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Richard David Precht - books4you

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BELLETRISTIK<br />

Schön traurig<br />

Die Liebe und der Krieg, die Trauer<br />

und die Rache, die Schuld und die<br />

Sühne – in seinem ersten Roman breitet<br />

Derek B. Miller eine Fülle von Themen<br />

aus und erzählt voll Humor die<br />

zu Herzen gehende Geschichte eines<br />

Korea-Veteranen, dem mit 82 die<br />

Vergangenheit näher ist als die<br />

Zukunft.<br />

Von Ditta Rudle<br />

Sheldon (Donny) Horowitz ist 82,<br />

Jude, der im Koreakrieg für Amerika<br />

gekämpft hat und nun als trauernder<br />

Witwer von New York nach<br />

Norwegen verpflanzt worden ist. Seine<br />

Enkelin, die ihren Opa aufrichtig<br />

liebt, meint, dass er an Demenz leide<br />

und nicht mehr alleine leben dürfe.<br />

Sie selbst hat einen Norweger geheiratet<br />

und lebt deshalb in Oslo. Sheldon<br />

ist nicht glücklich und widersetzt<br />

sich mit Starrsinn und Erfindungsgeist<br />

der Bevormundung. Doch er leidet<br />

an einem schweren Trauma. Im Vietnamkrieg<br />

hat er seinen Sohn Saul verloren<br />

und gibt sich die Schuld daran.<br />

Als glühender Patriot und Ex-Marine<br />

war es für ihn selbstverständlich, dass<br />

Saul für seine Heimat in den Krieg<br />

ziehen müsse. Doch je mehr sich die<br />

Erinnerungen an den Krieg entfernen,<br />

desto deutlicher treten sie hervor, und<br />

Sheldon spricht immer öfter von den<br />

Toten, die er gesehen und selbst verschuldet<br />

hat und dem gnadenlosen<br />

Schlachten im Krieg. Er weiß, dass er<br />

nicht mehr viel Zeit hat.<br />

Diese kurze Schilderung lässt den<br />

Eindruck entstehen, dass Sheldons<br />

Geschichte einer der üblichen Veteranenromane<br />

ist, als Aufruf zum<br />

immerwährenden Pazifismus, blutig,<br />

erschreckend und niederdrückend.<br />

Doch der Autor sieht mit liebevollen<br />

Augen auch die komischen Seiten des<br />

Alters und zeigt den alten Haudegen<br />

als tapferen und fantasievollen Greis,<br />

der die letzte Gelegenheit ergreift, um<br />

sich von seinem Trauma, dem seiner<br />

Ansicht nach verschuldeten Tod des<br />

Sohnes, zu befreien. Er wird einem<br />

7-Jährigen Albaner das Leben retten.<br />

So kommt Sheldon mitten in die Rache-<br />

Kämpfe albanischer und serbischer Mi -<br />

granten in Norwegen unverhofft und<br />

eher unwillig. Während die Enkelin<br />

Rhea mit ihrem Mann einen Spazier -<br />

gang unternimmt, hört er wieder mal in<br />

der Wohnung über ihm lautes Geschrei<br />

in einer fremden Sprache, Geräusche<br />

eines Kampfes und Türenschlagen.<br />

Zuerst späht er nur neugierig durch<br />

das Guckloch in der Tür, doch als er<br />

„Der Autor sieht mit liebevollen<br />

Augen auch die komischen<br />

Seiten des Alters und zeigt<br />

seinen Protagonisten als tapferen<br />

und fantasievollen Greis, der die<br />

letzte Gelegenheit ergreift, um sich<br />

von seinem Trauma, dem Tod des<br />

Sohnes, zu befreien.“<br />

die verzweifelte Frau mit dem kleinen<br />

Buben sieht, öffnet er und zieht beide<br />

hinein. Fast scheint die Rettung gelungen,<br />

doch die wild gewordenen Männer<br />

kommen zurück, und während<br />

Sheldon mit dem stummen Buben in<br />

einem Schrank hockt, wird die Mutter<br />

erschlagen. Als Sheldon die blutüberströmte<br />

Leiche sieht, hat er nur noch<br />

eines im Sinn: Er wird den Buben, den<br />

er später Paul nennt (man erinnere<br />

sich, der Sohn hieß Saul), retten. Er ist<br />

so besessen von der Idee, dass er vergisst,<br />

die Rettung und die Polizei zu<br />

rufen und auch, dass er bereits 82 Jahre<br />

zählt und keineswegs mehr so kräftig,<br />

schnell und ausdauernd ist, wie vor<br />

mehr als 50 Jahren. Aber Sheldon ist<br />

voll Entschlusskraft und Fantasie und<br />

schließlich hat er auch einige Freunde,<br />

von denen er sich Ratschläge holt. Sein<br />

längst verstorbener New Yorker Nachbar<br />

Bill steht ihm ebenso zur Seite, rügt<br />

und ermuntert ihn, wie sein Kriegskamerad<br />

Marco, der von einer Granate<br />

zerrissen worden ist, als Sheldon ihn<br />

bat, einen Schritt zurückzutreten, weil<br />

er ihn fotografieren wollte. Im Erschrecken<br />

über die Explosion hat er damals<br />

auch auf den Auslöser gedrückt und ein<br />

so entsetzliches Foto geschossen, dass<br />

er es niemandem je zeigen konnte. In<br />

einer Schachtel in New York hat Sheldon<br />

eine ganze Menge solcher Fotos,<br />

die niemand sehen durfte. Aber nicht<br />

nur Bill und Marco oder Saul erscheinen<br />

ihm in Wachträumen, auch die<br />

Koreaner sind immer wieder hinter ihm<br />

her. Dennoch, Sheldon gibt nicht auf.<br />

Mit letzter Kraft stellt er die Bande, die<br />

Überlebenden werden festgenommen.<br />

Der kleine Paul ist gerettet.<br />

Klingt ein wenig wie ein Krimi, ist auch<br />

spannend, aber doch kein Thriller.<br />

Dafür sind andere Themen als die Jagd<br />

nach den Mördern der jungen Frau viel<br />

zu wichtig. Zum Beispiel Trauer und<br />

Reue, die Traumata, die jeder Krieg<br />

auch jenen zufügt, die mit Freuden<br />

hingezogen sind, und das Thema des<br />

Alterns und der Verlust der geistigen<br />

Kraft. Sheldon lebt mehr in der Vergangenheit<br />

als in der Gegenwart und<br />

organisiert die Rettung des von ihm<br />

adoptierten Kindes, als wäre er noch<br />

im Dschungelkrieg. Auch die Erinnerungen<br />

an den Holocaust waren Derek<br />

Fotos: Lukas Riebling; Camilla Waszink 2012<br />

18<br />

buchmedia<br />

magazin 20 (2/13)

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