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Karl Grob Zu Gottfried Kellers Fähnlein der sieben Aufrechten ...

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Schwierigkeiten deutlich. Wir müßten nämlich, um die Entfaltung<br />

des Keimes im Werke zu legitimieren, dem Autor gerade jenes intentionale<br />

und produktive Sehen absprechen, das den utopischen<br />

Gehalt begründet und Geschichte nach vorn 50 erst denkbar macht.<br />

Dabei versteht sich von selbst, daß <strong>der</strong> Dichter als ein Geschichtsschreiber<br />

<strong>der</strong> <strong>Zu</strong>kunft sich <strong>der</strong> Falsifikation seiner Geschichte aussetzt,<br />

wenn er, wie Keller, in Anspruch nimmt, das Wesentliche<br />

an<strong>der</strong>s als seine Zeitgenossen unmittelbar zu erkennen. Deswegen<br />

erscheint auch <strong>Kellers</strong> spätere Wendung gegen das <strong>Fähnlein</strong> als<br />

überaus legitim. Nur wer den in ihm enthaltenen Anspruch nicht<br />

verstanden hat, wird die Erkenntnis mißachten können, daß sich<br />

dieser eben gerade nicht realisiert hat. Keller muß deutlich gewesen<br />

sein, wie die bei ihm äußerst seltene Positivität historischer<br />

Darstellung noch <strong>der</strong> Legitimation durch die Fakten bedurfte, um<br />

positiv als Repräsentation des historisch Notwendigen gelten zu<br />

können. Einmal erkannt, daß die Repräsentation keine war, bleiben<br />

zwei Möglichkeiten. Die erste wird innerhalb <strong>der</strong> <strong>Kellers</strong>chen<br />

Auffassung des Künstlers verbleiben wollen und das <strong>Fähnlein</strong> einen<br />

mißlungenen Text deswegen nennen, weil es nichts abbildet,<br />

das sich als historisch siegreich herausgestellt hat. So würde es zu<br />

jenem berüchtigten Fallenden, das verdient, gestoßen zu werden.<br />

<strong>Kellers</strong> Ablehnung seines eigenen Textes scheint zu belegen, daß<br />

er dieser Auffassung zuneigte. Nichts aber zwingt uns, uns an <strong>Kellers</strong><br />

Theorie des Künstlers zu halten. Denn <strong>der</strong> Text des <strong>Fähnlein</strong>s<br />

reproduziert zwar die Theorie <strong>Kellers</strong>, aber eben doch vor allem in<br />

den Reden, die in ihm thematisch sind. Die Möglichkeit des Textes,<br />

<strong>der</strong> Thematik <strong>der</strong> in ihm gehaltenen Reden zu entfliehen, ist<br />

dadurch noch nicht diskutiert. Unbestreitbar bleibt, daß die Konzeption<br />

des <strong>Fähnlein</strong>s, wie sie Keller im Brief an Auerbach schil<strong>der</strong>t,<br />

und seine im Grünen Heinrich gegebene Deutung des Redners<br />

weitgehend in Übereinstimmung gebracht werden können.<br />

Es ist – in <strong>der</strong> Auffassung des Redners – eine <strong>der</strong> Deutung des<br />

<strong>Fähnlein</strong>s analoge Metalepsis im Spiel, wenn Keller sagt, eine wahre<br />

Volksrede sei eigentlich ein Monolog des versammelten Volkes<br />

und <strong>der</strong> Redner somit ein blosser Spiegel desselben. Hier vermag<br />

allerdings die Rede von <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>spiegelung einen recht genauen<br />

50 Wir hätten es dann mit einer Umkehrung des bekannten Bildes vom Geschichtsschreiber<br />

als dem rückwärtsgewandten Propheten zu tun: Der Dichter erwiese sich als <strong>der</strong> vorwärtsgewandte<br />

Geschichtsschreiber.<br />

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