Das Intercultural Media Training - Verband Freier Radios Österreich
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Staatssekretär im Ministerium für Wissenschaft, Weiterbildung, Forschung und Kultur Rheinland-Pfalz<br />
Andere Migrationsgeschichten<br />
<strong>Das</strong>s Migration und<br />
Interkulturalität bisher fast ausschließlich entlang<br />
unterschiedlicher nationaler Herkunft betrachtet<br />
und verstanden wurden, verweist nicht nur auf die<br />
Macht des nationalen Blicks, sondern gleichzeitig<br />
auf ein Alltagswissen, das die gesellschaftliche<br />
Wirklichkeit auf binäre Kategorien wie „Deutsche“<br />
und „Ausländer“ oder „Wir“ und „die Anderen“<br />
reduziert. Sind solche Kategorien erst etabliert,<br />
wird dieses „gesellschaftliche Wissen“ ständig<br />
reproduziert und bestätigt. Hier handelt es sich<br />
nicht einfach um individuelle Vorurteile, sondern<br />
um ein ethnisches Dispositiv (Foucault), einen weit<br />
verbreiteten gesellschaftlichen Wissensbestand,<br />
der zunächst als Ergebnis des historischen<br />
Umgangs mit Migration zu betrachten ist und durch<br />
aktuelle Prozesse von Kulturalisierung,<br />
Ethnisierung und Stigmatisierung weiter tradiert<br />
wird. Er ist Bestandteil der gesellschaftlichen<br />
Normalität und macht eine bestimmte Gruppe erst<br />
sichtbar, die schließlich als „Problemfall“<br />
identifiziert wird. Die Metaphern „zwischen zwei<br />
Stühlen“ oder „zwischen zwei Kulturen“, die schon<br />
formelhaft zur Beschreibung der Lebenslage von<br />
Kindern und Jugendlichen mit<br />
Migrationshintergrund benutzt werden, also im<br />
Grunde die Unterstellung einer Art kultureller<br />
Schizophrenie, sind ein Bestandteil dieses<br />
ethnischen Dispositivs, das mit seiner<br />
„normalisierenden“ Wirkung längst zur alltäglichen<br />
Grundüberzeugung geworden ist.<br />
Gerade die Massen-Medien scheinen einen<br />
wesentlichen Beitrag zur Verbreitung,<br />
Veralltäglichung und Normalisierung dieses<br />
ethnischen Alltagswissens zu leisten, indem solche<br />
mythischen Grundüberzeugungen aufgegriffen und<br />
kommuniziert werden. Es ist keine neue<br />
Erkenntnis, dass Medien die Wirklichkeit nicht<br />
einfach erfinden, sondern vielmehr bestimmte<br />
Normalitätsvorstellungen sichtbar machen, die in<br />
anderen gesellschaftlichen Kontexten, wie z.B. in<br />
politischen oder wissenschaftlichen, erzeugt<br />
wurden. Der Ghettodiskurs oder der gegenwärtige<br />
Diskurs über „Parallelgesellschaften“ basieren auf<br />
einer gewissen Traditionslinie des<br />
gesellschaftlichen Umgangs mit Migration und<br />
Einwanderungsrealität. Andere Sichtweisen von<br />
Migration und Interkulturalität werden kaum<br />
thematisiert oder völlig ausgeblendet. Eine an<br />
diesem „Vorwissen“ orientierte mediale Wirklichkeit<br />
spiegelt nicht die differenzierten<br />
Alltagserfahrungen der Betroffenen wider, sondern<br />
allenfalls die überlieferten Alltagsmythen über<br />
Migration. Aus diesem nationalen Blick gerät<br />
Die Geschichte der Migration kann (wie jede andere Geschichte auch) auf<br />
mehr als eine Art erzählt werden. Bisher hat eine national geprägte<br />
Perspektive den Grundton solcher „Erzählungen“ in der Bundesrepublik<br />
Deutschland maßgeblich bestimmt. Aus Menschen, die über die Grenze<br />
kommen, werden „die Anderen“, Fremde, die es zu erforschen und zu<br />
verstehen, abzuwehren und zu kontrollieren, zu nutzen oder zu integrieren<br />
gilt. Alle Bilder, die im öffentlichen Diskurs (in Wissenschaft, Medien oder<br />
Alltag) über Migration kursieren, beruhen auf dieser nationalen<br />
Erzählweise.<br />
schnell in Vergessenheit, dass auch andere<br />
Themen und Motive die Erzählung über Migration<br />
bestimmen können. Wenn wir von der nationalen<br />
Deutung wegkommen und das städtische Leben in<br />
den Blick nehmen, dann wird deutlich, dass<br />
Migration eine alte urbane Erfahrung und Städte<br />
ohne Migration nicht denkbar sind. Ganze<br />
Stadtteile sind erst durch Migration entstanden.<br />
Historisch gesehen stellt über lange Zeiträume<br />
hinweg nicht „Sesshaftigkeit“, sondern Mobilität in<br />
Form von Migration den Normalfall dar. Auch<br />
kulturelle Vielfalt und Mehrsprachigkeit waren aus<br />
dieser Sicht schon immer Bestandteil der<br />
Alltagsnormalität. Da jedoch die Geschichte der<br />
Migration bisher vor allem aus einer<br />
defizitorientierten Perspektive erzählt wurde, geriet<br />
außer Blick, dass Migration Mobilität bedeutet und<br />
Mobilsein im globalisierten Alltag eine wichtige<br />
Kompetenz darstellt.<br />
<strong>Das</strong> vorliegende Projekt „<strong>Intercultural</strong> <strong>Media</strong><br />
<strong>Training</strong> in Europe“ präsentiert gerade diese<br />
andere Erzählweise und zieht praktische<br />
Konsequenzen daraus. Es richtet einen neuen<br />
Blick auf Migration und Interkulturalität, durch den<br />
die Migrationsgesellschaft in den Mittelpunkt<br />
gerückt und Migration nicht ein weiteres Mal zum<br />
Problem erklärt wird. Die Relevanz von<br />
Interkulturalität und interkultureller Medien wird im<br />
gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang verortet<br />
und von da aus interpretiert . Nur so können - statt<br />
der Alltagsmythen über Migration - die strukturellen<br />
Bedingungen, unter denen Menschen mit<br />
Migrationshintergrund leben, zum Ausgangspunkt<br />
gemacht werden. Um eine reduktionistische<br />
Sichtweise zu vermeiden, wird ein<br />
multiperspektivischer Ansatz gewählt, der<br />
unterschiedliche Ebenen (strukturelle, kulturelle,<br />
individuelle und zivilgesellschaftliche) in die<br />
Betrachtung einbezieht. So wird deutlich, dass die<br />
gesellschaftliche Randstellung von<br />
Migrantengruppen kaum mit Kultur oder Ethnizität<br />
erklärt werden kann, sondern auf strukturelle<br />
Diskriminierung, auf kulturalisierende,<br />
ethnisierende und stigmatisierende<br />
Zuschreibungen zurückzuführen ist. In diesem<br />
Zusammenhang wird auch der Diversity-Ansatz,<br />
der in den letzten Jahren im Migrationskontext<br />
auftaucht, verortet. Zu Recht wird dieser Ansatz<br />
als eine Strategie gegen Ausgrenzung und<br />
Segregation verstanden, weil man nicht über<br />
Diversity reden kann, ohne strukturelle<br />
Diskriminierung zu thematisieren. So leistet das<br />
Projekt einen wichtigen Beitrag zum medialen<br />
Umgang mit Migration, indem es das nationale<br />
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