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Karl Grob Zu Gottfried Kellers Fähnlein der sieben Aufrechten ...

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hun<strong>der</strong>ts gebrochen, immer noch anhält. So hat <strong>der</strong> bewaffnete<br />

Mann nach wie vor eine entscheidende Bedeutung im Selbstbewußtsein<br />

des Schweizers, so gibt es nach wie vor Schützenfeste,<br />

eidgenössische, aber auch ein Knabenschießen (in Zürich), bei<br />

dem Knaben (keine Mädchen) ihren Schützenkönig ausschießen,<br />

und Sängerfeste. Nur: Im Gegensatz zur Situation des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

sind die Reden, die hier gehalten werden (und solche<br />

werden immer gehalten) vornehmlich konservativ. So hat das<br />

20. Jahrhun<strong>der</strong>t die alte Praxis <strong>der</strong> «Selbstdarstellung» des Volkes<br />

beinahe ungebrochen übernommen, nur daß diese Kontinuität<br />

einen nicht unwesentlichen Bedeutungswandel mit sich<br />

bringt: Was in <strong>der</strong> Situation des Staatenbundes mit seinen selbstherrlichen<br />

kleinen Feudal- und an<strong>der</strong>en Herren an Umwälzung<br />

erinnerte, wird jetzt zu einer Ursprungsbeschwörung, die <strong>der</strong> Legitimation<br />

des sogenannten Bestandes gilt. Erst seit relativ kurzer<br />

Zeit kann die patriotische Geisterbeschwörung nicht mehr ohne<br />

weiteres auf jene Selbstverständlichkeit rechnen, <strong>der</strong> sie –<br />

repetitiv wie sie ist – ihre Wirkung verdankt.<br />

Eines <strong>der</strong> entscheidenden Elemente des <strong>Fähnlein</strong>s ist <strong>der</strong> in<br />

ihm zum Ausdruck kommende «Festrednerstil» 2 und es ist wohl<br />

kein <strong>Zu</strong>fall, daß hier die kritischen Stimmen von schweizerischen<br />

Germanisten <strong>der</strong> unmittelbaren Nachkriegszeit entstammen. Die<br />

Gefahren identifikatorischer Rede wurden wohl durch das Dritte<br />

Reich so deutlich, daß etwas vom Mißtrauen auch auf die<br />

<strong>Kellers</strong>che Idylle fiel. Am härtesten hat Hermann Boeschenstein<br />

<strong>Karl</strong>s Rede kritisiert:<br />

Man hat <strong>Karl</strong>s Festrede, und die Leitsätze für den guten Redner, die ihm<br />

Frymann feierlichst übermacht, als hochbedeutende Äußerungen eines<br />

politischen Dichters bezeichnet, an die sich zu halten <strong>der</strong> Schweizer gut<br />

tue. Es sind ohne Zweifel schöne Worte für einen Festredner, aber nicht<br />

sehr tiefe für einen Dichter. Sie greifen nicht mutig an die Nöte des Daseins<br />

und beschönigen, statt zu enthüllen. Die viel gebrauchte Freundschaft<br />

in <strong>der</strong> Freiheit ist eine glatte, nicht eben viel besagende Formel,<br />

hauptsächlich dazu gut, im Gewissen <strong>der</strong> Festbesucher Schönwetter zu<br />

machen. 3<br />

Eine solche Kritik an Keller bleibt auch dann moralisierend,<br />

wenn man in manch an<strong>der</strong>er Hinsicht die Auffassung teilen mag,<br />

2 Max Wehrli, «Die ‚Züricher Novellen‘», Jahresbericht <strong>der</strong> <strong>Gottfried</strong> Keller-Gesellschaft,<br />

XVIII (1949), S. 9.<br />

3 Hermann Boeschenstein, <strong>Gottfried</strong> Keller. Grundzüge seines Lebens und Werkes (Bern:<br />

Paul Haupt, 1948), S. 48.

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