11.10.2013 Aufrufe

Dokumentation des Besuches von Franz Wittkamp

Dokumentation des Besuches von Franz Wittkamp

Dokumentation des Besuches von Franz Wittkamp

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

25.10.2010: Erste Begegnung mit Frantz <strong>Wittkamp</strong> und Poetik-Vorlesung<br />

Die erste Begegnung mit Frantz <strong>Wittkamp</strong> erfolgte im ‚Apart’-Hotel, in dem er untergebracht<br />

war. Pünktlich zum vereinbarten Zeitpunkt erschien er im Foyer, ein hagerer Mann in einen<br />

langen, schwarzen Mantel gehüllt, mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen. Nach<br />

einer herzlichen Begrüßung gingen wir noch kurz zu seinem Wagen, da er eine Packung<br />

Taschentücher holen wollte, was er mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen damit<br />

begründete, dass er vorbereitet sein wolle, falls er vor Freude weinen müsse. Anschließend<br />

machten wir uns mit der Straßenbahn auf den Weg durch die Innenstadt. Herr <strong>Wittkamp</strong><br />

zeigte sich sehr interessiert am Leben in Halle. So wollte er unter anderem wissen, wieso die<br />

berühmte hallenser Süßigkeit als Halloren bezeichnet würde. Gleichzeitig berichtete er offen<br />

<strong>von</strong> sich und seiner Familie. So erzählte er beispielsweise kleine Anekdoten aus seinem<br />

Leben, die ihm in den Sinn kamen und es entwickelte sich so ein lockeres Gespräch. In den<br />

Franckeschen Stiftungen angekommen erfolgte zunächst eine Begrüßung durch die<br />

Dozenten und anschließend hielt Frantz <strong>Wittkamp</strong> die Poetik-Vorlesung im Rahmen <strong>des</strong><br />

Moduls „Lesen und Umgang mit neuen Medien“. Bevor er selbst zu Wort kam, wurden die<br />

Biografie und einige Werke <strong>des</strong> Dichters kurz vorgestellt. Nun war Frantz <strong>Wittkamp</strong> an der<br />

Reihe und schnell begeisterte er uns Studierende mit seinen Texten, die er in seine<br />

Erzählungen einstreute, sodass die gesamte Vorlesung wie ein einziges Gedicht wirkte. Im<br />

Hörsaal herrschte absolute Stille und alle lauschten gebannt der ruhigen und angenehmen<br />

Stimme <strong>des</strong> Dichters, der unzählige seiner Vierzeiler, aber auch längere Gedichte vorstellte.<br />

Auch dabei berichtete er über Ereignisse aus seinem Leben, die ihn veranlassten, bestimmte<br />

Texte zu verfassen und man hatte als Zuhörer das Gefühl, dass Frantz <strong>Wittkamp</strong> sehr offen<br />

zu uns sprach. Im Anschluss daran ging er auf Fragen der Studierenden ein, wobei mich eine<br />

seiner Antworten besonders überraschte: <strong>Franz</strong>t <strong>Wittkamp</strong> berichtete uns, dass er selbst<br />

keine Gedichte anderer Autoren liest, da er die Befürchtung hat, dass sich dies auf seinen<br />

eigenen Schreibprozess auswirken könnte.<br />

Wie man Gedichte macht<br />

Nichts einfacher als das. Für das Gedichtemachen braucht man keine Ausbildung und kein<br />

Werkzeug, weder eine Werkstatt noch eine besondere Arbeitskleidung. Zum Beispiel könnte<br />

ich bei einem Spaziergang durch die Stadt ein Gedicht machen, ohne auch nur die Hände aus


der Tasche zu nehmen oder irgendwo stehenzubleiben. Sobald das Gedicht fertig ist, kann ich<br />

es in meinem Kopf nach Hause tragen, und niemand ahnt, dass ich etwas mitbringe.<br />

Bei schlechtem Wetter allerdings bleibe ich zu Hause. Ich sitze am Fenster und warte so<br />

lange, bis mir etwas einfällt. Früher oder später gibt mir ein glücklicher Zufall Gedanken in<br />

den Kopf, aus denen ein Gedicht wird. Meine Arbeit besteht also hauptsächlich im Vertrauen<br />

auf diesen glücklichen Zufall.<br />

Einmal, als ich im Sommer beim offenen Fenster auf einen Zufall wartete, geschah etwas<br />

Merkwürdiges. Da kam <strong>von</strong> gegenüber aus der blauen Luft ein Schmetterling. Er schaukelte<br />

zum Fenster herein und setzte sich auf meinen Kopf. Das fand ich so schön, dass ist still saß<br />

ohne zu atmen, bis er einen Augenblick später wieder da<strong>von</strong>flog. Diesen Schmetterling habe<br />

ich nicht vergessen. Wie ein schönes Gedicht war er ein glücklicher Zufall. Solche Zufälle<br />

lassen sich nicht erzwingen,<br />

aber es lohnt sich, auf sie zu warten,<br />

und – man kann ihnen das Fenster öffnen.<br />

Frantz <strong>Wittkamp</strong><br />

Quelle: Frantz <strong>Wittkamp</strong>: alphabetbuch. Lüdinghausen: Verlag Annette <strong>Wittkamp</strong> 2010<br />

26.10.2010: Lesung in der Wittekind-Grundschule und Besuch in der Schreibspielwiese<br />

Am zweiten Tag holten wir <strong>Franz</strong> <strong>Wittkamp</strong> erneut <strong>von</strong> seinem Hotel ab und legten den Weg<br />

zur Wittekind-Grundschule gemeinsam zu Fuß zurück. Dabei erzählte uns der Dichter <strong>von</strong><br />

seiner Kindheit, wobei er die ersten drei Jahre seines Lebens in Wittenberg aufgewachsen<br />

war. Desweiteren entdeckte der Dichter auf einer der Gehwegplatten einen Abdruck, der<br />

dem Großbuchstaben E ähnelte. Dies beeindruckte ihn sehr und er begann daraufhin sofort,<br />

eines seiner Buchstabengedichte zu zitieren. Wie viele andere kleine Situationen, die wir mit<br />

dem Dichter erlebten, machte uns dies deutlich, dass für ihn die Poesie in allen Dingen zu<br />

stecken schien. Sein Blick auf die Welt war ein anderer, der eines Künstlers, der selbst in<br />

einem Abdruck auf dem Gehweg Inspiration finden kann.


Wir betraten gemeinsam das Schulgebäude und wurden im Sekretariat freundlich in<br />

Empfang genommen. Die Lesung fand im Speiseraum statt, der bereits entsprechend<br />

umgeräumt war. Nachdem Frantz <strong>Wittkamp</strong> einen schwarzen Kaffe erhalten hatte, der ihm<br />

zu seiner besonderen Freude in einer schwarzen Tasse serviert wurde, nahm er an dem für<br />

ihn vorgesehenen Tisch Platz und blickte gespannt auf die noch leeren Stuhlreihen vor ihm.<br />

Als die beiden ersten Klassen den Raum betraten, wirkten die Schüler sehr ehrfürchtig und<br />

suchten sich leise einen Platz. Mit ruhiger Stimme begrüßte Frantz <strong>Wittkamp</strong> die Kinder, die<br />

im Chor mit „Guten Morgen“ antworten. Auch hier stellte er verschiedene Findlinge, aber<br />

auch einige längere Gedichte vor und verzichtete nicht auf nachdenkliche Texte. Die meisten<br />

Schüler ließen sich schnell auf die Situation ein und sprachen beispielsweise bei dem Gedicht<br />

„Du bist da und ich bin hier“ mit, indem sie die Gegensätze ergänzten. Dies erfolgte ganz<br />

ohne Aufforderung, was zeigt, wie Lyrik Kinder dazu einladen kann, sich auf diese besondere<br />

Sprache einzulassen und mit ihr zu spielen. Frantz <strong>Wittkamp</strong> brachte die Schüler mit seinen<br />

Texten zum Lachen, Staunen und Nachdenken und begeisterte auch mit seiner Mimik und<br />

Gestik. Ab und zu erhob er sich <strong>von</strong> seinem Platz und wanderte beim Erzählen durch den<br />

Raum, legte sich sogar auf einen der Tische, um einen der Gedichtvorträge zu unterstützen.<br />

Zusätzlich hatte sich der Dichter, der sonst ganz ohne Armbanduhr zurecht kommt, eine<br />

solche mit dem Kuli <strong>des</strong> Hotelzimmers in Vorbereitung auf die Lesung aufs Handgelenk<br />

gezeichnet, welche er an passender Stelle vorzeigte. Seine Gesten regten die Schüler zur<br />

Nachahmung an und es zeigte sich schnell, dass seine kurzweiligen Verse sie begeistern<br />

konnten. Auch bei dieser Lesung vor den Schülern berichtete der Dichter einiges <strong>von</strong> sich<br />

selbst, womit er erreichte, dass er nicht mehr als völlig Fremder erschien. Außerdem machte<br />

Frantz <strong>Wittkamp</strong> einige Scherze, so forderte er die Kinder beispielsweise vor dem Vortragen<br />

seines Gute-Nacht-Gedichtes auf, einzuschlafen. Da sich auf seine Frage hin, ob denn eines<br />

der Kinder zufällig Geburtstag habe, ein Mädchen meldete, begann er sogleich, sein Gedicht<br />

„Weil heute dein Geburtstag ist“ für sie vorzutragen. Zusätzlich befragte er die Schüler<br />

danach, welche Gedichte sie selbst kennen und bezog somit die eigenen Erfahrungen der<br />

Schüler mit Lyrik mit ein. Er berichtete, wie man Gedichte schreiben kann und dass man dazu<br />

weder ein bestimmtes Werkzeug, noch eine Werkstatt braucht. Er regte die Kinder an, selbst<br />

Gedichte zu schreiben, indem er betonte, dass dies nicht schwer ist. Frantz <strong>Wittkamp</strong><br />

schaffte es, die meisten Schüler der beiden ersten Klassen eine ganze Schulstunde lang in


seinen Bann zu ziehen, indem er die Schüler einbezog und eine vielfältige Auswahl an<br />

lyrischen Texten anbot.<br />

Auch auf dem Rückweg <strong>von</strong> der Schule zum Hotel begeisterte uns Frantz <strong>Wittkamp</strong> mit<br />

seiner spontanen Freude an Sprachspielereien, da er auf die Information <strong>von</strong> uns, dass sich<br />

neben der Wittekind-Grundschule direkt die Sekundarschule mit gleichem Namen befinden<br />

würde, reagierte, indem er feststellte, dass sich neben dem Wittekind also die ganze Familie,<br />

inklusive Wittemutter und Wittevater dort befinden würden.<br />

Am Nachmittag <strong>des</strong> gleichen Tages besuchte Frantz <strong>Wittkamp</strong> die Mitglieder der<br />

Schreibspielwiese. Auch dort stellte er einige seiner Texte vor und gab verschiedenste<br />

Anregungen, indem er anhand seiner Gedichte verschiedene Baumuster verdeutlichte. Diese<br />

Einführungsphase glich einer Art Lesung und dauerte recht lange, sodass die Kinder und<br />

Jugendlichen ein wenig unruhig wurden. Dem Werkstatt-Prinzip wurde die Einführung <strong>von</strong><br />

Frantz <strong>Wittkamp</strong> eher nicht gerecht, da er zwar unzählige Anregungen vorstellte, aber das<br />

eigene Schreiben eher in den Hintergrund geriet. Als die Kinder dann Zeit zum Schreiben<br />

erhielten, schienen sie ein wenig überfordert <strong>von</strong> den vielen Anregungen, fanden dann aber<br />

doch recht schnell in den Schreibprozess. Frantz <strong>Wittkamp</strong> beobachtete diesen relativ<br />

distanziert und hielt sich in dieser Phase stark zurück. Als die Schüler ihre Texte im Anschluss<br />

daran im Sitzkreis vorstellten, wurde deutlich, dass sich die meisten stark an Baumustern<br />

und Motiven orientiert hatten, die zuvor in den vom Dichter vorgestellten Texten zum<br />

Ausdruck gekommen waren. Frantz <strong>Wittkamp</strong> hört aufmerksam zu und honorierte jeden<br />

Vortrag mit Applaus.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!