Die Seminararbeit als PDF lesen - Benjamin Rudolf
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Dem Erhabenen geht immer ein Scheitern der Einbildungskraft voraus. So stehen wir vor<br />
einem formlosen Objekt, Vorgang oder Phänomen, welches unserer stets fortschreitenden<br />
Einbildungskraft kein Abschließen und Zusammenfassen ermöglicht. Es bleibt uns nichts<br />
weiter übrig, <strong>als</strong> durch den Verstand das Wahrgenommene in einer nicht aufhörenden<br />
Addition einer ästhetischen Einheit zu erweitern. Nun ist in dieser logischen Größenschätzung<br />
zwar etwas objektiv Zweckmäßiges, aber nichts was unserem ästhetischen Urteile einen<br />
befriedigenden Wohlgefallen bieten könnte. Das Auffassen verläuft nur progressiv und bringt<br />
kein neues komprehensiertes Ganzes in die Vorstellung. Schließlich greift die Totalität<br />
fordernde Vernunft ein und beendet diese Sisyphusarbeit durch die Entscheidung, es handele<br />
sich um etwas Unendliches. Ein vergleichbares, zur Verbildlichung dienendes Phänomenen<br />
entdecken wir bei primitiven Völkern, wenn diese anhand ihrer Finger und Daumen bis zehn<br />
zählen und alles darüber nur <strong>als</strong> vieles bezeichnen. Das Vorstellungsvermögen reicht nicht<br />
aus, um die vorhandene ästhetische Einheit imaginär zu multiplizieren. Besonders interessant,<br />
obwohl Kant es nicht erwähnt, ist die hierbei spürbare Abhängigkeit unserer modernen<br />
Zählsystems von der ästhetischen Fünfereinheit unserer Hand. <strong>Die</strong> zur Größenschätzung<br />
notwendige, ästhetische Einheit kann <strong>als</strong>o abhängig vom Vorstellungsvermögen des<br />
Betrachters größer oder kleiner sein. Für Kants Konzept ist es aber viel wichtiger, dass diese<br />
variierende Maßeinheit nie in einer Relation zur Idee des Unendlichen stehen kann. Schon<br />
Nikolaus von Kues 19 würde jeden Menschen bei dem ernsthaften Versuch einen solchen<br />
gemeinsamen Teiler von Endlichem und Unendlichem zu finden belächeln 20 . Natürlich ist das<br />
Objekt der Betrachtung, über welches hier ein ästhetisches Urteil gefällt wird, kein wirklich<br />
unendliches, aber die Vernunft greift im Fall einer Unfassbarkeit zur anschaulichen Einheit,<br />
einfach zum nächstliegend vorstellbaren, nämlich zum Unendlichen. Was hier den Eindruck<br />
erweckt einem festen Bild des Unendlichen zu entsprechen, ist bei Kant eine eher vage Idee<br />
des Unendlichen, welche dem Objekt angedacht wird. Wobei „angefühlt“ ein wesentlich<br />
passenderes Wort wäre, wenn man bedenkt, dass dieser Schritt in die Ideenwelt, eben der<br />
gescheiterten, logischmathematischen Größenschätzung zu entkommen versucht. Verbildlicht<br />
würde dieser Schritt auch wohl eher einem vom nachvollziehbaren Gedankenverlauf<br />
loskoppelnden Sprung à la Kirkegaards Sprung in das Religiöse gleichen. Und eben genau<br />
hieraus resultiert nun das Wohlgefallen, weil der Mensch sein Vermögen zum Denken des<br />
Unendlichen <strong>als</strong> erhebend über das <strong>Die</strong>sseitige empfindet 21 .<br />
19 Nikolaus von Kues, (* 1401 in Cues, † 1464 in Todi).<br />
20 Nikolaus von Kues, De docta ignorantia. I, S. 4 ff.<br />
21 KdU [257].<br />
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