam<br />

gegen <strong>die</strong> Wahrheit erst dann beweisen und ihren richtigen Platz einnehmen, wenn sie<br />

sich von allen gegenwärtigen Kirchen- und Gemeinschaftssystemen trennen und ihnen,<br />

d. h. ihrer <strong>Versammlung</strong> beitreten. Wie <strong>die</strong> Erfahrung gelehrt, hat <strong>die</strong>se Art <strong>de</strong>r Werbung<br />

sowohl in Deutschland, wie auch in England, Amerika und an<strong>de</strong>ren Län<strong>de</strong>rn viel Reiberei<br />

und Zerrissenheit angerichtet; liebe Gotteskin<strong>de</strong>r, <strong>die</strong> jahrelang innig miteinan<strong>de</strong>r verbun<strong>de</strong>n<br />

gewesen waren und Gemeinschaft im Heiligen Geist gepflegt und das Werk <strong>de</strong>s Herrn<br />

gemeinsam getrieben hatten, sind dadurch so getrennt wor<strong>de</strong>n, daß sie später oft fremd,<br />

und hie und da sogar feindlich einan<strong>de</strong>r gegenüberstan<strong>de</strong>n, und <strong>die</strong> gesegnete Arbeit,<br />

welche bis dahin gemeinschaftlich getan wor<strong>de</strong>n war, konnte infolge<strong>de</strong>ssen meistens nicht<br />

for[t]gesetzt wer<strong>de</strong>n, o<strong>de</strong>r wur<strong>de</strong> doch in ihrer Entwicklung vielfach gehemmt.<br />

Es will einem nicht einleuchten, daß eine Agitation mit solch betrüben<strong>de</strong>n Folgen nach<br />

<strong>de</strong>m Willen Gottes sein könnte, und man muß unwillkürlich fragen: Steht <strong>de</strong>nn <strong>die</strong> <strong>sogenannte</strong><br />

<strong>Versammlung</strong>, was ihre Son<strong>de</strong>rlehren und Einrichtungen angeht, wirklich auf<br />

<strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s göttlichen Wortes? Obwohl <strong>die</strong> Anhänger <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong> immer wie<strong>de</strong>r<br />

betonen, daß sie allein »<strong>die</strong> Wahrheit« haben, so sind wir auf Grund ihrer Schriften, <strong>die</strong><br />

ihre Lehren enthalten, wie aus mündlichen [4] Unterredungen mit ihnen doch nicht davon<br />

überzeugt wor<strong>de</strong>n, daß <strong>de</strong>m so ist. Es liegt uns ferne, <strong>die</strong> <strong>Versammlung</strong> mit »Adventisten«,<br />

<strong>de</strong>n <strong>sogenannte</strong>n »Apostolischen«, »Tagesanbruchsleuten« usw. auf eine Linie zu<br />

stellen. Nein, es gibt liebe Gotteskin<strong>de</strong>r unter ihnen, <strong>de</strong>ren Herzensanliegen es ist, <strong>de</strong>m<br />

Herrn zu leben. Zu <strong>de</strong>n fundamentalen Heilslehren nimmt <strong>die</strong> <strong>Versammlung</strong> ja fast <strong>die</strong>selbe<br />

Stellung ein, wie alle wahren Gläubigen an<strong>de</strong>rer Benennungen. In ihren Son<strong>de</strong>rlehren<br />

irrt sie freilich und stört dadurch vielfach das christliche Gemeinschaftsleben. Darum legt<br />

es sich uns nahe, das Verkehrte an <strong>de</strong>r Hand <strong>de</strong>r Heiligen Schrift kurz zu beleuchten.<br />

1. Es ist nicht recht, daß sich <strong>die</strong>se Gemeinschaft <strong>de</strong>n Namen »<strong>die</strong> <strong>Versammlung</strong>« o<strong>de</strong>r<br />

»<strong>die</strong> <strong>Versammlung</strong> Gottes« beilegt.<br />

a) Die <strong>Versammlung</strong> ist <strong>die</strong> Gemein<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> Gottes. Im Grundtext steht für<br />

<strong>die</strong>se bei<strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen <strong>de</strong>utschen Ausdrücke ein und dasselbe Wort (ecclesia). Zu<br />

<strong>die</strong>ser <strong>Versammlung</strong> o<strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong>, <strong>die</strong> auch <strong>de</strong>r Leib Christi, Tempel und Haus Gottes<br />

genannt wird (Col. 1, 18, 24; Eph. 4, 12; I. Kor. 3, 16; Eph. 2, 21; I. Tim 3, 15) gehören<br />

aber nicht nur <strong>die</strong> Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r <strong>sogenannte</strong>n <strong>Versammlung</strong>, son<strong>de</strong>rn alle wahren Christen,<br />

»<strong>die</strong> in einem Geist zu einem Leibe getauft wur<strong>de</strong>n«; <strong>die</strong> <strong>Versammlung</strong> bil<strong>de</strong>t aber<br />

vielleicht nicht einmal <strong>de</strong>n fünfhun<strong>de</strong>rtsten Teil von <strong>die</strong>sen, und <strong>de</strong>shalb ist es unrecht und<br />

nicht nach <strong>de</strong>r Wahrheit, wenn sie sich als »<strong>die</strong> <strong>Versammlung</strong>« bezeichnet; <strong>de</strong>nn sie ist in<br />

Wirklichkeit nur ein sehr kleiner Teil von <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong> o<strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> Gottes.<br />

b) Das Wort »<strong>Versammlung</strong>« drückt <strong>de</strong>n Sinn <strong>de</strong>s griechischen Wortes ecclesia in<br />

seiner neutestamentlichen Be<strong>de</strong>utung nicht entsprechend aus. Eine <strong>Versammlung</strong> ist da,<br />

wo eine Anzahl Leute (viele o<strong>de</strong>r wenige) zu einem bestimmten Zweck zusammen kom-


FRIEDRICH KAISER: IST DIE SOGENANNTE VERSAMMLUNG … BIBLISCH? 5<br />

men; gehen sie auseinan<strong>de</strong>r, dann ist <strong>die</strong> <strong>Versammlung</strong> aus. Die neutestamentliche ecclesia<br />

[5] besteht in<strong>de</strong>s aus Leuten, <strong>die</strong> durch <strong>de</strong>n Glauben an Christum aus <strong>de</strong>m Welt- und<br />

Sün<strong>de</strong>nwesen errettet und in Jesu, ihrem Haupte, zu einer Geisteseinheit vereinigt sind,<br />

<strong>die</strong> auch bei äußerer Trennung noch fortbesteht (vgl. Kol. 2, 4; I. Kor. 5, 3). Für <strong>die</strong>ses<br />

Verhältnis ist in <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Sprache das Wort »Gemein<strong>de</strong>« <strong>de</strong>r passendste Ausdruck.<br />

In <strong>de</strong>m Begriff »<strong>Versammlung</strong>« steht mehr ein äußeres Moment im Vor<strong>de</strong>rgrun<strong>de</strong>. Und es<br />

ist nicht zu verkennen, daß sich bei <strong>de</strong>r in Re<strong>de</strong> stehen<strong>de</strong>n Gemeinschaft ein ziemlich<br />

starker Zug zu Aeußerlichkeiten fin<strong>de</strong>t. Von äußerlicher Trennung und Stellungnahme<br />

hängt bei ihr sehr viel ab.<br />

2. Die <strong>sogenannte</strong> <strong>Versammlung</strong> weicht von <strong>de</strong>n biblischen Linien ab, in<strong>de</strong>m sie für alle<br />

Gotteskin<strong>de</strong>r eine äußere <strong>Versammlung</strong>s- und Bekenntniseinheit lehrt.<br />

In einem Heft, betitelt: »Die Grundwahrheiten <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong> Gottes« (Verlag R.<br />

Brockhaus-Elberfeld) heißt es S. 30ff.: »Die Schrift weiß nichts von <strong>de</strong>r Mitgliedschaft<br />

einer Kirche, son<strong>de</strong>rn kennt nur <strong>die</strong> Mitgliedschaft <strong>de</strong>r Kirche. Wie ist es dagegen in unseren<br />

Tagen? Gehört man <strong>de</strong>r einen Religionsgemeinschaft an, so ist man selbstre<strong>de</strong>nd von<br />

je<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren getrennt.« In einer an<strong>de</strong>ren Broschüre aus <strong>de</strong>mselben Verlag (Die Kirche<br />

nach <strong>de</strong>n Gedanken Gottes) lesen wir S. 8ff.: »Zur Zeit <strong>de</strong>r Apostel bil<strong>de</strong>ten <strong>die</strong> an einem<br />

Ort befindlichen Gläubigen nur eine <strong>Versammlung</strong> … noch gab es keine Parteien mit<br />

ihren voneinan<strong>de</strong>r abweichen<strong>de</strong>n Bekenntnissen und Formen; Parteien, von <strong>de</strong>nen je<strong>de</strong><br />

einzelne <strong>die</strong> wahre Kirche zu sein, sich anmaßte.« S. 46 in an<strong>de</strong>rem Zusammenhang: »Ja,<br />

es gibt einen solchen Sammelpunkt, aber auch nur einen.« In einem Schriftchen »Nehemia<br />

o<strong>de</strong>r das Bauen <strong>de</strong>r Mauer« wird S. 10 gesagt: »Könnten wir <strong>die</strong> Wahrheit, daß es nur<br />

einen Gott gibt, annehmen und zugleich das Dasein <strong>de</strong>r Götter <strong>de</strong>r Hei<strong>de</strong>n zugeben?<br />

Ebensowenig können wir uns zu <strong>de</strong>r Wahrheit von <strong>de</strong>m einen Leibe bekennen und zu<br />

gleicher Zeit <strong>die</strong> verschie<strong>de</strong>nen Körper- [6] schaften und Benennungen inmitten <strong>de</strong>r Christenheit<br />

anerkennen.« Eine Menge an<strong>de</strong>rer Stellen ähnlichen Inhalts aus <strong>die</strong>sen und an<strong>de</strong>ren<br />

Broschüren aus <strong>de</strong>m genannten Verlag könnten noch hier hergesetzt wer<strong>de</strong>n. Mit<br />

unmißverständlichen Worten wird in <strong>de</strong>n angeführten Zitaten ausgesprochen, daß sich <strong>die</strong><br />

Einheit aller Gläubigen auf Er<strong>de</strong>n (<strong>de</strong>s Leibes Christi), äußerlich in einer Kirche o<strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong><br />

mit ein und <strong>de</strong>nselben Formen, Bekenntnissen usw. darstellen soll und zwar,<br />

weil sie sich in <strong>de</strong>r Apostelzeit auch so dargestellt haben. Das ist aber unrichtig; <strong>de</strong>nn <strong>die</strong><br />

Gemein<strong>de</strong> Gottes war in <strong>de</strong>n Tagen <strong>de</strong>r Apostel keine einheitliche äußere Körperschaft<br />

mit bis ins einzelne hineingehen<strong>de</strong>n gleichen Formen und Bekenntnissen. Die ju<strong>de</strong>nchristlichen<br />

Gemein<strong>de</strong>n in Judäa hielten in jener Zeit das mosaische Gesetz, hatten <strong>die</strong> Beschneidung,<br />

opferten, nahmen Gelüb<strong>de</strong> auf sich, beobachteten <strong>die</strong> alttestamentlichen<br />

Reinigungs- und Speisegesetze (S. Apg. 21, 19–26; 15, 1; 16, 3; 18, 18; 11, 3; 10, 9–14,<br />

28). Die Gemein<strong>de</strong>n in Syrien, Kleinasien, Mazedonien, Achaja usw., <strong>die</strong> einen hei<strong>de</strong>nchristlichen<br />

Charakter hatten, stan<strong>de</strong>n in<strong>de</strong>s <strong>de</strong>m Gesetz gegenüber frei, achteten sich<br />

nicht daran gebun<strong>de</strong>n; sie hatten sich nur zu bewahren vor <strong>de</strong>r Hurerei, <strong>de</strong>m Götzenopfer,<br />

<strong>de</strong>m Erstickten und <strong>de</strong>m Blut (Apg. 15, 29; 21, 25). Ein Teil <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>nchristen hielt<br />

nicht einmal eine Tischgemeinschaft mit <strong>de</strong>n Hei<strong>de</strong>nchristen für zulässig (Apg. 11, 3; Gal.<br />

2, 11 und 12).<br />

Wie kann man nun sagen, daß bei <strong>die</strong>sen Unterschie<strong>de</strong>n <strong>die</strong> <strong>Versammlung</strong> o<strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong><br />

eine einheitliche äußere Körperschaft gebil<strong>de</strong>t habe? Nein, <strong>die</strong> ju<strong>de</strong>n- und hei<strong>de</strong>nchristlichen<br />

Gemein<strong>de</strong>n im apostolischen Zeitalter waren sich, von außen betrachtet, nicht<br />

mehr einig, wie es <strong>die</strong> lan<strong>de</strong>skirchlichen Gemeinschaften, <strong>die</strong> Presbyterianer, In<strong>de</strong>pen<strong>de</strong>nten,<br />

Baptisten und Methodisten untereinan<strong>de</strong>r sind; im allgemeinen vielleicht nicht einmal


FRIEDRICH KAISER: IST DIE SOGENANNTE VERSAMMLUNG … BIBLISCH? 6<br />

so viel. Ungeachtet <strong>de</strong>ssen waren sie innerlich eins. Ihre Einheit bestand in einem gemeinsamen<br />

Glaubens- und Liebesleben, in <strong>de</strong>r Gesinnung, überhaupt in einem höheren Geistesleben,<br />

das allen Gläubigen von Gott <strong>de</strong>m Vater in [7] <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rgeburt mitgeteilt<br />

wird. Paulus sagt: »Denn wir sind in einem Geist alle zu einem Leibe getauft« (I. Kor. 12,<br />

13); <strong>die</strong> an Jesum gläubigen Ju<strong>de</strong>n waren mit <strong>de</strong>n Gläubigen aus <strong>de</strong>n Hei<strong>de</strong>n eins; in<br />

Christo zu einem neuen Menschen geschaffen (Eph. 2, 13 u. 14); bil<strong>de</strong>ten einen Leib (3,<br />

6), eine geistliche Einheit (4, 3). »Hier ist kein Ju<strong>de</strong> noch Grieche; <strong>de</strong>nn ihr seid allzumal<br />

einer in Christo Jesu« (Gal. 3, 28). Alle Gotteskin<strong>de</strong>r haben <strong>die</strong> Aufgabe, <strong>die</strong> unter ihnen<br />

vorhan<strong>de</strong>ne Geisteseinigkeit zu bewahren, und sich gegenseitig zu tragen und zu lieben,<br />

wie Jesus sie geliebt hat (Joh. 13, 34; Gal. 6, 2). Aber davon, daß sie eine äußere Bekenntnis-<br />

und <strong>Versammlung</strong>seinheit erstreben sollen, lehrt <strong>die</strong> Heilige Schrift nichts.<br />

In <strong>de</strong>r Apostelzeit haben alle <strong>die</strong> Gläubigen an einem Ort auch nicht immer eine äußere<br />

<strong>Versammlung</strong> o<strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> gebil<strong>de</strong>t. In Rom war neben <strong>de</strong>r eigentlichen Gemein<strong>de</strong><br />

auch noch eine Hausgemein<strong>de</strong> (Röm. 16, 5), ebenso in Ephesus(?) (I. Kor. 16, 19), Laodizäa<br />

(Kol. 4, 15) und Kolossä (Philemon 2; Kol. 4, 17). Daraus geht hervor, daß <strong>die</strong> Gotteskin<strong>de</strong>r<br />

an einem Ort sich in zwei o<strong>de</strong>r mehreren <strong>Versammlung</strong>en, <strong>die</strong> alle etwas verschie<strong>de</strong>n<br />

voneinan<strong>de</strong>r sind, teilen können. Aus Röm. 16 ergibt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit,<br />

daß in Rom neben <strong>de</strong>r eigentlichen Gemein<strong>de</strong> und <strong>de</strong>r Hausgemein<strong>de</strong> von<br />

Priszilla und Aquila, noch verschie<strong>de</strong>ne an<strong>de</strong>re Gruppen gläubiger Leute waren, von<br />

<strong>de</strong>nen je<strong>de</strong> ihre beson<strong>de</strong>re Zusammenkünfte usw. hatte (siehe V. 14 u. 15). Wir sehen<br />

nach <strong>de</strong>r Schrift keinen Grund dafür, warum an einem Ort (beson<strong>de</strong>rs einem größeren)<br />

nicht zwei o<strong>de</strong>r mehrere <strong>Versammlung</strong>en mit etwas voneinan<strong>de</strong>r abweichen<strong>de</strong>n Formen<br />

sein sollten. Die Hauptsache ist, daß <strong>die</strong> Einigkeit im Geist bewahrt wird. – Die Anhänger<br />

<strong>de</strong>r <strong>sogenannte</strong>n <strong>Versammlung</strong> machens ähnlich wie <strong>die</strong> Jünger, als sie <strong>de</strong>m wehrten, <strong>de</strong>r<br />

im Namen Jesu <strong>die</strong> Teufel austrieb, weil er nicht mit ihnen zusammen <strong>de</strong>m Herrn nachfolgte<br />

(Luc. 9, 49); aber Jesus sagte zu ihnen: »Wehret ihm nicht, <strong>de</strong>nn wer nicht wi<strong>de</strong>r<br />

uns ist, <strong>de</strong>r ist für uns« (V. 50). Damit spricht <strong>de</strong>r Herr aus, [8] daß bei einem äußeren<br />

Auseinan<strong>de</strong>rgehen, doch ein inneres Vereinigtsein und Zusammenwirken möglich ist.<br />

Daß Paulus wenig Gewicht auf äußere Formen und Uebereinstimmung in <strong>de</strong>rselben<br />

gelegt hat, beweist <strong>de</strong>r Umstand, daß er Timotheus beschnitt um <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n willen (Apg.<br />

16, 3), sein Haupt beschor zu Kenchreä (Apg. 18, 18) und das Gelüb<strong>de</strong> auf sich nahm zu<br />

Jerusalem (Apg. 21, 22–26); man solle meinen, als Hei<strong>de</strong>napostel, <strong>de</strong>r da lehrte, daß für<br />

<strong>die</strong> Gläubigen in Christo das Gesetz erfüllt und abgetan sei (Röm. 6, 15; 7, 4; 10, 14),<br />

habe er das nicht tun dürfen. Ich hörte einmal, wie ein Bru<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r jahrelang in <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong><br />

mit <strong>de</strong>m Wort ge<strong>die</strong>nt hatte, auch sagte, <strong>de</strong>r Apostel habe hier gefehlt. Freilich<br />

kann man ein solches Verhalten <strong>de</strong>s Apostels mit <strong>de</strong>n Grundsätzen <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong><br />

nicht gut vereinigen. Allein hätte <strong>de</strong>r Apostel hier in eigenem Geiste gehan<strong>de</strong>lt und geirrt,<br />

so müßte das um <strong>de</strong>r Wahrheit willen in <strong>de</strong>r Apostelgeschichte o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Briefen, <strong>die</strong> er<br />

später von Rom aus geschrieben hat, ange<strong>de</strong>utet sein. Die Fehler von Moses, David, Petrus,<br />

Barnabas usw. verhehlt <strong>die</strong> Heilige Schrift doch nicht (IV. Moses 20, 12; II. Sam. 12;<br />

Mt. 26, 70; Gal. 2, 11–14). Warum <strong>de</strong>nn <strong>die</strong> <strong>de</strong>s Paulus? Die Fehler <strong>de</strong>s Apostels lägen<br />

dann auch auf einer Linie, und zwar in ziemlich be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n Zeitabstän<strong>de</strong>n; das gera<strong>de</strong><br />

macht sie unverzeihlicher und kann nicht gut mit <strong>de</strong>r apostolischen Wür<strong>de</strong> in Einklang<br />

gebracht wer<strong>de</strong>n. Wenn jemand dreimal hintereinan<strong>de</strong>r nach längeren Zwischenpausen in<br />

ein und <strong>de</strong>rselben Sache <strong>de</strong>n gleichen Fehler macht, so büßt er nicht allein viel ein von<br />

seinem Ansehen, son<strong>de</strong>rn man kann ihm auch in gewisser Hinsicht nicht mehr recht vertrauen.<br />

Wir müssen es darum verneinen, daß <strong>de</strong>r Apostel hier gefehlt hat und können sein<br />

Verhalten nur als ein vor Gott korrektes ansehen. Er han<strong>de</strong>lte nach <strong>de</strong>m Grundsatz <strong>de</strong>r<br />

evangelischen Freiheit, wonach man in Christo Jesu frei ist vom Gesetz und seinen ver-


FRIEDRICH KAISER: IST DIE SOGENANNTE VERSAMMLUNG … BIBLISCH? 7<br />

schie<strong>de</strong>nen Bestimmungen, und als ein Freier sich auch wie<strong>de</strong>r darunter stellen kann;<br />

d. h., sofern es gut und nötig ist (wie in <strong>de</strong>n vorliegen<strong>de</strong>n Fällen), und <strong>de</strong>r Sache <strong>de</strong>s<br />

Herrn damit [9] ge<strong>die</strong>nt wird. Der ju<strong>de</strong>nchristlichen Gemein<strong>de</strong>, <strong>die</strong> mit <strong>de</strong>r hei<strong>de</strong>nchristlichen<br />

auf <strong>de</strong>mselben Heilsbo<strong>de</strong>n stand, sich aber nach außen sehr verschie<strong>de</strong>n von ihr<br />

darstellte, in an<strong>de</strong>ren Formen usw., in<strong>de</strong>m man das alttestamentliche Gesetz in ihr beobachtete,<br />

hat Paulus durch sein Verhalten <strong>die</strong> Existenzberechtigung neben <strong>de</strong>r hei<strong>de</strong>nchristlichen<br />

zuerkannt, und somit weicht er von <strong>de</strong>r in Re<strong>de</strong> stehen<strong>de</strong>n <strong>Versammlung</strong><br />

bezüglich <strong>de</strong>r Auffassung von einer äußeren Kirchen- und <strong>Versammlung</strong>seinheit, in welcher<br />

sich <strong>die</strong> Einheit <strong>de</strong>s Leibes Christi darstellen soll, sehr ab.<br />

Die übrigen Apostel, Petrus, Johannes, Jakobus usw. legen ebenso wie Paulus das<br />

Hauptgewicht auf <strong>die</strong> Glaubens-, Geistes- und Lebensgemeinschaft <strong>de</strong>r Gotteskin<strong>de</strong>r (siehe<br />

Apg. 15, 13; II. Pet. 1, 1; I. Joh. 5, 1 u. a.). Bei <strong>de</strong>r Einigkeit, um <strong>die</strong> <strong>de</strong>r Herr im hohenpriesterlichen<br />

Gebet (Joh. 17, 23) für seine Jünger bittet, haben wir vor allem an <strong>die</strong><br />

innere Seite <strong>de</strong>r Sache zu <strong>de</strong>nken. Die äußere Einheit <strong>de</strong>s Christentums in Formen und<br />

Einrichtungen liefert <strong>de</strong>r Welt noch keinen Beweis dafür, daß <strong>de</strong>r Vater <strong>de</strong>n Sohn in sie<br />

gesandt hat und <strong>die</strong> Seinigen liebt, wie Jesum selbst; jedoch wird <strong>die</strong> Welt hiervon überzeugt,<br />

wenn sich <strong>die</strong> Gotteskin<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nsten Gemeinschaften und Benennungen<br />

trotz <strong>de</strong>r äußeren Verschie<strong>de</strong>nheiten innerlich nahestehen, einan<strong>de</strong>r <strong>die</strong>nen und lieben.<br />

Daß eine äußere Einheit in <strong>die</strong>ser Beziehung kein Zeugnis für <strong>die</strong> Welt ist, das lehrt uns<br />

zur Genüge, <strong>die</strong> nach außen so groß und einig dastehen<strong>de</strong> römische Kirche. Ja sogar weltliche<br />

Organisationen, Vereine usw. können sich durch gemeinsame I<strong>de</strong>en usw. äußerlich<br />

schön einig zeigen, ohne <strong>de</strong>n Geist Christi.<br />

In <strong>de</strong>r Apostelgeschichte sehen wir zwar eine Bewegung von <strong>de</strong>r ju<strong>de</strong>nchristlichen<br />

Gemein<strong>de</strong> zur Hei<strong>de</strong>nwelt und damit auch zur hei<strong>de</strong>nchristlichen Gemein<strong>de</strong>, aber daß<br />

jene endlich in <strong>die</strong>ser aufgehen und <strong>die</strong>selben Formen und Einrichtungen wie sie haben<br />

müsse, davon erwähnt <strong>die</strong> Schrift nichts. Die Apostel wußten, daß <strong>de</strong>r Tempel zerstört<br />

wer<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>, aber daß dann, wenn <strong>die</strong>s geschehe, alle jüdischen Gottes<strong>die</strong>nst- [10] formen<br />

verschwin<strong>de</strong>n müßten, das lehren sie nicht. Ihr Ziel ist: <strong>die</strong> Harmonie einer höheren<br />

Lebenseinheit, <strong>die</strong> durch äußere Verschie<strong>de</strong>nheiten und Gegensätze nicht gestört wird<br />

(Röm. 15, 5 u. 6; Phil. 2, 2).<br />

Die hei<strong>de</strong>nchristlichen Gemein<strong>de</strong>n waren, was Aeußerlichkeiten anbelangt, einan<strong>de</strong>r<br />

nicht einmal völlig gleich. In Ephesus, Antiochien, Lystra, Ikonien wer<strong>de</strong>n <strong>die</strong> Gemein<strong>de</strong>leiter<br />

»Aelteste« genannt, in Philippi »Bischöfe« und »Diakonen« (Phil. 1, 1), in Thessalonich<br />

»Vorsteher« (I. Thess. 5, 12); also überall etwas an<strong>de</strong>rs. In Kenchreä ist eine Diakonissin<br />

(Röm. 16, 1). Die Apostel richten ihre Briefe allgemein an <strong>die</strong> Brü<strong>de</strong>r, <strong>die</strong> Heiligen<br />

usw. In <strong>de</strong>n Sendschreiben, <strong>die</strong> alle verschie<strong>de</strong>n voneinan<strong>de</strong>r sind, wen<strong>de</strong>t sich <strong>de</strong>r Herr<br />

an <strong>de</strong>n Vorsteher <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong>. (Siehe <strong>die</strong> Grüße in <strong>de</strong>n apostolischen Briefen und in <strong>de</strong>r<br />

Offenbarung.) Wie sehr weicht <strong>de</strong>r Hebräerbrief und <strong>de</strong>r I. Johannesbrief in Bezug auf<br />

<strong>de</strong>n Eingang, <strong>die</strong> Ausdrucksweise und Gedankenentwicklung ab von <strong>de</strong>m Römerbriefe,<br />

<strong>de</strong>n Korintherbriefen usw.<br />

Die apostolischen Belehrungen, Ermahnungen usw. sind gar nicht nach einem Schema,<br />

son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>n jeweiligen Verhältnissen und Zustän<strong>de</strong>n entsprechend; <strong>die</strong> Anordnung <strong>de</strong>s<br />

Stoffes in <strong>de</strong>n Re<strong>de</strong>n, <strong>die</strong> Ausführung <strong>de</strong>r Gedanken, Betonung, Stil usw., alles ist verschie<strong>de</strong>n.<br />

Wir sehen also <strong>de</strong>utlich, daß in <strong>de</strong>r apostolischen Zeit keine äußere <strong>Versammlung</strong>s-,<br />

Formen- und Bekenntniseinheit, wie sie <strong>die</strong> in Re<strong>de</strong> stehen<strong>de</strong> Gemeinschaft will, bestand,<br />

und aus <strong>de</strong>m Grun<strong>de</strong> wird und kann sie auch heute nicht sein. Und fast keine an<strong>de</strong>re<br />

christliche Gemeinschaft hat so sehr <strong>de</strong>n Beweis geliefert, daß sich eine äußere <strong>Versammlung</strong>seinheit<br />

nicht herstellen läßt, wie gera<strong>de</strong> <strong>die</strong> <strong>sogenannte</strong> <strong>Versammlung</strong>. In <strong>de</strong>n 70–80


FRIEDRICH KAISER: IST DIE SOGENANNTE VERSAMMLUNG … BIBLISCH? 8<br />

Jahren ihres Bestehens hat sie sich (namentlich in England) in eine Menge von Gruppen<br />

und Abteilungen gespaltet, von <strong>de</strong>nen eine je<strong>de</strong> behauptet, <strong>die</strong> rechte <strong>Versammlung</strong> zu<br />

sein; meistens stehen sich <strong>die</strong>se Kreise feindlich gegenüber, betrachten einan<strong>de</strong>r als ausgeschlossen<br />

usw.<br />

Wir wollen aber auf Grund <strong>de</strong>r vorhin erwähnten [11] Verschie<strong>de</strong>nheit in <strong>de</strong>r apostolischen<br />

Zeit nun nicht sagen, daß alle <strong>die</strong> jetzigen Kirchen und Gemeinschaften als nach<br />

<strong>de</strong>r Schrift richtig stehend anzuerkennen wären; nein das sei ferne! In<strong>de</strong>s alle <strong>die</strong> Gemein<strong>de</strong>n<br />

und Gemeinschaften, in welchen man sich gemäß <strong>de</strong>r empfangenen Belehrung, Erziehung,<br />

Erkenntnis usw. nach <strong>de</strong>m ganzen göttlichen Worte richtet, und in <strong>de</strong>nen <strong>die</strong> innere<br />

Seite <strong>de</strong>s Christentums das äußere, <strong>die</strong> Formen usw. überwiegt, so daß Jesus <strong>de</strong>r Mittelpunkt<br />

von allem ist und Seine Gna<strong>de</strong> verherrlicht wird, haben Existenzberechtigung; <strong>de</strong>nn<br />

sie versammeln sich bei ihren Zusammenkünften im Namen <strong>de</strong>s Herrn, wie sie auch heißen,<br />

und was für Einrichtungen sie auch sonst haben mögen. Das geht unzwei<strong>de</strong>utig aus<br />

<strong>de</strong>n Verschie<strong>de</strong>nheiten in <strong>de</strong>n apostolischen Gemein<strong>de</strong>n und aus <strong>de</strong>r ganzen Heiligen<br />

Schrift hervor.<br />

Die verkehrte Auffassung von <strong>de</strong>r äußeren Einheit, wie sie <strong>die</strong> <strong>Versammlung</strong> lehrt,<br />

wurzelt in einer einseitigen, unrichtigen Bibelauslegung. In <strong>de</strong>m Büchlein »Die Grundwahrheiten<br />

<strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong>« soll von S. 24ff. und in <strong>de</strong>m »Die Kirche nach <strong>de</strong>n Gedanken<br />

Gottes« von S. 4ff. nachgewiesen wer<strong>de</strong>n, daß man nur dann <strong>de</strong>n rechten Platz einnimmt,<br />

wenn man so zusammenkommt wie <strong>die</strong> <strong>Versammlung</strong>, aber an Belegen aus <strong>de</strong>r<br />

Schrift fehlts. Eine Menge Behauptungen, welche <strong>die</strong> Son<strong>de</strong>rlehren enthalten, wer<strong>de</strong>n<br />

ohne biblische Begründung aneinan<strong>de</strong>rgereiht, zwar unter Hinzufügung einiger Schriftstellen<br />

(Mt. 16, 18; Apg. 2, 47; I. Kor. 12, 13; Joh. 11, 52; Eph. 4, 4–6; Mt. 18, 20 usw.);<br />

aber ein genaues Eingehen auf <strong>de</strong>n Wortsinn und <strong>de</strong>n ganzen Zusammenhang vermißt<br />

man. Dann sind <strong>die</strong> Ausführungen auch nicht frei von groben Wi<strong>de</strong>rsprüchen und starken<br />

Uebertreibungen. So heißt es z. B. in <strong>de</strong>r Schrift: »Die Kirche nach <strong>de</strong>n Gedanken Gottes«<br />

auf S. 9: »Noch (in <strong>de</strong>r Apostelzeit) gab es keine Parteien mit ihren voneinan<strong>de</strong>r abweichen<strong>de</strong>n<br />

Bekenntnissen und Formen.« S. 18 lesen wir dann: »Schon in Korinth zeigten <strong>die</strong><br />

ersten Keime kirchlicher Spaltung das Unkraut.« Seite 27: »War es <strong>de</strong>r wohlgefällige<br />

Wille Gottes, daß <strong>die</strong> <strong>Versammlung</strong> <strong>de</strong>r Korinther, nach <strong>de</strong>m ein [12] Zusammengehen<br />

aller Glie<strong>de</strong>r zur Unmöglichkeit gewor<strong>de</strong>n war, sich in einzelne Parteien auflöse?« Man<br />

kann es kaum für möglich halten, daß solch einan<strong>de</strong>r wi<strong>de</strong>rsprechen<strong>de</strong> Behauptungen von<br />

einem Verfasser sein sollen und sich zusammen in einer kleinen Broschüre von 60 Seiten<br />

fin<strong>de</strong>n! In Korinth waren in <strong>de</strong>r Apostelzeit Parteien, mit voneinan<strong>de</strong>r abweichen<strong>de</strong>n<br />

Bekenntnissen. Denn einer sagt: »Ich bin Paulisch«; <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re aber: »Ich bin Apollisch«<br />

(I. Kor. 3, 4). S. I. Kor. 11, 18, 19. Mithin ist <strong>die</strong> auf S. 9 in <strong>de</strong>m genannten Büchlein ausgesprochene<br />

Behauptung, wonach es in <strong>de</strong>r Apostelzeit noch keine Parteien mit voneinan<strong>de</strong>r<br />

abweichen<strong>de</strong>n Formen und Bekenntnissen gegeben habe, einfach nicht wahr. In <strong>de</strong>r<br />

Schrift »Die Grundwahrheiten <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong> Gottes« heißt es S. 64: »Das Apostelamt<br />

<strong>de</strong>s Paulus war in je<strong>de</strong>r Beziehung ein außergewöhnliches … es riß <strong>die</strong> jüdischen Formen<br />

und Ordnungen vollständig nie<strong>de</strong>r.« Das entspricht ebenfalls <strong>de</strong>n Tatsachen nicht. Obwohl<br />

Paulus lehrte, daß in Christo Freiheit vom Gesetz sei und man nicht durchs Gesetz selig<br />

wer<strong>de</strong>n könne (Gal. 2, 16; 5, 1–6), so ließ er für <strong>die</strong> Ju<strong>de</strong>n-Christen <strong>die</strong> jüdischen Formen<br />

und Ordnungen doch ruhig bestehen; sogar konnte er sich selbst zeitweise darunterstellen,<br />

er ging ja in <strong>de</strong>n Tempel (Apg. 21, 26), lehrte in <strong>de</strong>n Synagogen (18, 4), beschnitt <strong>de</strong>n<br />

Timotheus (16, 3), übernahm Gelüb<strong>de</strong> (18, 18), opferte usw. (21, 26). Siehe oben. – In<br />

<strong>de</strong>m Hefte: »Die Kirche nach <strong>de</strong>n Gedanken Gottes« wer<strong>de</strong>n auf S. 23ff. <strong>die</strong> verschie<strong>de</strong>nen<br />

Allianzunternehmungen, Kirchen, Gemein<strong>de</strong>n und Gemeinschaften in einer oberflächlichen<br />

Weise beurteilt und abgetan. Man kann nun nicht verstehen, wie Leute, <strong>die</strong>


FRIEDRICH KAISER: IST DIE SOGENANNTE VERSAMMLUNG … BIBLISCH? 9<br />

vorgeben, im beson<strong>de</strong>rn <strong>die</strong> Wahrheit zu vertreten, <strong>de</strong>rartiges tun können. Wer <strong>die</strong> Wahrheit<br />

will, <strong>de</strong>r muß mit <strong>de</strong>r größten Sorgfalt suchen, alles an seinen richtigen Platz zu bringen<br />

und je<strong>de</strong>m gerecht zu wer<strong>de</strong>n.<br />

Dann liebt es <strong>die</strong> in Re<strong>de</strong> stehen<strong>de</strong> Gemeinschaft an alttestamentliche[n] Einrichtungen<br />

(Stiftshütte, Altar, Opfer, Tempel, Bauen <strong>de</strong>r Mauer usw.) zu zeigen, wie <strong>die</strong> <strong>Versammlung</strong><br />

o<strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> Gottes sein soll. Darin offenbart sich auch [13] eine Schwäche<br />

ihrer Auslegungsweise (vgl. unter an<strong>de</strong>rem Nehemia o<strong>de</strong>r das Bauen <strong>de</strong>r Mauer). Der alte<br />

Bund mit seinen Einrichtungen ist an sich unvollkommen (Hebr. 8, 7, 13), bereitet <strong>de</strong>n<br />

neuen vor und schattet ihn ab. Dieser ist <strong>die</strong> Erfüllung <strong>de</strong>s alten. Darum können wir auch<br />

nur aus <strong>de</strong>n Re<strong>de</strong>n Jesu, <strong>de</strong>r Apostelgeschichte und <strong>de</strong>n apostolischen Briefen bestimmt<br />

feststellen, wie sich <strong>die</strong> Gemein<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong> darstellen soll, und über <strong>de</strong>n Rahmen,<br />

<strong>de</strong>r sich hier ergibt, darf man bei <strong>de</strong>r Deutung alttestamentlicher Vorbil<strong>de</strong>r nicht<br />

hinausgehen. In <strong>die</strong>sen Beziehungen nehmen es jedoch <strong>die</strong> Bibelausleger <strong>de</strong>r <strong>sogenannte</strong>n<br />

<strong>Versammlung</strong> nicht sehr genau; sie allegorisieren und legen häufig in <strong>de</strong>n Text hinein, was<br />

er gar nicht enthält, und dabei betonen sie feierlich, daß ihre Auslegungen und Deutungen<br />

<strong>die</strong> Wahrheit sind, während in Wirklichkeit vieles davon nur Menschenmeinung ist.<br />

3. Es ist Unrecht, daß <strong>die</strong>se <strong>Versammlung</strong> behauptet, sie allein käme nur im Namen <strong>de</strong>s<br />

Herrn zusammen und nähme <strong>de</strong>n richtigen Platz ein.<br />

Wie kommt <strong>die</strong> <strong>Versammlung</strong> zu <strong>de</strong>r Annahme, daß nur bei ihr allein <strong>de</strong>r richtige<br />

Platz sei? Sie sagt: In <strong>de</strong>r Apostelzeit gab es »nur eine Kirche, über <strong>de</strong>ren Pforten <strong>die</strong><br />

göttliche Inschrift <strong>de</strong>r Einheit noch nicht verwischt war«, aber <strong>de</strong>r Mensch hat, verblen<strong>de</strong>t<br />

und geleitet durch <strong>de</strong>n Fürsten <strong>de</strong>r Finsternis, ihre Tore auch <strong>de</strong>n Weltkin<strong>de</strong>rn und allerlei<br />

Irrtümern, <strong>de</strong>m Aber- und Unglauben usw. geöffnet und <strong>die</strong> weitgehendsten Rechte in ihr<br />

eingeräumt, und dadurch hat sie <strong>de</strong>n wahren Charakter verloren; das Band <strong>de</strong>r Einheit ist<br />

zerrissen; es sind Parteien entstan<strong>de</strong>n, von <strong>de</strong>nen eine je<strong>de</strong> behauptet, <strong>die</strong> richtige zu sein;<br />

auf <strong>die</strong>se Weise ist sie zu einer Trümmerstätte gewor<strong>de</strong>n. Jedoch als <strong>die</strong> berufene Kirche<br />

bleibt sie trotz ihres Verfalls verantwortlich und auch bis zur Entrückung <strong>de</strong>r Gläubigen<br />

bestehen, wo sie dann vom Herrn ausgespien wird. Eine Wie<strong>de</strong>rherstellung <strong>de</strong>r Kirche in<br />

ihrem [14] ursprünglichen Zustand ist damit unmöglich. Je<strong>de</strong>r Versuch in <strong>die</strong>ser Hinsicht,<br />

ob er von Gläubigen o<strong>de</strong>r Ungläubigen gemacht wird, ist anmaßend und töricht. Die<br />

Gläubigen bleiben mit <strong>de</strong>r gefallenen Kirche, sofern sie in ihrer Verantwortlichkeit auf<br />

Er<strong>de</strong>n in Betracht kommt, in Verbindung; allein von allem kirchlich Bösen, <strong>de</strong>n menschlichen<br />

Einrichtungen, religiösen Systemen, Parteien und Benennungen, ob gläubige o<strong>de</strong>r<br />

ungläubige, müssen sie sich trennen und fernhalten. Gemein<strong>de</strong>n einzurichten, wie in <strong>de</strong>r<br />

Apostelzeit, Prediger zu berufen, Aelteste usw. zu wählen, ist verkehrt. Das einzig Richtige<br />

für alle wahren Christen in <strong>de</strong>r gegenwärtigen Zeit ist, daß sie sich ohne eine beson<strong>de</strong>re<br />

Form einfach im Namen <strong>de</strong>s Herrn versammeln. Alle Gotteskin<strong>de</strong>r, welche <strong>die</strong>s erkennen<br />

und tun, nehmen <strong>de</strong>n richtigen Platz ein. – Diese Behauptungen fin<strong>de</strong>n sich in <strong>de</strong>n<br />

oben erwähnten Broschüren aus <strong>de</strong>m Verlag von R. Brockhaus.<br />

Die Belegstellen aus <strong>de</strong>r Schrift, welche <strong>die</strong>se Auffassung stützen sollen, sind für <strong>de</strong>n<br />

kirchlichen Verfall im allgemeinen: II. Thess. 2, 3; I. Tim. 4, 1; II. Tim. 3, 1ff.; Judä 4ff.;<br />

Offenbarung 2 und 3; dafür, daß <strong>die</strong> Kirche trotz ihres Verfalls als bekennen<strong>de</strong> und verantwortliche<br />

Kirche auf Er<strong>de</strong>n bis zur Wie<strong>de</strong>rkunft Christi weiter besteht und nicht wie<strong>de</strong>r<br />

hergestellt wer<strong>de</strong>n kann, wie in <strong>de</strong>r Apostelzeit, <strong>die</strong> Gläubigen sich von allem kirchlich<br />

Bösen trennen und nur im Namen Jesu zusammenkommen sollen und dabei doch mit <strong>de</strong>r<br />

Kirche nach <strong>de</strong>r Seite ihrer Verantwortlichkeit in Verbindung bleiben, Offenbarung Joh.<br />

2–3 (<strong>die</strong> Sendschreiben); II. Tim 2, 20, 21.


FRIEDRICH KAISER: IST DIE SOGENANNTE VERSAMMLUNG … BIBLISCH? 10<br />

Nach <strong>de</strong>m Heftchen »Die Kirche nach <strong>de</strong>n Gedanken Gottes« und »Die Geschichte<br />

<strong>de</strong>r christlichen Kirche« von Miller Bd. I S. 3–13 geben uns <strong>die</strong> sieben Gemein<strong>de</strong>n in Offenbarung<br />

Joh. 2 und 3 ein Bild <strong>de</strong>r bekennen<strong>de</strong>n Kirche auf Er<strong>de</strong>n und zwar von Anfang<br />

bis zu En<strong>de</strong>. Ephesus stellt <strong>die</strong> Kirche von <strong>de</strong>r Apostelzeit bis En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 2. Jahrhun<strong>de</strong>rts<br />

dar; Smyrna <strong>die</strong> Verfolgungszeit unter <strong>de</strong>n römischen Kaisern; Pergamus <strong>die</strong> Erhebung<br />

<strong>de</strong>s Christentums zur Staatsreligion durch Kaiser Konstantin im Anfang <strong>de</strong>s 4. Jahrhun<strong>de</strong>rts;<br />

[15] Thyatira <strong>die</strong> Papstkirche <strong>de</strong>s Mittelalters; Sar<strong>de</strong>s <strong>die</strong> Reformationskirche; Phila<strong>de</strong>lphia<br />

<strong>die</strong> Abson<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Gläubigen, eines schwachen Ueberrestes, in unserer Zeit bis<br />

zur Wie<strong>de</strong>rkunft Christi; Laodizäa <strong>die</strong> Kirche am En<strong>de</strong> in ihrem äußersten Verfall. Der<br />

ganze kirchengeschichtliche Verlauf geht in unabän<strong>de</strong>rlicher Weise abwärts; Christus ist<br />

nicht als Haupt- und Segensquelle unter <strong>de</strong>n sieben Gemein<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn nur als Richter.<br />

Darum ist es auch töricht und ganz vergeblich und gegen <strong>die</strong> Gedanken Gottes, wenn man<br />

heute <strong>die</strong> Kirche wie<strong>de</strong>r herstellen und einrichten will mit Vorstehern, Aeltesten usw. wie<br />

in <strong>de</strong>n Tagen <strong>de</strong>r Apostel.<br />

Was läßt sich gegen <strong>die</strong>se Auffassung sagen?<br />

1. In <strong>de</strong>r Apostelzeit ist <strong>die</strong> kirchliche Einheit gar nicht so, wie <strong>die</strong> <strong>Versammlung</strong> sie<br />

lehrt, vorhan<strong>de</strong>n gewesen. Vgl. <strong>de</strong>n vorigen Abschnitt.<br />

2. Die Schrift re<strong>de</strong>t zwar in <strong>de</strong>n angeführten Stellen von einem Abfall in <strong>de</strong>r Christenheit,<br />

namentlich in <strong>de</strong>r letzten Zeit, aber auch nicht in <strong>de</strong>r Weise, wie es in <strong>de</strong>n oben erwähnten<br />

Schriften geschieht. Die Worte, <strong>die</strong> hier so häufig vorkommen und zur Bezeichnung<br />

von Hauptbegriffen <strong>die</strong>nen, wie Kirche, bekennen<strong>de</strong> Kirche; Verfall <strong>de</strong>r Kirche,<br />

kirchlich Böse, religiöse Systeme; richtiger Platz; zweiter Tisch usw. kennt <strong>die</strong> Heilige<br />

Schrift gar nicht. Freilich kann man auch biblische Wahrheiten in Ausdrücken wie<strong>de</strong>rgeben,<br />

welche sich in Gotteswort nicht fin<strong>de</strong>n; allein wenn man behauptet, wie <strong>die</strong> <strong>Versammlung</strong><br />

es tut, so ausschließlich auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r biblischen Wahrheit zu stehen,<br />

dann sollte man sich auch son<strong>de</strong>rlich da, wo es sich um Hauptpunkte han<strong>de</strong>lt, an <strong>de</strong>n<br />

Wortlaut <strong>de</strong>r Bibel halten. Ich habe wie<strong>de</strong>rholt <strong>die</strong> Wahrnehmung gemacht, daß <strong>die</strong> Brü<strong>de</strong>r<br />

von <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong>, <strong>die</strong> für ihre Gemeinschaft werben wollten, meistens schnell<br />

<strong>de</strong>n Rückzug antreten mußten, wenn man mit ihnen in <strong>die</strong> Schrift ging. Denn <strong>die</strong> Worte<br />

und Ausdrucksweisen, welche sie bei <strong>de</strong>r Begründung ihrer Son<strong>de</strong>rstellung gebrauchten,<br />

waren nicht in ihr zu fin<strong>de</strong>n.<br />

3. Aus <strong>de</strong>n Sendschreiben (Offenbarung 2 und 3) und [16] II. Tim. 2, 20 und <strong>de</strong>n übrigen<br />

Schriftstellen läßt sich keineswegs beweisen, daß <strong>die</strong> Gläubigen in unseren Tagen nur<br />

dann <strong>de</strong>n richtigen Platz einnehmen, wenn sie so zusammenkommen und sich einrichten,<br />

wie <strong>die</strong> <strong>Versammlung</strong>. Die Auslegungen über <strong>die</strong>se Stellen, wie man sie in <strong>de</strong>n Schriften<br />

aus <strong>de</strong>m Verlag von R. Brockhaus liest, erweisen sich bei einer gründlichen, gewissenhaften<br />

Untersuchung <strong>de</strong>s Textes als unhaltbar.<br />

Daß <strong>die</strong> Sendschreiben mit ihren Schil<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Zustän<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n<br />

sieben Gemein<strong>de</strong>n prophetischen Charakter haben, bedarf keiner Frage. Die sieben Gemein<strong>de</strong>n<br />

waren aber in <strong>de</strong>r Apostelzeit, als Johannes noch lebte, wirklich vorhan<strong>de</strong>n; also<br />

Pergamus-, Thyatira-, Sar<strong>de</strong>s- und Laodizäazustän<strong>de</strong>.<br />

Wenn <strong>die</strong>se verschie<strong>de</strong>nen Gemein<strong>de</strong>- o<strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong>szustän<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r ersten Zeit<br />

<strong>de</strong>r Christenheit nebeneinan<strong>de</strong>r existierten, dann ergibt sich daraus, daß Ephesus <strong>die</strong>se<br />

erste Perio<strong>de</strong> nicht bestimmt repräsentieren kann, und ebensowenig können Pergamus,<br />

Sar<strong>de</strong>s und Laodizäa usw., <strong>die</strong> alle örtliche, voneinan<strong>de</strong>r unabhängige und verhältnismäßig<br />

kleine Gemein<strong>de</strong>n mit apostolischer Einrichtung waren, ein <strong>de</strong>utliches Spiegelbild<br />

von aufeinan<strong>de</strong>r folgen<strong>de</strong>n Perio<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r großen kirchengeschichtlichen Entwicklung vom<br />

4. Jahrhun<strong>de</strong>rt ab bis in unsere Tage sein. Es kann sich hier höchstens nur um eine Abschattung<br />

etlicher Züge in groben Umrissen han<strong>de</strong>ln. – Die sieben Sendschreiben sind


FRIEDRICH KAISER: IST DIE SOGENANNTE VERSAMMLUNG … BIBLISCH? 11<br />

zunächst an <strong>die</strong> sieben Gemein<strong>de</strong>n in Kleinasien gerichtet, aber im weiteren auch für alle<br />

Zeiten bestimmt; in ihrer Zusammenfassung zeigen sie uns, wie auf <strong>de</strong>m christlichen Gemein<strong>de</strong>bo<strong>de</strong>n,<br />

sei es aus <strong>de</strong>m Samen <strong>de</strong>s göttlichen Wortes o<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>m Samen <strong>de</strong>s Bösen,<br />

<strong>die</strong> verschie<strong>de</strong>nsten Zustän<strong>de</strong> hervorwachsen und zur Erscheinung kommen können.<br />

Die <strong>sogenannte</strong> <strong>Versammlung</strong> lehrt, daß <strong>die</strong> Sendschreiben eine <strong>de</strong>utliche prophetische<br />

Schil<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s kirchlichen Nie<strong>de</strong>rgangs enthalten, bei <strong>de</strong>m <strong>die</strong> wahren Gläubigen<br />

sich nicht mehr als Gemein<strong>de</strong>n nach apostolischem Vorbild zusammen- [17] schließen<br />

dürfen, son<strong>de</strong>rn sich nur einfach im Namen <strong>de</strong>s Herrn versammeln sollen, und <strong>die</strong>se Auffassung<br />

machte man zum Standpunkt, von <strong>de</strong>m aus <strong>die</strong> ganze kirchengeschichtliche Entwicklung<br />

angesehen und beurteilt wird (vgl. Millers Kirchengeschichte). Wenn wir aber<br />

<strong>die</strong> Sendschreiben einer eingehen<strong>de</strong>n Betrachtung unterziehen und alle einzelnen Momente<br />

in <strong>de</strong>nselben richtig zusammenfassen, so müssen wir sagen: Die Auffassung, wie sie <strong>die</strong><br />

<strong>Versammlung</strong> hat, stimmt nicht mit <strong>de</strong>m Text <strong>de</strong>r Sendschreiben überein, und darum kann<br />

sie nicht richtig sein. – Weil an <strong>die</strong> Gemein<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>nen sich <strong>die</strong> Schä<strong>de</strong>n fin<strong>de</strong>n, <strong>die</strong><br />

Auffor<strong>de</strong>rung ergeht, Buße zu tun, umzukehren, <strong>die</strong> ersten Werke zu tun usw. (S. 2, 4, 5,<br />

15, 20; 3, 3, 18ff.), so können <strong>die</strong>selben kein bestimmtes Bild eines unbedingt fortschreiten<strong>de</strong>n<br />

Verfalls <strong>de</strong>r Kirche bis zum äußersten abgeben; wenn <strong>die</strong> Mahnung zur Umkehr<br />

<strong>die</strong> rechte Beachtung fand, was <strong>de</strong>r Herr je<strong>de</strong>nfalls sehr wünschte, so mußte eine Entwicklung<br />

zum Bessern eintreten. Und wenn <strong>de</strong>r Herr <strong>die</strong> verkehrtstehen<strong>de</strong>n Gemein<strong>de</strong>n<br />

auffor<strong>de</strong>rt zur Buße usw., und er Laodizäa <strong>de</strong>n Rat gibt, durchläutertes Gold, weiße Klei<strong>de</strong>r<br />

und Augensalbe von ihm zu kaufen, so muß er nicht nur als Richter, son<strong>de</strong>rn auch als<br />

Segensquelle inmitten <strong>de</strong>r sieben Gemein<strong>de</strong>n sein; <strong>de</strong>nn ohne seine Segnungen ist we<strong>de</strong>r<br />

wirkliche Buße noch ein richtiges Erwerben <strong>de</strong>r Heilsgüter möglich. Daraus, daß in Pergamus,<br />

Thyatira und Sar<strong>de</strong>s wahre Christen mit solchen, <strong>die</strong> nur ein Schein- und Namenchristentum<br />

haben, zusammen sind und Laodizäa trotz seines traurigen geistlichen Zustan<strong>de</strong>s<br />

<strong>de</strong>n Namen Gemein<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong> behält, kann man nicht <strong>de</strong>n Schluß<br />

ziehen, daß <strong>die</strong> Gläubigen <strong>de</strong>r nachapostolischen Zeiten und bis zur Wie<strong>de</strong>rkunft Christi<br />

so mit <strong>de</strong>r verfallenen Kirche in Verbindung bleiben, daß sie keine Gemein<strong>de</strong>n, wie sie in<br />

<strong>de</strong>r Apostelzeit waren, einrichten dürfen. Die Gemein<strong>de</strong>n in Offenbarung 2 und 3 waren<br />

alle Lokalgemein<strong>de</strong>n und voneinan<strong>de</strong>r unabhängig mit apostolischer Einrichtung. Wie<br />

verschie<strong>de</strong>n von ihnen ist <strong>de</strong>r große Kirchenkörper mit seinen vielen Kirchen, Gemein<strong>de</strong>n<br />

usw., wie er sich vom 4. Jahrhun<strong>de</strong>rt ab unter [18] staatlicher Leitung durch menschliche,<br />

weltliche Einwirkungen entwickelt hat. Dort haben wir ganz an<strong>de</strong>re Verhältnisse als hier,<br />

und <strong>de</strong>shalb ist <strong>die</strong> Schlußfolgerung, welche <strong>die</strong> Schriftausleger <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong> hier<br />

machen, unrichtig.<br />

Da <strong>de</strong>r Herr bei <strong>de</strong>n in Betracht kommen<strong>de</strong>n Gemein<strong>de</strong>n (Offbg. 2–3), <strong>die</strong> an und für<br />

sich biblisch eingerichtet waren, <strong>die</strong> vorhan<strong>de</strong>nen innern Schä<strong>de</strong>n und verkehrten Zustän<strong>de</strong><br />

heilen und heben wollte (vgl. <strong>die</strong> Auffor<strong>de</strong>rung zur Buße usw. 2, 5, 15, 21; 3, 3, 18<br />

und 19), so lag keine Veranlassung für <strong>die</strong> besser stehen<strong>de</strong>n Glie<strong>de</strong>r vor, daß sie sich von<br />

<strong>de</strong>m vorhan<strong>de</strong>nen Gemein<strong>de</strong>verband lösten, zumal sie auch je<strong>de</strong>nfalls selbst nicht davon<br />

überzeugt gewesen sind, daß sie an ihren traurigen Gemein<strong>de</strong>verhältnissen gar keine<br />

Schuld hätten. Daniel sagt: »Wir haben gesündigt« (Daniel 9, 5). – Aber mit <strong>die</strong>ser Verbindung<br />

ist nicht im min<strong>de</strong>sten eine An<strong>de</strong>utung dahin gegeben, daß <strong>die</strong> Gläubigen in spätern<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rten bis zur Wie<strong>de</strong>rkunft Christi an ein großes Kirchenganze geknüpft sind,<br />

das sie an einer biblischen Gemein<strong>de</strong>einrichtung hin<strong>de</strong>rt. Aus <strong>de</strong>n apostolischen Briefen,<br />

wie aus <strong>de</strong>n Sendschreiben selbst geht <strong>de</strong>utlich hervor, daß je<strong>de</strong> Gemein<strong>de</strong> unabhängig ist<br />

von <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rn und selbständig zu han<strong>de</strong>ln hat, ihren Verhältnissen und Zustän<strong>de</strong>n gemäß.<br />

Von einer kirchlichen Verbindung zwischen Ephesus, Smyrna, Pergamus usw. lesen<br />

wir nichts. – Die vorgefaßte Meinung von einer äußeren Kirchen- und <strong>Versammlung</strong>sein-


FRIEDRICH KAISER: IST DIE SOGENANNTE VERSAMMLUNG … BIBLISCH? 12<br />

heit hats <strong>de</strong>n lieben Brü<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r in Re<strong>de</strong> stehen<strong>de</strong>n Gemeinschaft angetan, daß sie aus<br />

<strong>de</strong>n Sendschreiben etwas herausgelesen haben, was gar nicht darin steht; es fin<strong>de</strong>t sich in<br />

ihnen nicht eine Silbe darüber, daß in <strong>de</strong>n Tagen <strong>de</strong>s kirchlichen Verfalls keine biblischen<br />

Gemein<strong>de</strong>n gegrün<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n dürfen.<br />

Aber »das große Haus« II Tim. 2, 20 und 21 mit <strong>de</strong>n Gefäßen zu Ehren und Unehren,<br />

soll <strong>die</strong> Kirche in ihrem Verfall sein; und <strong>die</strong> Worte, »Wer sich nun reinigt von <strong>die</strong>sen,<br />

wird ein Gefäß sein zu Ehren, geheiligt, <strong>de</strong>m Hausherrn gebräuchlich«, sollen <strong>de</strong>n Sinn<br />

haben, daß <strong>die</strong> Gläubigen sich in <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>s Verfalls beson<strong>de</strong>rs von allem kirchlich [19]<br />

Bösen, allen religiösen Parteien, Systemen usw. trennen müssen und nur allein im Namen<br />

<strong>de</strong>s Herrn zusammenkommen dürfen. Zu <strong>de</strong>n religiösen Parteien wer<strong>de</strong>n auch <strong>die</strong> <strong>Versammlung</strong>en,<br />

Gemein<strong>de</strong>n und Gemeinschaften gerechnet, welche sich biblisch einrichten,<br />

Vorsteher, Aelteste, Prediger usw. wählen. – Wir haben hier wie<strong>de</strong>r eine willkürliche<br />

oberflächliche Auslegung. I Tim. 3, 15 wird <strong>die</strong> Gemein<strong>de</strong> zwar das Haus Gottes genannt,<br />

aber damit ist noch gar nicht gesagt, daß man unter <strong>de</strong>m »großen Hause« II Tim. 2, 20 <strong>die</strong><br />

gefallene Kirche, zu <strong>de</strong>r auch <strong>die</strong> Gläubigen gerechnet wer<strong>de</strong>n, verstehen muß. We<strong>de</strong>r aus<br />

<strong>de</strong>n Worten »großes Haus«, noch aus <strong>de</strong>m Zusammenhang und an<strong>de</strong>rn Bibelstellen geht<br />

hervor, daß es sich hier um <strong>die</strong> Kirche in ihrem Verfall han<strong>de</strong>lt. Das Wort »Kirche«<br />

kommt überhaupt in <strong>de</strong>r Schrift nicht vor. Unsere Stelle sagt nur, daß zweierlei Leute<br />

zusammen wohnen (in einer großen Haushaltung), von <strong>de</strong>nen <strong>die</strong> einen <strong>de</strong>m Hausherrn<br />

zu Ehren und <strong>die</strong> an<strong>de</strong>rn zur Unehre sind. Wir haben hier unstreitig an dasselbe Verhältnis<br />

zu <strong>de</strong>nken, wie wir’s in Mt. 13, 38 fin<strong>de</strong>n; dort sagt <strong>de</strong>r Herr, daß auf <strong>de</strong>m Weltacker<br />

Weizen und Unkraut beisammen sind. Die Welt ist aber nicht <strong>die</strong> Gemein<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r <strong>die</strong><br />

Kirche. Es ist <strong>die</strong> Aufgabe <strong>de</strong>r Gotteskin<strong>de</strong>r, sich von <strong>de</strong>r Welt, d. h., von ihrem sündlichen<br />

Wesen in Wort und Werk, zu reinigen (Jak. 1, 27; II Petr. 1, 4; I Joh. 3, 15ff.; II Kor.<br />

6, 14ff.). Geschieht <strong>die</strong>s, so sind sie geheiligte Gefäße, <strong>de</strong>m Hausherrn gebräuchlich. Weiteres<br />

ist in V. 21 nicht ausgesprochen. Von einer Trennung von kirchlich Bösem und einem<br />

Versammeln im Namen <strong>de</strong>s Herrn, steht in <strong>die</strong>sem Text nichts. Auch <strong>die</strong> Worte V. 22<br />

»<strong>die</strong> anrufen <strong>de</strong>n Namen <strong>de</strong>s Herrn« usw. sagen nichts über <strong>die</strong> Art und Weise <strong>de</strong>s Versammelns.<br />

Es gibt auch sonst keine Bibelstellen, welche <strong>die</strong> Auffassung <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong><br />

in <strong>die</strong>sem Punkt wirklich stützen; und darum muß man sagen: sie ist nichts an<strong>de</strong>rs, als eine<br />

menschliche Meinung.<br />

Bei alle<strong>de</strong>m behaupten viele von <strong>de</strong>n Anhängern <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong>, daß sie allein <strong>die</strong><br />

Wahrheit haben und werfen <strong>de</strong>nen, <strong>die</strong> ihren Ansichten nicht zustimmen, und <strong>die</strong> sich<br />

ver- [20] sammeln nach apostolischer Vorschrift, Anmaßung, Torheit, Parteisucht, Untreue,<br />

Mangel an Demut usw., vor. (Siehe »Die Kirche nach <strong>de</strong>m Gedanken Gottes«,<br />

S. 20ff. und »Die Grundwahrheiten« S. 77ff.) Es ist <strong>de</strong>m Neuen Testament, wie auch <strong>de</strong>m<br />

heiligen Geist, <strong>de</strong>r ein Geist <strong>de</strong>r Freiheit ist (II Kor. 3, 17), gemäß, daß man bei Lehranschauungen<br />

und Punkten, <strong>die</strong> nicht klar aus <strong>de</strong>r heiligen Schrift als allein richtig bewiesen<br />

wer<strong>de</strong>n können, und über <strong>die</strong> bei wahren und bibeltreuen Gotteskin<strong>de</strong>rn voneinan<strong>de</strong>r<br />

abweichen<strong>de</strong> Auffassungen möglich sind, Raum läßt für verschie<strong>de</strong>ne Ansichten. Wie aus<br />

<strong>de</strong>n genannten Schriften hervorgeht, fehlt’s <strong>de</strong>n Brü<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong> in <strong>die</strong>ser Beziehung<br />

am richtigen Blick. Nicht nur verrät ihr Urteil einen Mangel an gründlicher Einsicht<br />

und wirklicher Erkenntnis, son<strong>de</strong>rn man vermißt auch darin das Moment <strong>de</strong>r wohlwollen<strong>de</strong>n<br />

Liebe, <strong>die</strong> gerne Gutes bei an<strong>de</strong>rn sucht und anerkennt, und verstehen lehrt,<br />

daß es nicht auf Torheit, Untreue und Hochmut zurückzuführen ist, wenn mehrere wahre<br />

Christen auf Grund ihrer verschie<strong>de</strong>nartigen Erziehung und mannigfaltigen Belehrung aus<br />

<strong>de</strong>m göttlichen Wort über Kirchen- und <strong>Versammlung</strong>seinrichtungen nicht <strong>die</strong>selben Ansichten<br />

haben. Je<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r <strong>die</strong> <strong>sogenannte</strong>n [sic] <strong>Versammlung</strong> und ihre Lehren weiter nicht<br />

kennen gelernt, son<strong>de</strong>rn sich allein an <strong>de</strong>r Hand <strong>de</strong>r Bibel gebil<strong>de</strong>t hat, wird sicherlich


FRIEDRICH KAISER: IST DIE SOGENANNTE VERSAMMLUNG … BIBLISCH? 13<br />

über <strong>de</strong>n kirchlichen Verfall und das Versammeln <strong>de</strong>r Gläubigen während <strong>de</strong>sselben eine<br />

ganze an<strong>de</strong>re Auffassung haben als <strong>die</strong>se. Wir können es wahrlich nicht an<strong>de</strong>rs als oberflächlich<br />

und lieblos nennen, wenn man, wie es seitens <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong> geschieht, <strong>die</strong><br />

verschie<strong>de</strong>nen christlichen Benennungen, Gemeinschaften und Kreise ohne weiteres mit<br />

<strong>de</strong>n korinthischen Parteien zusammenwirft und sagt, daß sie sich im Namen einer Partei<br />

o<strong>de</strong>r im Namen von Christen versammeln. In Korinth waren <strong>die</strong> verschie<strong>de</strong>nen Parteien<br />

in einer Gemein<strong>de</strong> entstan<strong>de</strong>n und zwar aus fleischlichen Beweggrün<strong>de</strong>n (I Kor. 3, 3).<br />

Sind <strong>die</strong> Pietisten, <strong>die</strong> Herrenhuter, <strong>die</strong> <strong>Versammlung</strong>s- und Gemeinschaftskreise in<br />

Deutschland, und <strong>die</strong> Puritaner, <strong>die</strong> In<strong>de</strong>pen<strong>de</strong>nten, Baptisten, Presbyterianer, Methodisten<br />

usw. in Eng- [21] land und Amerika in ihren Anfängen <strong>die</strong>sen gleich? Nur Unwissen<strong>de</strong><br />

können so etwas behaupten. Je<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r <strong>die</strong> Geschichte <strong>die</strong>ser Gemeinschaften in etwa<br />

kennt, weiß, daß ihre Entstehung in <strong>de</strong>n Verhältnissen begrün<strong>de</strong>t lag, in <strong>de</strong>n Führungen<br />

einzelner von Gott beson<strong>de</strong>rs ausgerüsteter Persönlichkeiten. Die Verschie<strong>de</strong>nheit in <strong>de</strong>r<br />

äußern Darstellung rührt daher, daß sie sich meistens unabhängig voneinan<strong>de</strong>r gebil<strong>de</strong>t<br />

haben. Hier entstand ein Kreis von Gläubigen und in einer an<strong>de</strong>rn Gegend wie<strong>de</strong>r ein<br />

etwas an<strong>de</strong>rer; und manchmal sind Jahre darüber vergangen, ehe <strong>die</strong> verschie<strong>de</strong>nen Kreise<br />

in Berührung miteinan<strong>de</strong>r kamen und sich näher kennen lernten. Darum gleichen <strong>die</strong>se<br />

Gemeinschaften durchaus nicht <strong>de</strong>n korinthischen Parteien. Sie sind hervorgegangen aus<br />

einer tiefgehen<strong>de</strong>n Gewissensüberzeugung und einer unerschütterlichen Treue Gott und<br />

seinem Worte gegenüber und sind ein Segen gewesen für <strong>die</strong> Menschheit; viele von ihnen<br />

haben Gut und Blut geopfert, damit <strong>de</strong>r Welt das Evangelium und <strong>die</strong> Freiheit gebracht<br />

wür<strong>de</strong>, Gott hat sich wun<strong>de</strong>rbar zu ihnen bekannt.<br />

Sie sollen sich aber nun im Namen von Christen, o<strong>de</strong>r einer Partei versammeln. Auf<br />

meinen vielen Reisen im In- und Auslan<strong>de</strong> bin ich bei Konferenzen usw. wie<strong>de</strong>rholt mit<br />

Christen von <strong>de</strong>r ganzen Er<strong>de</strong> zusammengekommen, habe sie re<strong>de</strong>n gehört, mich mit<br />

ihnen unterhalten, <strong>de</strong>n <strong>Versammlung</strong>en und Gottes<strong>die</strong>nsten <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Benennungen<br />

beigewohnt. Ich kann nicht sagen, daß nach meiner Überzeugung alles in Ordnung<br />

und <strong>de</strong>r Schrift gemäß gewesen wäre, nein; aber ich wür<strong>de</strong> lügen, wenn ich sagte, daß ich<br />

auch nur einmal Worte gehört hätte, wie <strong>die</strong>se: Wir danken dir, Herr, daß wir uns im<br />

Namen unsrer Kirche o<strong>de</strong>r Gemeinschaft, <strong>de</strong>r Freien Gemein<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r Baptisten, <strong>de</strong>r Methodisten<br />

usw. versammeln. Wenn sie es selbst nicht sagen, daß sie sich im Namen einer<br />

Partei versammeln, dann darf man auch nicht bestimmt behaupten, daß sie es tun. Der<br />

äußere Name und <strong>die</strong> gottes<strong>die</strong>nstlichen Formen, wie auch <strong>die</strong> Formlosigkeit entschei<strong>de</strong>n<br />

an sich noch nicht darüber, ob eine [22] Gemeinschaft im Namen <strong>de</strong>s Herrn zusammenkommt<br />

o<strong>de</strong>r nicht! Jesus sagt, Mt. 18, 20: »Wo zwei o<strong>de</strong>r drei versammelt sind in meinen<br />

Namen hinein (eis to emon onoma Grundtext), da bin ich in ihrer Mitte.« Demnach han<strong>de</strong>lt<br />

es sich bei <strong>de</strong>m Versammeln im Namen <strong>de</strong>s Herrn, son<strong>de</strong>rlich um <strong>die</strong> innere Herzensrichtung,<br />

um geistliche Armut, ein tiefgehen<strong>de</strong>s Verlangen nach Christo und seinem Heil,<br />

um rechte Dankbarkeit und eine gottergebene Gesinnung. Wo <strong>die</strong>ses alles in Verbindung<br />

mit einer innigen geistlichen Liebe zum Heiland und allen Gotteskin<strong>de</strong>rn vorhan<strong>de</strong>n ist,<br />

da versammelt man sich ohne Zweifel richtig und nimmt <strong>de</strong>n rechten Platz ein. Weil <strong>die</strong><br />

<strong>sogenannte</strong> <strong>Versammlung</strong> für das rechte Zusammenkommen im Namen <strong>de</strong>s Herrn strikte<br />

Trennung von allem kirchlichen Bösen, religiösen Systemen usw. als unerläßliche Bedingung<br />

for<strong>de</strong>rt, und auf <strong>die</strong> innere Seite <strong>de</strong>r Sache verhältnismäßig wenig Gewicht legt, so<br />

kann man sich <strong>de</strong>s Gedankens kaum erwehren, daß es ihr im allgemeinen an wirklichem<br />

Verständnis über das göttliche Gemeinschaftsleben fehlt. Der Kampf <strong>de</strong>s Herrn Jesu mit<br />

<strong>de</strong>n Ju<strong>de</strong>n drehte sich vornehmlich um Aeußerlichkeit und Innerlichkeit, um <strong>die</strong> gottes<strong>die</strong>nstliche<br />

Form und <strong>de</strong>n rechten Herzenszustand (vgl. <strong>die</strong> Bergpredigt [Mt. 5–8; Kap. 23<br />

u. a]); ihm kam’s auf’s letztere und jenen auf’s erstere an. Die <strong>Versammlung</strong> räumt zwar


FRIEDRICH KAISER: IST DIE SOGENANNTE VERSAMMLUNG … BIBLISCH? 14<br />

mit allen gottes<strong>die</strong>nstlichen Formen gründlich auf, jedoch läßt sie dabei <strong>die</strong> inneren Momente<br />

<strong>de</strong>s Christentums zurücktreten und macht dafür <strong>die</strong> Formlosigkeit zu einer Form,<br />

von <strong>de</strong>ren Beobachtung beinahe alles Richtige abhängig ist. Und gera<strong>de</strong> <strong>die</strong>s gibt Anlaß zu<br />

ernsten Be<strong>de</strong>nken. Denn wir sehen hier auch <strong>die</strong> Linie zur Aeußerlichkeit, auf welcher<br />

<strong>de</strong>r Herr gewißlich nicht weit mitgehen wird. Und <strong>die</strong> starre Formlosigkeit hat <strong>die</strong> <strong>Versammlung</strong><br />

in ein religiöses System hineingebracht, wie man es bei keiner an<strong>de</strong>rn christlichen<br />

Gemeinschaft fin<strong>de</strong>t. Ueberall, im In- und Auslan<strong>de</strong>, fin<strong>de</strong>t man in ihr eine Einerleiheit<br />

im Beten, Re<strong>de</strong>n und Gesang, in <strong>de</strong>r Schriftauslegung, <strong>de</strong>r Textbehandlung, <strong>de</strong>r Re<strong>de</strong>weise,<br />

im Gebrauch <strong>de</strong>r Lie<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r Bibelübersetzungen usw., wie sonst nirgends. Ueber<br />

<strong>de</strong>n kirchlichen Ver- [23] fall, das Versammeln im Namen <strong>de</strong>s Herrn, <strong>die</strong> Aemter, das Brotbrechen<br />

usw. herrscht ziemlich eine Meinung. Alles geht nach einem Schema und ist systematisch<br />

geordnet. Ungeachtet <strong>de</strong>ssen ruft <strong>die</strong> <strong>Versammlung</strong> allen christlichen Gemeinschaften<br />

und gläubigen Kreisen immer wie<strong>de</strong>r laut zu: ihr müßt euch losmachen von allen<br />

menschlichen Systemen und uns gleich wer<strong>de</strong>n; nur dann nehmt ihr <strong>de</strong>n rechten Platz ein!<br />

Man wird hier an Pauli Wort erinnert: »Worinnen du einen an<strong>de</strong>rn richtest, verurteilst du<br />

dich selbst, sintemal du eben dasselbige tust, das du richtest« (Röm. 2, 1).<br />

Wir sind zunächst an Gottes Wort und nicht an menschliche Meinungen und Auslegungen<br />

über dasselbe gewiesen. Es ist unsere Pflicht, das Wort gründlich, so wie es in<br />

unsrer Bibel steht, zu untersuchen. Tun wir <strong>die</strong>s, so fin<strong>de</strong>n wir an<strong>de</strong>re Linien für das Versammeln<br />

im Namen <strong>de</strong>s Herrn, als <strong>die</strong> <strong>sogenannte</strong> <strong>Versammlung</strong> sie zeichnet. Nur bei<br />

einer gesuchten, oberflächlichen Schriftbetrachtung ist <strong>die</strong> Auffassung <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong><br />

über das rechte Zusammenkommen im Namen <strong>de</strong>s Herrn möglich; mit einer gründlichen<br />

Bibelauslegung läßt sie sich nicht vereinbaren. Der ganze biblische Zusammenhang, wie<br />

auch alle in Betracht kommen<strong>de</strong>n Schriftstellen führen uns bei einem gewissenhaften<br />

Durchforschen <strong>de</strong>s Textes und einem genauen Vergleichen und richtigen Zusammenfassen<br />

<strong>de</strong>s Ganzen auf einen an<strong>de</strong>rn Standpunkt –: Alle christlichen Gemeinschaften, Gemein<strong>de</strong>n<br />

usw., in <strong>de</strong>nen man sich um je<strong>de</strong>n Preis nach <strong>de</strong>r ganzen heiligen Schrift richten möchte,<br />

und <strong>die</strong> Christum zum Mittelpunkt machen, und dabei das innere Geistesleben hoch, jedoch<br />

das Äußere, <strong>die</strong> Form usw. gering einschätzen, nehmen ohne Zweifel <strong>de</strong>n richtigen<br />

Platz ein und können bei ihren Zusammenkünften auf <strong>die</strong> Gegenwart ihres Herrn rechnen.<br />

Die <strong>sogenannte</strong> <strong>Versammlung</strong> hat ihr beson<strong>de</strong>res Gepräge durch <strong>de</strong>n Englän<strong>de</strong>r J. N.<br />

Darby erhalten. Derselbe gehörte ursprünglich <strong>de</strong>r sehr zum Katholizismus neigen<strong>de</strong>n<br />

englischen Kirche an, in welcher <strong>de</strong>r hohe Amtsbegriff und <strong>de</strong>r reiche Formen<strong>die</strong>nst das<br />

wirkliche Gemeinschaftsleben <strong>de</strong>r [24] Gläubigen untereinan<strong>de</strong>r sehr hin<strong>de</strong>rt. Nach<strong>de</strong>m er<br />

<strong>die</strong>s erkannt hatte, verließ er <strong>die</strong> englische Kirche und ging zum an<strong>de</strong>rn Extrem über,<br />

verwarf alle kirchlichen Formen usw., und vertrat <strong>de</strong>n Standpunkt, wie wir ihn in <strong>de</strong>r<br />

<strong>Versammlung</strong> fin<strong>de</strong>n. Und trotz<strong>de</strong>m merkt man, daß er sich nicht von allen katholischen<br />

I<strong>de</strong>en und Lehren, wie sie in <strong>de</strong>r englischen Kirche sind, getrennt hat. Es soll nicht geleugnet<br />

wer<strong>de</strong>n, daß Darby ein begabter und auch ein geistlicher Mann war. Er hat viel<br />

über <strong>die</strong> Bibel geschrieben und auch hin und wie<strong>de</strong>r gute Gedanken entwickelt; jedoch<br />

merkt man an seinen Ausführungen, daß er zu sehr vom Gegensatz beherrscht wor<strong>de</strong>n ist,<br />

als daß er hätte alles ruhig und sachlich beurteilen und das Richtige treffen können. Die<br />

auf Grund seiner Erfahrung und Beobachtung genommenen Anschauungen über <strong>die</strong> Kirche<br />

und ihren Zustand, haben ihn <strong>de</strong>rart bestimmt, daß er sich über <strong>de</strong>n genauen Wortlaut<br />

<strong>de</strong>r heiligen Schrift, sofern <strong>die</strong>ser seiner Auffassung über <strong>de</strong>n kirchlichen Verfall, das<br />

Versammeln im Namen <strong>de</strong>s Herrn usw. entgegen war, einfach hinweggesetzt und alles<br />

zurecht gelegt hat nach seiner vorgefaßten Meinung. Aber das darf nicht geschehen. Wir<br />

müssen Gotteswort so nehmen, wie es da steht, und unsere Meinungen unter dasselbe


FRIEDRICH KAISER: IST DIE SOGENANNTE VERSAMMLUNG … BIBLISCH? 15<br />

stellen. – Aus <strong>die</strong>sem Grun<strong>de</strong> können auch Darbys Schriften über <strong>die</strong> Bibel nicht als zuverlässige<br />

Erklärungen <strong>de</strong>rselben in Betracht kommen. Die <strong>sogenannte</strong> <strong>Versammlung</strong><br />

bewegt sich ganz und gar auf Darbys Linien; daher erklärt sich auch ihre verkehrte Auffassung<br />

vom kirchlichen Verfall und Versammeln im Namen <strong>de</strong>s Herrn während <strong>de</strong>sselben.<br />

4. Es <strong>de</strong>ckt sich <strong>die</strong> Lehre <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong> über <strong>die</strong> Gemein<strong>de</strong>ämter nicht mit <strong>de</strong>r heiligen<br />

Schrift.<br />

Wie wir gesehen haben, hält <strong>die</strong> <strong>Versammlung</strong> <strong>die</strong> Gründung von Gemein<strong>de</strong>n nach<br />

apostolischem Vorbild während <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>s kirchlichen Verfalls für ein anmaßen<strong>de</strong>s,<br />

törichtes Unternehmen, das gänzlich fehlschlagen muß; <strong>de</strong>nn trotz ihres traurigen Zustan<strong>de</strong>s<br />

bleibt <strong>die</strong> bekennen<strong>de</strong> Kirche bis zur [25] Wie<strong>de</strong>rkunft Christi bestehen, und <strong>de</strong>shalb<br />

ist kein Raum für neue Kirchen mit Aemtern usw., wie sie in <strong>de</strong>r Apostelzeit waren.<br />

Weiter behauptet <strong>die</strong> <strong>Versammlung</strong>, daß nur <strong>die</strong> Apostel das Recht und <strong>die</strong> Macht besessen<br />

haben, Aelteste einzusetzen, und solche (z. B. Timotheus und Titus), <strong>die</strong> von <strong>de</strong>n<br />

Aposteln hierzu beauftragt waren. Diese apostolische Machtvollkommenheit besitze aber<br />

keiner in unsern Tagen; <strong>die</strong> Schrift erwähne nichts von einer Fortdauer <strong>de</strong>r apostolischen<br />

Macht. Wäre es nach <strong>de</strong>m Willen <strong>de</strong>s Herrn gewesen, daß <strong>die</strong> Gemein<strong>de</strong>n nach <strong>de</strong>m<br />

Heimgang <strong>de</strong>r Apostel Aelteste haben sollten, dann hätte es <strong>de</strong>r Herr sicherlich in seinem<br />

Worte ange<strong>de</strong>utet (Grundw. S. 57ff. Die Kirche nach <strong>de</strong>m Gedanken Gottes S. 40ff. u. a.).<br />

Aus <strong>de</strong>r Bibel geht aber nicht hervor, daß in <strong>de</strong>r nachapostolischen Zeit <strong>die</strong> biblischen<br />

Gemein<strong>de</strong>ämter aufhören sollen; wären sie vom Herrn nur für <strong>die</strong> Apostelzeit gegeben<br />

wor<strong>de</strong>n, so wür<strong>de</strong> er es je<strong>de</strong>nfalls in seinem Wort gesagt haben. Und wenn das Amt nur<br />

für <strong>die</strong> Apostelzeit hätte sein sollen, dann müßte man annehmen, daß es weniger für <strong>die</strong><br />

Gemein<strong>de</strong> als um <strong>de</strong>r Apostel selbst willen eingerichet wor<strong>de</strong>n wäre. Nach <strong>de</strong>m, was in<br />

<strong>de</strong>n Schriften <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong> über das Amt gesagt wird, scheint es fast so. Mit beson<strong>de</strong>rem<br />

Nachdruck wird da hervorgehoben: Nur <strong>die</strong> Apostel und ihre Beauftragten hatten das<br />

Recht, jemand mit einem Amt zu beklei<strong>de</strong>n. Man bekommt hier <strong>die</strong> Vorstellung, als habe<br />

es sich bei <strong>de</strong>r Besetzung <strong>de</strong>r Aemter vor allem darum gehan<strong>de</strong>lt, daß <strong>die</strong> Apostel ihre<br />

beson<strong>de</strong>re Autorität zeigen sollten. Allein nach <strong>de</strong>r heiligen Schrift ist <strong>die</strong>s nicht <strong>de</strong>r Fall.<br />

Das Gemein<strong>de</strong>amt o<strong>de</strong>r besser <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong><strong>die</strong>nst war eine Notwendigkeit; nicht um <strong>de</strong>r<br />

Apostel willen, son<strong>de</strong>rn für <strong>die</strong> Gemein<strong>de</strong>; und nicht nur so lange <strong>die</strong> Apostel lebten,<br />

son<strong>de</strong>rn auch für <strong>die</strong> spätere Zeit bis in unsere Tage. Die Gemein<strong>de</strong>n hätten während <strong>de</strong>r<br />

Lebzeiten <strong>de</strong>r Apostel eher ohne Ältesten, Diakone usw. sein können, als nach <strong>de</strong>ren<br />

Heimgang. Die Apostel besaßen eine Ausrüstung und Tüchtigkeit zu lehren und <strong>die</strong> Gemein<strong>de</strong>n<br />

in je<strong>de</strong>r Hinsicht richtig zu leiten, wie keine Gläubigen <strong>de</strong>r nachfolgen<strong>de</strong>n Zeit.<br />

Die Aeltesten in <strong>de</strong>r [26] Apostelzeit hatten <strong>die</strong> Aufgabe zu lehren, zu ermahnen, zurechtzuweisen<br />

(Titus 1, 9), über <strong>die</strong> Kranken zu beten (Jak. 5, 14), und über <strong>die</strong> Gemein<strong>de</strong>n zu<br />

wachen (Apg. 20, 27). Soll nun <strong>die</strong> Lehre, Ermahnung usw. durch <strong>die</strong> Aeltesten in <strong>de</strong>r<br />

nachapostolischen Zeit aufhören? Die <strong>Versammlung</strong> antwortet auf <strong>die</strong>se Frage: Nach <strong>de</strong>m<br />

Heimgang <strong>de</strong>r Apostel und <strong>de</strong>rer, <strong>die</strong> sie beauftragt hatten, Beamte zu ernennen, fällt<br />

Lehre und Ermahnung nicht weg, nur das Amt (Aeltestenamt usw.) hört auf; jedoch <strong>die</strong><br />

Gaben <strong>de</strong>r Lehre, <strong>de</strong>s Ermahnens usw. bleiben und zwar bis zur Wie<strong>de</strong>rkunft Christi (siehe<br />

Grundw. S. 76–77). – Diese Scheidung zwischen Gaben und Amt ist aber unrichtig.<br />

Das Wort Amt heißt im Grundtext diaconia und be<strong>de</strong>utet Dienst (S. Apg. 1, 17; 6, 4; 20,<br />

24; Röm. 12, 7; I. Kor. 12, 5 u. a. Stellen). Wo nun Gaben sind, <strong>die</strong> gebraucht wer<strong>de</strong>n, da<br />

ist auch ein Dienst, wenn also jemand <strong>die</strong> Gabe <strong>de</strong>r Ermahnung hat und sie betätigt, mit<br />

<strong>de</strong>rselben <strong>die</strong>nt, dann tut er einen Dienst, und Dienst ist nach <strong>de</strong>r Schrift soviel wie Amt;


FRIEDRICH KAISER: IST DIE SOGENANNTE VERSAMMLUNG … BIBLISCH? 16<br />

<strong>de</strong>mnach besteht nach <strong>de</strong>m Neuen Testament <strong>die</strong> Scheidung zwischen Amt und Gaben, so<br />

wie wir sie in <strong>de</strong>r <strong>sogenannte</strong>n <strong>Versammlung</strong> fin<strong>de</strong>n, gar nicht.<br />

Wenn man das, was in <strong>de</strong>n Schriften <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong> über <strong>die</strong> biblischen Aemter<br />

gesagt wird, ein wenig zusammenfaßt und miteinan<strong>de</strong>r vergleicht, so muß man staunen<br />

über <strong>die</strong> vielen Wi<strong>de</strong>rsprüche, in <strong>de</strong>nen sich <strong>die</strong> Verfasser <strong>de</strong>rselben sowohl <strong>de</strong>m göttlichen<br />

Worte, wie auch ihren eigenen Behauptungen gegenüber bewegen. So heißt es z. B.<br />

S. 68 (Grundwahrheiten): »Es war ein apostolisches Vorrecht … jemand mit einem Amt<br />

zu beklei<strong>de</strong>n«. S. 77 wird gesagt, daß <strong>die</strong> Aemter <strong>die</strong> Einsetzung durch <strong>die</strong> Apostel o<strong>de</strong>r<br />

ihre Bevollmächtigten erfor<strong>de</strong>rn. Demgegenüber sagt Paulus, daß ihn <strong>de</strong>r Herr ins Amt<br />

gesetzt (I. Tim. 1, 12), daß Archippus sein Amt ebenfalls durch <strong>de</strong>n Herrn empfangen<br />

(Kol. 4, 17) und das Haus Stephanas sich selbst zum Dienst (im Grundtext steht das Wort<br />

diaconia, das sonst mit Amt übersetzt wird) verordnet habe (I. Kor. 16, 15). Von einer<br />

Einsetzung ins Amt durch Apostel o<strong>de</strong>r ihre Beauftragten lesen wir hier nichts. Des- [27]<br />

halb können wir annehmen, daß zur Verleihung von Aemtern <strong>die</strong> apostolische Vermittlung<br />

nicht notwendig ist. Dasselbe sagt auch <strong>de</strong>r Schreiber <strong>de</strong>s genannten Heftes auf S. 65.<br />

Dort heißt es: »Wir fin<strong>de</strong>n im Neuen Testament keine Spur von einer menschlichen Einsetzung<br />

<strong>de</strong>r Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrer«. Wenn hier vom Verfasser <strong>die</strong><br />

menschliche Einsetzung <strong>de</strong>r Propheten usw. verneint wird, dann ist auch <strong>die</strong> apostolische<br />

mit einbegriffen; <strong>de</strong>nn <strong>die</strong> Apostel waren auch Menschen. Diese vier Klassen (Propheten,<br />

Evangelisten, Hirten und Lehrer) stan<strong>de</strong>n aber in ihrer Eigenschaft in <strong>de</strong>m Amt <strong>de</strong>s neuen<br />

Bun<strong>de</strong>s, das <strong>die</strong> Gerechtigkeit und <strong>die</strong> Versöhnung predigt (II. Kor 3, 6, 9; 5, 18), hatten<br />

mithin ein Amt. Wie stimmt das aber mit <strong>de</strong>r Behauptung S. 77 (Grundwahrheiten), wonach<br />

<strong>die</strong> Aemter <strong>die</strong> Einsetzung apostolisch bevollmächtigter Personen erfor<strong>de</strong>rn? Der<br />

Schreiber <strong>die</strong>ser Broschüre, das sehen wir hier <strong>de</strong>utlich, gerät mit <strong>de</strong>m Worte Gottes und<br />

seinen eigenen Ausführungen in Wi<strong>de</strong>rspruch.<br />

Wenn <strong>de</strong>r Herr in <strong>de</strong>r apostolischen Zeit Aemter verliehen hat, ohne apostolische<br />

Vermittlung, dann sehen wir keinen Grund dafür, warum er nach <strong>de</strong>m To<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Apostel<br />

und ihrer Bevollmächtigten keine Aemter mehr erteilen sollte. Die Behauptung <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong>,<br />

wonach <strong>die</strong> Einsetzung in ein biblisches Gemein<strong>de</strong>amt apostolisch ausgerüstete<br />

Persönlichkeiten erfor<strong>de</strong>rt, wurzelt in einer unrichtigen Auffassung über <strong>die</strong> Amtseinsetzung,<br />

wie man sie in <strong>de</strong>r katholischen Kirche und in <strong>de</strong>r englischen Staatskirche, <strong>de</strong>r Darby<br />

entstammt, fin<strong>de</strong>t. In Wirklichkeit ist es aber so: Gott gibt <strong>die</strong> Gaben und damit auch<br />

das Amt und <strong>de</strong>n Dienst, und Amt und Dienst ist dasselbe (Eph. 4, 8).<br />

Nach S. 77 in <strong>de</strong>m genannten Schriftchen haben <strong>die</strong> Gaben ihre Quelle in <strong>de</strong>m verherrlichten<br />

Christus und bleiben, so lange Christus das Haupt bleibt, und ihre Mitteilung<br />

ist nicht an eine apostolische Mitwirkung gebun<strong>de</strong>n. Auf S. 68 wird dann mit Nachdruck<br />

hervorgehoben, wie <strong>die</strong> Mitteilung <strong>de</strong>r Gabe an Timotheus (I. Tim 4, 14; II. Tim 1, 6) »nur<br />

von <strong>de</strong>r Wirkungskraft <strong>de</strong>r Apostel, und nicht von <strong>de</strong>rjenigen [28] <strong>de</strong>r Aeltesten« (<strong>die</strong> ja<br />

Timotheus auch <strong>die</strong> Hän<strong>de</strong> auflegten) »abhängig« war. Vergleicht man <strong>die</strong>se bei<strong>de</strong>n Behauptungen<br />

miteinan<strong>de</strong>r, so sieht man, wie wenig sie gegeneinan<strong>de</strong>r abgewogen und ins<br />

richtige Verhältnis gebracht sind. In <strong>de</strong>r Broschüre »Die Kirche nach <strong>de</strong>n Gedanken Gottes«<br />

S. 44 lesen wir dann wie<strong>de</strong>r: »Der Heilige Geist und nur er hat das Recht … Diener<br />

und Beamte in <strong>de</strong>r Kirche anzustellen«; sogleich wird dann aber auch wie<strong>de</strong>r und zwar<br />

sehr stark betont, daß nur <strong>die</strong> Apostel und <strong>die</strong>, welche sie dazu beauftragt hatten, ins Amt<br />

einsetzen konnten. Nach einigen Stellen in <strong>de</strong>n genannten Schriften han<strong>de</strong>lt es sich bei <strong>de</strong>r<br />

Amtseinsetzung seitens <strong>de</strong>r apostolisch bevollmächtigten Personen bloß ums Aeltestenamt,<br />

hingegen nach an<strong>de</strong>ren wie<strong>de</strong>r um <strong>die</strong> Aemter im allgemeinen. Die Ausführungen<br />

lassen an Klarheit und Deutlichkeit viel zu wünschen übrig. Auf S. 48 »Die Kirche nach<br />

<strong>de</strong>n Gedanken Gottes« wird behauptet, daß in <strong>de</strong>r ersten Gemein<strong>de</strong>zeit niemand unter


FRIEDRICH KAISER: IST DIE SOGENANNTE VERSAMMLUNG … BIBLISCH? 17<br />

<strong>de</strong>n Gläubigen eine hervorragen<strong>de</strong> Stelle eingenommen habe; <strong>de</strong>m entgegen sagt Paulus,<br />

daß Jakobus, Kephas und Johannes in <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> zu Jerusalem für »Säulen« angesehen<br />

waren (Gal. 2, 9); und an <strong>de</strong>n sieben Gemein<strong>de</strong>n in Offenbarung Joh. 2 und 3 steht je<br />

ein Engel o<strong>de</strong>r Vorsteher an <strong>de</strong>r Spitze, an <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Herr sich wen<strong>de</strong>t und für <strong>de</strong>n jeweiligen<br />

Zustand in <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> verantwortlich macht. – Nach <strong>de</strong>r Meinung <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong><br />

sollen, wie wir früher schon gezeigt haben, <strong>die</strong> sieben Gemein<strong>de</strong>n aufeinan<strong>de</strong>r folgen<strong>de</strong><br />

Perio<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Kirchengeschichte repräsentieren; Ephesus <strong>die</strong> Apostelzeit bis ins<br />

2. Jahrhun<strong>de</strong>rt und Phila<strong>de</strong>lphia <strong>die</strong> Perio<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Abson<strong>de</strong>rung, wie sie sich in <strong>de</strong>n letzten<br />

Jahrzehnten in <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong> vollzogen hat. Nun ist Phila<strong>de</strong>lphia aber gera<strong>de</strong> so organisiert<br />

wie Ephesus, und hat ebenfalls einen Vorsteher an <strong>de</strong>r Spitze, wie <strong>die</strong>ses. Wie<br />

stimmt das aber mit <strong>de</strong>r Auffassung <strong>de</strong>r Verfasser <strong>de</strong>r genannten Schriften, <strong>die</strong> das Amt<br />

eines Vorstehers, Aeltesten usw. nur für <strong>die</strong> Apostelzeit, jedoch nicht für unsere Tage<br />

gelten lassen wollen? (Nach I. Tim. 5, 17 sind <strong>die</strong> Aeltesten auch Vorsteher). Man muß<br />

sich wirklich [29] wun<strong>de</strong>rn über das Wi<strong>de</strong>rsprechen<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n eigenen Behauptungen. Weiter<br />

heißt es (Grundwahrheiten S. 76): »Gott wolle uns bewahren, jener Neuerung unsere<br />

Zustimmung zu geben, <strong>die</strong> je<strong>de</strong>m Diener seine eigene kleine Her<strong>de</strong> angewiesen hat.«<br />

Phila<strong>de</strong>lphia, das im beson<strong>de</strong>ren <strong>die</strong> <strong>sogenannte</strong> <strong>Versammlung</strong> darstellen soll, hat aber<br />

einen Aufseher o<strong>de</strong>r Diener an <strong>de</strong>r Spitze, <strong>de</strong>r verantwortlich gemacht wird für seine<br />

Her<strong>de</strong>. Wie kann <strong>die</strong> <strong>Versammlung</strong> nun sagen, daß sie Phila<strong>de</strong>lphia entspricht?! – Auf<br />

S. 71 (Grundwahrheiten) wird gesagt, daß keiner von <strong>de</strong>n jetzigen Aeltesten behaupten<br />

kann, daß sie vom Heiligen Geist eingesetzt sind, und einige Zeilen weiter führt <strong>de</strong>r<br />

Schreiber <strong>de</strong>s Büchleins aus, daß es heute noch Leute gibt, welche Aeltesteneigenschaften<br />

haben und vorstehen im Herrn, und <strong>die</strong>se sollen <strong>die</strong> Gläubigen anerkennen, schätzen,<br />

lieben, ihnen untertänig sein. – Man soll Vorsteher mit Aeltesteneigenschaften anerkennen,<br />

ihnen gehorsam sein usw., aber keiner darf dabei behaupten, daß <strong>de</strong>r Heilige Geist<br />

sie zu Aeltesten o<strong>de</strong>r Aufsehern gesetzt hat. Wers fassen kann, <strong>de</strong>r fasse es! Es tut einem<br />

wirklich leid, daß seitens <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong> Ausführungen mit so vielen Wi<strong>de</strong>rsprüchen<br />

für beson<strong>de</strong>re Wahrheiten gehalten wer<strong>de</strong>n, und man <strong>de</strong>n Gläubigen, welche ihnen nicht<br />

zustimmen, Torheit, Vermessenheit und Untreue vorwirft.<br />

Die Auffassung vom Amt, wie sie in <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong> herrscht, wird ferner mit unrichtigen<br />

Schlußfolgerungen gestützt. Auf S. 73 (Grundwahrheiten) wird gesagt, daß,<br />

wenn in Thessalonich und Korinth Aelteste gewesen wären, <strong>die</strong> Apostel sich an sie gewandt<br />

haben wür<strong>de</strong>n. Der Schluß ist aber unrichtig; <strong>de</strong>nn Paulus hat alle seine Gemein<strong>de</strong>schreiben<br />

an <strong>die</strong> Heiligen, Brü<strong>de</strong>r usw. gerichtet und nicht an <strong>die</strong> Aeltesten, Vorsteher,<br />

auch wenn solche, wie z. B. in Ephesus, vorhan<strong>de</strong>n waren. In Thessalonich waren Vorsteher<br />

(I. Thess. 5, 12), und nach I. Tim. 5, 15 gehört das Vorsteheramt mit zu <strong>de</strong>m Aeltestenberuf.<br />

Im Philipperbriefe setzt er hinter »alle Heiligen« noch <strong>die</strong> Worte: »samt <strong>de</strong>n<br />

Bischöfen und Dienern« (Phil. 1, 1); jedoch »alle Heiligen« sind <strong>die</strong> Hauptadressaten. [30]<br />

Die Briefe in Offenbarung Joh. 2 und 3 tragen in <strong>die</strong>ser Hinsicht einen an<strong>de</strong>ren Charakter;<br />

sie sind an <strong>die</strong> Vorsteher (Engel) gerichtet. – Timotheus soll (siehe S. 68 u. 65 »<strong>die</strong> Grundwahrheiten«),<br />

seine Gna<strong>de</strong>ngabe nur bekommen haben durch Pauli Handauflegung und<br />

<strong>de</strong>ssen Wirkungskraft. Allein nach I. Tim. 4, 14 ist das Vermitteln<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Gabe an Timotheus<br />

<strong>die</strong> »Weissagung« in Verbindung mit <strong>de</strong>r »Handauflegung <strong>de</strong>r Aeltesten«; darum ist<br />

<strong>die</strong> Behauptung, daß <strong>die</strong> Mitteilung <strong>de</strong>r Gabe nur von <strong>de</strong>r Wirkungskraft <strong>de</strong>s Apostels<br />

abhängig war, einseitig und unrichtig. – In <strong>de</strong>m Heft, »Die Kirche nach <strong>de</strong>n Gedanken<br />

Gottes« lesen wir S. 43: »Wäre es <strong>de</strong>r Wille <strong>de</strong>s Herrn gewesen, <strong>de</strong>n <strong>Versammlung</strong>en<br />

nach <strong>de</strong>m Heimgang <strong>de</strong>r Apostel <strong>die</strong> Pflicht aufzuerlegen, sich selbst Aelteste zu ernennen<br />

und einzusetzen, so wür<strong>de</strong>n wir sicher klare und bestimmte An<strong>de</strong>utungen in seinem Worte<br />

fin<strong>de</strong>n«. Gera<strong>de</strong> das Umgekehrte von <strong>de</strong>m, was hier gesagt wird, ist richtig. Die Beam-


FRIEDRICH KAISER: IST DIE SOGENANNTE VERSAMMLUNG … BIBLISCH? 18<br />

ten- und Aeltesteneinrichtung fin<strong>de</strong>n wir sowohl im Alten wie im Neuen Bun<strong>de</strong> (IV. Mos.<br />

11, 16; Apg. 11, 30) unter Israel und in <strong>de</strong>n neutestamentlichen Gemein<strong>de</strong>n. Wenn <strong>die</strong><br />

Aeltesteneinrichtung nun alttestamentlichen Ursprungs ist und im Neuen Testament beibehalten<br />

wird und zur Auferbauung und Weiterführung <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong>n nötig ist (<strong>die</strong><br />

Aeltesten hatten zu lehren, ermahnen usw.), und wenn we<strong>de</strong>r im Alten noch im Neuen<br />

Testament etwas davon gesagt wird, daß nur <strong>die</strong> Apostel und ihre Bevollmächtigsten [sic]<br />

Aelteste einsetzen können, so ist absolut kein Grund für <strong>die</strong> Annahme vorhan<strong>de</strong>n, daß<br />

nach <strong>de</strong>m Heimgang <strong>de</strong>r Apostel das Aeltestenamt aufhören soll. Im Gegenteil müßte man<br />

in <strong>die</strong>sem Falle eine klare Anweisung dafür in <strong>de</strong>r Heiligen Schrift haben, und <strong>die</strong> fehlt.<br />

Daß Paulus, Barnabas und Titus Aelteste eingesetzt haben (Apg. 14, 23, Tit. 1, 4), ist<br />

durchaus kein Beweis dafür, daß sie allein nur Aelteste anstellen konnten und zu einer<br />

Amtseinsetzung unbedingt apostolisch ausgerüstete Persönlichkeiten erfor<strong>de</strong>rlich sind;<br />

<strong>de</strong>nn in <strong>de</strong>r Apostelzeit sind manche ins Amt eingesetzt wor<strong>de</strong>n, ohne irgendwelche apostolische<br />

Vermittelung (siehe oben).<br />

[31] Auf weitere Wi<strong>de</strong>rsprüche und unrichtige Beweisführungen, wie sie sich noch in<br />

<strong>de</strong>n Schriften <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong>en fin<strong>de</strong>n, wollen wir in<strong>de</strong>s nicht eingehen. Die angeführten<br />

Beispiele, Vergleiche, Gegenüberstellungen usw. zeigen <strong>de</strong>utlich genug, daß <strong>die</strong> <strong>Versammlung</strong><br />

sich mit ihrer Auffassung in bezug auf <strong>die</strong> biblischen Aemter, <strong>die</strong> Aeltesten<br />

usw. im Irrtum befin<strong>de</strong>t. Man merkt, wie sie im Interesse ihrer Grundsätze <strong>die</strong> Zuflucht zu<br />

einer willkürlichen Bibelauslegung nehmen muß.<br />

Nach <strong>de</strong>m Alten wie auch <strong>de</strong>m Neuen Testamente ist es, abgesehen von <strong>de</strong>n Fällen, in<br />

<strong>de</strong>nen Gott Seine Diener und Werkzeuge unmittelbar berufen hat, nicht allein Sache <strong>de</strong>r<br />

führen<strong>de</strong>n Personen (z. B. eines Moses im Alten und <strong>de</strong>r Apostel im Neuen Bun<strong>de</strong>) gewesen,<br />

Beamte und Diener anzustellen; das Volk und <strong>die</strong> Gemein<strong>de</strong>n haben sich mit daran<br />

beteiligt. Moses hat am Berge Sinai auf Jethros Rat gottesfürchtige und verständige Leute<br />

zu Richtern über das Volk eingesetzt (II. Mos. 18, 13ff.). Aus V. Mos. 1, 15ff. sehen wir<br />

aber, daß <strong>die</strong>se Männer vom Volk gewählt und vorgeschlagen wur<strong>de</strong>n. – Die elf Jünger<br />

samt »<strong>de</strong>r Schar« (<strong>die</strong> ganze Zahl betrug 120) wählen nach <strong>de</strong>r Himmelfahrt <strong>de</strong>s Herrn<br />

unter Gebet und Anwendung <strong>de</strong>s Loses an Stelle <strong>de</strong>s abgewichenen Judas <strong>de</strong>n Matthias<br />

zum Apostel (Apg. 1, 15–26). Die Jünger wür<strong>de</strong>n sicherlich <strong>die</strong>se Wahl nicht in Verbindung<br />

mit <strong>de</strong>m Volk vorgenommen haben, wenn Jesus irgendwelche An<strong>de</strong>utungen dahin<br />

gegeben hätte, daß nur apostolisch ausgerüstete Personen in ein Amt einsetzen könnten.<br />

In <strong>de</strong>r Stimmung, in welcher sich alle befan<strong>de</strong>n – sie waren einmütig beieinan<strong>de</strong>r im Gebet<br />

und warten auf <strong>die</strong> Verheißung <strong>de</strong>s Vaters (V. 14, 4) – ist eine Zuwi<strong>de</strong>rhandlung ihrerseits<br />

gegen eine bestimmte Anordnung <strong>de</strong>s Herrn nicht <strong>de</strong>nkbar. Und wenn <strong>die</strong> Gläubigen<br />

im allgemeinen hier einen Apostel mitwählen können, <strong>de</strong>r doch eine höhere Stelle innehatte,<br />

als ein Gemein<strong>de</strong>ältester, weshalb sollen <strong>die</strong> Gemein<strong>de</strong>n sich dann nicht an einer<br />

Aeltestenwahl beteiligen können? – Apg. 6, 5 wird berichtet, daß <strong>die</strong> Gemein<strong>de</strong> in Jerusalem<br />

<strong>die</strong> sieben Männer wählte zum Zweck <strong>de</strong>r Versorgung <strong>de</strong>r [32] griechischen Witwen;<br />

<strong>die</strong>selben wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Aposteln vorgestellt, und unter Gebet und Handauflegung wird<br />

ihnen ihre Aufgabe übertragen. Der Verfasser <strong>de</strong>r Grundwahrheiten (S. 36) hält dafür,<br />

daß <strong>de</strong>r Dienst <strong>die</strong>ser sieben <strong>die</strong> Wortverkündigung nicht in sich schloß. Faßt man aber<br />

<strong>die</strong> be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n Eigenschaften ins Auge, welche <strong>die</strong>se Männer besitzen sollten (sie<br />

mußten einen rechtschaffenen Lebenswan<strong>de</strong>l geführt haben und voll Geistes und Weisheit<br />

sein), dann muß man annehmen, daß ihnen außer <strong>de</strong>r leiblichen Versorgung auch <strong>die</strong><br />

geistliche Pflege <strong>de</strong>r Armen oblag. V. 8ff. lesen wir auch, daß Stephanus (einer von <strong>de</strong>n<br />

sieben), große Wun<strong>de</strong>r und Zeichen unter <strong>de</strong>m Volk tut und geistesmächtige Zeugnisse<br />

vom Herrn ablegt, und Philippus verkündigt das Evangelium in Samaria (Kap. 8, 5ff.);<br />

mithin mußte <strong>de</strong>r Dienst, zu <strong>de</strong>m <strong>die</strong> sieben Männer gewählt wur<strong>de</strong>n, <strong>die</strong> Wortverkündi-


FRIEDRICH KAISER: IST DIE SOGENANNTE VERSAMMLUNG … BIBLISCH? 19<br />

gung und <strong>de</strong>n Evangelistenberuf in sich schließen. Daß <strong>de</strong>r Herr Stephanus und Philippus<br />

nach <strong>de</strong>r Wahl durch <strong>die</strong> Apostel und <strong>die</strong> Gemein<strong>de</strong> noch beson<strong>de</strong>rs zur Wortverkündigung<br />

berufen haben soll, wie <strong>de</strong>r Schreiber <strong>de</strong>r Grundwahrheiten meint, davon berichtet<br />

<strong>die</strong> Apostelgeschichte nichts; Kapitel 21, 8 wird Philippus noch immer als einer von <strong>de</strong>n<br />

sieben bezeichnet. – Paulus und Barnabas sind von <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> (<strong>de</strong>r Zusammenhang<br />

von Apg. 13, 1ff. weist darauf) ausgeson<strong>de</strong>rt wor<strong>de</strong>n zum Werk unter <strong>de</strong>n Hei<strong>de</strong>n. In<br />

Antiochien sandte <strong>die</strong> Gemein<strong>de</strong> <strong>die</strong> Brü<strong>de</strong>r nach Jerusalem zu <strong>de</strong>n Aposteln und Aeltesten<br />

(Apg. 15, 1ff.). Die Gemein<strong>de</strong> in Jerusalem hat mitbestimmt, daß Männer gewählt<br />

und mit Paulus und Barnabas nach Antiochien gesandt wür<strong>de</strong>n (V. 22). Paulus sagt, daß<br />

<strong>die</strong> Gemein<strong>de</strong>n einen Bru<strong>de</strong>r zu ihrem Gefährten verordnet haben (II. Kor. 8, 19). Wir<br />

sehen also, wie <strong>die</strong> Gemein<strong>de</strong>n immer mit zu entschei<strong>de</strong>n hatten.<br />

Aus Apg. 14, 23 könnte man freilich schließen, daß Paulus und Barnabas in <strong>de</strong>n kleinasiatischen<br />

Gemein<strong>de</strong>n aus persönlicher Vollmacht ohne irgendwelche Mitwirkung seitens<br />

<strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong>glie<strong>de</strong>r, Aelteste angestellt hätten. Es heißt da: »Und sie ordneten ihnen hin<br />

und her Aelteste in <strong>de</strong>n Gemein<strong>de</strong>n.« [33] Hier wird aber nur mit ein paar Strichen, einem<br />

einzigen Satz <strong>die</strong> Aeltestenwahl ange<strong>de</strong>utet, und bei <strong>de</strong>r Kürze <strong>de</strong>r Ausdrucksweise kann<br />

man nicht mit Sicherheit sagen, daß Paulus und Barnabas <strong>die</strong> Aeltesten allein gewählt<br />

haben, und erst recht läßt sich auf Grund <strong>die</strong>ser Stelle nicht behaupten, daß nur apostolisch<br />

ausgerüstete Personen allein Aelteste einsetzen können. – Paulus hat Titus in Kreta<br />

gelassen, damit er <strong>die</strong> Städte mit Aeltesten besetzen solle (Tit. 1, 5); Timotheus gibt er<br />

Anweisungen, wie <strong>die</strong> Aeltesten sein müssen, zu behan<strong>de</strong>ln sind usw. (I. Tim. 3, 2ff.; 5,<br />

17ff.); in<strong>de</strong>s darüber, wie <strong>die</strong>se in ihr Amt gesetzt wer<strong>de</strong>n sollen, erwähnt er nichts.<br />

Nach I. Tim. 3, 1ff. und Tit. 1, 7 mußten <strong>die</strong> Aeltesten und Bischöfe Leute von beson<strong>de</strong>ren<br />

Eigenschaften sein; guten Ruf haben; nüchtern, besonnen, gastfrei, lehrtüchtig<br />

sein; nicht zänkisch, geizig usw. Wenn <strong>die</strong> anzustellen<strong>de</strong>n Aeltesten solche Tugen<strong>de</strong>n<br />

besitzen sollten, dann müssen <strong>die</strong> Apostel, wie auch Timotheus und Titus <strong>die</strong> Gemein<strong>de</strong>n<br />

mit zu Rate gezogen und gefragt haben, welche unter ihnen für <strong>die</strong>sen wichtigen Beruf in<br />

Betracht kommen könnten; <strong>de</strong>nn das Leben und <strong>de</strong>r Wan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>r einzelnen Gläubigen in<br />

<strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Gemein<strong>de</strong>n konnte <strong>de</strong>n Aposteln, wie auch Timotheus und Titus, <strong>die</strong><br />

doch alle häufig von einem Ort zum an<strong>de</strong>rn reisten, aus eigner Beobachtung nicht so bekannt<br />

sein, als daß sie genau gewußt hätten, wie es in <strong>die</strong>ser Hinsicht mit einem je<strong>de</strong>n<br />

stand. – I. Tim 3, 1 sagt <strong>de</strong>r Apostel: »Wenn jemand ein Bischofsamt (ist soviel wie ein<br />

Aeltestenamt) begehrt, <strong>de</strong>r begehrt ein köstliches Werk.« Demnach mußte in <strong>de</strong>r apostolischen<br />

Zeit ein Bewerben um ein Bischofs- o<strong>de</strong>r Aeltestenamt zulässig sein, und konnten<br />

bei <strong>de</strong>r Anstellung von Aeltesten <strong>die</strong> Wünsche und Ueberzeugungen <strong>de</strong>r einzelnen in <strong>de</strong>r<br />

Gemein<strong>de</strong> berücksichtigt wer<strong>de</strong>n; <strong>die</strong>s schließt aber eine Einsetzung ins Aeltestenamt<br />

allein durch apostolische Machtvollkommenheit aus; letzteres verträgt sich auch nicht mit<br />

<strong>de</strong>r Selbständigkeit, welche das Neue Testament <strong>de</strong>n einzelnen Gemein<strong>de</strong>n und Gemein<strong>de</strong>glie<strong>de</strong>rn<br />

einräumt (s. u. a. II. Kor. 1, 24; I. Kor. 5; Apg. 15, 1ff.).<br />

Die Apostel konnten durch Gebet, Handauflegung usw. [34] mancherlei Kräfte und<br />

geistliche Gaben vermitteln (s. Apg. 8, 15ff.; 3, 6ff.; 13, 9ff.; 14, 3; 19, 6, 12; 28, 8; II. Tim<br />

1, 6 u. a.); aber sie nicht allein. Ananias, ein einfacher Jünger Jesu, ohne amtliche Stellung,<br />

so viel wie wir wissen, legte Saulus <strong>die</strong> Hän<strong>de</strong> auf, so daß <strong>die</strong>ser wie<strong>de</strong>r sehend und<br />

mit <strong>de</strong>m Heiligen Geist erfüllt wur<strong>de</strong> (Apg. 9, 17); s. auch Apg. 6, 8; 8, 7 u. a. Allen wahren<br />

Gläubigen und nicht <strong>de</strong>n Aposteln allein, ist <strong>die</strong> Verheißung, große Wun<strong>de</strong>r zu verrichten<br />

und geistliche Kräfte zu vermitteln, gegeben (Mc. 16, 12). Die Geistesgaben sind<br />

nicht zu trennen vom Heiligen Geist, und <strong>die</strong>sen haben alle Gotteskin<strong>de</strong>r; <strong>de</strong>shalb kann es<br />

nicht ausschließlich ein apostolisches Vorrecht sein, jemand eine geistliche Kraft mitzuteilen,<br />

wie <strong>die</strong>s <strong>de</strong>r Schreiber <strong>de</strong>r Grundwahrheiten S. 68 behauptet. Aus sich konnten <strong>die</strong>


FRIEDRICH KAISER: IST DIE SOGENANNTE VERSAMMLUNG … BIBLISCH? 20<br />

Apostel und ihre Vertreter keine Gaben verleihen. Petrus verneint es ausdrücklich, daß<br />

<strong>die</strong> Heilung <strong>de</strong>s Lahmen (Apg. 3, 12) durch ein beson<strong>de</strong>res ihnen innewohnen<strong>de</strong>s Vermögen<br />

geschehen sei. – Daß <strong>die</strong> Amtseinsetzung apostolische Vollmacht erfor<strong>de</strong>rt, das ist<br />

ein alter Irrtum, <strong>de</strong>r sich in <strong>de</strong>r katholischen und anglikanischen Kirche fin<strong>de</strong>t, und <strong>de</strong>n<br />

Darby wohl aus <strong>de</strong>r letzteren in <strong>die</strong> <strong>sogenannte</strong> <strong>Versammlung</strong> mit hineingebracht hat.<br />

Jedoch darin, daß <strong>die</strong> Machtvollkommenheit <strong>de</strong>r Apostel in <strong>de</strong>r in Re<strong>de</strong> stehen<strong>de</strong>n Sache<br />

auch auf <strong>de</strong>ren Nachfolger im Amt übertragen sein sollte, wich Darby ganz von <strong>de</strong>n Katholiken<br />

und Anglikanern ab; er betonte, daß außer <strong>de</strong>n Aposteln und ihren Beauftragten<br />

niemand ein Amt verleihen könne, und <strong>de</strong>shalb müßten nach <strong>de</strong>m Heimgang <strong>de</strong>r Apostel<br />

und ihrer Vertreter <strong>die</strong> Aemter aufhören. Man sieht hier <strong>de</strong>utlich, wie ein Irrtum <strong>de</strong>n<br />

an<strong>de</strong>rn erzeugt hat, und <strong>die</strong> <strong>Versammlung</strong> zu ihrer unrichtigen Auffassung über <strong>die</strong> Besetzung<br />

<strong>de</strong>r Aemter gekommen ist. Das beson<strong>de</strong>re Privilegium <strong>de</strong>r Apostel war, anzuhalten<br />

am Gebet und am Dienste <strong>de</strong>s Wortes (Apg. 6, 3); aber davon, daß ihnen allein <strong>die</strong> Amtseinsetzungen<br />

übertragen wor<strong>de</strong>n sind, lesen wir in <strong>de</strong>r Heiligen Schrift nichts. Und gera<strong>de</strong><br />

auf <strong>die</strong>sen Punkt (<strong>die</strong> Amtseinsetzung nur durch <strong>die</strong> Apostel), <strong>de</strong>n Gottes Wort außer [35]<br />

acht läßt, legen <strong>die</strong> Verfasser »<strong>de</strong>r Grundwahrheiten« und »<strong>de</strong>r Kirche nach <strong>de</strong>n Gedanken<br />

Gottes« so großes Gewicht; ihre Worte, wie auch <strong>die</strong> ganze Ausdrucksweise sind<br />

darauf berechnet, <strong>die</strong> Gewissen in Beschlag zu nehmen; eine wirkliche Beleuchtung <strong>de</strong>r<br />

Sache an <strong>de</strong>r Hand aller in Betracht kommen<strong>de</strong>n Schriftstellen vermißt man, und das ist<br />

ein Beweis dafür, daß ihre Ansicht vom Amt biblisch nicht recht zu begrün<strong>de</strong>n ist. Und<br />

tatsächlich ist <strong>die</strong>s <strong>de</strong>r Fall, wie wir bereits oben gesehen haben.<br />

Bei <strong>de</strong>r Berufung von Dienern, Aeltesten usw. ist folgen<strong>de</strong>s zu beachten: Gott selbst<br />

gibt <strong>die</strong> Gaben und Dienstpersonen (Eph. 4, 7ff.) und damit auch <strong>de</strong>n Dienst o<strong>de</strong>r das<br />

Amt, und <strong>de</strong>r Heilige Geist teilt nach Seinem Willen <strong>die</strong> Gaben aus (I. Kor. 12, 11). Es ist<br />

<strong>die</strong> Aufgabe <strong>de</strong>r gläubigen Gemein<strong>de</strong> in Verbindung mit ihren Leitern, <strong>die</strong> vom Herrn<br />

zum Dienst ausgerüsteten Personen zu erkennen; das Wort Gottes muß hier als Mittel <strong>de</strong>r<br />

Prüfung <strong>die</strong>nen (I. Tim. 3, 2ff.; Tit. 1,7), und im anhalten<strong>de</strong>n Gebet gilt es, auf <strong>die</strong> bestimmten<br />

Anweisungen <strong>de</strong>s Herrn zu warten (Apg. 1, 24). Wo sich <strong>die</strong> Dienst- und Amtsgaben<br />

zeigen, da ist auch ihr Vorhan<strong>de</strong>nsein anzuerkennen und zu bestätigen. Wie wir im<br />

täglichen Leben <strong>die</strong> Gaben, welche Gott gibt, durch gläubiges Beten und Annehmen erst<br />

recht empfangen und als Besitzgut bekommen, so ist es auch mit <strong>de</strong>n Dienstgaben; <strong>de</strong>r<br />

Herr gibt sie, aber durch Gebet, Handauflegung usw. können sie in ihren Empfänge[r]n<br />

zum bewußten Eigentum und recht nutzbar wer<strong>de</strong>n und zu segensreichem Gebrauch sich<br />

vermehren (s. Apg. 6, 2; 13, 3; I. Tim. 4, 14; II. Tim. 1, 6). Wie wir oben eingehend gezeigt,<br />

hat sich in <strong>de</strong>r apostolischen Zeit <strong>die</strong> Gemein<strong>de</strong> an <strong>de</strong>n Wahlen von Dienern und<br />

solchen, <strong>die</strong> eine beson<strong>de</strong>re Aufgabe hatten im Werke <strong>de</strong>s Herrn, mitbeteiligt, und nirgends<br />

in <strong>de</strong>r Heiligen Schrift wird gesagt, daß nur Apostel ein Amt verleihen können und<br />

<strong>die</strong> Aemter nach <strong>de</strong>m To<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Apostel aufhören sollen. Darum dürfen wir uns auch nicht<br />

von <strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Schrift für <strong>die</strong> Aemter und ihre Besetzung gezeichneten Linien abwen<strong>de</strong>n.<br />

Weil <strong>de</strong>r Herr aber [36] auch häufig ohne irgendwelche menschliche Vermittelung Gaben<br />

und Aemter gibt (s. oben) und <strong>de</strong>r allen Gotteskin<strong>de</strong>rn innewohnen<strong>de</strong> Heilige Geist das<br />

Prinzip <strong>de</strong>r Geistes- und Amtsgaben und zugleich <strong>de</strong>r Geist <strong>de</strong>r Freiheit ist (I. Kor. 12,<br />

3ff.; II. Kor. 3, 17), <strong>de</strong>shalb konnte im Neuen Testament keine ganz bestimmte und für<br />

alle Verhältnisse feststehen<strong>de</strong> Norm gegeben wer<strong>de</strong>n, wonach <strong>die</strong> Diener am Wort, Aelteste<br />

usw. anzustellen waren. In<strong>de</strong>s gewisse Richtlinien sind doch im Wort gegeben, und<br />

bei aller Freiheit im einzelnen und für <strong>die</strong> beson<strong>de</strong>ren Verhältnisse müssen wir uns strikte<br />

an <strong>die</strong>selben halten.<br />

Die <strong>Versammlung</strong> <strong>de</strong>nkt zu katholisch über <strong>die</strong> Besetzung <strong>de</strong>r Aemter; <strong>de</strong>nn nach<br />

ihrer Meinung gibt es keine Amtseinsetzung ohne apostolische Ordination, und das ist ein


FRIEDRICH KAISER: IST DIE SOGENANNTE VERSAMMLUNG … BIBLISCH? 21<br />

Irrtum. Dabei urteilt sie sehr hart über alle, <strong>die</strong> ihrer Ansicht nicht zustimmen. Der Schreiber<br />

<strong>de</strong>r Grundwahrheiten sagt S. 91, daß solche, <strong>die</strong> noch Prediger wählen, Gott in Seinem<br />

Worte nicht um Rat fragen. Wie oberflächlich und beweislos ist solch eine Behauptung!<br />

Es gibt noch viele Leute, <strong>die</strong>, ehe sie einen Prediger berufen, Gott in Seinem Worte<br />

um Rat fragen. – Nach »<strong>de</strong>n Grundwahrheiten« (S. 72) und »<strong>die</strong> Kirche nach <strong>de</strong>n Gedanken<br />

Gottes« (S. 52), soll <strong>die</strong> <strong>Versammlung</strong> <strong>die</strong> Diener <strong>de</strong>s Herrn anerkennen und <strong>die</strong> unberufenen<br />

Sprecher richten und zurechtweisen. Demnach kann <strong>die</strong> <strong>Versammlung</strong> doch <strong>die</strong><br />

wirklichen Diener <strong>de</strong>s Herrn erkennen und weiß sie von <strong>de</strong>nen, <strong>die</strong> Gott nicht zu Seinem<br />

Dienst berufen hat, zu unterschei<strong>de</strong>n. Inwiefern fehlt <strong>de</strong>nn <strong>die</strong> <strong>Versammlung</strong>, wenn sie<br />

<strong>die</strong>, von <strong>de</strong>nen sie gewiß weiß, daß ihnen <strong>de</strong>r Herr einen Beruf gegeben hat, auch hierzu<br />

ernennt und sagt: <strong>die</strong>sen Brü<strong>de</strong>rn hat <strong>de</strong>r Herr einen Dienst o<strong>de</strong>r ein Amt gegeben? Man<br />

sieht hier auch wie<strong>de</strong>r das Unrichtige und Wi<strong>de</strong>rsprechen<strong>de</strong>.<br />

[37] 5. Die Auffassung <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong> über <strong>die</strong> Geistesleitung und das Brotbrechen<br />

stimmt nicht mit <strong>de</strong>m, was das Neue Testament darüber lehrt.<br />

Wie aus <strong>de</strong>m Büchlein »Die Kirche nach <strong>de</strong>n Gedanken Gottes« (S. 46ff.) und Grundwahrheiten<br />

(S. 12ff.; 90ff.) zu ersehen ist, kann <strong>de</strong>r Heilige Geist nur da <strong>die</strong> Leitung haben,<br />

wo man allein im Namen <strong>de</strong>s Herrn zusammenkommt, so wie <strong>die</strong> <strong>Versammlung</strong> es<br />

tut. In <strong>de</strong>n menschlichen Religionssystemen, Parteikirchen, und wo sich <strong>die</strong> Gläubigen<br />

einen beson<strong>de</strong>ren Namen beilegen, ein Bekenntnis aufstellen usw., hat <strong>de</strong>r Mensch <strong>die</strong><br />

Leitung <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Heiligen Geistes entrissen; er kann darum auch nicht <strong>de</strong>r Leiter<br />

und Regierer je<strong>de</strong>r gottes<strong>die</strong>nstlichen Handlung sein. – Das Brotbrechen soll je<strong>de</strong>n Sonntag<br />

stattfin<strong>de</strong>n und ist <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utliche Ausdruck <strong>de</strong>r Einheit <strong>de</strong>s Leibes Christi; <strong>de</strong>shalb müssen<br />

alle Gläubigen an einem Ort sich auch um einen Tisch versammeln und zwar nach <strong>de</strong>r<br />

Weise <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong>. Feiern aber etliche o<strong>de</strong>r mehrere Gläubige an einem Ort, wo <strong>die</strong><br />

<strong>Versammlung</strong> ist, nicht mit ihr das Mahl, son<strong>de</strong>rn unter sich, dann richten sie einen zweiten<br />

Tisch auf, und das ist unrecht. Das Brotbrechen muß in <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong> <strong>de</strong>n ersten<br />

Platz einnehmen; aller menschliche Dienst tritt dabei zurück; <strong>de</strong>r Herr in seiner Niedrigkeit<br />

bis zum Kreuzesto<strong>de</strong> ist hier allein <strong>de</strong>r erhabene Gegenstand usw. (Grundwahrheiten<br />

S. 40ff. u. a.).<br />

1. Die <strong>Versammlung</strong> läßt für <strong>die</strong> nachapostolische Zeit kein Amt gelten und setzt an<br />

<strong>de</strong>ssen Stelle <strong>die</strong> Geistesleitung. Nicht ein sterblicher Mensch hat in <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong>, <strong>die</strong><br />

im Namen <strong>de</strong>s Herrn zusammenkommt, <strong>die</strong> Leitung. Der Heilige Geist übernimmt in ihr<br />

das Recht und <strong>die</strong> Macht und ist <strong>de</strong>r Regierer je<strong>de</strong>r gottes<strong>die</strong>nstlichen Handlung (Die Kirche<br />

nach <strong>de</strong>n Gedanken Gottes S. 53ff.). – Das klingt großartig und ist ohne Zweifel für<br />

manche Gläubige imponierend; <strong>de</strong>nn da, wo <strong>de</strong>r Geist Gottes alles so ausschließlich leitet<br />

und in <strong>de</strong>r Hand hat, und alle Ermahnungen, Anordnungen usw. nicht von einem menschlichen<br />

Willen, son<strong>de</strong>rn vom [38] Herrn selbst und seinem Geiste ausgehen, kann nur <strong>de</strong>r<br />

rechte Platz sein. Weil <strong>de</strong>r Mensch hier beiseite gesetzt ist, hat man es nicht mit Brü<strong>de</strong>rn,<br />

ihrer geringen Begabung, ihren Schwächen, Gebrechen usw., son<strong>de</strong>rn allein mit <strong>de</strong>m Wirken<br />

und Walten Gottes zu tun. – Ja, wenns nur wahr wäre! – Aber das ist eben nicht. Die<br />

<strong>Versammlung</strong> irrt in <strong>die</strong>sem Punkt, wie in vielen an<strong>de</strong>ren. Sie macht <strong>die</strong> Geistesleitung<br />

von einer äußeren Stellungnahme, <strong>de</strong>r Art und Weise ihres Zusammenkommens, abhängig.<br />

In allen Kreisen und Gemeinschaften, <strong>die</strong> sich einen Namen geben, nicht trennen von<br />

<strong>de</strong>n menschlichen Religionssystemen, soll <strong>de</strong>r Heilige Geist nicht <strong>die</strong> Leitung haben. Und<br />

das ist verkehrt. Der Heilige Geist richtet sich in allem nach Christo, <strong>de</strong>r ihn gesandt hat<br />

(Joh. 16, 7). Er re<strong>de</strong>t nicht von sich selbst, und nimmt nichts von sich selbst; in allem sieht<br />

er sich hingewiesen auf Jesum, <strong>de</strong>n er verherrlicht (V. 13 u. 14). Mithin kann für <strong>die</strong> rich-


FRIEDRICH KAISER: IST DIE SOGENANNTE VERSAMMLUNG … BIBLISCH? 22<br />

tige Geistesleitung auch nur unser richtiges Verhältnis zu Christo entschei<strong>de</strong>nd sein und<br />

nicht eine äußere <strong>Versammlung</strong>sstellung. Dies Verhältnis erhalten und bewahren wir inson<strong>de</strong>rheit<br />

durch <strong>de</strong>n Glauben an Ihn (Gal. 5, 6). Der Empfang <strong>de</strong>s Heiligen Geistes ist<br />

ebenfalls an <strong>de</strong>n Glauben geknüpft (Joh. 7, 39; Apg. 5, 32; Gal. 3, 2; Eph. 1, 13). Der<br />

Heilige Geist ist eine Person, und sein Gegner, <strong>de</strong>r ihn in seiner Tätigkeit hemmt, ist das<br />

Fleisch (Gal. 5, 16). Soll <strong>de</strong>r Heilige Geist nun in uns, wie auch in unseren gottes<strong>die</strong>nstlichen<br />

Zusammenkünften <strong>die</strong> Leitung haben, so müssen wir eine persönliche Treue beweisen<br />

in <strong>de</strong>r Ueberwindung alles fleischlichen Wesens, <strong>de</strong>r sündlichen Lüste, <strong>de</strong>s Hochmuts,<br />

<strong>de</strong>r Geld- und Weltliebe, <strong>de</strong>r Eitelkeit usw. (s. Röm. 8, 13; Kol. 3, 5 u. a.). Nur<br />

durch <strong>de</strong>n Glauben, <strong>de</strong>r das ganze Personenleben, das Denken, Fühlen und Wollen auf<br />

<strong>de</strong>n biblischen Linien zu <strong>de</strong>m gekreuzigten und auferstan<strong>de</strong>nen Heiland leitet, können wir<br />

hier <strong>de</strong>n Sieg gewinnen. »Unser Glaube ist <strong>de</strong>r Sieg, <strong>de</strong>r <strong>die</strong> Welt überwun<strong>de</strong>n hat«<br />

(I. Joh. 5, 5). Wo <strong>die</strong>ser weltüberwin<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Glaube ist, da ist ohne Zweifel auch wirkliche<br />

und richtige Geistesleitung.<br />

[39] So eng <strong>de</strong>r Rahmen <strong>de</strong>r <strong>sogenannte</strong>n <strong>Versammlung</strong> auch ist, er hat doch noch viel<br />

Raum für fleischliche, weltliche Gesinnung usw.; darum bietet <strong>die</strong> <strong>Versammlung</strong> an sich<br />

durchaus keine Garantie einer untrüglichen Geistesleitung.<br />

Der Heilige Geist wirkt und leitet allein richtig in Verbindung mit <strong>de</strong>m göttlichen Wort<br />

(»Was er höret, wird er re<strong>de</strong>n«; Joh. 16, 13), und nur sofern wir uns nach <strong>de</strong>m Worte<br />

richten, kann <strong>de</strong>r Heilige Geist <strong>die</strong> Herrschaft unter uns haben. Bei einer gründlichen,<br />

gewissenhaften Untersuchung <strong>de</strong>s Wortes bis ins einzelne und einem richtigen Vergleichen<br />

und Zusammenfassen <strong>de</strong>s ganzen, ergibt sich aber, daß <strong>die</strong> Auffassung <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong><br />

über das richtige Zusammenkommen im Namen <strong>de</strong>s Herrn biblisch unhaltbar ist (vgl.<br />

<strong>die</strong> Ausführungen oben); <strong>de</strong>shalb kann <strong>die</strong> Behauptung, daß in ihr <strong>de</strong>r Geist so ausschließlich<br />

in allem <strong>die</strong> Leitung hat, unmöglich richtig sein. – Ich glaube wohl, daß in <strong>de</strong>r<br />

<strong>Versammlung</strong> viele Gotteskin<strong>de</strong>r sind, <strong>die</strong> <strong>de</strong>r Heilige Geist leitet und bestimmt und <strong>die</strong><br />

sich <strong>de</strong>r Geistesleitung bewußt sind; aber <strong>die</strong>s hat seinen Grund nicht in ihrer beson<strong>de</strong>ren<br />

<strong>Versammlung</strong>sstellung, son<strong>de</strong>rn in ihrem persönlichen Verhältnis zum Herrn.<br />

Die Kirchen- und Gemeinschaftsgeschichte legt <strong>de</strong>utlich Zeugnis davon ab, daß fast<br />

auf keinem Gebiet <strong>de</strong>r christlichen Religion so viel Verirrungen vorgekommen sind, wie<br />

auf <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Geistesleitung. Die Eingebungen und Tätigkeiten <strong>de</strong>s eigenen Geistes wie<br />

auch dämonische Einwirkungen und Einflüsse hat man häufig für Geisteswirkungen gehalten.<br />

– Die Vorgänge <strong>de</strong>s Geisteslebens zu kontrollieren und zu schei<strong>de</strong>n zwischen <strong>de</strong>m<br />

eigenen Geist, <strong>de</strong>n dämonischen Einflüssen und <strong>de</strong>m Heiligen Geist, das ist nicht so einfach.<br />

In<strong>de</strong>s ist <strong>die</strong> Heilige Schrift hier das untrügliche Prüfungsmittel, und sofern <strong>die</strong> Behauptungen<br />

über <strong>die</strong> beson<strong>de</strong>re Geistesleitung sich nicht mit <strong>de</strong>m ganzen Bibelwort<br />

<strong>de</strong>cken, sind sie als irrig abzuweisen. – Weil <strong>die</strong> <strong>sogenannte</strong> <strong>Versammlung</strong> in ihrer beson<strong>de</strong>ren<br />

Einrichtung nicht mit <strong>de</strong>r Heiligen Schrift übereinstimmt, kann es nicht wahr<br />

sein, daß <strong>de</strong>r Heilige Geist allein in ihr alles leitet und regiert und an <strong>de</strong>n richtigen Platz<br />

bringt.<br />

[40] Wo <strong>die</strong> Geistesleitung von <strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>ren <strong>Versammlung</strong>seinrichtung abhängig<br />

gemacht wird, da darf <strong>de</strong>r einzelne Gläubige mit seiner Ueberzeugung auch nicht über<br />

<strong>de</strong>n Rahmen <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong> hinausgehen, auch wenn sie ihn nach <strong>de</strong>r Heiligen Schrift<br />

über <strong>die</strong>sen hinausweist. Und <strong>die</strong> Konsequenz solcher Auffassung über <strong>die</strong> Geistesleitung<br />

ist, daß einer o<strong>de</strong>r etliche Leute, welche <strong>die</strong> an<strong>de</strong>rn an Begabung übertreffen und <strong>die</strong><br />

Grundsätze <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong> am besten vertreten und am geschicktesten biblisch begrün<strong>de</strong>n<br />

können, <strong>die</strong> ganze <strong>Versammlung</strong> leiten und bestimmen; <strong>de</strong>r einzelne darf <strong>die</strong> Heilige<br />

Schrift nicht auffassen und verstehen, wie es ihm seine Erkenntnis und <strong>die</strong> Gewissensüberzeugung<br />

vorschreibt; er muß sich hier richten nach <strong>de</strong>n Erklärungen und Auslegungen


FRIEDRICH KAISER: IST DIE SOGENANNTE VERSAMMLUNG … BIBLISCH? 23<br />

<strong>de</strong>r Brü<strong>de</strong>r, welche <strong>die</strong> Grundsätze <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong> am richtigsten vertreten. Für einen<br />

berechtigten Subjektivismus bleibt da kein Raum; das Recht <strong>de</strong>s eigenen Urteils in Glaubens-<br />

und Gewissenssachen kann nicht anerkannt wer<strong>de</strong>n; <strong>die</strong> Heilige Schrift entschei<strong>de</strong>t<br />

hier nicht, son<strong>de</strong>rn <strong>die</strong> <strong>Versammlung</strong> o<strong>de</strong>r besser einer o<strong>de</strong>r ein paar Brü<strong>de</strong>r, welche <strong>die</strong><br />

<strong>Versammlung</strong> in ihren Son<strong>de</strong>rlehren am kräftigsten vertreten können. – Es gehört in <strong>de</strong>r<br />

Tat mehr als ein einfältiger Glaube dazu, wenn man solche Art <strong>de</strong>r Geistesleitung als richtig<br />

anerkennen soll. Während <strong>die</strong> katholische Kirche <strong>die</strong> Geistesleitung ans Amt und <strong>de</strong>n<br />

päpstlichen Stuhl bin<strong>de</strong>t, knüpft sie <strong>die</strong> in Re<strong>de</strong> stehen<strong>de</strong> Gemeinschaft an ihre beson<strong>de</strong>re<br />

<strong>Versammlung</strong>seinrichtung; eine gewisse Verwandtschaft zwischen bei<strong>de</strong>n in <strong>die</strong>sem Punkt<br />

ist unverkennbar. Paulus sagt: »Der Herr ist <strong>de</strong>r Geist, und wo <strong>de</strong>r Geist <strong>de</strong>s Herrn ist, da<br />

ist Freiheit« (II. Kor. 3, 17), und ist man sicherlich nicht an eine <strong>Versammlung</strong>sform gebun<strong>de</strong>n,<br />

<strong>die</strong> etliche Brü<strong>de</strong>r zwar für allein richtig halten, aber in Wirklichkeit nicht biblisch<br />

ist. Die <strong>Versammlung</strong> wird durch <strong>die</strong> Annahme, daß nur in ihr Christus allein <strong>de</strong>r<br />

Mittelpunkt sei und <strong>de</strong>r Heilige Geist alles bis ins einzelne leite und regiere, hingegen in<br />

allen an<strong>de</strong>ren christlichen Gemein<strong>de</strong>n und Gemeinschaften <strong>de</strong>r Mensch <strong>die</strong> Herrschaft in<br />

<strong>de</strong>r Hand habe, [41] genötigt ganz für sich allein dazustehen, einen einsamen Standpunkt<br />

einzunehmen. Alle wahrhaft großen Leute im Reiche Gottes nach <strong>de</strong>r Apostelzeit, <strong>die</strong> <strong>de</strong>r<br />

Welt das Evangelium, <strong>die</strong> Bibel und <strong>die</strong> Freiheit gebracht haben, z. B. Luther, Calvin,<br />

Spener, Zinzendorf, Tersteegen, Wesley, Wihtefield [sic], Spurgern [sic], Woody [sic], Carey,<br />

H. Taylor und viele an<strong>de</strong>re be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong> Gottesmänner, schließt sie von ihrem Kreis<br />

strenge aus; <strong>de</strong>nn sie alle haben durch das Hangen an menschlichen Religionssystemen<br />

<strong>de</strong>n Heiligen Geist verunehrt und Christo <strong>de</strong>n ihm gebühren<strong>de</strong>n Platz nicht eingeräumt.<br />

Wie arm muß sich <strong>die</strong> <strong>Versammlung</strong> doch vorkommen! Auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r Evangelisation,<br />

Mission, Bibelverbreitung, Sklavenbefreiung usw. hat sie fast nichts aufzuweisen. Die<br />

Männer, welche Gott hier aber beson<strong>de</strong>rs gebraucht und legitimiert hat, stimmten <strong>de</strong>n<br />

Grundsätzen <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong> durchaus nicht zu; darum kann sie von alle <strong>de</strong>m, was <strong>de</strong>r<br />

Herr Seinem ganzen Volk und <strong>de</strong>r Menschheit gegeben hat, durch <strong>die</strong> Reformatoren, <strong>die</strong><br />

be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n Evangelisten, Missionare usw., nicht entsprechend profitieren. Und das ist<br />

kein geringer Verlust für sie. Der Blick für das Große, was geschehen ist im Werk <strong>de</strong>s<br />

Herrn, wird verschleiert. Alles ist ja nach <strong>de</strong>m Urteil <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong> nicht gut getan<br />

wor<strong>de</strong>n. Kleinliche Anschauungen entstehen. Nichts liegt hier näher, als groß von sich<br />

selbst, und <strong>de</strong>r kleinen <strong>Versammlung</strong>, und klein von wirklich großen Leuten, und <strong>de</strong>m,<br />

was sie geleistet haben, zu <strong>de</strong>nken; <strong>de</strong>r Gesichtskreis ist meistens auch sehr begrenzt. Ich<br />

habe z. B. schon gehört, daß ältere Brü<strong>de</strong>r, <strong>die</strong> jahrelang <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong> angehört hatten,<br />

behaupteten, <strong>die</strong> Elberfel<strong>de</strong>r Bibel sei <strong>de</strong>r Grundtext. Man bekommt <strong>de</strong>n Eindruck,<br />

als nähmen solche Brü<strong>de</strong>r an, daß <strong>de</strong>r Heilige Geist <strong>die</strong> Bearbeiter <strong>die</strong>ser Bibel infolge<br />

ihrer beson<strong>de</strong>ren Verbindung mit <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong> befähigt habe, <strong>de</strong>n Grundtext herzustellen.<br />

Es gehört nicht in <strong>de</strong>n Rahmen <strong>die</strong>ser Schrift, <strong>die</strong> Vorzüge und Mängel <strong>die</strong>ser<br />

Bibel respektive ihrer Uebersetzung, zur Sprache zu bringen; allein für je<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r sich in<br />

<strong>de</strong>r gelehrten Bibelauslegungsliteratur etwas umgesehen hat, <strong>die</strong> verschie- [42] <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>utschen<br />

und englischen usw. Bibelübersetzungen einigermaßen kennt und an <strong>de</strong>r Hand <strong>de</strong>s<br />

Urtextes vergleicht, ist es keine Frage, daß <strong>die</strong> Uebersetzer <strong>de</strong>r Elberfel<strong>de</strong>r Bibel, namentlich<br />

da, wo <strong>de</strong>r Sinn <strong>de</strong>s Grundtextes schwer festzustellen ist, ziemlich von Sprachgelehrten<br />

abhängig sind, <strong>die</strong> <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong> und ihren Grundsätzen ferne stehen.<br />

Inwieweit <strong>die</strong> Brü<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong>, <strong>die</strong> da öffentlich beten und re<strong>de</strong>n, vom Heiligen<br />

Geist geleitet wer<strong>de</strong>n und bei ihnen das Eigene vom Göttlichen unterschie<strong>de</strong>n und<br />

ausgeschie<strong>de</strong>n wird, kann ich nicht sagen. Aber das ist sicher, <strong>die</strong> Auffassung <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong><br />

über <strong>die</strong> Geistesleitung hats zu viel mit Aeußerlichkeiten zu tun und stimmt<br />

nicht mit <strong>de</strong>r Heiligen Schrift überein, und daher kann sie nicht richtig sein.


FRIEDRICH KAISER: IST DIE SOGENANNTE VERSAMMLUNG … BIBLISCH? 24<br />

2. Das Brotbrechen soll nach <strong>de</strong>r Meinung <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong> auf Grund von Apg. 20,<br />

7 an je<strong>de</strong>m ersten Tage in <strong>de</strong>r Woche sein. Die Gläubigen, welche an <strong>die</strong>sem Tage nicht<br />

<strong>de</strong>n Tod <strong>de</strong>s Herrn verkündigen, begehen ein Unrecht (Grundwahrheiten S. 53). Sonst<br />

steht <strong>die</strong> <strong>Versammlung</strong> <strong>de</strong>m Gesetz und seinen verschie<strong>de</strong>nen Bestimmungen, <strong>de</strong>r Sabbatfeier,<br />

<strong>de</strong>m Tage halten usw. sehr frei gegenüber, allein das Brotbrechen am ersten Tage in<br />

<strong>de</strong>r Woche erhebt sie fast zu einem Gesetz, und zwar ohne irgendwelche biblische Beweise.<br />

Aus Apg. 20, 7 geht keineswegs hervor, daß man je<strong>de</strong>n Sonntag das Abendmahl<br />

feiern soll. Es heißt da nur: »Aber am ersten Tage in <strong>de</strong>r Woche, da wir zusammenkamen,<br />

das Brot zu brechen usw.«. Diese Worte besagen nicht, daß alle Gläubigen an je<strong>de</strong>m ersten<br />

Tage in <strong>de</strong>r Woche das Brot brechen müssen; von einer Regel, an <strong>die</strong> sich alle zu<br />

halten haben, ist hier gar keine Re<strong>de</strong>. Es gibt auch sonst keine Schriftstellen, welche in<br />

<strong>die</strong>ser Beziehung eine For<strong>de</strong>rung enthält. Nach Apg. 2, 46 ist es wahrscheinlich, daß <strong>die</strong><br />

Gläubigen <strong>de</strong>r ersten Zeit das Brot täglich gebrochen haben. Paulus drückt sich I. Kor. 11,<br />

26 bezüglich <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>s Brotbrechens unbestimmt aus; er sagt: »So oft ihr <strong>die</strong>ses Brot<br />

esset und <strong>de</strong>n Kelch trinket, verkündigt ihr <strong>de</strong>s Herrn Tod«; wie oft und wann <strong>die</strong>s geschehen<br />

soll, dar- [43] über sagt <strong>de</strong>r Apostel nichts. In Troas hat er ja erst nach Mitternacht,<br />

da <strong>de</strong>r erste Tag <strong>de</strong>r Woche schon vorüber war, das Brot gebrochen. Vgl. Apg. 20,<br />

7 mit V. 11. Daraus geht hervor, daß er wenig Gewicht darauf gelegt hat, an welchem<br />

Tage das Brotbrechen sein soll. Das Gottesvolk <strong>de</strong>s Neuen Bun<strong>de</strong>s lebt in <strong>de</strong>r Haushaltung<br />

<strong>de</strong>s Geistes, ist mit Christo ins Himmlische versetzt (Eph. 2, 6); es steht also über Sonne,<br />

Mond und Sternen und somit auch über <strong>de</strong>n Zeiten und ist darum auch nicht mit <strong>de</strong>r<br />

Abendmahlsfeier an irgend einen bestimmten Tag gewiesen (s. Röm. 14, 5; Gal. 4, 10). Es<br />

kommt nicht so sehr darauf an, wann, an welchem Tage, son<strong>de</strong>rn wie und in welchem<br />

Geist das Brot gebrochen wird. Alle, <strong>die</strong> <strong>de</strong>m Herrn im Geist und in <strong>de</strong>r Wahrheit <strong>die</strong>nen,<br />

können unter Umstän<strong>de</strong>n das Brot je<strong>de</strong>n Tag o<strong>de</strong>r alle acht o<strong>de</strong>r vierzehn Tage o<strong>de</strong>r vier<br />

Wochen brechen; je nach <strong>de</strong>m es sich ihnen innerlich nahe legt. In <strong>die</strong>ser Hinsicht gilt<br />

sicherlich Pauli Wort auch: »Und weiß solches, daß <strong>de</strong>m Gerechten kein Gesetz gegeben<br />

ist« (I. Tim. 1, 9). Die <strong>Versammlung</strong> irrt darum mit ihrer Behauptung, daß das Brotbrechen<br />

an je<strong>de</strong>m ersten Tage in <strong>de</strong>r Woche sein soll.<br />

Nach einem Traktat, »was ist eine Sekte«, S. 3ff. (Verlag R. Brockhaus), sind alle <strong>die</strong><br />

christlichen Benennungen und Körperschaften, <strong>de</strong>ren Anhänger sich als Glie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>rselben<br />

anerkennen, Sekten, und unter ihnen soll das Abendmahl nicht <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utliche Ausdruck<br />

<strong>de</strong>r Einheit <strong>de</strong>s Leibes Christi sein. Hiernach kann <strong>die</strong> Einheit <strong>de</strong>s Leibes Christi beim<br />

Brotbrechen nur dann recht zur Darstellung kommen, wenn sich alle Gläubigen in einer<br />

Gemeinschaft um einen Tisch scharen. Das ist aber unrichtig; <strong>de</strong>nn <strong>die</strong> Heilige Schrift weiß<br />

nichts von einer äußern <strong>Versammlung</strong>seinheit aller Gläubigen (s. oben), somit ist auch bei<br />

<strong>de</strong>r Abendmahlsfeier keine äußere Einheit möglich. Paulus führt (I. Kor. 10, 17) <strong>die</strong> Vereinigung<br />

<strong>de</strong>r vielen zu einem Leibe darauf zurück, daß sie alle an einem Brote teil haben;<br />

in <strong>de</strong>r Gleichheit <strong>de</strong>s Empfangenen liegt also <strong>die</strong> Zusammengehörigkeit begrün<strong>de</strong>t; daß<br />

alle das Brot nur in einer <strong>Versammlung</strong> und [44] an einem Tische nehmen müssen, davon<br />

steht we<strong>de</strong>r an <strong>die</strong>ser Stelle noch sonst im Worte Gottes etwas. Als <strong>de</strong>r Herr das Abendmahl<br />

einsetzte, »nahm er das Brot, dankte, brach es und gab es seinen Jüngern und<br />

sprach: Nehmet, esset, das ist mein Leib« (Mt. 26, 26ff.). Das Brot ist also sein Leib, und<br />

alle, welche bei <strong>de</strong>r Feier <strong>de</strong>s Abendmahls im rechten Glaubensverhältnis zum Herrn<br />

stehen, genießen Ihn selbst, haben eine wirkliche Lebensgemeinschaft mit Ihm, und darum<br />

auch mit allen, <strong>die</strong> Ihm angehören, wenn sie auch nicht alle in einer Gemeinschaft sind<br />

und an einem Tisch zusammenkommen. Auf <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong> in Jerusalem (Apg. 15,<br />

3ff.), <strong>die</strong> <strong>de</strong>n Zweck hatte, Mißhelligkeiten zwischen Ju<strong>de</strong>n- und Hei<strong>de</strong>nchristen zu beseitigen<br />

und Einigkeit zu erhalten, hat man nicht <strong>de</strong>r vorhan<strong>de</strong>nen Einheit in einer gemein-


FRIEDRICH KAISER: IST DIE SOGENANNTE VERSAMMLUNG … BIBLISCH? 25<br />

samen Feier <strong>de</strong>s Abendmahls Ausdruck gegeben; ebenso nicht bei <strong>de</strong>n Besuchen Pauli in<br />

Jerusalem (Apg. 18, 21; 21, 15ff.), durch welche das innere Band <strong>de</strong>r Gemeinschaft zwischen<br />

<strong>de</strong>n ju<strong>de</strong>nchristlichen und hei<strong>de</strong>nchristlichen Gemein<strong>de</strong>n inniger geknüpft wer<strong>de</strong>n<br />

sollte (Apg. 11, 30; 24, 17; Röm. 15, 25, 31). Ob <strong>die</strong> Hausgemein<strong>de</strong>n in Rom (Röm. 16,<br />

5); Ephesus (I. Kor. 16, 19); Laodizäa (Kol. 4, 15); Kolossä (Philem. 2) mit <strong>de</strong>n Ortsgemein<strong>de</strong>n<br />

das Abendmahl zusammen o<strong>de</strong>r unter sich allein gefeiert haben, darüber geben<br />

uns <strong>die</strong> betreffen<strong>de</strong>n Bibelstellen keinen Aufschluß. Aber soviel ist gewiß: eine äußere<br />

Tischgemeinschaft beim Brotbrechen, wie sie <strong>die</strong> <strong>Versammlung</strong> lehrt, kann aus <strong>de</strong>m Neuen<br />

Testament nicht als richtig bewiesen wer<strong>de</strong>n.<br />

Immer wie<strong>de</strong>r rückt <strong>die</strong> <strong>Versammlung</strong> das Aeußere in <strong>de</strong>n Vor<strong>de</strong>rgrund; dadurch<br />

verrät sie, daß es ihr an einer klaren Einsicht in das wirkliche Gemeinschaftsleben mit<br />

Christo und Seinem Volke fehlt; und zu welch harten Urteilen kommt sie durch ihre unbiblische<br />

schiefe Auffassung! Alle Kirchen, Gemein<strong>de</strong>n und Gemeinschaften, in <strong>de</strong>nen <strong>die</strong><br />

einzelnen sich als Glie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>rselben anerkennen, sollen Sekten sein; nur <strong>die</strong> <strong>Versammlung</strong><br />

nicht, und alle, <strong>die</strong> so zusammenkommen, wie sie und nach ihrer Weise das Brot brechen.<br />

– Der Herr [45] sagt: »Mit welcherlei Maß ihr messet, wird auch gemessen wer<strong>de</strong>n« (Mt.<br />

7, 2). Ich bin wie<strong>de</strong>rholt in <strong>Versammlung</strong>en gewesen, wo Christen verschie<strong>de</strong>ner Benennungen<br />

das Abendmahl zusammen gefeiert haben. Obwohl sie sich auch als Glie<strong>de</strong>r ihrer<br />

Gemeinschaft betrachteten, hatten sie im Glauben an <strong>de</strong>n Herrn Jesum, <strong>de</strong>r sich für alle<br />

in <strong>de</strong>n Tod gegeben hat, ein lebendiges Bewußtsein davon, daß sie mit allen Gotteskin<strong>de</strong>rn<br />

zusammen einen Leib bil<strong>de</strong>ten. Bei äußerer Verschie<strong>de</strong>nartigkeit und Trennung kann<br />

innere Vereinigung und Gemeinschaft sein; auch bei <strong>de</strong>r Abendmahlsfeier, das lehrt <strong>die</strong><br />

Heilige Schrift und auch <strong>die</strong> Erfahrung. – Die <strong>Versammlung</strong> will zwar mit allen Gotteskin<strong>de</strong>rn<br />

das Brot brechen, jedoch nur auf ihrem Bo<strong>de</strong>n und im eigenen Rahmen, aber nicht<br />

mit Gläubigen, <strong>die</strong> auf Grund <strong>de</strong>r Heiligen Schrift sich an<strong>de</strong>rs versammeln und einrichten,<br />

als sie; somit verurteilt sie sich selbst, in <strong>de</strong>m, worin sie an<strong>de</strong>re anklagt.<br />

Ferner soll das Brotbrechen <strong>de</strong>n ersten Platz einnehmen in <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong>; Worte<br />

<strong>de</strong>r Ermahnung an <strong>die</strong> <strong>Versammlung</strong> o<strong>de</strong>r ein Vortrag über einen Schriftabschnitt sind mit<br />

<strong>de</strong>r Abendmahlsfeier nicht zu verbin<strong>de</strong>n (Grundwahrheiten S. 53ff.). – Gewiß ist das<br />

Abendmahl von großer Be<strong>de</strong>utung; es stellt <strong>de</strong>n Gotteskin<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>utlich vor, was ihr Heiland<br />

alles für sie getan und erlitten hat (<strong>de</strong>r Kelch ist das Neue Testament, Luc. 22, 20); es<br />

för<strong>de</strong>rt ihre Gemeinschaft mit Ihm und untereinan<strong>de</strong>r usw. Allein nach Apg. 2, 42 nimmt<br />

bei <strong>de</strong>n Zusammenkünften <strong>de</strong>r Gläubigen das Brotbrechen nicht <strong>die</strong> erste, son<strong>de</strong>rn <strong>die</strong><br />

dritte Stelle ein. Es heißt da: »Sie blieben aber beständig in <strong>de</strong>r Apostellehre und <strong>de</strong>r<br />

Gemeinschaft, <strong>de</strong>m Brotbrechen und <strong>de</strong>m Gebet.« Hiernach gehen <strong>die</strong> Apostellehre und<br />

<strong>die</strong> Gemeinschaft <strong>de</strong>m Brotbrechen vorauf; das kann auch nicht an<strong>de</strong>rs sein; <strong>de</strong>nn <strong>die</strong><br />

Gemein<strong>de</strong> Gottes ist in erster Linie eine Glaubensgemeinschaft, und <strong>de</strong>r Glaube kommt<br />

zustan<strong>de</strong> und wird erhalten durch <strong>die</strong> Verkündigung und das Hören <strong>de</strong>s göttlichen Wortes<br />

(Röm. 10, 17); daher kann in <strong>de</strong>n gottes<strong>die</strong>nstlichen <strong>Versammlung</strong>en, nicht das Abendmahl,<br />

son<strong>de</strong>rn nur <strong>die</strong> Wortverkündigung und [46] Unterweisung in <strong>de</strong>r Heilslehre <strong>de</strong>n<br />

ersten Platz einnehmen. Daß das Abendmahl <strong>de</strong>n ersten Platz in <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong> haben<br />

soll, ist nur eine menschliche Meinung. Die Schrift gibt keine Anhaltspunkte in <strong>die</strong>ser<br />

Hinsicht, auch I. Kor. 11, 23ff. nicht.<br />

Apg. 20, 7 lesen wir, daß Paulus vor <strong>de</strong>m Brotbrechen eine lange Re<strong>de</strong> gehalten hat;<br />

es ist darum ganz schriftgemäß, wenn vor <strong>de</strong>r Abendmahlsfeier ein Bibelwort betrachtet<br />

o<strong>de</strong>r eine Ansprache gehalten und ein Wort <strong>de</strong>r Ermahnung an <strong>die</strong> Gemein<strong>de</strong> gerichtet<br />

wird. Es liegt auch im menschlichen Seelenleben begrün<strong>de</strong>t, daß eine Abendmahlsfeier<br />

ohne biblische Belehrung über das Wesen <strong>de</strong>sselben, wie über <strong>die</strong> Heilstaten <strong>de</strong>s Herrn<br />

auf <strong>die</strong> Dauer zu unrichtigen Vorstellungen über <strong>die</strong> Sache, zu schwärmerischen Gefühlen


FRIEDRICH KAISER: IST DIE SOGENANNTE VERSAMMLUNG … BIBLISCH? 26<br />

usw. führen muß. – Durch <strong>die</strong> Wortverkündigung und das Auseinan<strong>de</strong>rlegen <strong>de</strong>r Apostellehre<br />

kommt das innere Gemeinschaftsleben mit <strong>de</strong>m Herrn und <strong>de</strong>n Seinigen recht zu<br />

stan<strong>de</strong>, gibt es eine innige Verbindung, wahre Gemeinschaft, ohne welche <strong>die</strong> Abendmahlsfeier<br />

eine tote, wesenlose Zeremonie ist. Der wahre Glaube, <strong>de</strong>r ja nur berechtigt,<br />

zum Tische <strong>de</strong>s Herrn zu nahen, ist nichts an<strong>de</strong>res, als das in <strong>de</strong>r Seele lebendig gewor<strong>de</strong>ne<br />

Gotteswort. So gesegnet das Brotbrechen an sich für uns sein mag, das richtige Verständnis<br />

darüber bekommen wir doch hauptsächlich aus <strong>de</strong>r Heiligen Schrift, <strong>die</strong> uns <strong>de</strong>n<br />

Lei<strong>de</strong>ns- und Sterbensweg <strong>de</strong>s Herrn <strong>de</strong>utlich zeigt. Es ist darum nicht richtig, was <strong>de</strong>r<br />

Schreiber <strong>de</strong>r Grundwahrheiten (S. 54) behauptet; nämlich, daß es vom krankhaften<br />

Christentum herrühre und <strong>de</strong>r Geschmack am himmlischen Manna sich verloren habe,<br />

wenn man meine, daß beim Brotbrechen ein Vortrag über einen Schriftabschnitt gehalten<br />

wer<strong>de</strong>n müsse. – Es ist Tatsache, <strong>die</strong> Lehre <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong> über das Abendmahl weicht<br />

von <strong>de</strong>m, was das Neue Testament darüber sagt, hie und da ziemlich ab. In<strong>de</strong>m sie das<br />

Abendmahl in <strong>de</strong>n gottes<strong>die</strong>nstlichen Zusammenkünften an <strong>die</strong> erste Stelle rückt und<br />

vorwiegend unter <strong>de</strong>m Gesichtspunkt <strong>de</strong>r Anbetung betrachtet, berührt sie sich mit <strong>de</strong>r<br />

katholischen Kirche, [47] in <strong>de</strong>r das Abendmahl (<strong>die</strong> Hostie) angebetet wird. – Auf weitere<br />

Unrichtigkeiten in <strong>de</strong>n Lehren und Einrichtungen <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong> möchte ich jedoch<br />

nicht eingehen; ich breche darum hiermit ab.<br />

Wir haben gesehen, daß sich <strong>die</strong> <strong>sogenannte</strong> <strong>Versammlung</strong> mit ihren Son<strong>de</strong>rlehren auf<br />

<strong>de</strong>r Linie <strong>de</strong>r Aeußerlichkeit bewegt. Die Gläubigen nehmen nach ihr nur dann <strong>de</strong>n richtigen<br />

Platz ein und haben Christum in ihrer Mitte, wenn sie sich von allen menschlichen<br />

Religionssystemen trennen, keinen Namen beilegen, so zusammenkommen wie sie, keine<br />

Aeltesten und Prediger wählen, je<strong>de</strong>n Sonntag das Brot brechen usw. Auf <strong>die</strong> inneren<br />

Momente <strong>de</strong>s Christentums, <strong>die</strong> das eigentliche Wesen <strong>de</strong>sselben ausmachen, <strong>de</strong>n Glauben<br />

an Christum Jesum und <strong>die</strong> Liebe zu allen Heiligen (Eph. 1, 15; Kol. 1, 8), legt sie verhältnismäßig<br />

wenig Gewicht. Das Bedauerlichste dabei ist jedoch, daß sie meint, im beson<strong>de</strong>ren<br />

<strong>die</strong> Wahrheit zu vertreten, während sie in Wirklichkeit häufig von ihr abirrt; <strong>de</strong>nn <strong>die</strong><br />

Bibelauslegung, wie man sie in ihren Schriften fin<strong>de</strong>t, ist durchaus nicht gründlich und ist<br />

vielfach bestimmt durch das Interesse an <strong>de</strong>r eigenen Sache; <strong>die</strong> Ausführung[en] in <strong>de</strong>n<br />

Broschüren, Büchern usw., <strong>die</strong> über ihre beson<strong>de</strong>ren Grundsätze Auskunft geben, enthalten<br />

grobe Wi<strong>de</strong>rsprüche und starke Uebertreibungen. Die Schreibart ist ganz darauf berechnet,<br />

<strong>die</strong> Gewissen zu fesseln und <strong>die</strong> Kirchen- und <strong>Versammlung</strong>seinrichtung <strong>de</strong>r Gotteskin<strong>de</strong>r<br />

an<strong>de</strong>rer Benennungen als menschliche Machwerke beiseite zu schieben und das<br />

Eigene als das allein Richtige an <strong>die</strong> Stelle zu rücken. Die biblische Beweisführung läßt<br />

viel zu wünschen übrig. – Freilich gibt es auch in <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong> liebe Brü<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>nen es<br />

mehr auf das innere Leben mit <strong>de</strong>m Herrn ankommt, und <strong>die</strong> auf <strong>die</strong> Son<strong>de</strong>reinrichtungen<br />

<strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong> wenig Gewicht legen; wenn alle wären wie sie, so wür<strong>de</strong> man keine<br />

Veranlassung haben, <strong>die</strong> Eigentümlichkeiten <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong> zu beleuchten. Ich re<strong>de</strong><br />

hier auch hauptsächlich weniger von <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong> und ihren Grundsätzen im allgemeinen,<br />

weniger von einzelnen Persönlichkeiten [48] in <strong>de</strong>rselben. Was <strong>die</strong> Hauptheilslehren<br />

anbelangt, steht <strong>die</strong> <strong>Versammlung</strong> fast gera<strong>de</strong> so wie alle Gotteskin<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r übrigen<br />

Gemeinschaften und Kreise; ihr Irrtum besteht vornehmlich darin, daß sie meint, <strong>die</strong> Einheit<br />

aller Gläubigen müsse sich äußerlich darstellen und zwar auf <strong>de</strong>m Standpunkt, <strong>de</strong>n sie<br />

einnimmt und in <strong>de</strong>n Formen, <strong>die</strong> sie hat. Dies ist aber gegen <strong>die</strong> Heilige Schrift; <strong>de</strong>nn sie<br />

kennt keine äußere <strong>Versammlung</strong>seinheit. Und <strong>die</strong>se Zeilen sind in <strong>de</strong>r Absicht geschrieben,<br />

solchen Seelen zu <strong>die</strong>nen, <strong>die</strong> durch einseitige Bearbeitung und ein verkehrtes Einwirken<br />

aufs Gewissen ins Fragen gekommen sind und meinen, daß sie ihren bisherigen<br />

gesegneten Gemeinschaftskreis verlassen und <strong>de</strong>r <strong>Versammlung</strong> beitreten müssen; es soll<br />

ihnen gezeigt wer<strong>de</strong>n, daß <strong>die</strong> Linien zu einem biblischen Gemein<strong>de</strong>- und Gemeinschafts-


FRIEDRICH KAISER: IST DIE SOGENANNTE VERSAMMLUNG … BIBLISCH? 27<br />

leben nicht nach <strong>die</strong>ser Seite laufen. Was wir nötig haben in unseren Tagen, wo das Gottesvolk<br />

sich in eine Menge verschie<strong>de</strong>nartiger Gruppen teilt, das ist ein tieferer Einblick<br />

bei <strong>de</strong>n einzelnen Gläubigen in <strong>die</strong> Harmonie <strong>de</strong>r höheren Lebenseinheit in Christo Jesu,<br />

<strong>die</strong> durch äußere Verschie<strong>de</strong>nheiten und Gegensätze nicht gestört wird. Der Herr helfe<br />

uns in <strong>die</strong>ser Hinsicht weiter!

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