1999-06 Der «ausgebrannte» Hodentumor: eine seltene ...
1999-06 Der «ausgebrannte» Hodentumor: eine seltene ...
1999-06 Der «ausgebrannte» Hodentumor: eine seltene ...
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Schweiz Med Wochenschr <strong>1999</strong>;129:235–40<br />
Peer reviewed article<br />
R. Casella a , C. Rochlitz b , G. Sauter c ,<br />
T. C. Gasser a<br />
a Urologische Universitätsklinik beider Basel;<br />
b Onkologische Klinik;<br />
c Pathologisches Institut;<br />
Kantonsspital Basel<br />
Summary<br />
Zusammenfassung<br />
Kasuistik<br />
Burned-out tumour of the testis:<br />
a rare form of a germ-cell neoplasm<br />
Burned-out tumour of the testis is a rare form<br />
of a germ-cell malignancy of testicular localisation<br />
which can regress or disappear. This is a<br />
rare form of germ-cell neoplasm. We report on<br />
2 patients with such a tumour. The histological<br />
findings, on clinical manifestations, on<br />
difficult differential diagnosis from primary retroperitoneal<br />
germ-cell tumour, therapy, and<br />
outcome of this malignancy are discussed. In<br />
the absence of palpable testicular tumour the<br />
symptomatology is due to metastasis. Burnedout<br />
tumour of the testis must be considered in<br />
a patient with retroperitoneal lymph node involvement<br />
and histology of “germ-cell tumour”.<br />
In these patients sonography of scrotal con-<br />
<strong>Der</strong> <strong>«ausgebrannte»</strong> <strong>Hodentumor</strong> ist <strong>eine</strong> <strong>seltene</strong><br />
Erscheinungsform der Keimzellneoplasien.<br />
Dabei handelt es sich um <strong>eine</strong>n Keimzelltumor<br />
des Hodens, der sich weitgehend<br />
zurückgebildet hat oder sogar verschwunden<br />
ist. Anhand von 2 Fällen werden die Besonderheiten<br />
dieser Pathologie diskutiert. Die<br />
erste Manifestation wird durch die metatastatische<br />
Absiedlung des Tumors geprägt. Die Problematik<br />
der schwierigen Abgrenzung gegenüber<br />
primär retroperitonealen Keimzelltumoren<br />
wird dargestellt. Dass ein ausgebrannter <strong>Hodentumor</strong><br />
als solcher diagnostiziert und ent-<br />
<strong>Der</strong> <strong>«ausgebrannte»</strong> <strong>Hodentumor</strong>:<br />
<strong>eine</strong> <strong>seltene</strong> Erscheinungsform der<br />
Keimzellneoplasien<br />
tents may be useful to identify intratesticular<br />
abnormalities. These are often the site of the<br />
primary tumour. If burned-out tumour of the<br />
testis is suspected, the indication for surgery is<br />
given. If the frozen section is not “normal<br />
testicular tissue”, orchiectomy should be performed.<br />
The metastasis is treated according to<br />
the histology and clinical stage of the tumour.<br />
It is important to distinguish burned-out tumour<br />
of the testis from true extragonadal germcell<br />
tumours. Primary removal of the testicular<br />
tumour is necessary because of the high rate of<br />
persistent testicular malignancy, which may be<br />
as much as 50% despite systemic chemotherapy.<br />
Keywords: germ-cell tumour; burned-out<br />
tumour of the testis; extragonadal germ-cell<br />
tumour<br />
sprechend therapiert wird, ist insofern wichtig,<br />
als ein primärer Keimzelltumor im Hoden in<br />
bis zu 50% der Fälle nicht von <strong>eine</strong>r systemischen<br />
Chemotherapie eradiziert wird. Nach<br />
Diagnosestellung ist die Semikastration die<br />
primäre Therapie. Die zusätzlichen therapeutischen<br />
Schritte richten sich nach der Histologie<br />
und dem Tumorstadium, ohne Unterschied<br />
zu den «klassischen» Erscheinungsformen der<br />
<strong>Hodentumor</strong>en. In den letzten Jahren ist die<br />
skrotale Sonographie als Hilfe bei der Entdeckung<br />
von nicht palpierbaren, testikulären<br />
Raumforderungen vermehrt eingesetzt wor-<br />
Korrespondenz:<br />
PD Dr. T. C. Gasser,<br />
Urologische Universitätsklinik beider Basel,<br />
Klinik Basel,<br />
Spitalstrasse 21,<br />
Kantonsspital,<br />
CH-4031 Basel<br />
235
Einleitung<br />
Kasuistik<br />
Patient 1<br />
236<br />
den. Bei retroperitonealen, pathologisch vergrösserten<br />
Lymphknoten und palpatorisch unauffälligen<br />
Hoden sollte man an die Möglichkeit<br />
dieser <strong>seltene</strong>n Manifestation der <strong>Hodentumor</strong>en<br />
denken und routinemässig <strong>eine</strong> skro-<br />
Als «burned-out»-Tumoren des Hodens (Synonyme:<br />
ausgebrannter <strong>Hodentumor</strong>, okkultes<br />
Hodenkarzinom, tumeur introuvable du testicule)<br />
werden Neoplasien bezeichnet, deren<br />
Seit <strong>eine</strong>m Monat litt der 41jährige Z. H. an intermittierenden Flankenschmerzen<br />
links, subfebrilen Temperaturen und Gewichtsabnahme<br />
von 7–8 kg. Die körperliche Untersuchung und insbesondere<br />
der Genitalstatus waren unauffällig. Ein Ultraschall des Abdomens<br />
zeigte <strong>eine</strong>n polyzystischen Prozess im Pankreasschwanzbereich.<br />
Aufgrund des Computertomogramm(CT)-Befunds äusserte man<br />
den Verdacht auf <strong>eine</strong> 6 cm messende, infizierte Pankreaspseudozyste<br />
und auf <strong>eine</strong> retroperitoneale Lymphknotenbeteiligung mit<br />
Abbildung 1<br />
Patient 2: ausgedehnte, retroperitoneale,<br />
pathologisch vergrösserte Lymphknoten.<br />
Abbildung 2<br />
Patient 2: grosse, paravesikale, rechts<br />
gelegene Raumforderung mit zentraler<br />
Nekrose.<br />
Kasuistik Schweiz Med Wochenschr <strong>1999</strong>;129: Nr 6<br />
tale Sonographie durchführen. Bei Verdacht<br />
auf <strong>eine</strong>n ausgebrannten <strong>Hodentumor</strong> sollte<br />
die Indikation zur operativen, skrotalen Revision<br />
grosszügig gestellt werden.<br />
metastatische Absiedlung klinisch im Vordergrund<br />
steht, während der Primärtumor histologisch<br />
sich nur als Narbe oder Tumorrest im<br />
testikulären Gewebe auffinden lässt.<br />
zentraler Nekrose. <strong>Der</strong> Patient wurde hospitalisiert, und es wurde<br />
<strong>eine</strong> Therapie mit Ciprofloxacin, Ceftriaxon und Metronidazol eingeleitet.<br />
Da die Natur dieses polyzystischen Prozesses unklar blieb,<br />
wurde <strong>eine</strong> explorative Laparotomie vorgenommen, bei welcher ein<br />
retroperitoneal liegender Tumor festgestellt wurde, der k<strong>eine</strong>n Zusammenhang<br />
mit dem Pankreas aufwies. <strong>Der</strong> Tumor konnte gut<br />
vom M. psoas abgelöst werden, war jedoch dem linken Harnleiter<br />
und der linken Nierenvene so adhärent, dass die linke Niere<br />
mitentfernt werden musste. <strong>Der</strong> histologische Befund ergab <strong>eine</strong>n<br />
anaplastischen, grosszelligen Tumor, der aufgrund <strong>eine</strong>r positiven
Schweiz Med Wochenschr <strong>1999</strong>;129: Nr 6<br />
Reaktion mit Antikörpern gegen Plazenta-spezifische alkalische<br />
Phospatase als «primär retroperitonealer Keimzelltumor (Seminom)»<br />
klassifiziert wurde. Eine adjuvante Behandlung mit 4 Zyklen<br />
Carboplatin wurde durchgeführt. Bei <strong>eine</strong>r Kontrolle 4 Monate<br />
postoperativ wurde ein verdächtiger, palpatorischer Befund am<br />
Oberpol des linken Hodens festgestellt. Im skrotalen Ultraschall war<br />
der linke Hoden etwas kl<strong>eine</strong>r als der rechte, in den ventralen, lateralen<br />
und kaudalen Bezirken echogenitätsvermindert und strukturvergröbert.<br />
Bei der chirurgischen Exploration zeigte sich ein Tumor<br />
am Hodenoberpol: Eine Semikastration und <strong>eine</strong> Biopsie des kontralateralen<br />
Hodens wurden vorgenommen. Die Histologie des Hodens<br />
ergab lediglich fokale Anteile <strong>eine</strong>s Carcinoma in situ mit ausgedehnten<br />
Narbenzonen; mit der Biopsie der kontralateralen Seite<br />
wurde regelrecht aufgebautes Hodengewebe nachgewiesen. Bei der<br />
letzten Kontrolle, 44 Monate nach Abschluss der Chemotherapie,<br />
war der Patient weiterhin in Remission.<br />
Patient 2<br />
Abbildung 3<br />
Patient 2: Hoden mit mehreren, konfluierenden,<br />
knotigen, weissen Narbenbezirken.<br />
Nur wenig erhaltenes, blassbraunes<br />
Hodenparenchym.<br />
Abbildung 4<br />
Patient 2: typischer histologischer Befund<br />
<strong>eine</strong>s Seminoms. Nester von vergrösserten,<br />
atypischen Keimzellen mit plumpen Nukleolen<br />
sind von (nicht-neoplastischen) Lymphozytenaggregaten<br />
umgeben.<br />
<strong>Der</strong> 37jährige J. H. klagte über seit 10 Monaten rezidivierendes Fieber<br />
bis 40 °C und Nachtschweiss seit 2 Wochen. <strong>Der</strong> Hausarzt fand<br />
<strong>eine</strong>n im kranialen Anteil etwas verhärteten rechten Hoden und im<br />
Ultraschall des Abdomens pathologisch vergrösserte retroperitoneale<br />
Lymphknoten. Pathologische Laborwerte: CRP 21 mg/l (Norm<br />
Kasuistik<br />
Diskussion<br />
238<br />
Historisch<br />
Bei den ausgebrannten <strong>Hodentumor</strong>en handelt<br />
es sich um Keimzelltumoren des Hodens, die<br />
sich weitgehend zurückbilden oder sogar verschwinden<br />
können. 1927 wurde erstmals <strong>eine</strong><br />
autoptische Untersuchung beschrieben, bei<br />
welcher im Hoden <strong>eine</strong>s an metastasiertem<br />
Chorionepitheliom verstorbenen Patienten nur<br />
Narbengewebe, aber kein aktives Tumorgewebe<br />
mehr gefunden wurde [1]. <strong>Der</strong> Ausdruck<br />
«ausgebrannter (burned-out) <strong>Hodentumor</strong>»<br />
wurde erstmals 1973 gebraucht [2]. Da in der<br />
Regel noch kl<strong>eine</strong> Tumorreste erhalten bleiben,<br />
sprachen andere Autoren von okkulten <strong>Hodentumor</strong>en<br />
[3–5]. In den letzten Jahren haben<br />
Autoren zwischen okkulten und «burnedout»-<strong>Hodentumor</strong>en<br />
unterschieden. Bei okkulten<br />
Tumoren können durch sorgfältige Aufarbeitung<br />
des gesamten Hodens doch noch<br />
kl<strong>eine</strong> Tumorreste gefunden werden, bei ausgebrannten<br />
Karzinomen findet sich nur Narbengewebe<br />
[6].<br />
Epidemiologie<br />
Es gibt nur spärliche Angaben über die Häufigkeit<br />
von okkulten <strong>Hodentumor</strong>en. Diese<br />
Tumoren wurden bei 10% der Autopsien von<br />
Patienten, die an metastasierenden Keimzelltumoren<br />
gestorben waren, gefunden [7]. Bei<br />
allen diesen Patienten wurden bei der Autopsie<br />
beide Hoden nach Narben oder atypischen<br />
Keimzellen vollständig untersucht. In <strong>eine</strong>r<br />
1994 publizierten Arbeit wurden 286 Patienten<br />
mit testikulären Keimzelltumoren retrospektiv<br />
erfasst und in 2 Untergruppen unterteilt<br />
[6]. In der ersten Gruppe waren 250 Patienten<br />
(88%), die den Arzt wegen der «typischen»<br />
Erscheinungsform des <strong>Hodentumor</strong>s,<br />
<strong>eine</strong>r progredienten, schmerzlosen skrotalen<br />
Schwellung, aufsuchten. Die 34 Patienten<br />
(12%) der zweiten Gruppe zeigten «atypische»<br />
(metastatische) Manifestationen des <strong>Hodentumor</strong>s<br />
(Abdominalschmerzen, Nierenstauungsschmerzen,<br />
Lumbalgien, Darmpassagestörungen).<br />
In 22 dieser 34 Patienten war bei<br />
<strong>eine</strong>r genauen skrotalen Palpation ein <strong>Hodentumor</strong><br />
doch feststellbar, bei 9 Patienten wurde<br />
ein okkulter Tumor gefunden und bei 3 ein ausgebranntes<br />
Karzinom.<br />
Kasuistik Schweiz Med Wochenschr <strong>1999</strong>;129: Nr 6<br />
Histologie<br />
Die Tumoren äussern sich meistens in Form<br />
kl<strong>eine</strong>r Narbenherde, die bevorzugt in der<br />
Nähe der Rete testis liegen [8]. Auch bei unseren<br />
beiden Patienten war der Tumor im Oberpol<br />
des Hodens lokalisiert. Charakteristisch<br />
sind runde und ovale Hämatoxylin-positive<br />
Einschlüsse, die durch <strong>eine</strong> Basalmembran vom<br />
umliegenden Narbengewebe abgegrenzt werden<br />
[9]. In der Regel sind in solchen Herden<br />
vereinzelte Tumorzellen oder Narbengewebe<br />
vorhanden.<br />
Klinik und Differentialdiagnose<br />
Die ausgebrannten Karzinome des Hodens<br />
äussern sich durch ihre Metastasen. Deshalb<br />
gibt es k<strong>eine</strong> für den okkulten <strong>Hodentumor</strong><br />
typische Klinik, sondern diese ist von der Lokalisation<br />
der Metastasen abhängig. Falls ein<br />
retroperitonealer, lymphogen metastasierender<br />
Prozess nachweisbar ist, dessen Histologie<br />
«Keimzelltumor» lautet und beide Hoden bei<br />
der Palpation unauffällig sind, wird in erster<br />
Linie ein primär retroperitonealer Keimzelltumor<br />
vermutet. Ein derartiger Primärtumor<br />
darf aber nur dann angenommen werden,<br />
wenn ein primärer <strong>Hodentumor</strong> ausgeschlossen<br />
werden kann. In <strong>eine</strong>r Serie von 18 scheinbar<br />
primär retroperitonealen Keimzelltumoren<br />
musste der Autor nach <strong>eine</strong>r sorgfältigen Reevaluation<br />
7 Fälle ausschliessen [10]. In <strong>eine</strong>r<br />
anderen Serie von 25 scheinbar primär retroperitonealen<br />
Tumoren mussten 2 Fälle<br />
nachträglich ausgeschlossen werden, da sich<br />
autoptisch Hodennarben nachweisen liessen<br />
[11]. <strong>Der</strong> <strong>Hodentumor</strong> kann auch längere Zeit<br />
nach der Diagnose <strong>eine</strong>s «primär extragonadalen<br />
Keimzelltumors» in Erscheinung treten.<br />
Von 23 Patienten mit der Diagnose <strong>eine</strong>s<br />
«primär extragonadalen Keimzelltumors»<br />
wurde bei zwei Patienten 9 bzw. 30 Monate<br />
später doch ein <strong>Hodentumor</strong> entdeckt; in<br />
beiden Fällen waren die primär entdeckten<br />
Lymphknotenvergrösserungen retroperitoneal<br />
gelegen [12].<br />
In der oben beschriebenen, klinischen Situation<br />
<strong>eine</strong>s retroperitonealen, lymphogen metastasierenden<br />
Prozesses, welcher histologisch als<br />
«Keimzelltumor» identifiziert wird, und palpatorisch<br />
unauffälliger Hoden ist als nächster<br />
diagnostischer Schritt <strong>eine</strong> skrotale Sonographie<br />
zu empfehlen. Die Möglichkeiten der<br />
Sonographie bei der Entdeckung von nicht
Schweiz Med Wochenschr <strong>1999</strong>;129: Nr 6<br />
Kasuistik<br />
palpierbaren, testikulären Raumforderungen<br />
wurden in <strong>eine</strong>r 1992 erschienenen Arbeit diskutiert<br />
[13]. Innerhalb von 10 Jahren wurde<br />
bei 3019 Patienten aus mehreren Gründen ein<br />
skrotaler Ultraschall veranlasst. In 15 Fällen<br />
(0,5%) wurde <strong>eine</strong> nicht palpierbare Raumforderung<br />
des Hodens entdeckt. Bei allen diesen<br />
Patienten wurde <strong>eine</strong> Hodenfreilegung mit<br />
Schnellschnittuntersuchung durchgeführt; die<br />
Diagnosen waren Seminom (5), nichtseminomatöser<br />
Tumor (6), ausgebranntes Karzinom<br />
(2), Lipom (1) und Granulom (1),<br />
d.h. dass nicht palpierbare, intratestikuläre<br />
Raumforderungen häufig bösartiger Natur<br />
sind. Die Autoren empfehlen, bei der Abklärung<br />
jüngerer Männer mit retroperitonealen<br />
Raumforderungen routinemässig <strong>eine</strong>n<br />
skrotalen Ultraschall durchzuführen. In <strong>eine</strong>r<br />
1996 publizierten Serie von 6 Patienten mit der<br />
Anfangsdiagnose <strong>eine</strong>s primär retroperitonealen<br />
Keimzelltumors konnte in 5 Fällen sonographisch<br />
<strong>eine</strong> intratestikuläre Läsion nachgewiesen<br />
werden [14]. Bei palpatorisch unauffälligen<br />
Hoden und <strong>eine</strong>m nicht mit Sicherheit als<br />
normal zu interpretierenden sonograpischen<br />
Befund schlagen wir <strong>eine</strong> Hodenfreilegung mit<br />
Schnellschnittuntersuchung vor. Falls der Pathologe<br />
das Hodengewebe nicht als normal<br />
beurteilen kann, sollte <strong>eine</strong> Semikastration<br />
durchgeführt werden, unter der Annahme,<br />
dass es sich hier um <strong>eine</strong>n «burned-out»-Tumor<br />
des Hodens handelt. Eine 1986 publizierte<br />
Arbeit zeigte, dass okkulte <strong>Hodentumor</strong>en vor<br />
allem beim Verdacht auf <strong>eine</strong>n primär extragonadalen<br />
Keimzelltumor mit Lokalisation im<br />
Retroperitoneum gesucht werden sollen [15].<br />
Unter 16 Patienten mit primär extragonadaler<br />
Manifestation von Keimzelltumoren wurden<br />
bei 10 von 12 Patienten, die an retroperitonealen<br />
Tumoren erkrankt waren, nachträglichen<br />
Hodenveränderungen festgestellt, die auf<br />
<strong>eine</strong>n primären okkulten <strong>Hodentumor</strong> hinwiesen.<br />
Bei den 4 Patienten mit mediastinalen Tumorherden<br />
waren dagegen k<strong>eine</strong> entsprechenden<br />
Hodenveränderungen zu sehen. Bei primär<br />
extragonadalen Keimzelltumoren retroperitonealer<br />
Lokalisation schlagen einige Autoren<br />
routinemässig <strong>eine</strong> beidseitige Hodenbiopsie<br />
vor [16]. Bei <strong>eine</strong>m Kollektiv von ingesamt 48<br />
Patienten wurde ein Carcinoma in situ des Hodens<br />
bei k<strong>eine</strong>m der Patienten mit <strong>eine</strong>m mediastinal<br />
lokalisierten Primärtumor, dagegen<br />
bei 42% der Patienten mit retroperitonealen<br />
Tumoren gefunden. Eine <strong>seltene</strong> Erscheinungsform<br />
der «burned-out»-Tumoren ist anzutreffen,<br />
wenn die Neoplasie hormonproduzierend<br />
ist. Es wurde über Patienten berichtet, die<br />
anfänglich wegen Gynäkomastie abgeklärt<br />
[17, 18] und sogar mastektomiert wurden [19].<br />
Die Besonderheit okkulter <strong>Hodentumor</strong>en ist<br />
die schwierige Diagnosestellung gegenüber den<br />
primär retroperitonealen Keimzelltumoren.<br />
Diagnostischen Bemühungen liegen nicht rein<br />
akademische Interessen zugrunde, sondern sie<br />
haben wichtige therapeutische Konsequenzen.<br />
Therapie<br />
Es ist allgemein anerkannt, dass der Hoden ein<br />
«sanctuary site» bezüglich Chemotherapie sein<br />
kann, d.h., ein primärer Keimzelltumor im Hoden<br />
wird oft von <strong>eine</strong>r systemischen Chemotherapie<br />
nicht eradiziert [20]. Ein Keimzelltumor<br />
des Hodens kann in bis zu 50% der Fälle<br />
trotz systemischer Chemotherapie persistieren<br />
[15, 21]. Eine «Blut-Hoden-Schranke», analog<br />
der «Blut-Hirn-Schranke», wird von mehreren<br />
Autoren als die wahrscheinlichste Ursache für<br />
dieses Phänomen angegeben [21–24]. So wurden<br />
bei 20 Patienten primär ein retroperitonealer<br />
Keimzelltumor diagnostiziert und <strong>eine</strong><br />
Chemotherapie mit Cisplatin durchgeführt<br />
[25]. Erst später wurde der ausgebrannte <strong>Hodentumor</strong><br />
entdeckt und <strong>eine</strong> Semikastration<br />
durchgeführt: Bei 3 dieser Patienten fand man<br />
im Operationspräparat ein Embryonalzellkarzinom,<br />
bei anderen 6 Patienten ein Teratom.<br />
Patienten, bei welchen zunächst ein primär extragonadaler<br />
Keimzelltumor vermutet wird, in<br />
der Hodenbiopsie aber ein Carcinoma in situ<br />
festgestellt wird, sollten bei unilateralem Befall<br />
mit <strong>eine</strong>r Semikastration behandelt werden<br />
[16]. Bei <strong>eine</strong>m einzelnen Hoden oder bilateralem<br />
Befall ist <strong>eine</strong> Bestrahlung des Skrotums<br />
mit 16 Gray empfehlenswert [24]. Mit dieser<br />
Behandlung wird der Tumor zerstört, die<br />
Testosteronproduktion bleibt jedoch erhalten.<br />
Schlussfolgerung<br />
Bei <strong>eine</strong>m Patienten mit retroperitonealen, vergrösserten<br />
Lymphknoten, deren Histologie<br />
«Keimzelltumor» lautet, sollten die Hoden mit<br />
grösster Sorgfalt untersucht und <strong>eine</strong> skrotale<br />
Sonographie routinemässig durchgeführt werden.<br />
<strong>Der</strong> Ultraschall kann <strong>eine</strong> wertvolle Hilfe<br />
bei der Entdeckung von nicht palpierbaren,<br />
testikulären Raumforderungen sein. Die Diagnose<br />
«primär extragonadaler Keimzelltumor»<br />
sollte nur nach Ausschluss <strong>eine</strong>s okkulten<br />
<strong>Hodentumor</strong>s gestellt werden, besonders wenn<br />
die vergrösserten Lymphknoten sich retroperitoneal<br />
befinden. Aufgrund der 2 hier beschriebenen<br />
Fälle wird deutlich, wie schwierig die<br />
239
Literatur<br />
240<br />
korrekte Abgrenzung <strong>eine</strong>s ausgebrannten <strong>Hodentumor</strong>s<br />
gegen <strong>eine</strong>n primär extragonadalen<br />
Keimzelltumor sein kann. Bei Verdacht auf<br />
<strong>eine</strong>n «burned-out»-Tumor des Hodens sollte<br />
die Indikation zur operativen Revision gross-<br />
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Kasuistik Schweiz Med Wochenschr <strong>1999</strong>;129: Nr 6<br />
zügig gestellt werden. Isolierte Fälle sorgen<br />
dafür, dass diese <strong>seltene</strong> Erscheinungsform der<br />
Keimzelltumoren immer aktuell bleibt und bei<br />
der oben erwähnten klinischen Konstellation<br />
ins Auge gefasst werden muss.<br />
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