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Werkbuch Vernetzung. Chancen und Stolpersteine interdisziplinärer ...

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Hinzu kommt, dass Angebote des jeweils anderen Systems, die die eigene Beratung oder Behand-<br />

lung sinnvoll ergänzen oder unterstützen könnten, recht selten einbezogen werden. Innerhalb der<br />

Strukturen der Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfe kommt hinzu, dass die Vielfalt von Angeboten <strong>und</strong> ihre<br />

Qualität von der individuellen Angebotspalette einzelner freier <strong>und</strong> öffentlicher Träger vor Ort abhängig<br />

<strong>und</strong> in der Regel allenfalls teilweise aufeinander abgestimmt ist. Die Frühförderung bildet hier<br />

aufgr<strong>und</strong> ihrer besonderen interdisziplinären <strong>und</strong> systemübergreifenden Struktur eine Ausnahme,<br />

da sie heilpädagogische, psychologische <strong>und</strong> medizinische Leistungen integriert <strong>und</strong> gleichermaßen<br />

Leistungen des Ges<strong>und</strong>heitssystems wie der Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfe <strong>und</strong> der Eingliederungshilfe<br />

anbietet. Allerdings muss auch festgestellt werden, dass die Etablierung der Frühförderung nicht<br />

b<strong>und</strong>eseinheitlich gelungen ist, <strong>und</strong> dass vielerorts die Frühförderstellen über erhebliche Finanzierungsschwierigkeiten<br />

<strong>und</strong> Reibungsverluste aufgr<strong>und</strong> multipler Trägerschaften klagen. Nach wie vor<br />

ist die Idee so genannter Komplexleistungen in den Sozialgesetzbüchern zwar verankert, aber in der<br />

Umsetzung enorm schwierig. Inhaltliche <strong>und</strong> ökonomische Fortschritte können in der Zukunft vor<br />

allem dann erzielt werden, wenn es gelingt, wie z. B. in der Frühförderung, auch in anderen Bereichen<br />

Leistungen aufeinander abgestimmt quasi aus einer Hand anzubieten <strong>und</strong> zugleich aus unterschiedlichen<br />

Ressorts anteilig zu fi nanzieren. Hier gibt es derzeit aber in den etablierten Strukturen noch<br />

erhebliche Probleme.<br />

Als weitere Hinderungsgründe in der interdisziplinären Zusammenarbeit lassen sich in der Praxis<br />

häufi g Schwierigkeiten beobachten, die Aufgaben <strong>und</strong> Kernkompetenzen der eigenen Disziplin zu<br />

beschreiben <strong>und</strong> danach zu handeln. Gleichzeitig besteht eine verbreitete Unkenntnis über die Auf-<br />

gabenbereiche <strong>und</strong> das Vorgehen der jeweils anderen Disziplinen. In einer eigenen Untersuchung<br />

über die interdisziplinäre Zusammenarbeit bei sexuellem Missbrauch zeigte sich, dass es allen sehr<br />

viel leichter fi el, Aufgabenbereiche, <strong>Chancen</strong> <strong>und</strong> Grenzen des Vorgehens der Kooperationspartner<br />

aus anderen Disziplinen zu beschreiben, als das für die eigenen Aufgaben möglich war (Fegert,<br />

Berger, Klopfer, Lehmkuhl & Lehmkuhl, 2001). Detailliertes Wissen um die eigenen Kompetenzen,<br />

aber auch eine realistische Einschätzung der eigenen Schwächen <strong>und</strong> Grenzen sind aber Gr<strong>und</strong>-<br />

voraussetzungen, um ohne „sprachliche“ Missverständnisse <strong>und</strong> ohne Vorurteile miteinander zu<br />

kooperieren.<br />

1<br />

Daneben bestehen häufi g unrealistisch hohe Erwartungen an die jeweils andere Profession, die dann<br />

in der Alltagspraxis zwangsläufi g enttäuscht werden müssen. Weiterhin können unterschiedliche<br />

hierarchische bzw. eher teambezogene Arbeitsstrukturen in den beiden Systemen Ges<strong>und</strong>heitswesen<br />

sowie Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfe zu Missverständnissen in der Zusammenarbeit führen. Während im<br />

Bereich des Ges<strong>und</strong>heitswesens klare Rangfolgen <strong>und</strong> hierarchische Entscheidungen von Einzelpersonen<br />

die vorherrschende Herangehensweise sind, werden im Bereich der Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfe<br />

insbesondere schwerwiegende Entscheidungen, z. B. über die Herausnahme <strong>und</strong> Fremdunterbrin-<br />

gung eines Kindes, in der Regel im Team getroffen. Diese berufl ichen Erfahrungen fl ießen auch in die<br />

Kooperation mit ein <strong>und</strong> begründen nicht selten Befürchtungen davor, von Kollegen aus den jeweils<br />

anderen Disziplinen beeinfl usst bzw. in der Zusammenarbeit dominiert oder in der eigenen Arbeitsweise<br />

missverstanden zu werden. An dieser Stelle haben wir beobachtet, dass Pseudodatenschutzargumente<br />

als Begründung für Nicht-Kooperation eingesetzt werden, wenn die Auseinandersetzung<br />

mit dem jeweils anderen System zu mühsam wird.<br />

In der Praxis lässt sich außerdem durchaus beobachten, dass „<strong>Vernetzung</strong>“ auch als Alibi genutzt<br />

wird, um Kostendruck abzuwälzen oder Streit um Zuständigkeiten zu verbergen. Unter dem Vor-<br />

41<br />

Schwierigkeiten in der<br />

Beschreibung der eigenen<br />

Kernkompetenzen<br />

Unrealistische Erwartungen<br />

<strong>und</strong> Befürchtungen<br />

Alibifunktion von Kooperation<br />

<strong>und</strong> <strong>Vernetzung</strong>

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