22.10.2013 Aufrufe

Werkbuch Vernetzung. Chancen und Stolpersteine interdisziplinärer ...

Werkbuch Vernetzung. Chancen und Stolpersteine interdisziplinärer ...

Werkbuch Vernetzung. Chancen und Stolpersteine interdisziplinärer ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

1<br />

Trotz der augenscheinlichen Notwendigkeit für eine interdisziplinäre Zusammenarbeit gibt es bisher<br />

wenig empirische Belege dafür, dass verbesserte Zusammenarbeit <strong>und</strong> <strong>Vernetzung</strong> zu verbessertem<br />

Kinderschutz führen. Im Rahmen einer Studie der Ulmer Arbeitsgruppe zur Hilfeprozess-Koor-<br />

dination im Kinderschutz führte planvolles <strong>und</strong> zielorientiertes Zusammenwirken der beteiligten<br />

Institutionen zu stärkerer Professionalisierung <strong>und</strong> Stärkung der Kompetenz der beteiligten Mit-<br />

arbeiter. Dabei wurden institutionsexterne Supervision <strong>und</strong> Beratung durch Kinderschutz-Experten<br />

mit leitlinienorientierter Diagnostik <strong>und</strong> Intervention verknüpft. Es zeigte sich gleichermaßen eine<br />

tendenzielle Verbesserung in der Sicherheit des interventiven Vorgehens als auch in einer Abnahme<br />

der selbst eingeschätzten Sicherheit in der Verdachtseinschätzung bzw. der Abschätzung der Folgen<br />

bei Misshandlungsfällen im Vergleich mit Kinderschützern, die gemäß ihrer Routineverfahren vorgingen.<br />

Interpretieren lässt sich dies als Folge einer sorgfältigen <strong>und</strong> wiederholten Refl exion der Fälle<br />

mit einem externen Kinderschutzexperten. Gleichzeitig wurde die Zusammenarbeit zwischen den<br />

Institutionen von den beteiligten Mitarbeitern als überwiegend konstruktiv eingeschätzt (Goldbeck,<br />

Laib-Koenem<strong>und</strong> & Fegert, 2005, 2007). Darüber hinaus gibt es weiterhin so gut wie keine Studien,<br />

die untersuchen, wie interdisziplinäre Netzwerke im Bereich Kinderschutz etabliert werden können<br />

(z. B. Friedman, Reynolds, Quan, Callb, Crusto, 2007). Allerdings bestätigt die Fachpraxis, dass<br />

funktionierende Kooperation <strong>und</strong> <strong>Vernetzung</strong> wesentlich für funktionierenden Kinderschutz<br />

ist. Insofern lässt sich davon ausgehen, dass sowohl frühe Unterstützung <strong>und</strong> Hilfen für<br />

Familien als auch die fallbezogene Arbeit im Kinderschutz in hohem Maße davon abhängt, wie gut<br />

die jeweiligen Berufsgruppen <strong>und</strong> Institutionen vor Ort miteinander kooperieren <strong>und</strong> wie sie miteinander<br />

vernetzt sind.<br />

In der Praxis aber zeigen sich immer wieder Reibungsverluste in der Zusammenarbeit zwischen<br />

Fachkräften aus unterschiedlichen Disziplinen, <strong>und</strong> zwar gleichermaßen struktureller als auch persönlicher<br />

Art. In diesem <strong>Vernetzung</strong>shandbuch machen wir an verschiedenen Stellen Vorschläge für<br />

eine verbesserte Arbeitsweise, z. B. bei der Dokumentation von Güterabwägungen oder bei der Einbeziehung<br />

der Betroffenen bei der Informationsweitergabe durch Ärzte. Auch bei der Zusammenarbeit<br />

im Kinderschutz ist es nötig, Effi zienzgesichtspunkte im Auge zu behalten <strong>und</strong> zu versuchen, in<br />

allen Bereichen eine bestmögliche Funktion im jeweiligen System zu erreichen. Doch dies verbessert<br />

noch nicht die <strong>Vernetzung</strong>, sondern schafft höchstens eine höhere Effi zienz im bisher gesteckten <strong>und</strong><br />

als Aufgabe wahrgenommenen Rahmen. Dennoch sind solche Anhaltszahlen, wann ein optimales<br />

Funktionieren erwartet bzw. noch erwartet werden kann, auch für unsere Fragestellungen nicht<br />

irrelevant, denn jeder wird bei der Zahl der Betreuungsfälle des Vorm<strong>und</strong>s von Kevin in Bremen erkennen<br />

können, dass hier eine verantwortungsvolle Ausübung der Funktion nicht mehr möglich ist.<br />

Andererseits greift dieses Ressourcenargument im selben Fall vielfach zu kurz, wenn man sieht, wie<br />

viel von verschiedenen Seiten in diesem Fall „investiert“ worden ist. Am Aufwand hat das Scheitern<br />

offensichtlich nicht gelegen. Vielmehr lag es an verzerrter Kommunikation, an verzerrter Interaktion<br />

oder verzerrten Interpretationen, am Ausblenden von Wahrnehmungen in einem dichten Helfernetz.<br />

Manche Wahrnehmungen über die anderen im System dürften durchaus Irritationen ausgelöst<br />

haben. Manche dieser Irritationen sind sogar im Untersuchungsbericht ausführlich dokumentiert.<br />

Nicht zusammenpassende Informationen lösen eine Spannung aus, welche in bestehenden Strukturen<br />

häufi g am besten durch Vorannahmen über die anderen reduziert werden. Dabei haben frühere<br />

Erfahrungen <strong>und</strong> Näheverhältnisse in der Zusammenarbeit ebenso wie enttäuschte Erwartungen<br />

aus früheren Fällen der Zusammenarbeit eine große Bedeutung. Wir denken dann in Kategorien<br />

von richtiger <strong>und</strong> falscher Sichtweise, von Kausalketten <strong>und</strong> reduzieren damit aber unsere Irritation,<br />

welche ein wichtiger Hinweis für die Besonderheit des Falls sein könnte.<br />

39<br />

Fehlende empirische<br />

Gr<strong>und</strong>lagen<br />

Reibungsverluste in der<br />

Zusammenarbeit zwischen<br />

unterschiedlichen Disziplinen

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!