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Karl Grob Zu Gottfried Kellers Fähnlein der sieben Aufrechten ...

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henden Differenzen aufmerksam gemacht. Der für die weitere<br />

Entwicklung entscheidende Konflikt wurde <strong>der</strong> zwischen direkter<br />

und repräsentativer Demokratie; aus ihm hat sich <strong>der</strong> – was die<br />

Institutionen anbelangt – «Son<strong>der</strong>fall Schweiz» entwickelt, ein System,<br />

das, in ganz wesentlichen Punkten an Rousseau orientiert 13 ,<br />

einen ansehnlichen Teil <strong>der</strong> politischen Entscheidungen <strong>der</strong> direkten<br />

Abstimmung durch den Souverän (<strong>der</strong> stets das Volk ist) unterwirft.<br />

Diejenige politische Tendenz – Parteien im mo<strong>der</strong>nen<br />

Sinne gibt es auch nach 1848 noch längere Zeit nicht –, die diese<br />

Linie direkter Demokratie verfolgte, nannte man «demokratisch».<br />

Wenn Keller also im Grünen Heinrich von «demokratischer Einrichtung»<br />

schreibt, so meint er damit vornehmlich jene Tendenz<br />

auf Ausdehnung <strong>der</strong> direkten Volksrechte und nicht etwa «demokratisch»<br />

im Gegensatz zu «aristokratisch» etc. In diesem historisch<br />

präzisen Sinn war Keller niemals Demokrat. Das bringt er<br />

schon in einem Brief von 7. Mai 1852 an Wilhelm Baumgartner<br />

zum Ausdruck. Das Erstaunliche an diesen politischen Äußerungen<br />

<strong>Kellers</strong> ist wohl, daß sie beinahe immer auch eine strukturelle<br />

Beziehung zum <strong>Fähnlein</strong> aufweisen. So werden wir auch im <strong>Fähnlein</strong><br />

das seltsame Bild des Staates als Spiel wie<strong>der</strong>finden, aber auch<br />

den <strong>Zu</strong>sammenhang von <strong>Kellers</strong> Begriff <strong>der</strong> direkten Demokratie<br />

mit seiner Einschätzung <strong>der</strong> Funktion des <strong>Fähnlein</strong>s im bekannten<br />

Brief an Auerbach vom 25. Juni 1860. Schon <strong>der</strong> Brief an Baumgartner<br />

zeigt nämlich, daß Keller die «Selbstregierung des Volkes»<br />

durchaus für eine legitime Utopie hält dann, wenn man bereit ist,<br />

Regierung überhaupt als ein reines Mittel zum Zweck und nicht<br />

als einen Zweck an sich aufzufassen. Als Mittel ist somit die direkte<br />

Demokratie auch für Keller ein mögliches Ziel und so gehört sie<br />

denn auch zum «goldenen Zeitalter». Solange dieses aber nicht erreicht<br />

ist, wird «die repräsentative Demokratie… <strong>der</strong> richtigste<br />

13 Vgl. vor allem Ernst Gagliardi, Geschichte <strong>der</strong> Schweiz von den Anfängen bis zur Gegenwart,<br />

3. Aufl. in 3 Bden (Zürich u. Leipzig: Orell Füssli, 1938), S. 1314ff. (= Bd. 3). Selbstverständlich<br />

war die faktische Entwicklung wesentlich komplexer, als sie von mir dargestellt<br />

wird. Entscheidend scheint mir zu sein, daß – wie Gagliardi betont – die repräsentativen<br />

Elemente <strong>der</strong> staatlichen Institutionen niemals so weit ausgebaut wurden, daß das Wissen<br />

um den Souverän verloren ging. Die faktische Entwicklung hat dann auch zu einer wesentlichen<br />

Verbreiterung <strong>der</strong> sogenannten Volksrechte geführt. <strong>Zu</strong>m Charakter des schweizerischen<br />

politischen Systems vgl. Gruner op. cit., und Leonhard Neidhart, Piebiszit und<br />

pluralitäre Demokratie. Eine Analyse <strong>der</strong> Funktion des schweizerischen Gesetzesreferendums<br />

(Bern: Francke, 1970).

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