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Globalisierung - Realität und Ideologie.pdf - FEN

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Wirtschaft <strong>und</strong> Beschäftigung bedenkt: In den großen Industrieländern (OECD) tragen Dienstleistungen<br />

60 bis 70 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei <strong>und</strong> beschäftigen 64 Prozent aller<br />

Arbeitnehmer. Mit dem nun in der WTO zur Verhandlung anstehenden Allgemeinen Abkommen<br />

über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) sollen die Dienstleistungsmärkte in zwölf<br />

Sektoren <strong>und</strong> vier Arten der Erbringung eingeteilt <strong>und</strong> für Unternehmen geöffnet werden. Dabei<br />

geht es nicht allein um wirtschaftsnahe Dienstleistungen wie beispielsweise freiberufliche<br />

Dienste, Datenverarbeitungsdienstleistungen, Werbung, Kommunikationsdienstleistungen<br />

(Post, Kurierdienste, Telekommunikation), Bau- <strong>und</strong> Montagedienstleistungen (Hochbau,<br />

Tiefbau etc.), Vertriebsdienstleistungen (Großhandel, Einzelhandel). Die Neuregelungen werden<br />

auch die Bildungsdienstleistungen (Kindergarten, Schulbildung, Berufs- <strong>und</strong> Universitätsausbildung),<br />

Umweltdienstleistungen (Abwasser, Müllabfuhr), Finanzdienstleistungen, medizinische<br />

<strong>und</strong> soziale Dienstleistungen (einschließlich Krankenhäuser), Tourismus <strong>und</strong> Reise dienstleistungen,<br />

Erholung, Kultur <strong>und</strong> Sport sowie alle Transportdienstleistungen zu See,<br />

Luft, Straße, Schiene, Raumfahrt erfassen. Ausgenommen werden sollen nur Dienste, die „in<br />

Ausübung hoheitlicher Gewalt“ erbracht werden <strong>und</strong> Luftverkehrsrechte.<br />

Gerade weil die Liberalisierung des Dienstleistungsmarktes die zukünftige Markt <strong>und</strong> Sozialordnung<br />

des globalen Arbeitsmarktes betrifft, ist eineVerankerung der universell anerkannten<br />

ILO-Kernarbeitsnormen in das WTO-Abkommen unerlässlich. Kinder-, Sklaven- <strong>und</strong><br />

Zwangsarbeitsollten selbstverständlich internationalgeächtet<strong>und</strong>verbotensein.Aberselbst in<br />

den Industrieländern, das zeigt sichamBeispiel der Zwangsarbeit für Häftlinge US-amerikanischer<br />

Haftanstalten, ist dies nicht selbstverständlich. GeradeWanderarbeitnehmer müssen die<br />

Möglichkeithaben,sichgewerkschaftlichzuorganisieren<strong>und</strong>Tarifverhandlungenabschließen<br />

zu können. Sonst werdendemLohn- <strong>und</strong> Sozialdumping alle Tore geöffnet. Es kann auch nicht<br />

sein, dass grenzüberschreitende Dienstleistungsfreiheit das Mindestniveau an ortsüblichen<br />

Löhnen <strong>und</strong> Arbeitsbedingungen im Sinne des globalen Wettbewerbs unterschreitet. Dazu<br />

müssen Regelungen, wie eine globale Entsenderichtlinie <strong>und</strong> Qualitätsstandards im WTO-Abkommen<br />

zum Öffentlichen Beschaffungswesen gef<strong>und</strong>en werden. Es fehlt bisher weitgehend<br />

an Folgeabschätzungen. Entsprechend kontrovers diskutiert wurden mehrere Kommissions-<br />

Empfehlungen zu GATS. Die Enquete-Kommission empfiehlt, die Bereiche der „hoheitlich erstellten<br />

Dienstleistungen“ wie Bildung <strong>und</strong> die sogenannte Öffentliche Daseinsvorsorge von<br />

denVerhandlungen zumGATS auszunehmen. Darüber hinaus dürfen bei der Harmonisierung<br />

internationaler Dienstleistungsstandards beziehungsweise beim Abbau handelsverzerrender<br />

Dienstleistungsregulierungen keine internationalen Verpflichtungen eingegangen werden,<br />

die EU-Recht unterlaufen oder das Recht der Nationalstaaten auf national höherwertige Standards<br />

<strong>und</strong> Normen einschränken. Insbesondere im Rahmen der öffentlichen Auftragsvergabe<br />

wie auch bei den Marktzugangsregelungen für den europäischen Arbeitsmarkt müssen europäische<br />

oder nationalstaatlich vereinbarte höhere Standards in Bezug auf die Einhaltung von<br />

Tarifverträgen, Chancengleichheit, Nichtdiskriminierung sowie sozial-, umwelt- <strong>und</strong> wachstumspolitischer<br />

Ziele erhalten bleiben,oder–bessernoch–faktischdurchgesetztwerden.<br />

Die Kommission ist sich einig, dass Umwelt- <strong>und</strong> Sozialstandards in der Wirtschaft unerlässlich<br />

sind. Die Kommission sieht deren Integration in das Regelwerk der WTO als geeignetes<br />

Mittel, um umwelt-, entwicklungs- <strong>und</strong> sozialpolitische Ziele zu verwirklichen. Sie empfiehlt<br />

auch die gleichrangige Berücksichtigung aller völkerrechtlich verbindlichen Vereinbarungen<br />

bei handelspolitischen Regelungen. Denn es besteht erfahrungsgemäß die Sorge, dass sonst<br />

GATT/WTO-Entscheidungen das Postulat der Handelsliberalisierung über alle anderen politischen,<br />

sozialen oder ökologischen Gesichtspunkte stellen. Die Kommission sieht die Notwendigkeit,<br />

das Verhältnis zwischen multilateralen Abkommen <strong>und</strong> denen der WTO zu klären,<br />

<strong>und</strong> zwar mit einem klaren Vorrang für die Durchsetzung von Menschenrechten beziehungsweise<br />

Friedens- <strong>und</strong> Umwelt- sowie sozialpolitischen Abkommen, falls es zu Konflikten zwischen<br />

dem internationalen Handelsrecht <strong>und</strong> diesen kommt. In diesem Sinne sollen die durchaus<br />

effektiven Streitschlichtungsverfahren <strong>und</strong> möglichen Sanktionsmechanismen genutzt<br />

werden.<br />

Solange soziale <strong>und</strong> ökologische Standards in internationalen Abkommen nicht befriedigend<br />

abgesichert sind, droht die Gefahr, dass weltweit „Sonderwirtschaftszonen“ zunehmen,<br />

in denen ohne Beachtung von Umwelt- <strong>und</strong> Sozialstandards produziert wird. In den letzten<br />

Jahren wurden privatwirtschaftliche Verhaltenskodizes entwickelt, die als Selbstverpflichtung<br />

soziale <strong>und</strong> ökologische Fortschritte unter Wahrung legitimer geschäftlicher Interessen erzielen<br />

können.<br />

Auch wenn Verhaltenskodizes einen Rechtsrahmen keineswegs ersetzen, können sie doch<br />

durchaus wirksam sein: Das Fehlen solcher Verhaltenskodizes kann bei Unternehmen gewisser<br />

Branchen faktisch zu deren Marktausschluss führen. Für die Glaubwürdigkeit <strong>und</strong> Wirksamkeit<br />

äußerst hilfreich ist die Einführung geeigneter Zertifizier-, Auditier-, Monitoring- <strong>und</strong><br />

Verifizierungsverfahren unter Einbeziehung von Gewerkschaften <strong>und</strong> Nichtregierungsorganisationen.<br />

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