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Katholisches Wort in die Zeit 43. Jahr April 2012 - Der Fels

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Jürgen Lim<strong>in</strong>ski:<br />

In<br />

e<strong>in</strong>em schmalen Bändchen<br />

„Über den Selbstmord“ s<strong>in</strong>niert<br />

Re<strong>in</strong>hold Schneider kurz nach<br />

dem Krieg über <strong>die</strong> Gemütsverfassung<br />

und Gedanken des Sich-selbst-<br />

Verurteilenden. „<strong>Der</strong> Abschied ist<br />

schon vollzogen,“ schreibt er, „<strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er entsetzlichen Verwirrung, Erregung<br />

geschieht das Ende, und der<br />

Unglückliche flieht gleichsam atemlos<br />

durchs Ziel.“ Was hier für den<br />

e<strong>in</strong>zelnen gilt, kann auch für e<strong>in</strong><br />

Volk und e<strong>in</strong>e Gesellschaft gelten.<br />

<strong>Der</strong> Kulturhistoriker Arnold Toynbee<br />

me<strong>in</strong>te <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem S<strong>in</strong>n: Zivilisationen<br />

gehen nicht zugrunde, sie begehen<br />

Selbstmord. In der Tat, wir bef<strong>in</strong>den<br />

uns <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er historisch noch nicht<br />

gekannten Situation; der demographische<br />

Niedergang <strong>in</strong> Deutschland<br />

und <strong>in</strong> den meisten anderen europäischen<br />

Ländern ist wie e<strong>in</strong> Selbstmord<br />

<strong>in</strong> <strong>Zeit</strong>lupe. Es herrscht entsetzliche<br />

Verwirrung beim Gedanken<br />

an das Leben. Die anhaltend hohe<br />

Abtreibungsquote bei den Frauen im<br />

gebärfähigen Alter ist e<strong>in</strong> Indiz, <strong>die</strong><br />

auf <strong>die</strong> Bedürfnisse des Arbeitsmarktes<br />

fixierte Familienpolitik e<strong>in</strong> anderes.<br />

Kaum e<strong>in</strong> Politiker wagt es, über<br />

den Tag h<strong>in</strong>aus zu denken und den<br />

Fortbestand des Volkes <strong>in</strong> den Blick<br />

zu nehmen. Unternehmensbilanzen<br />

über das vergangene <strong>Jahr</strong>, Wahlterm<strong>in</strong>e<br />

im nächsten, l<strong>in</strong>ksfem<strong>in</strong>istisch<br />

durchtränkte Ideologien, demoskopische<br />

Momentaufnahmen – all das<br />

führt zu e<strong>in</strong>er Kurzatmigkeit im politischen<br />

Denken und Handeln, <strong>die</strong><br />

„atemlos durchs Ziel“ der Geschichte<br />

stolpern lässt.<br />

In <strong>die</strong>sem zeitlich-historischen<br />

Rahmen ist auch <strong>die</strong> verwirrende Debatte<br />

um <strong>die</strong> Zusatzsteuer für K<strong>in</strong>derlose<br />

zu sehen. <strong>Der</strong> Kern <strong>die</strong>ser<br />

Idee ist logisch und längst höchstrichterlich<br />

formuliert. Das Bundesverfassungsgericht<br />

hatte <strong>in</strong> der Tat <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>em Pflegeurteil vom 1. 4. 2001<br />

hervorgehoben, dass der „generative<br />

E<strong>in</strong>e Frage der Gerechtigkeit<br />

Zusatzabgabe für K<strong>in</strong>derlose: Zum kulturell-geistigen H<strong>in</strong>tergrund der Debatte /<br />

Selbstmord e<strong>in</strong>es Systems<br />

Beitrag“, den Eltern mit Zeugung und<br />

Erziehung von K<strong>in</strong>dern leisten, dem<br />

f<strong>in</strong>anziellen Beitrag <strong>in</strong> den Umlagesystemen<br />

(Renten- und Pflegeversicherung,<br />

Krankenkassen) gleichgestellt<br />

und mit ihm verrechnet werden<br />

sollte. Dieser Grundgedanke wurde<br />

von e<strong>in</strong>igen Experten aufgegriffen,<br />

und auch der bekannteste Ökonom<br />

der Republik, Professor Hans-Werner<br />

S<strong>in</strong>n, legte ihn <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Rentenreformvorschlag<br />

zugrunde. Dass<br />

e<strong>in</strong>e junge Gruppe von Bundestags-<br />

richtig aufkeimende Diskussion dauerte<br />

offen nur e<strong>in</strong>en Tag. Dann trat<br />

<strong>die</strong> Kanzler<strong>in</strong> sie aus.<br />

Vielleicht wäre es klüger gewesen,<br />

statt e<strong>in</strong>er Zusatzabgabe e<strong>in</strong>e stärkere<br />

Förderung von Ehe und Familie<br />

zu fordern. Vielleicht hätte man besser<br />

auch <strong>die</strong> Vorteile oder positiven<br />

Effekte aufgelistet, <strong>die</strong> Familien für<br />

<strong>die</strong> Gesellschaft erbr<strong>in</strong>gen. Man mag<br />

über <strong>die</strong> unkluge Taktik oder das ungeschickte<br />

E<strong>in</strong>fädeln der Debatte hadern<br />

und richten. <strong>Der</strong> Grundgedanke<br />

Zu hohe Kosten als Grund gegen K<strong>in</strong>der?<br />

Religiöse Menschen betrachten zu hohe Kosten seltener als wichtigen<br />

Grund gegen <strong>die</strong> entscheidung für K<strong>in</strong>der<br />

Anteile der Befragten für <strong>die</strong> „Kosten“ als Grund gegen (weitere) K<strong>in</strong>der „wichtig“ s<strong>in</strong>d (Familiensurvey 2000)<br />

Wie wichtig ist Gott <strong>in</strong> ihrem Leben?<br />

völlig unwichtig<br />

ziemlich unwichtig<br />

Weder wichtig noch unwichtig<br />

ziemlich wichtig<br />

sehr wichtig<br />

Datenquelle: Familiensurvey 2000 des Deutschen Jugend<strong>in</strong>stituts, eigene Berechnungen (antworten für „sehr<br />

wichtig“ und ziemlich wichtig zusammengefasst).<br />

abgeordneten aus der Union im Februar<br />

<strong>die</strong>sen Gedanken aufgriff und<br />

e<strong>in</strong>e Zusatzabgabe für K<strong>in</strong>derlose<br />

forderte, war ebenfalls nur logisch.<br />

Es g<strong>in</strong>g auch um <strong>die</strong> Zukunft gerade<br />

<strong>die</strong>ser Generation. Aber es war politisch<br />

nicht korrekt. Das sofort e<strong>in</strong>setzende<br />

verbale Gewitter (Strafsteuer<br />

für schon vom Leben bestrafte K<strong>in</strong>derlose,<br />

noch mehr Geld für Familien,<br />

<strong>die</strong> eh schon von K<strong>in</strong>derlosen<br />

ausgehalten würden, etc.) verhagelte<br />

<strong>die</strong> Debatte. Die noch nicht e<strong>in</strong>mal<br />

116 DER FELS 4/<strong>2012</strong><br />

29,0%<br />

32,3%<br />

31,3%<br />

35,3%<br />

43,0%<br />

bleibt logisch. Es gibt, wie <strong>die</strong> bayerische<br />

Sozial- und Familienm<strong>in</strong>ister<strong>in</strong><br />

Christ<strong>in</strong>e Haderthauer dazu bemerkt,<br />

e<strong>in</strong>e „Gerechtigkeitslücke“, <strong>die</strong> sie<br />

so def<strong>in</strong>iert: „<strong>Der</strong>jenige, der Zukunft<br />

baut und K<strong>in</strong>der hat, darf nicht mit<br />

denselben Beiträgen belastet werden<br />

wie jemand, der das – egal aus welchen<br />

Gründen – nicht tut.“<br />

Diese seit <strong>Jahr</strong>en bestehende Gerechtigkeitslücke<br />

hat Folgen. Drei<br />

von vier Haushalten <strong>in</strong> Deutschland<br />

s<strong>in</strong>d mittlerweile k<strong>in</strong>derlos. Das ist

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