Entwicklung, Betreuung und För<strong>de</strong>rung von Vorschulkin<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Mittelschicht Seite - 4 -
Vorwort In <strong>de</strong>n letzten Jahren hat sich in <strong>de</strong>r Schweiz im Vorschulbereich viel getan. Zu nennen sind sowohl <strong>de</strong>r Ausbau <strong>de</strong>r Frühför<strong>de</strong>r- und Betreuungsangebote inklusive Projekte zur Untersuchung ihrer Qualität sowie die im Rahmen von HarmoS erfolgen<strong>de</strong> Neuregelung <strong>de</strong>r Schuleingangsphase, welche spätestens ab <strong>de</strong>m Schuljahr 2015/2016 eine Einbindung <strong>de</strong>s zweijährigen Kin<strong>de</strong>rgartens in die Schulpflicht vorsieht. Solche Entwicklungen sind Ausdruck neuerer Forschungserkenntnisse aus <strong>de</strong>n Neurowissenschaften, <strong>de</strong>r Psychologie und <strong>de</strong>r Erziehungswissenschaft. Obwohl sie unterschiedliche Schwerpunkte setzen, haben sie einen doppelten gemeinsamen Nenner: Erstens erachten sie die Vorschuljahre <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s als eine Zeit enormen körperlichen, emotionalen und geistigen Wachstums, in <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r eine ungeheure Kapazität zum Lernen entwickeln können. Zweitens betonen sie die notwendigen Grundlagen, welche hierzu notwendig sind: Kin<strong>de</strong>r brauchen Liebe, Fürsorge, soziale und emotionale Sicherheit sowie auch Stimulation <strong>de</strong>rjenigen Fähigkeiten und Fertigkeiten, welche sie erfolgreich auf <strong>de</strong>n Schuleintritt vorbereiten. Die <strong>Familie</strong>, insbeson<strong>de</strong>re die Eltern, spielen in diesem Entwicklungsprozess eine Schlüsselrolle. Heute ist vielfach belegt, dass kaum etwas <strong>de</strong>n Bildungserfolg eines Kin<strong>de</strong>s so <strong>de</strong>utlich vorbestimmt wie die Sozialisation in <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong>. 20% bis 25% <strong>de</strong>r Leistungsunterschie<strong>de</strong> von Schulkin<strong>de</strong>rn gehen auf häusliche Bedingungen zurück. Der Faktor <strong>Familie</strong> dürfte <strong>de</strong>shalb die grössere Rolle spielen als jene Themen, welche in <strong>de</strong>n letzten Jahren im Zuge hitziger Reform<strong>de</strong>batten so oft diskutiert wor<strong>de</strong>n sind, etwa die Schulstrukturen o<strong>de</strong>r die Ausstattung von Schulgebäu<strong>de</strong>n. Lei<strong>de</strong>r wissen wir bis heute sehr wenig über die <strong>Familie</strong> selbst, d.h. wie sie ihre Vorschulkin<strong>de</strong>r för<strong>de</strong>rn, welche Rolle dabei die Betreuung spielt und welche Ziele die Eltern in ihrer Erziehung verfolgen. Einer <strong>de</strong>r Grün<strong>de</strong> liegt darin, dass sich die bisherige frühpädagogische Forschung stark auf <strong>de</strong>n Ausbau <strong>de</strong>r familienergänzen<strong>de</strong>n Betreuung (Kin<strong>de</strong>rkrippen, Tagesfamilien etc.), auf die Ausbildung <strong>de</strong>s Personals sowie auf För<strong>de</strong>rmassnahmen bildungsbenachteiligter Kin<strong>de</strong>r konzentriert hat. Deshalb war es erstes Ziel unserer FRANZ-Studie, einen differenzierten Blick <strong>Familie</strong>, Betreuung und Entwicklung Seite 5 auf <strong>Familie</strong>n mit Vorschulkin<strong>de</strong>rn zu werfen. FRANZ ist das Kürzel für die Frage: «Früher an die Bildung – erfolgreicher in die Zukunft?». Geför<strong>de</strong>rt wur<strong>de</strong> die Studie von <strong>de</strong>r Hamasil- Stiftung und <strong>de</strong>r AVINA-Stiftung. FRANZ hat 300 Kin<strong>de</strong>r und ihre <strong>Familie</strong>n während drei Jahren untersucht. Heute sind wir in <strong>de</strong>r Lage, folgen<strong>de</strong> Fragen zu beantworten: Wie haben sich diese Vorschulkin<strong>de</strong>r entwickelt? Wie wur<strong>de</strong>n sie betreut? Zu Hause von <strong>de</strong>n Eltern, ausserhalb <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> bei Verwandten, in einer Kin<strong>de</strong>rtagesstätte o<strong>de</strong>r von Nannys? Welches sind die Auswirkungen dieser Betreuung auf die Entwicklung <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r? Gibt es entwicklungsför<strong>de</strong>rlichere respektive eher entwicklungshemmen<strong>de</strong> Betreuungsformen? Und: Gibt es Faktoren, welche eine beson<strong>de</strong>rs günstige Entwicklung kennzeichnen? Das vorliegen<strong>de</strong> Dossier fasst die wichtigsten Ergebnisse von FRANZ zusammen und leitet daraus pädagogische, bildungs- und sozialpolitische Konsequenzen und Empfehlungen ab. Vorgängig wer<strong>de</strong>n jedoch die wichtigsten Erkenntnisse zur Situation heutiger <strong>Familie</strong>n, zu ihren Konstellationen, ihrer Be<strong>de</strong>utung und auch zu ihrer Wirkung dargestellt. Da die untersuchten Kin<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r FRANZ-Studie aus vorwiegend bildungsnahen <strong>Familie</strong>n stammen, sind keine Aussagen zu <strong>Familie</strong>n aus sozial schwachen Verhältnissen möglich. Zuerst haben wir diese Einschränkung bedauert. Heute entpuppt sie sich jedoch als Chance: Aufgrund <strong>de</strong>s marginalen Wissens zu Mittelschichtfamilien können wir mit unseren Ergebnissen nicht nur eine wichtige Lücke schliessen, son<strong>de</strong>rn auch einen aktuellen Beitrag zur Mittelschicht-Debatte liefern, wie sie kürzlich von Economie Suisse und Avenir Suisse lanciert wor<strong>de</strong>n ist. Unsere Ergebnisse lassen sich jedoch auch als Folie über die von <strong>de</strong>r OECD vor Weihnachten geübte Kritik an <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong>npolitik <strong>de</strong>r Schweiz im Bericht «Closing the Gen<strong>de</strong>r Gap – Act now» legen und sie etwas relativieren. Gerne hoffe ich, dass dieses Dossier wie<strong>de</strong>rum das Interesse <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong>n-, Bildungs- und Sozialpolitik sowie <strong>de</strong>r Ausbildungs- und Berufspraxis fin<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n – aber auch dasjenige interessierter <strong>Familie</strong>n. Bern, im Januar 2013 Prof. Dr. em. Margrit Stamm