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Miteinander reden Thema: - Evangelische Kirchengemeinde ...

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Die ersten beiden Nachkriegsjahrzehnte waren<br />

vom Verschweigen und Vergessen gekennzeichnet.<br />

Den Kindern wurde verschwiegen,<br />

woher die Babys kommen, die Jugendlichen bekamen<br />

keine Antwort auf die Fragen nach der<br />

Zeit zwischen 1933 und 1945, schon gar nicht,<br />

was die mögliche Verstrickung ihrer Eltern in<br />

die Geschehnisse dieser Epoche betraf. Politiker,<br />

Richter und Mediziner vergaßen, dass sie noch<br />

vor kurzem aktive Mitglieder der NSDAP gewesen<br />

waren. Die CDU vergaß über Nacht die<br />

Verabschiedung ihres Ahlener Programms, das<br />

den Kapitalismus als Gesellschaftsmodell entsorgen<br />

sollte, und die neue demokratische Bürgergesellschaft<br />

vergaß, sie daran zu erinnern.<br />

Über das Vergessen und Verschweigen herrschte<br />

große Übereinstimmung. Im Bonner Haus<br />

der Geschichte fehlt das Bild meiner Mutter mit<br />

dem erhobenen Zeigefinger vor den gespitzten<br />

Lippen, das mich zum Verlassen des Raumes<br />

aufforderte: „Hier sind zwei Ohren zu viel“.<br />

Heute ist alles anders, ganz anders! Nichts<br />

bleibt mehr ungesagt. Und das Gesagte bleibt<br />

nicht unkommentiert. Bekannte und weniger<br />

bekannte Zeitgenossen können bei Markus<br />

Lanz oder Frank Elstner, bei Bettina Böttinger<br />

oder Sandra Maischberger ihre Seeleninnereien<br />

auf den geschmackvoll gestylten Tisch entleeren,<br />

pikant angerichtet oder unappetitlich, je<br />

nach <strong>Thema</strong> und Temperament. Bildschirmlieblinge<br />

ringen mit Spitzenpolitikern um das Ausbalancieren<br />

der Alterspyramide, ALG II-Bezieher<br />

giften gegen Bankmanager (oder<br />

umgekehrt) und Bischöfe äußern sich gesellschaftspolitisch<br />

ungeschickt zur vermeintlichen<br />

Schwulen-Frage. Alle befinden sich im intensiven<br />

Gespräch. Sie quasseln miteinander, gegeneinander<br />

und vor allem durcheinander. Wer<br />

nicht auf der Einladungsliste bei Jauch & Co.<br />

steht, oder zwischen zwei Plauderrunden nicht<br />

an sich halten kann, findet sein Ventil beim<br />

Twittern und Facebooken. Aktuelles und Brisantes<br />

gibt es genug. Auch Aufgewärmtes lässt<br />

2 thema<br />

Das Schnattern der Gänse<br />

man sich gern servieren, wie die Geschichte jenes<br />

Schunkel-Politikers, der sich vor Jahr und<br />

Tag so benommen hat, wie es - etwas Fantasie<br />

vorausgesetzt - ohnehin nicht anders von ihm<br />

zu erwarten gewesen wäre. Eine Reporterin<br />

hatte sich die Bar-Episode zur passenden Wiedervorlage<br />

in die Schublade gelegt.<br />

Keine Verbindung<br />

Der Marathon-Geschwätzfaden reißt nicht<br />

ab. Hat er nun die im Gespräch befindlichen<br />

einander näher gebracht, etwa den ALG II-<br />

Empfänger dem Bänker oder den Bischof dem<br />

Gläubigen? Oder verfestigt sich die Sprachlosigkeit<br />

zwischen den gesellschaftlichen Gruppen<br />

trotz aller Redseligkeit? Das Dauerschwadronieren<br />

vor laufender Kamera und übersättigtem<br />

Publikum ist kein anzuprangerndes Übel,<br />

aber eben auch kein Beweis für eine offene und<br />

sozial durchlässige Gesellschaft.<br />

Werten wir es einfach als moralischen Fortschritt,<br />

dass heute keine Menschen mehr durch<br />

die Arenen gehetzt, sondern Sauen durchs<br />

Dorf gejagt werden. Mal sitzt ein gieriger Präsident<br />

auf einer und dann wieder ein lüsterner<br />

Fraktionschef auf der nächsten.<br />

Reinhard Ziegler

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