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Zunder #3: Mut - Red Pepper

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HERR KEMPKE, NATÜRLICH<br />

HABEN WIR ERSTMAL<br />

GESUCHMASCHINELT, UM ZU<br />

SEHEN, OB ES REISSERISCHE<br />

INTERVIEWS MIT IHNEN<br />

GIBT UND NICHTS GEFUNDEN ...<br />

Oh doch, da gibt es etwas. Zum Beispiel die Podiumsdiskussion<br />

von Kodak auf der Photokina 2008 in Köln zum<br />

Thema analoge Fotografie. Zwei Dinge daran waren mutig.<br />

Erstens, dass ich zugesagt habe. Ich hasse es auf der Bühne<br />

zu stehen. Zweitens musste das auch noch auf Englisch<br />

sein, da ich ja mit internationalen Kollegen diskutiert habe.<br />

Aber Englisch können Sie gut, das haben wir doch<br />

vorhin gehört ...<br />

Ja. Aber auf der Bühne. Angeleuchtet. Jetzt spricht der<br />

Deutsche Englisch. Daneben einer aus New York, einer<br />

aus New Mexico ... Gott sei Dank war noch jemand aus<br />

Spanien dabei. Erzähl’ mal in Kurzform auf Englisch was<br />

über Dein Leben, ins Mikro, vor 500 bis 600 Leuten.<br />

Sie haben Fotografie studiert? Sind also auf ganz klassischem<br />

Weg zu Ihrem Beruf gekommen?<br />

Im Prinzip ja. Nur habe ich mich mit Händen und<br />

Füßen gegen meine Eltern durchsetzen müssen. Ich<br />

war das einzige Kind in der Familie, das Abitur hatte.<br />

In Ummeln bei Bielefeld aufgewachsen, war natürlich<br />

Fotografie weit entfernt im Denken der Leute.<br />

Was sollten Sie werden?<br />

Na idealerweise Arzt oder Jurist. Ich hatte auch noch<br />

ein super Abitur, da kam der Spruch: »Kind, wirf Deine<br />

Bildung nicht weg«. Drei Jahre habe ich gebraucht, um<br />

mich durchzusetzen. Ich wollte das unbedingt machen.<br />

Heute noch denke ich, wenn Assistenten keine Überzeugungstäter<br />

sind, dann sind sie ganz falsch bei mir.<br />

»EIGENTLICH WAR DAS GAR<br />

NICHT MUTIG, DENN DIE ELEFAN-<br />

TEN WAREN JA DRESSIERT.«<br />

Sie sind Überzeugungstäter und zwar einer mit<br />

einem unverwechselbaren Stil. Wie würden Sie den<br />

beschreiben?<br />

Ich glaube, dass ein Bild eine Geschichte erzählen muss.<br />

Es muss cinematografisch sein. Wann fange ich an zu<br />

träumen? Also entweder lese ich ein gutes Buch, das ist<br />

Kino im Kopf, oder ich gehe ins Kino. Dann wird mir eine<br />

Geschichte sauber inszeniert vorgeführt. Sie nimmt mich<br />

mit. Wenn ein Bild meinen Kunden nicht mitnimmt, ist es<br />

ein schlechtes Bild.<br />

Schwimmen Sie damit gegen den Strom?<br />

Keine Ahnung. Dafür habe ich mich nie interessiert. Ich<br />

wollte immer meine Art von Fotos machen. Ich habe ganz<br />

bestimmt so ein paar Mäander im Leben gemacht, zu sehr<br />

auf andere gehört, mich zu sehr nach dem Markt gerichtet.<br />

Aber heute kann ich sagen, ich weiß, was ich will.<br />

Leute schlagen eine Zeitschrift auf und sagen: Das muss<br />

ein Kempke-Foto sein. Das ist so und so inszeniert, das<br />

Licht ist so und so.<br />

Gibt es Situationen mit Kunden, in denen Sie mutig in<br />

die Auseinandersetzung gehen, um konsistent in Ihrem<br />

Stil zu bleiben?<br />

Das gibt es, glaube ich, jedes Mal. Ich gehe immer so weit,<br />

wie der Kunde das zulässt. Wenn der Kunde dann partout<br />

nicht mitgehen will, dann bin ich Dienstleister. Aber dann<br />

hat er einen Belichter gekauft und nicht mich. Früher war<br />

ich da weniger mutig. Aber heute habe ich natürlich das<br />

Glück, dass ich früher in die Konzeption eingebunden<br />

werde. Das ist natürlich auch eine Preisfrage. Ab einem<br />

gewissen Preis darf man auch den Mund aufmachen.<br />

Lassen Sie uns mal über <strong>Mut</strong> im wörtlichsten Sinn reden.<br />

Sie haben zum Beispiel das berühmte Foto von Richard<br />

Avedon mit den zwei Elefanten als Hommage an den<br />

Künstler neu in Szene gesetzt. War das gefährlich?<br />

Eigentlich war das gar nicht mutig, denn die Elefanten<br />

waren ja dressiert. Da gibt es ganz andere Sachen. Aber<br />

wenn ich hinter meiner Kamera stehe, bin ich sowieso<br />

komplett in meiner Welt. In Amerika bin ich für Fotos<br />

alleine herumgeklettert. Danach habe ich mal nach unten<br />

geschaut, mein Gott, da stand ich nur Millimeter vom<br />

Abgrund entfernt und hab das gar nicht wahrgenommen!<br />

Wirklich mutig sind für mich andere Sachen. Ich hatte<br />

mal ein ganz wichtiges Kundenmeeting. Das Konzept war<br />

super, es ging um Kaffeemaschinen. Aber der Kunde hatte<br />

Maschinen mit einem ganz schlimmen Design. Irgendwann<br />

bin ich aufgestanden und habe vor der ganzen<br />

Runde gesagt: »Sagt mal Leute, findet Ihr denn nicht,<br />

dass diese Maschine scheiße aussieht?« und habe so ein<br />

ganzes Meeting gesprengt.<br />

Ab und zu muss auch der Kunde <strong>Mut</strong> aufbringen. Gerade<br />

haben Sie für den Fashionlogistiker Meyer & Meyer<br />

fotografiert, der den großen Schritt zu einer ganz neuen<br />

von der Fashionfotografie inspirierten Markenwelt wagt<br />

– wohlgemerkt als Logistiker. Geht Ihrer Arbeit oft ein<br />

mutiger Schritt seitens des Kunden voraus?<br />

Manchmal hat man ein Konzept auf dem Tisch und<br />

denkt: »Oh ja, ganz toll. <strong>Mut</strong>ig.« Und dann geht die<br />

Mühle des Nivellierens los. Zum Schluss ist nichts übrig<br />

geblieben. <strong>Mut</strong>ige Konzepte funktionieren nur, wenn alle<br />

mitziehen und am Ende sagen: »Ja, da waren wir mutig<br />

und konsequent.« So wie Meyer & Meyer.<br />

Haben Sie da ein paar Beispiele auf Lager?<br />

Ja, zwei immer noch herausragende Beispiele. Das eine ist<br />

Amazon. Ich bekam graue Flächen und einen Slogan. Wir<br />

haben uns dann mit dem Kunden hingesetzt und konsequent<br />

das ganze Ding glattgezogen. Geändert wurde nichts. Das<br />

fand ich mutig. Großartige Bilder, die ich zehn Jahre lang in<br />

meiner Mappe hatte.<br />

Und wie genau sah das Ganze aus?<br />

Ein schönes Beispiel war das Motiv zum Slogan »Shop<br />

Games«. Auf der grauen Fläche stand: Zwei Jugendliche<br />

sitzen zu Hause, haben gerade ein Paket von Amazon<br />

bekommen und spielen Playstation. Klar war gleich: Ich<br />

zeige nicht den braven deutschen Jungen und das brave<br />

deutsche Mädchen in ihrem Jugendzimmer. Die müssen<br />

glaubwürdig szenig sein und nicht schön gecastet. Die<br />

sind wirklich von der Straße. Zusammen sollten sie das<br />

Tingeltangel-Barock-Wohnzimmer ihrer Eltern rocken.<br />

Das war ein Bild, das glaubwürdig Kino war.<br />

Das war mutig, weil es ganz neu war?<br />

Das war total neu. Das war sensationell. Wenn Werbung<br />

sagt, da sitzen Jugendliche am Tisch, dann hab ich da in<br />

der Regel Geföhnte und Geschönte sitzen, den blonden<br />

Jüngling, der eigentlich permanent durchgeprügelt würde,<br />

und irgendein Mädchen, das gesichtslos daneben sitzt.<br />

Das will doch keiner sehen.<br />

»GOTT, DA STAND ICH<br />

NUR MILLIMETER<br />

VOM ABGRUND ENTFERNT!«<br />

Und das zweite Beispiel?<br />

Das war noch mutiger und großartiger. 2003. Weltweit-<br />

Kampagne für Lacoste. Ich traf Maurice Betite von der<br />

Agentur BY. Er war damals der Creative Director in Paris<br />

und arbeitete für Labels wie Louis Vuitton. Er schaut<br />

in meine Mappe, sieht ein Bild und sagt: »Das finde ich<br />

super, hast Du Lust meine Kampagne zu fotografieren?<br />

Ich habe hier ein paar Filmszenen aus ›Der unsichtbare<br />

Dritte‹. Wie findest Du die?« Ich sage: »Finde ich super.«<br />

Er: »Wie findest Du die Mädchen?« Ich sage: »Die finde<br />

ich besser.« Er: »Ok, dann buche ich die. Wir sehen uns<br />

in Los Angeles.« Dann haben wir fünf Tage lang die<br />

Kampagne fotografiert. Heraus kam ein sensationeller<br />

Katalog. Filmische Szenen mit einer gewissen Hitchcockartigen<br />

Spannung, ein bisschen düster, eigentlich überhaupt<br />

nicht Lacoste. Das war das erste Mal, dass ich ganz<br />

klar für meinen cinematografischen Stil gebucht wurde<br />

und niemand reingeredet hat.<br />

»IRGENDWANN BIN ICH<br />

AUFGESTANDEN UND HABE VOR<br />

DER GANZEN RUNDE GESAGT:<br />

SAGT MAL LEUTE, FINDET IHR<br />

DENN NICHT, DASS DIESE<br />

MASCHINE SCHEISSE AUSSIEHT?«<br />

War das damals für Fashionfotografie sehr ungewöhnlich?<br />

Ja. Und nicht nur das. Ich als deutscher Fotograf ganz<br />

neu in Paris und er entscheidet sich für mich. Das war<br />

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