Katholisches Wort in die Zeit 43. Jahr April 2012 - Der Fels
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Papst Benedikt als Kard<strong>in</strong>al Ratz<strong>in</strong>ger<br />
analysierte, besonders deutlich.<br />
K<strong>in</strong>derlose denken an den Moment,<br />
Eltern an <strong>die</strong> Zukunft. Gewollt K<strong>in</strong>derlose<br />
haben meist nur ihr eigenes<br />
Leben im Blick, Eltern auch das der<br />
K<strong>in</strong>der. Da <strong>die</strong> K<strong>in</strong>derlosen <strong>in</strong> Politik<br />
und Me<strong>die</strong>n den Ton angeben, werden<br />
Debatten über das Geme<strong>in</strong>wohl,<br />
über Gerechtigkeit unter den Generationen<br />
immer kurzatmiger, <strong>die</strong> Atemlosigkeit<br />
wird zum System.<br />
In <strong>die</strong>sem S<strong>in</strong>n argumentieren Grüne<br />
und Sozialdemokraten (auch e<strong>in</strong>zelne<br />
Vertreter der CDU) mit der Reform<br />
des Ehegattensplitt<strong>in</strong>gs. Es sollte<br />
nur Ehen mit K<strong>in</strong>dern zugute kommen.<br />
Auch das ist kurz gedacht. Zum<br />
e<strong>in</strong>en würden dann <strong>die</strong> bestraft, <strong>die</strong><br />
K<strong>in</strong>der großgezogen haben und nun<br />
alle<strong>in</strong> leben. Sie haben ihren Zukunftsbeitrag<br />
geleistet. Ihnen<br />
nun <strong>die</strong> Früch-<br />
te vorzuenthalten<br />
würde <strong>die</strong> Gerechtigkeitslücke<br />
weiter<br />
aufreißen. Zum anderen<br />
werden nachweislich<br />
vor allem<br />
<strong>in</strong> Ehen K<strong>in</strong>der geboren,<br />
und zwar immer<br />
später. Die Ehe als solche nicht<br />
mehr zu fördern hieße, <strong>die</strong> Voraussetzung<br />
für mehr Geburten weiter abzuwürgen.<br />
Zielführender im S<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>er<br />
natalistischen, mith<strong>in</strong> das System erhaltenden<br />
Politik wäre es, das Ehegattensplitt<strong>in</strong>g<br />
zu erweitern. Das hat Paul<br />
Kirchhof schon angeregt mit der Erhöhung<br />
des Freibetrags pro Kopf. Es<br />
wäre e<strong>in</strong> deutsches Familiensplitt<strong>in</strong>g,<br />
das K<strong>in</strong>derlosen nicht wehtut und<br />
deshalb auch Chancen hätte. Ähnlich<br />
könnte man bei der Rente verfahren.<br />
Familien entlasten, statt K<strong>in</strong>derlose<br />
belasten und das als Beitrag zur Systemerhaltung<br />
„verkaufen“ – e<strong>in</strong> Beitrag<br />
also, von dem auch K<strong>in</strong>derlose<br />
profitieren. So könnte man versöhnen<br />
statt spalten und <strong>die</strong> Gerechtigkeitslücke<br />
schließen.<br />
Auch <strong>in</strong> der EU hechelt man sich<br />
voran, getreu dem <strong>Wort</strong> von Robert<br />
Musils Mann ohne Eigenschaften:<br />
„Wir irren vorwärts“. Zum Beispiel<br />
bei e<strong>in</strong>em Thema, das <strong>die</strong> EU nichts<br />
angeht, das Betreuungsgeld. <strong>Der</strong> für<br />
Soziales zuständige EU-Kommissar<br />
Laszlo Andor hat <strong>in</strong> ungewohnter Offenheit<br />
e<strong>in</strong> Dogma der EU-Kommission<br />
formuliert. „Es gilt <strong>in</strong> Europa<br />
<strong>die</strong> klare Politik, <strong>die</strong> Beteiligung von<br />
Frauen am Arbeitsmarkt zu fördern“.<br />
Die gläubigen Christen<br />
sollten sich als e<strong>in</strong>e<br />
schöpferische M<strong>in</strong>derheit<br />
verstehen.<br />
Benedikt XVI.<br />
Deshalb habe er schwere Bedenken<br />
gegen das von der Bundesregierung<br />
geplante Betreuungsgeld, es „schwäche<br />
den Arbeitsmarkt“. Selten hat e<strong>in</strong><br />
Kommissar so deutlich gesagt, was er<br />
und se<strong>in</strong>e Kommission denken und<br />
von Familie halten. Für sie hat der Arbeitsmarkt<br />
Vorrang vor der Familie,<br />
<strong>die</strong> Familie ist nur Lieferant für Arbeitskräfte.<br />
Vor allem Frauen sollen<br />
dem Arbeitsmarkt zugeführt werden.<br />
Diesem Dogma der Kommissare wird<br />
alles bl<strong>in</strong>d untergeordnet. In <strong>die</strong>sem<br />
S<strong>in</strong>n greifen <strong>die</strong> Arbeitsmarktideologen<br />
nicht nur das Betreuungsgeld,<br />
sondern auch das Ehegattensplitt<strong>in</strong>g<br />
an. Deutschland solle schriftlich erklären,<br />
wie sich das Ehegattensplitt<strong>in</strong>g<br />
auf <strong>die</strong> Motivation von Frauen auswirke,<br />
dem Arbeitsmarkt zu Diensten<br />
zu se<strong>in</strong>, <strong>in</strong>dem sie e<strong>in</strong>e Stelle suchten<br />
oder nach e<strong>in</strong>er Elternzeit<br />
auf e<strong>in</strong>en<br />
alten Arbeitsplatz<br />
zurückkehrten. Es<br />
versteht sich von<br />
selbst, dass <strong>die</strong>se<br />
Elternzeit im Verständnis<br />
der Kommissare<br />
so kurz<br />
wie möglich se<strong>in</strong><br />
soll, am besten kehrten <strong>die</strong> Frauen<br />
gleich nach der Geburt zurück. K<strong>in</strong>der<br />
s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Denken nur H<strong>in</strong>dernis,<br />
bestenfalls künftige Arbeitnehmer.<br />
Die Auslassungen des Kommissars<br />
haben <strong>in</strong> der CDU manchen Politiker<br />
bee<strong>in</strong>druckt. Aber <strong>die</strong> entscheidenden<br />
Politiker <strong>in</strong> der CSU lassen sich nicht<br />
verwirren. Sie werden von e<strong>in</strong>er Stu<strong>die</strong><br />
bestätigt, zu f<strong>in</strong>den bei den „Proceed<strong>in</strong>gs“<br />
der amerikanischen Akademie<br />
der Wissenschaften. Es handelt<br />
sich um <strong>die</strong> erste Stu<strong>die</strong>, <strong>die</strong> empirisch<br />
nachweist, dass e<strong>in</strong>e fürsorgliche<br />
elterliche Zuwendung, vor allem<br />
<strong>die</strong> Mutterliebe, <strong>die</strong> Hirnentwicklung<br />
und besonders auch den Spracherwerb<br />
fördert. Das sei auch anatomisch feststellbar,<br />
sagt e<strong>in</strong>e der Autor<strong>in</strong>nen der<br />
Stu<strong>die</strong>, Joan L. Luby. <strong>Der</strong> Hippocampus,<br />
e<strong>in</strong>e Hirnregion, <strong>die</strong> Emotionen<br />
und Stress reguliert, wächst um bis zu<br />
zehn Prozent, wenn <strong>die</strong>se K<strong>in</strong>der <strong>in</strong><br />
den ersten <strong>Jahr</strong>en von der Mutter oder<br />
der ersten Bezugsperson viel Zuwendung<br />
erfahren. Das deckt sich zwar<br />
mit früheren Forschungsergebnissen,<br />
etwa des britischen Verhaltensforschers<br />
Jay Belsky, der als wichtigstes<br />
Element schlicht festhält: Das K<strong>in</strong>d<br />
braucht jemand, der alles für es tut –<br />
„who is crazy for it“. Das ist bei den<br />
Müttern meistens der Fall. Wenn sie<br />
da s<strong>in</strong>d. Oder wenn e<strong>in</strong>e andere Bezugsperson<br />
wie Großmutter, Vater,<br />
etc. präsent s<strong>in</strong>d. Wenn der Arbeitsmarkt<br />
allerd<strong>in</strong>gs Vorrang hat, und das<br />
Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Krippe aufwächst,<br />
dann fehlt <strong>die</strong>se primäre Zuwendung.<br />
Und dann hapert es meist mit dem<br />
Spracherwerb.<br />
Ke<strong>in</strong>en Nachhilfeunterricht braucht<br />
der Deutsche Familienverband. Er<br />
plä<strong>die</strong>rt seit <strong>Jahr</strong>en mit ähnlichen Argumenten.<br />
<strong>Der</strong> Präsident des mitgliederstärksten,<br />
überkonfessionellen Verbandes,<br />
Klaus Zeh, ist über <strong>die</strong> Kritik<br />
der EU am Betreuungsgeld „befremdet“.<br />
An vielen Stellen würden <strong>in</strong>zwischen<br />
„Rettungsschirme aufgespannt,<br />
aber ausgerechnet Familien wird, bevor<br />
es überhaupt e<strong>in</strong>en Gesetzentwurf<br />
gibt, e<strong>in</strong> solcher weggezogen“.<br />
Papst Benedikt weist <strong>die</strong> Politik<br />
unermüdlich auf <strong>die</strong> Bedeutung der<br />
Familie h<strong>in</strong>. Bei se<strong>in</strong>er Ansprache<br />
an das gesamte Diplomatische Korps<br />
sagte er, bei der Familie „handelt es<br />
sich nicht um e<strong>in</strong>e bloße gesellschaftliche<br />
Konvention, sondern um <strong>die</strong><br />
Grundzelle der ganzen Gesellschaft.<br />
Folglich bedroht e<strong>in</strong>e Politik, welche<br />
<strong>die</strong> Familie gefährdet, <strong>die</strong> Würde<br />
des Menschen und <strong>die</strong> Zukunft<br />
der Menschheit selbst. <strong>Der</strong> familiäre<br />
Rahmen ist grundlegend auf dem<br />
Erziehungsweg und für <strong>die</strong> Entwicklung<br />
der Individuen und der Staaten;<br />
demnach ist e<strong>in</strong>e Politik notwendig,<br />
<strong>die</strong> den Wert der Familie betont und<br />
den gesellschaftlichen Zusammenhalt<br />
und den Dialog unterstützt“. Genau<br />
das tut das Betreuungsgeld, wenn<br />
auch <strong>in</strong> bescheidenem Maße. Genau<br />
das täte auch e<strong>in</strong>e Zusatzabgabe für<br />
K<strong>in</strong>derlose. Ziel der Politik ist es, Gerechtigkeit<br />
zu schaffen, lehrt Benedikt<br />
XVI. Dazu gehört auch <strong>die</strong> Generationengerechtigkeit.<br />
Dazu gehört auch<br />
<strong>die</strong> Achtung von Ehe und Familie, <strong>die</strong><br />
„für <strong>die</strong> europäische Identität wesentlich“<br />
s<strong>in</strong>d. Europa wäre nicht mehr<br />
Europa, so Papst Benedikt, „wenn<br />
<strong>die</strong>se Grundzelle se<strong>in</strong>es sozialen Aufbaus<br />
verschwände oder wesentlich<br />
verändert würde“. Und er beruft sich<br />
auf Arnold Toynbee, der sagte, dass<br />
das Schicksal e<strong>in</strong>er Gesellschaft immer<br />
wieder von schöpferischen M<strong>in</strong>derheiten<br />
abhängt. „Die gläubigen<br />
Christen sollten sich als e<strong>in</strong>e solche<br />
schöpferische M<strong>in</strong>derheit verstehen.“<br />
Auch und gerade wenn <strong>die</strong> politische<br />
Klasse sich so verwirrt zeigt wie beim<br />
Thema Generationengerechtigkeit. q<br />
118 DER FELS 4/<strong>2012</strong>