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gewerkschaften - Einblick-archiv.dgb.de - DGB

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MEINUNG<br />

<strong>DGB</strong> und Jugendarbeit<br />

Zwei Welten prallen aufeinan<strong>de</strong>r<br />

Robert Günthner,<br />

42, war von 1995<br />

bis 2000 Lan<strong>de</strong>sjugendsekretär<br />

im <strong>DGB</strong> Bayern.<br />

In <strong>de</strong>n berüchtigten Sonntagsre<strong>de</strong>n<br />

wird immer die<br />

Wichtigkeit <strong>de</strong>r Nachwuchsarbeit<br />

beschworen. Die Wirklichkeit<br />

stellt sich für mich als ein<br />

abgewan<strong>de</strong>ltes Kishon-Zitat<br />

dar: „Will <strong>de</strong>r <strong>DGB</strong> noch Jugendarbeit<br />

– und wenn ja,<br />

warum nicht?“ Dazu vier Begründungen:<br />

1. Die Glaubwürdigkeitskrise<br />

Fünf Jahre hat sich Robert Günthner <strong>de</strong>r <strong>DGB</strong>-Jugendarbeit gewidmet.<br />

Seine <strong>de</strong>primieren<strong>de</strong> Bilanz: „Trotz einiger verheißungsvoller Ansätze,<br />

die immer schwieriger wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Jugendarbeit zu stabilisieren,<br />

blicke ich einigermaßen ratlos zurück.“<br />

Es ist ein nicht ausrottbares Gerücht, dass die<br />

Jugend faul und hedonistisch wäre. Es gibt keine<br />

empirischen Belege für ein Engagement-Verlust von<br />

Jugendlichen. Das Gegenteil ist vielmehr richtig.<br />

Dass es nicht in <strong>de</strong>n Gewerkschaften greift, ist offensichtlich.<br />

Jugendliche wollen authentische, glaubwürdige<br />

Organisationen, in <strong>de</strong>nen sie ohne Verbiegungen<br />

mitarbeiten können. Der <strong>DGB</strong> ist ten<strong>de</strong>nziell<br />

das Gegenteil davon. So wettert er lautstark gegen<br />

befristete Arbeitsverhältnisse; in <strong>de</strong>n eigenen Reihen<br />

wird, gera<strong>de</strong> bei <strong>de</strong>n Jugendsekretären, genau das<br />

Gegenteil praktiziert.<br />

2. Die Strukturkrise<br />

Die Jugendverbän<strong>de</strong> in Bayern sind zur Mitarbeit<br />

im Bayerischen Jugendring verpflichtet. Der Jugendring,<br />

eine Körperschaft <strong>de</strong>s öffentlichen Rechts, för<strong>de</strong>rt<br />

auch die Jugendarbeit <strong>de</strong>s <strong>DGB</strong> hervorragend.<br />

Allerdings setzt diese För<strong>de</strong>rung haupt- und ehrenamtliche<br />

Strukturen in <strong>de</strong>r Jugendarbeit voraus.<br />

Fehlen sie, droht schlimmstenfalls <strong>de</strong>r Verlust <strong>de</strong>r<br />

För<strong>de</strong>rung. Wie sollen jedoch Kontinuität o<strong>de</strong>r ein<br />

sinnvoller Neuaufbau zu schaffen sein, wenn Befristungen<br />

von acht Monaten bis zu zwei Jahren für<br />

die <strong>DGB</strong>-Jugendsekretäre ausgesprochen wer<strong>de</strong>n?<br />

Sie sind jugendpolitisch ein Unsinn. Gera<strong>de</strong> weil<br />

die Krise in <strong>de</strong>r Jugendarbeit groß ist, bedarf es kontinuierlicher<br />

Unterstützung durch die Jugendsekretäre.<br />

Es drängt sich <strong>de</strong>r Verdacht auf, dass ohne<br />

formellen Beschluss <strong>de</strong>s <strong>DGB</strong>-Bun<strong>de</strong>svorstan<strong>de</strong>s die<br />

Jugendarbeit abgeschafft wer<strong>de</strong>n soll, in<strong>de</strong>m Stellen<br />

für potenzielle Hauptamtliche so unattraktiv wie<br />

möglich gemacht wer<strong>de</strong>n.<br />

3. Die Gewerkschaftskrise<br />

Die <strong>DGB</strong>-Jugend Bayern hat in <strong>de</strong>n vergangenen<br />

zehn Jahren die Hälfte ihrer Mitglie<strong>de</strong>r verloren. Für<br />

manche Gewerkschaften war das Anlass dafür, in<br />

allen Verwaltungsstellen hauptamtliches Personal<br />

für die Jugendarbeit einzustellen. Doch für an<strong>de</strong>re<br />

scheinen selbst Mitglie<strong>de</strong>rverluste von zwei Dritteln<br />

kaum ein Problem zu sein. Neue Politikfel<strong>de</strong>r wie<br />

Vorfeld- und Schülerarbeit wer<strong>de</strong>n zum Teil noch<br />

nicht einmal ignoriert, manchmal belächelt und nur<br />

gelegentlich unterstützt. Allerdings fragt man sich<br />

dann oft bei letzterem, wie ernst die Unterstützung<br />

ist, wenn Gewerkschaften zusagen, einen Fachsekretär<br />

zu schicken, um SchülerInnen über Ausbildung<br />

und Tarifverträge zu informieren. Statt<strong>de</strong>ssen kommt<br />

dann ein Rentner, <strong>de</strong>r im Stile von „Wenn <strong>de</strong>r rote<br />

Großvater erzählt“ berichtet, wie die Ausbildung<br />

anno dunnemals war. Ich will nieman<strong>de</strong>n anprangern.<br />

Es ist aber nötig, sich endlich auf gemeinsame<br />

Schwerpunkte zu verständigen. Niemand kann sich<br />

mehr <strong>de</strong>n Luxus erlauben, potenzielle Mitglie<strong>de</strong>r zu<br />

ignorieren.<br />

4. Die Legitimationskrise<br />

Wäre Kohl noch Bun<strong>de</strong>skanzler und hätte es unter<br />

seiner Regierung das Bündnis für Arbeit gegeben,<br />

wären die Gewerkschaften bei <strong>de</strong>r Ausbildungsbilanz<br />

<strong>de</strong>s Jahres 1999 die lautesten Kritiker gewesen.<br />

Aber eine Regierung Schrö<strong>de</strong>r wird mit Glacéhandschuhen<br />

angefasst. Ich habe JUMP, das Sofortprogramm<br />

<strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sregierung, nie pauschal kritisiert.<br />

Es ist ein richtiges Notprogramm. Wenn aber die<br />

„Erfolge“ <strong>de</strong>s Ausbildungsjahres 1998/99, die mit<br />

JUMP im wahrsten Sinne <strong>de</strong>s Wortes erkauft wor<strong>de</strong>n<br />

sind, unkritisch vom <strong>DGB</strong> bejubelt wer<strong>de</strong>n, gibt dies<br />

doch Anlass zur Verwun<strong>de</strong>rung. Und macht uns bei<br />

<strong>de</strong>n Jugendlichen nicht glaubwürdiger, die von unserer<br />

Organisation politische Unabhängigkeit erwarten.<br />

Es ist alt und <strong>de</strong>nnoch nicht überholt: Wer<br />

Jugendarbeit will, muss Jugendliche ernst nehmen.<br />

Man kann <strong>de</strong>ren Ansprüche zwar auch ignorieren,<br />

aber nur um <strong>de</strong>n Preis eigener Auszehrung. Und<br />

dann wird irgendwann <strong>de</strong>r letzte Jugendsekretär das<br />

Licht ausmachen. Eine solche Organisation hätte es<br />

dann aber auch nicht besser verdient. •<br />

Dramatisch<br />

sind die Mitglie<strong>de</strong>rverluste<br />

<strong>de</strong>r <strong>DGB</strong>-Gewerkschaften im<br />

➜<br />

Jugendbereich. Zählten sie<br />

En<strong>de</strong> 1998 noch 570 608 Mitglie<strong>de</strong>r<br />

im Alter bis 25 beziehungsweise<br />

bis 30 Jahre<br />

(die Altersabgrenzung variiert<br />

von Gewerkschaft zu<br />

Gewerkschaft), so waren es<br />

ein Jahr später nur noch<br />

522 073, das heißt 48 535<br />

o<strong>de</strong>r 8,5 Prozent weniger.<br />

Die Verlustrate im Jugendbereich<br />

war damit wesentlich<br />

höher als die in <strong>de</strong>r<br />

Gesamtmitgliedschaft, die<br />

1999 bei 3,3 Prozent lag.<br />

Der Anteil <strong>de</strong>r Jugendlichen<br />

an <strong>de</strong>r Mitgliedschaft insgesamt<br />

sank <strong>de</strong>shalb im<br />

vergangenen Jahr von 6,9<br />

auf 6,5 Prozent.<br />

Rund 143 000 o<strong>de</strong>r 27 Prozent<br />

<strong>de</strong>r jugendlichen<br />

Mitglie<strong>de</strong>r sind Frauen.<br />

Der Frauenanteil insgesamt<br />

liegt bei 30 Prozent.<br />

Die mit Abstand meisten<br />

Jugendlichen stellt nach wie<br />

vor die IG Metall (192 071).<br />

Ihr Verlust war mit 3,5 Prozent<br />

unterdurchschnittlich.<br />

Weniger Abgänge hatte nur<br />

die Gewerkschaft Erziehung<br />

und Wissenschaft (2,8 Prozent).<br />

Den absolut und<br />

relativ stärksten Rückgang<br />

mel<strong>de</strong>te 1999 die IG Bergbau,<br />

Chemie, Energie. Die<br />

Zahl ihrer jugendlichen<br />

Mitglie<strong>de</strong>r sank um 13 955<br />

o<strong>de</strong>r 20,7 Prozent. Die<br />

Gewerkschaft <strong>de</strong>r Polizei<br />

gewann als einzige jugendliche<br />

Mitglie<strong>de</strong>r hinzu:<br />

2421 o<strong>de</strong>r 7 Prozent.<br />

7 einblick 15/00

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