Der Zivilprozess lebt - die neueste Rechtsprechung ... - Anwaltsblatt
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MN Aufsätze 1 BGH, Urteil vom 2.7.2009 – IX ZR 126/08.<br />
Prozessrecht<br />
<strong>Der</strong> <strong>Zivilprozess</strong> <strong>lebt</strong> –<br />
<strong>die</strong> <strong>neueste</strong> <strong>Rechtsprechung</strong><br />
des BGH<br />
BGH muss alte Grundsätze des<br />
<strong>Zivilprozess</strong>rechts betonen<br />
Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof Dr. Herbert Geisler, Karlsruhe<br />
<strong>Der</strong> erste Blick täuscht: Die großen Entscheidungen des<br />
BGH zum <strong>Zivilprozess</strong> mögen zehn Jahre nach der <strong>Zivilprozess</strong>reform<br />
fehlen, doch der BGH ist bei der Weiterentwicklung<br />
des Prozessrechts nach wie vor aktiv. Zum einen<br />
wird das Prozessrecht behutsam weiterentwickelt, zum anderen<br />
gibt es auch eine Fülle von Entscheidungen, mit denen<br />
alte Grundsätze des <strong>Zivilprozess</strong>es bekräftigt werden. Diese<br />
Beschlüsse und Urteile sind ein Zeichen dafür, dass in den<br />
Instanzen Richtern und auch Anwälten manchmal das notwendige<br />
Prozess-Know-how fehlt. <strong>Der</strong> Autor will dem Forensiker<br />
einen praxisnahen Überblick zur <strong>neueste</strong>n BGH-<strong>Rechtsprechung</strong><br />
geben – als Ersteinstieg oder Repetitorium.<br />
I. Einleitung<br />
Zur Beurteilung der materiellen Rechtslage hat der Rechtsanwalt<br />
dem Gericht <strong>die</strong> erforderlichen Tatsachen vorzutragen.<br />
Für das richtige prozessuale Vorgehen und zum Ergreifen<br />
taktischer Maßnahmen gibt ihm <strong>die</strong> ZPO das Handwerkszeug.<br />
Geht ein Anspruch durch prozessuale Fehler verloren,<br />
führt <strong>die</strong>s zur Haftung des Anwalts. Es wird vorausgesetzt,<br />
dass der Anwalt <strong>die</strong> Rechtslage umfassend kennt. 1<br />
So handelt der Anwalt pflichtwidrig, wenn er eine aussichtslose<br />
Klage trotz verjährten Anspruchs erhebt. 2 Im Prozess<br />
hat der Anwalt dafür einzutreten, dass <strong>die</strong> zu Gunsten<br />
des Mandanten sprechenden tatsächlichen und rechtlichen<br />
Gesichtspunkte so umfassend wie möglich ermittelt und bei<br />
der Entscheidung des Gerichts berücksichtigt werden. 3<br />
Ein<br />
Anwalt hat <strong>die</strong> Interessen des Mandanten auch im Rahmen<br />
von Vergleichsbemühungen umfassend und nach allen Richtungen<br />
wahrzunehmen und ihn vor vermeidbaren Nachteilen<br />
zu bewahren. 4<br />
Er muss von einem Vergleich abraten,<br />
wenn begründete Aussicht besteht, im Falle einer streitigen<br />
Entscheidung ein wesentlich günstigeres Ergebnis zu erzielen.<br />
5<br />
Auch wenn berufsrechtliche Verstöße materiell-rechtliche<br />
Auswirkungen haben können (§§ 134, 138 BGB),<br />
bleiben Prozesshandlungen eines sich berufswidrig verhaltenden<br />
Anwalts wegen der Notwendigkeit des Verkehrsschutzes<br />
wirksam. 6<br />
II. Prozessvoraussetzungen<br />
Kennzeichnend für <strong>die</strong> aktuelle <strong>Rechtsprechung</strong> des BGH<br />
im Bereich der Prozessvoraussetzungen ist das Anliegen, einen<br />
wirkungsvollen Rechtsschutz zu Gunsten des Rechtssuchenden<br />
zu gewährleisten. Das wird besonders deutlich an<br />
Entscheidungen, <strong>die</strong> sich mit dem Anwaltszwang (auch vor<br />
dem BGH) beschäftigen und zu pragmatischen Lösungen<br />
kommen: An <strong>die</strong> verfahrenseinleitenden Maßnahmen werden<br />
keine überhöhten Anforderungen gestellt.<br />
1. Parteifähigkeit/Prozessfähigkeit<br />
Bis zur gerichtlichen Klärung ist eine Prozesspartei als partei-<br />
bzw. prozessfähig zu behandeln. 7 Sie kann sogar Rechtsmittel<br />
gegen ein Sachurteil einlegen 8 und hat bei Unterliegen<br />
auch <strong>die</strong> Kosten des Rechtsstreits zu tragen.<br />
a) Parteifähigkeit (§ 50 ZPO)<br />
Wird eine Partei vom Prozessgegner allein beerbt, so endet<br />
das Verfahren (Verbot des Insichprozesses) ohne eine Kostenentscheidung<br />
nach § 91 a ZPO. 9 Scheidet ein Gesellschafter<br />
aus einer zweigliedrigen Gesellschaft bürgerlichen Rechts<br />
(GbR) aus, kann der verbleibende Gesellschafter im Wege<br />
des Parteiwechsels <strong>die</strong> Klägerrolle mit Zustimmung des Beklagten<br />
bzw. gerichtliche Zulassung als sach<strong>die</strong>nlich an<br />
Stelle der nicht mehr existierenden Gesellschaft übernehmen.<br />
10<br />
b) Prozessfähigkeit (§ 52 ZPO)<br />
Eine GmbH ist nicht mehr prozessfähig, wenn der einzige<br />
Geschäftsführer sein Amt niederlegt. 11<br />
Nach dem Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes muss<br />
der Kläger <strong>die</strong> Möglichkeit haben, seine Forderung auch gegen<br />
einen prozessunfähigen Beklagten durchzusetzen. <strong>Der</strong><br />
Gegner hat <strong>die</strong> Möglichkeit, <strong>die</strong> Bestellung eines Prozesspflegers<br />
(§ 57 Abs. 1 ZPO) bzw. eines Notgeschäftsführers (§ 29<br />
BGB analog) zu beantragen; ansonsten ist der Rechtsstreit<br />
unterbrochen (§ 241 ZPO) bis für den Betroffenen gemäß<br />
§ 1896 BGB ein Betreuer bestellt worden ist. 12 Es ist jedoch<br />
ohne Einfluss auf den Rechtsstreit, wenn <strong>die</strong> Partei, bevor sie<br />
prozessunfähig geworden ist, ihrem Rechtsanwalt wirksam<br />
eine Prozessvollmacht erteilt hatte. 13 Wird <strong>die</strong> beklagte<br />
GmbH im Handelsregister wegen Vermögenslosigkeit<br />
gelöscht (§ 394 Abs. 1 FamFG), bleibt sie dennoch rechtsund<br />
parteifähig, wenn der Kläger substanziiert behauptet, es<br />
sei bei der Gesellschaft noch Vermögen vorhanden. 14 Bestehen<br />
konkrete Anhaltspunkte dafür, dass eine Partei prozessunfähig<br />
sein könnte, hat das Gericht von Amts wegen im<br />
Wege des Freibeweises zu ermitteln, ob Prozessunfähigkeit<br />
vorliegt, wobei vorhandene Zweifel zu Lasten der betroffenen<br />
Partei gehen. 15<br />
2 BGH, Urteil vom 3.2.2011 – IX ZR 105/10.<br />
3 BGH, Beschluss vom 14.10.2010 – IX ZR 4/10.<br />
4 BGH, Beschluss vom 14.04.2011 – IX ZR 84/10.<br />
5 BGH, Urteil vom 11.3.2010 – IX ZR 104/08.<br />
6 BGH, Beschluss vom 22.2.2010 – II ZB 8/09 – Prozesserklärung trotz Berufsverbots;<br />
BGH, Urteil vom 14.5.2009 – IX ZR 60/08 – Vertretung widerstreitender Interessen<br />
gem. § 43 BRAO.<br />
7 BGH, Urteil vom 29.9.2010 – XII ZR 41/09.<br />
8 BGH, Beschluss vom 31.5.2010 – II ZB 9/09.<br />
9 BGH, Beschluss vom 16.12.2010 – Xa ZR 81/09.<br />
10 BGH, Beschluss vom 31.5.2010 – II ZB 9/09.<br />
11 BGH, Urteil vom 25.10.2010 – II ZR 115/09.<br />
12 BGH, Beschluss vom 9.11.2010 – VI ZR 249/09.<br />
13 BGH, Beschluss vom 19.1.2011 – XII ZB 326/10.<br />
14 BGH, Urteil vom 5.7.2012 – III ZR 116/11.<br />
15 BGH, Beschluss vom 17.11.2011 – V ZR 199/11.<br />
854 AnwBl 11 / 2012 <strong>Der</strong> <strong>Zivilprozess</strong> <strong>lebt</strong> – <strong>die</strong> <strong>neueste</strong> <strong>Rechtsprechung</strong> des BGH, Geisler
MN Prozessrecht 16 BGH, Beschluss vom 4.5.2011 – XII ZB 632/10.<br />
Obwohl bei nicht prozessfähigen Personen an deren gesetzlichen<br />
Vertreter zuzustellen ist (§ 170 Abs. 1 ZPO), gilt<br />
<strong>die</strong>s nicht für <strong>die</strong> nach § 275 FamFG weiter verfahrensfähigen<br />
Betroffenen im Betreuungsverfahren. 16 Da <strong>die</strong> fehlende<br />
Prozessfähigkeit des Schuldners auch in der Zwangsvollstreckung<br />
ein Verfahrenshindernis ist, muss entsprechend § 57<br />
ZPO ein Verfahrenspfleger für den Schuldner bestellt werden.<br />
17<br />
2. Prozessführungsbefugnis (§ 51 Abs. 1 ZPO)<br />
a) Prozessstandschaft<br />
<strong>Der</strong> Kläger kann ein fremdes Recht aufgrund einer ihm vom<br />
Berechtigten erteilten Ermächtigung im eigenen Namen verfolgen,<br />
sofern er an der Durchsetzung ein eigenes schutzwürdiges<br />
Interesse hat. Ein solches Interesse ist bei verbandsmäßigen<br />
Zusammenschlüssen gegeben, wenn <strong>die</strong> in<br />
Frage stehende Rechtsverfolgung der satzungsgemäßen<br />
Wahrnehmung der geschäftlichen Belange der Verbandsmitglieder<br />
entspricht und <strong>die</strong> Klage nur auf einzelne Mitglieder<br />
beschränkt wird. 18<br />
Seit der gesetzlichen Anerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit<br />
der Wohnungseigentümergemeinschaft kann<br />
der Verwalter Ansprüche der WEG nicht mehr im eigenen<br />
Namen als Prozessstandschafter geltend machen. 19 Die WEG<br />
kann zwar <strong>die</strong> Ausübung der auf <strong>die</strong> ordnungsgemäße Herstellung<br />
des Gemeinschaftseigentums gerichteten Rechte<br />
(Erfüllung, Nacherfüllung, Selbstvornahme, Vorschuss) der<br />
einzelnen Erwerber aus den Verträgen mit dem Veräußerer<br />
durch Mehrheitsbeschluss an sich ziehen, aber nicht <strong>die</strong><br />
Rechte der einzelnen Wohnungseigentümer geltend machen,<br />
wie großen Schadensersatz verlangen, den Erwerbsvertrag<br />
wandeln oder von ihm zurücktreten. 20<br />
Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verliert der<br />
Schuldner <strong>die</strong> Prozessführungsbefugnis, soweit <strong>die</strong> Insolvenzmasse<br />
betroffen ist. <strong>Der</strong> Rechtsstreit wird unterbrochen,<br />
sogar ein Kostenfestsetzungsverfahren trotz rechtskräftiger<br />
Kostengrundentscheidung. 21<br />
Mit Aufhebung des Insolvenzverfahrens<br />
wird der Schuldner wieder prozessführungsbefugt<br />
(Parteiwechsel kraft Gesetzes). 22 <strong>Der</strong> Treuhänder ist jedoch<br />
als Partei kraft Amtes befugt, gegen <strong>die</strong> zur Tabelle<br />
festgestellten, in das Schlussverzeichnis des aufgehobenen<br />
Insolvenzverfahrens aufgenommenen Forderungen eine Verteilungsabwehrklage<br />
entsprechend § 767 ZPO zu erheben. 23<br />
Die Prozessführungsbefugnis des Zwangsverwalters bleibt<br />
für Rechtsstreitigkeiten erhalten, in denen es um Nutzungen<br />
aus der Zeit vor der Zuschlagserteilung geht. Das Rechtsschutzbedürfnis<br />
kann aber fehlen, wenn <strong>die</strong> betreibenden<br />
Gläubiger vollständig befriedigt wurden. 24 Eine nach Prozesseinleitung<br />
vermögenslos gewordene Partei, <strong>die</strong> den Prozess<br />
nach einer Abtretung und Ermächtigung durch den Zessionar,<br />
<strong>die</strong> Forderung prozessual geltend zu machen, fortführt,<br />
handelt grundsätzlich nicht rechtsmissbräuchlich. 25<br />
b) Vertretung<br />
Eine BGB-Gesellschaft wird gem. § 51 Abs. 1 ZPO in Verbindung<br />
mit § 714 BGB gerichtlich durch alle Gesellschafter vertreten,<br />
denen <strong>die</strong> Geschäftsführungsbefugnis zusteht, soweit<br />
der Gesellschaftsvertrag keine abweichenden Regelungen<br />
enthält. Eine Heilung des Vertretungsmangels ist dadurch<br />
möglich, dass <strong>die</strong> gesetzlichen Vertreter der Gesellschaft als<br />
solche in den Prozess eintreten und <strong>die</strong> bisherige Prozessführung<br />
genehmigen. 26<br />
3. Mehrere Beteiligte am Rechtsstreit<br />
a) Parteiwechsel/Parteierweiterung<br />
aa) Richtigstellung der Parteibezeichnung<br />
Auch bei objektiv unrichtiger oder mehrdeutiger Bezeichnung<br />
liegt keine Parteiänderung vor, weil grundsätzlich <strong>die</strong>jenige<br />
Person als Partei anzusprechen ist, <strong>die</strong> erkennbar<br />
durch <strong>die</strong> Parteibezeichnung betroffen werden soll. 27<br />
Dies<br />
gilt auch bei Nachreichung einer aktuellen Eigentümerliste<br />
oder deren nachträgliche Korrektur, 28 auch noch in der Berufungsinstanz.<br />
29<br />
bb) Parteiänderung<br />
Die Klagefrist des § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG wird auch durch<br />
eine gegen <strong>die</strong> WEG gerichtete Klage gewahrt, wenn innerhalb<br />
der Frist der Verwalter angegeben und <strong>die</strong> Klage später<br />
im Wege eines Parteiwechsels gegen <strong>die</strong> übrigen Wohnungseigentümer<br />
umgestellt wird. 30 Werden vor Anerkennung der<br />
Parteifähigkeit der WEG <strong>die</strong> Eigentümer auf Werklohn wegen<br />
Arbeiten am Gemeinschaftseigentum in Anspruch genommen,<br />
kann nicht allein wegen der Änderung der <strong>Rechtsprechung</strong><br />
das Rubrum berichtigt werden; ein Parteiwechsel<br />
ist notwendig. 31 Ein Zustellungsmangel wird nach § 295<br />
Abs. 1, Alt. 1. ZPO dadurch geheilt, dass sich der Prozessbevollmächtigte<br />
der WEG auch für <strong>die</strong> übrigen Eigentümer<br />
bestellt und Abweisung der Klage beantragt. 32<br />
Ein Parteiwechsel<br />
braucht nicht schriftsätzlich, sondern kann auch<br />
durch Prozesserklärung in der mündlichen Verhandlung<br />
herbeigeführt werden. 33<br />
Ein Parteiwechsel innerhalb des<br />
Rechtsstreits begründet nicht ohne weiteres eine neue Angelegenheit.<br />
34<br />
Ein mit neuem Tatsachenvortrag verbundener<br />
Parteiwechsel ist in der Rechtsmittelinstanz nicht möglich,<br />
außer er wurde durch Gesetzesänderung begründet (zum<br />
Beispiel veränderte Zuständigkeit einer Behörde). 35<br />
b) Streitgenossen<br />
Notwendige Streitgenossenschaft liegt nach § 62 Abs. 1 Satz 1<br />
Fall 2 ZPO vor, wenn ein Recht aus materiell-rechtlichen<br />
Gründen nur von mehreren Berechtigten oder gegen mehrere<br />
Verpflichtete gemeinsam ausgeübt werden darf. So ist<br />
<strong>die</strong> Beschlussanfechtungsklage eines Wohnungseigentümers<br />
gegen <strong>die</strong> übrigen Eigentümer – nicht gegen <strong>die</strong> Eigentümergemeinschaft<br />
als solche – zu richten. 36<br />
Das gilt auch<br />
für <strong>die</strong> Berufung, wobei ein Streitgenosse weiter am Verfahren<br />
zu beteiligen ist, auch wenn er kein Rechtsmittel einge-<br />
17 BGH, Beschluss vom 17.8.2011 – I ZB 73/09.<br />
18 BGH, Urteil vom 21.9.2011 – VIII ZR 118/10.<br />
19 BGH, Urteil vom 28.1.2011 – V ZR 145/10.<br />
20 BGH, Urteil vom 19.8.2010 – VII ZR 113/09.<br />
21 BGH, Beschluss vom 15.5.2012 – VIII ZB 79/11.<br />
22 BGH, Beschluss vom 7.4.2011 – V ZB 11/10.<br />
23 BGH, Urteil vom 29.3.2012 – IX ZR 116/11.<br />
24 BGH, Urteil vom 11.8.2010 – XII ZR 181/08.<br />
25 BGH, Urteil vom 29.9.2011 – VII ZR 162/09.<br />
26 BGH, Urteil vom 19.7.2010 – II ZR 56/09.<br />
27 BGH, Urteil vom 22.9.2011 – IX ZR 209/10.<br />
28 BGH, Urteil vom 8.7.2011 – V ZR 34/11.<br />
29 BGH, Urteil vom 20.5.2011 – V ZR 99/10.<br />
30 BGH, Urteil 1.4.2011 – V ZR 230/10.<br />
31 BGH, Urteil vom 10.3.2011 – VII ZR 54/10.<br />
32 BGH, Urteil vom 5.3.2010 – V ZR 62/09.<br />
33 BGH, Urteil vom 17.9.2010 – V ZR 5/10.<br />
34 BGH, Beschluss vom 17.4.2012 – XI ZB 22/11.<br />
35 BGH, Beschluss vom 27.6.2012 – XII ZR 89/10.<br />
36 BGH, Urteil vom 11.11.2011 – V ZR 45/11.<br />
<strong>Der</strong> <strong>Zivilprozess</strong> <strong>lebt</strong> – <strong>die</strong> <strong>neueste</strong> <strong>Rechtsprechung</strong> des BGH, Geisler AnwBl 11 / 2012 855
MN Prozessrecht 37 BGH, Urteil vom 24.1.2012 – X ZR 94/10.<br />
legt hat. 37<br />
Bei Verdacht einer Unfallmanipulation darf der<br />
neben seinem Versicherungsnehmer verklagte Haftpflichtversicherer<br />
im Prozess sowohl als Streitgenosse als auch als<br />
Streithelfer nach §§ 61, 69 ZPO seine eigenen Interessen<br />
wahrnehmen. 38 Stellt der wegen Abtretung nicht ermächtigte<br />
Prozessstandschafter <strong>die</strong> Klage erst nach Ablauf der durch<br />
<strong>die</strong> Klageerhebung zu wahrenden Frist um, dass er in erster<br />
Linie Zahlung an den Abtretungsempfänger und nur hilfsweise<br />
an sich selbst beantragt, und wird er erst später vom<br />
Abtretungsempfänger zur Prozessführung ermächtigt, wirkt<br />
<strong>die</strong> Ermächtigung nicht auf den Zeitpunkt der Klageerhebung<br />
zurück. 39<br />
c) Streitverkündung (§§ 72, 73 ZPO)<br />
Ist aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unklar, wer<br />
von mehreren in Betracht kommenden Personen passivlegitimiert<br />
ist, muss der Anwalt <strong>die</strong> Interventionswirkung im Folgeprozess<br />
nach §§ 68, 74 ZPO und <strong>die</strong> Verjährungshemmung<br />
nach § 204 Abs. 1 Nr. 6 BGB herbeiführen. 40<br />
<strong>Der</strong><br />
Anwalt sollte <strong>die</strong> Bezeichnung des Anspruchsgrundes nicht<br />
zu eng fassen, um <strong>die</strong> Reichweite der Verjährungshemmung<br />
nicht zu beschränken. Ist <strong>die</strong> Verjährung eines bestimmten<br />
Anspruchs dem Grunde nach gehemmt, so erfasst sie auch<br />
auf ihm beruhende Schadenspositionen, <strong>die</strong> nicht Gegenstand<br />
des Vorprozesses waren. 41 Allein <strong>die</strong> Möglichkeit, dass<br />
ein Urteil für nachfolgende Prozesse eine faktische Präzedenzwirkung<br />
haben kann (zum Beispiel inhaltsgleiche<br />
AGB), begründet nicht das nach § 66 Abs. 1 ZPO erforderliche<br />
rechtliche Interesse. 42 Nach §§ 72 Abs. 2 Satz 2, 73 Satz 2<br />
ZPO sind Gericht oder gerichtlicher Sachverständige nicht<br />
„Dritte“ und eine Streitverkündung nicht zuzustellen, aber<br />
dem gegnerischen oder auch dem eigenen Prozessbevollmächtigten.<br />
43 Die Zulässigkeit der Streitverkündung ist erst<br />
im Folgeverfahren zu prüfen. Da im Rechtsstreit zwischen<br />
entfernterem Abkömmling und Erben über <strong>die</strong> Pflichtteilsberechtigung<br />
<strong>die</strong> Wirksamkeit der Pflichtteilsentziehung des<br />
näheren Abkömmlings nicht geklärt wird, kann sich der<br />
Erbe nur durch Streitverkündung und Hinterlegung nach<br />
§ 372 BGB hinreichend davor schützen, <strong>die</strong> dem Pflichtteilsberechtigten<br />
geschuldete Leistung mehrfach erbringen zu<br />
müssen. 44<br />
d) Nebenintervention<br />
Die Beitrittserklärung eines Nebenintervenienten in einem<br />
beim Landgericht anhängigen selbständigen Beweisverfahren<br />
unterliegt nicht dem Anwaltszwang. 45 Da der Nebenintervenient<br />
nach rechtskräftiger Zurückweisung seiner Nebenintervention<br />
(§ 73 Abs. 3 ZPO) nicht mehr Prozessbeteiligter<br />
ist, hat er nicht mehr <strong>die</strong> Befugnis, Prozesshandlungen für<br />
<strong>die</strong> von ihm unterstützte Partei vorzunehmen. 46 <strong>Der</strong> einfache<br />
Streithelfer (§ 66 ZPO) kann – anders als der notwendige<br />
Streitgenosse – ein Rechtsmittel nur solange einlegen, wie<br />
<strong>die</strong> Rechtsmittelfrist für <strong>die</strong> Hauptpartei läuft ohne<br />
Rücksicht darauf, ob und wann ihm das anzufechtende Urteil<br />
zugestellt worden ist. 47 Wurden <strong>die</strong> Berufung der Hauptpartei<br />
und <strong>die</strong> Berufung des Streithelfers bei verschiedenen<br />
Gerichten eingelegt, ist <strong>die</strong> Entscheidung über <strong>die</strong> Berufung<br />
von dem Gericht zu treffen, bei dem das Rechtsmittel der<br />
Hauptpartei anhängig ist. 48 Nach Rücknahme der Berufung<br />
durch <strong>die</strong> Hauptpartei kann der Streithelfer, der selbst kein<br />
Rechtsmittel eingelegt hat, das Berufungsverfahren nicht<br />
fortsetzen. 49<br />
4. Rechtsschutzbedürfnis<br />
Das Rechtsschutzbedürfnis für eine Leistungsklage ergibt sich<br />
regelmäßig aus der Nichterfüllung einer fälligen Forderung,<br />
50 aber nicht mehr für eine Vollstreckungsabwehrklage<br />
wegen eines Zurückbehaltungsrechts, wenn <strong>die</strong> Forderung<br />
bis auf 0,04 Euro erloschen ist. 51 Ein rechtliches Interesse an<br />
einer alsbaldigen Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens<br />
eines Rechtsverhältnisses ist gegeben, wenn dem Recht<br />
oder der Rechtslage des Klägers eine gegenwärtige Gefahr<br />
der Unsicherheit droht und das erstrebte Urteil geeignet ist,<br />
<strong>die</strong>se Gefahr zu beseitigen, zum Beispiel Klage eines Erbprätendenten<br />
gegen einen anderen Erbprätendenten auf Feststellung<br />
seiner Miterbenstellung, obwohl das Urteil nur zwischen<br />
den Parteien wirkt und ein Erbscheinsverfahren<br />
bereits stattgefunden hat; 52<br />
Feststellung unerlaubter Handlung<br />
bei Schuldnerwiderspruch; 53<br />
bei drohender Verjährung;<br />
54<br />
Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen<br />
vor Eintritt des Schadens; 55 Feststellung, dass eine Forderung<br />
mangels Fälligkeit derzeit nicht zu erbringen ist, aber nicht,<br />
wenn der Schuldner <strong>die</strong> geforderte Leistung bereits erfüllt<br />
hat. 56 Ein Kläger ist nicht gehalten, seine Klage in eine Leistungs-<br />
und eine Feststellungsklage aufzuspalten, wenn bei<br />
Klageerhebung erst ein Teil des Schadens entstanden und<br />
<strong>die</strong> Entstehung weiteren Schadens nach dem Vorbringen des<br />
Klägers noch zu erwarten ist. 57<br />
5. Postulationsfähigkeit vor dem BGH (§ 78 ZPO)<br />
Da Abgabe zu Protokoll der Geschäftsstelle möglich ist<br />
(§§ 91 a Abs. 1, 78 Abs. 3 ZPO), kann <strong>die</strong> Erledigung auch<br />
vom nicht beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt erklärt<br />
und Kostenantrag gestellt werden. 58 Einstweilige Einstellung<br />
der Zwangsvollstreckung aus dem Berufungsurteil kann nur<br />
der beim BGH zugelassene Anwalt beantragen. 59 Beauftragt<br />
eine Partei ihren Berufungsanwalt um Stellungnahme zum<br />
beim BGH eingelegten Rechtsmittel des Gegners, kann <strong>die</strong><br />
Vergütung für <strong>die</strong>se Einzeltätigkeit nach RVG-VV Nr. 3403<br />
erstattungsfähig sein, sofern <strong>die</strong> gleiche Tätigkeit eines Verfahrensbevollmächtigten<br />
nach § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO zu erstatten<br />
wäre und kein beim BGH zugelassener Rechtsanwalt<br />
bestellt wurde. 60<br />
Behörden können sich in Familiensachen<br />
gem. § 114 Abs. 3 Satz 1 FamFG vertreten lassen, vor dem<br />
38 BGH, Beschluss vom 29.11.2011 – VI ZR 201/10.<br />
39 BGH, Urteil vom 18.1.2012 – IV ZR 142/11.<br />
40 BGH, Urteil vom 16.9.2010 – IX ZR 203/08.<br />
41 BGH, Urteil vom 8.12.2011 – IX ZR 204/09.<br />
42 BGH, Beschluss vom 10.2.2011 – I ZB 63/09.<br />
43 BGH, Beschluss vom 8.2.2011 – VI ZB 31/09.<br />
44 BGH, Urteil vom 13.4.2011 – IV ZR 204/09.<br />
45 BGH, Beschluss vom 12.7.2012 – VII ZB 9/12.<br />
46 BGH, Beschluss vom 1.6.2011 – VIII ZB 96/10.<br />
47 BGH, Beschluss vom 24.5.2012 – VII ZB 24/11 mit Anm. Reinelt,<br />
jurisPR-BGHZivilR 14/2012 Anm. 1.<br />
48 BGH, Beschluss vom 29.11.2011 – V ZB 157/11.<br />
49 BGH, Beschluss vom 16.12.2010 – Xa ZR 110/08.<br />
50 BGH, Urteil vom 10.11.2010 – XII ZR 37/09.<br />
51 BGH, Beschluss vom 27.1.2011 – VII ZB 21/09.<br />
52 BGH, Urteil vom 14.4.2010 – IV ZR 135/08.<br />
53 BGH, Urteil vom 2.12.2010 – IX ZR 41/10.<br />
54 BGH, Urteil vom 7.4.2011 – I ZR 34/09.<br />
55 BGH, Urteil vom 25.2.2010 – VII ZR 187/08.<br />
56 BGH, Urteil vom 6.6.2012 – VIII ZR 198/11.<br />
57 BGH, Beschluss vom 06.03.2012 – VI ZR 167/11.<br />
58 BGH, Beschluss vom 24.10.2011 – IX ZR 244/09.<br />
59 BGH, Beschluss vom 12.8.2009 – XII ZA 30/09.<br />
60 BGH, Beschluss vom 10.7.2012 – VI ZB 7/12.<br />
856 AnwBl 11 / 2012 <strong>Der</strong> <strong>Zivilprozess</strong> <strong>lebt</strong> – <strong>die</strong> <strong>neueste</strong> <strong>Rechtsprechung</strong> des BGH, Geisler
MN Prozessrecht 61 BGH, Beschlüsse vom 7.7.2010 – XII ZB 149/10 und XII ZB 150/10.<br />
BGH muss der Behördenvertreter <strong>die</strong> Befähigung zum Richteramt<br />
haben. 61<br />
Die Beiordnung eines Notanwalts nach § 78 b ZPO setzt<br />
voraus, dass <strong>die</strong> beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht mutwillig<br />
oder aussichtslos erscheint und <strong>die</strong> Partei darlegt, trotz<br />
zumutbarer Anstrengungen einen zu ihrer Vertretung bereiten<br />
Anwalt nicht zu finden, obwohl <strong>die</strong> Partei den geschuldeten<br />
Vorschuss zahlt, 62<br />
sie sich erfolglos mit der Bitte um<br />
Mandatsübernahme an mindestens fünf beim BGH zugelassene<br />
Rechtsanwälte gewandt 63<br />
und der bisherige Anwalt<br />
nicht grundlos sein Mandat niedergelegt hat. 64 Ist der Antrag<br />
einer Partei auf Beiordnung eines Notanwalts abgelehnt worden,<br />
besteht auch für <strong>die</strong> gegen <strong>die</strong>se Entscheidung gerichtete<br />
sofortige Beschwerde bzw. – falls kein Rechtsmittel gegeben<br />
ist – für <strong>die</strong> Anhörungsrüge kein Anwaltszwang. 65<br />
III. Sachvortrag<br />
Mit zahlreichen prozessrechtlichen Entscheidungen macht<br />
der BGH immer wieder deutlich, dass der wirkungsvolle<br />
Rechtsschutz des Einzelnen nicht an einer zu strengen Anwendung<br />
von Formvorschriften scheitern soll. Es ist ein<br />
deutliches Signal an solche Zivilsenate in den Oberlandesgerichten,<br />
<strong>die</strong> zu einer besonders detailverliebten, geradezu<br />
anwaltsfeindlichen Auslegung von Formvorschriften neigen.<br />
Für das Wettbewerbs- und Markenrecht gibt es eine grundlegende<br />
Neuerung: Wie im normalen <strong>Zivilprozess</strong> gibt es<br />
keine alternative Klagehäufung mehr.<br />
1. Unterschrift (§ 130 Nr. 6 ZPO)<br />
Die eigenhändige Unterschrift soll den Aussteller identifizieren<br />
und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck bringen,<br />
den Schriftsatz zu verantworten und bei Gericht einzureichen.<br />
66 Was unter einer Unterschrift zu verstehen ist, ergibt<br />
sich aus dem Sprachgebrauch und dem Zweck der Formvorschrift,<br />
67<br />
so dass auch unleserliche Zeichen ausreichen<br />
können. 68<br />
Das Fehlen einer Unterschrift ist sogar unschädlich,<br />
wenn auch ohne <strong>die</strong> Unterschrift des Anwalts aus anderen,<br />
eine Beweisaufnahme nicht erfordernden Umständen<br />
zweifelsfrei feststeht, dass der Prozessbevollmächtigte <strong>die</strong><br />
Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes übernommen<br />
hat. 69 Unterzeichnet ein Rechtsanwalt für den bezeichneten<br />
Prozessbevollmächtigten der Partei mit dem Zusatz<br />
„i. V.“, handelt er erkennbar als Unterbevollmächtigter (nicht<br />
bei Zusatz „i. A.“!) und übernimmt <strong>die</strong> Verantwortung für<br />
den Inhalt der Berufungsbegründungsschrift. 70<br />
Bei einer elektronisch übermittelten Berufungsbegründung<br />
muss <strong>die</strong> qualifizierte elektronische Signatur grundsätzlich<br />
durch einen postulationsfähigen Anwalt erfolgen. 71<br />
2. Inhalt<br />
a) Bestimmtheitsgebot (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO)<br />
aa) Ein Unterlassungsantrag darf nicht derart undeutlich gefasst<br />
sein, dass Gegenstand und Umfang der Entscheidungsbefugnis<br />
des Gerichts (§ 308 Abs. 1 ZPO) nicht erkennbar abgegrenzt<br />
sind, sich der Beklagte deshalb nicht erschöpfend<br />
verteidigen kann und letztlich <strong>die</strong> Entscheidung darüber,<br />
was dem Beklagten verboten ist, dem Vollstreckungsgericht<br />
überlassen bliebe, 72<br />
zum Beispiel bei bloßer Wiederholung<br />
des Gesetzeswortlauts. 73<br />
bb) Die alternative Klagehäufung verletzt das Bestimmtheitsgebot,<br />
wenn der Kläger ein einheitliches Klagebegehren aus<br />
mehreren prozessualen Ansprüchen (Streitgegenständen)<br />
herleitet und dem Gericht ohne Bestimmung der Reihenfolge<br />
<strong>die</strong> Auswahl überlässt, auf welchen Klagegrund es <strong>die</strong><br />
Verurteilung stützt. 74<br />
b) Substanziierung<br />
Grundsätzlich genügt eine Partei ihrer Darlegungslast, wenn<br />
sie Tatsachen vorträgt, <strong>die</strong> in Verbindung mit einem Rechtssatz<br />
geeignet und erforderlich sind, <strong>die</strong> daraus abgeleitete<br />
Rechtsfolge zu tragen. 75<br />
Nähere Angaben sind nur dann<br />
nötig, wenn <strong>die</strong>se für <strong>die</strong> Rechtsfolgen von Bedeutung sind,<br />
wenn der Vortrag infolge der Einlassung des Gegners unklar<br />
wird oder wenn <strong>die</strong> Angabe weiterer Umstände erforderlich<br />
ist, um dem Gegner <strong>die</strong> Nachprüfung der behaupteten Tatsachen<br />
und den Antritt von Gegenbeweisen zu ermöglichen. 76<br />
Substanziiert ist der Vortrag, wenn der Mieter nur den<br />
Sachmangel vorträgt, aber nicht das Maß der Beeinträchtigung<br />
77<br />
oder der Geschädigte nur <strong>die</strong> geschätzten Kosten<br />
(zum Beispiel Kostenvoranschlag) darlegt und Sachverständigenbeweis<br />
anbietet. 78<br />
Es besteht keine Pflicht, erforderliche<br />
Kosten vorprozessual durch ein Privatgutachten zu ermitteln.<br />
79<br />
<strong>Der</strong> Beweisführer braucht sich nicht darüber zu äußern,<br />
welche Anhaltspunkte er für <strong>die</strong> Richtigkeit der in das<br />
Wissen eines Zeugen gestellten Behauptungen hat. 80 Unsubstanziiert<br />
ist der Vortrag, wenn <strong>die</strong> unter Beweis gestellten<br />
Tatsachen so ungenau bezeichnet sind, dass das Gericht aufgrund<br />
der Darstellung nicht beurteilen kann, ob <strong>die</strong> Behauptung<br />
überhaupt erheblich ist 81 oder <strong>die</strong> beweisbelastete Partei<br />
ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten<br />
Sachverhalts willkürlich Behauptungen „aufs Geratewohl“<br />
oder „ins Blaue hinein“ aufstellt. 82<br />
<strong>Der</strong> Umfang der sekundären Darlegungslast richtet sich<br />
einerseits nach der Intensität des Sachvortrags der beweisbelasteten<br />
Partei und findet andererseits seine Grenze in der<br />
Zumutbarkeit der den Prozessgegner treffenden Offenbarungspflicht.<br />
83<br />
c) Geständnis<br />
Durch <strong>die</strong> in der Antragstellung liegende stillschweigende<br />
Bezugnahme auf bisherigen Vortrag wird <strong>die</strong> Geständniswirkung<br />
des § 288 ZPO auch auf vorinstanzliches Vorbringen<br />
erstreckt. 84 Gegenstand eines Geständnisses können auch ju-<br />
62 BGH, Beschluss vom 8.9.2011 – III ZR 89/11.<br />
63 BGH, Beschluss vom 28.6.2010 – IX ZA 26/10.<br />
64 BGH, Beschluss vom 19.10.2011 – I ZR 98/11.<br />
65 BGH, Beschluss vom 24.3.2011 – I ZA 1/11.<br />
66 BGH, Beschluss vom 26.7.2012 – III ZB 70/11.<br />
67 BGH, Beschluss vom 9.2.2010 – VIII ZB 67/09.<br />
68 BGH, Beschluss vom 26.4.2012 – VII ZB 36/10.<br />
69 BGH, Beschluss vom 9.12.2010 – IX ZB 60/10.<br />
70 BGH, Beschluss vom 26.4.2012 – VII ZB 83/10.<br />
71 BGH, Beschluss vom 1.12.2010 – VI ZB 28/10.<br />
72 BGH, Urteil vom 4.11.2010 – I ZR 118/09.<br />
73 BGH, Urteil vom 5.10.2010 – I ZR 46/09.<br />
74 BGH, Beschluss vom 24.3.2011 – I ZR 108/09.<br />
75 BGH, Urteil vom 29.2.2012 – VIII ZR 155/11.<br />
76 BGH, Beschluss vom 14.9.2010 – VIII ZR 219/07.<br />
77 BGH, Urteil vom 29.2.2012 – VIII ZR 155/11.<br />
78 BGH, Beschluss vom 2.4.2009 – V ZR 177/08.<br />
79 BGH, Beschluss vom 20.5.2010 – V ZR 201/09.<br />
80 BGH, Urteil vom 8.5.2012 – XI ZR 262/10.<br />
81 BGH, Beschluss vom 11.5.2010 – VIII ZR 212/07.<br />
82 BGH, Urteil vom 15.9.2010 – XII ZR 188/08.<br />
83 BGH, Beschluss vom 17.1.2012 – XI ZR 254/10.<br />
84 BGH, Beschluss vom 13.4.2011 – IX ZR 129/10.<br />
<strong>Der</strong> <strong>Zivilprozess</strong> <strong>lebt</strong> – <strong>die</strong> <strong>neueste</strong> <strong>Rechtsprechung</strong> des BGH, Geisler AnwBl 11 / 2012 857
MN Prozessrecht 85 BGH, Urteil vom 16.9.2010 – IX ZR 203/08.<br />
ristisch eingekleidete Tatsachen oder einfache Rechtsbegriffe<br />
sein. 85 Trotz der Geständnisfiktion des § 331 Abs. 1 Satz 1<br />
ZPO ist für <strong>die</strong> Abänderung eines Versäumnisurteils nicht<br />
auf <strong>die</strong> Änderung der fingierten, sondern allein der tatsächlichen<br />
Verhältnisse abzustellen. 86<br />
d) Rechtsausführungen<br />
Da <strong>die</strong> Rechtsanwendung Aufgabe des Gerichts ist, brauchen<br />
<strong>die</strong> Parteien dem Gericht nur Tatsachen vorzutragen. Rechtsausführungen<br />
sind nicht erforderlich. Dennoch soll der Anwalt<br />
haften, wenn das Gericht eine Entscheidung des BGH<br />
übersehen und er das Gericht nicht auf <strong>die</strong> für seine Partei<br />
günstige <strong>Rechtsprechung</strong> des BGH hingewiesen hat. 87<br />
3. Zustellung<br />
a) § 167 ZPO: „demnächst“<br />
Die in § 167 ZPO („demnächst“) angeordnete Rückwirkung<br />
auf den Eingang des Antrags beschränkt sich auf Fälle, in denen<br />
durch <strong>die</strong> Zustellung eine Frist gewahrt oder <strong>die</strong> Verjährung<br />
neu beginnen oder nach § 204 BGB gehemmt werden<br />
soll. Für sonstige Wirkungen der Zustellung gilt sie nicht, 88<br />
zum Beispiel rechtsbegründende oder rechtsverstärkende<br />
Folgen, <strong>die</strong> Vorschriften des materiellen Rechts (z. B. § 286<br />
Abs. 1 Satz 2, § 291 Satz 1, § 407 Abs. 2, § 818 Abs. 4, § 1002<br />
Abs. 1 BGB) oder des Verfahrensrechts (z. B. § 323 Abs. 3<br />
ZPO), <strong>die</strong> an <strong>die</strong> Rechtshängigkeit bzw. an <strong>die</strong> gerichtliche<br />
Geltendmachung und damit an <strong>die</strong> Zustellung einer Antrags-<br />
oder Klageschrift knüpfen. Bei der Berechnung der<br />
Zeitdauer der Verzögerung ist auf <strong>die</strong> Zeitspanne abzustellen,<br />
um <strong>die</strong> sich der ohnehin erforderliche Zeitraum für <strong>die</strong><br />
Zustellung der Klage als Folge der Nachlässigkeit des Klägers<br />
verzögert, 89<br />
wobei eine nur geringfügig über zwei Wochen<br />
liegende Verzögerung (16 Tage) der Einzahlung der Gerichtskosten<br />
noch hinzunehmen ist. 90 Verzögerungen im gerichtlichen<br />
Geschäftsbetrieb gehen nicht zu Lasten des Zustellungsbetreibers.<br />
91<br />
b) Zustellung an Rechtsanwalt<br />
Gibt der Kläger in der Klageschrift einen Prozessbevollmächtigten<br />
des Beklagten an, so hat <strong>die</strong> Zustellung an den Rechtsanwalt<br />
(§ 172 Abs. 1 ZPO) zu erfolgen. Das Risiko, dass <strong>die</strong>ser<br />
keine Prozessvollmacht besitzt und <strong>die</strong> Zustellung<br />
deshalb unwirksam ist, trägt der Kläger. 92<br />
c) Zustellung im Ausland<br />
Die in § 184 ZPO geregelte Befugnis des Gerichts, bei einer<br />
Zustellung im Ausland nach § 183 ZPO anzuordnen, dass bei<br />
fehlender Bestellung eines Prozessbevollmächtigten ein inländischer<br />
Zustellungsbevollmächtigter zu benennen ist und andernfalls<br />
spätere Zustellungen durch Aufgabe zur Post bewirkt<br />
werden können, erstreckt sich nur auf <strong>die</strong>jenigen<br />
Zustellungen im Ausland, <strong>die</strong> gemäß § 183 Abs. 1 bis Abs. 4<br />
ZPO nach den bestehenden völkerrechtlichen Vereinbarungen<br />
vorzunehmen sind. Dagegen gilt <strong>die</strong>se Anordnungsbefugnis<br />
nicht für Auslandszustellungen, <strong>die</strong> nach den gemäß § 183<br />
Abs. 5 ZPO unberührt bleibenden Bestimmungen der EuZVO<br />
(Einschreiben mit Rückschein) vorgenommen werden. 93<br />
d) Öffentliche Zustellung<br />
Im Erkenntnisverfahren darf eine öffentliche Zustellung nur<br />
angeordnet werden, wenn <strong>die</strong> begünstigte Partei alle der Sache<br />
nach geeigneten und ihr zumutbaren Nachforschungen<br />
angestellt hat, um den Aufenthalt des Zustellungsadressaten<br />
zu ermitteln und ihre ergebnislosen Bemühungen gegenüber<br />
dem Gericht dargelegt hat. Hierfür genügt nicht allein<br />
<strong>die</strong> ergebnislose Anfrage beim Einwohnermeldeamt und<br />
dem Zustellungspostamt des letzten Wohnsitzes des Zustellungsadressaten.<br />
94<br />
e) Fehlerhafte Zustellung<br />
Eine fehlerhafte Zustellung der Klage rechtfertigt nicht <strong>die</strong><br />
Klageabweisung wegen fehlender Rechtshängigkeit, falls <strong>die</strong><br />
Heilung des etwaigen Zustellungsmangels noch möglich<br />
ist. 95 Die Heilung eines Zustellungsmangels nach § 189 ZPO<br />
kommt nicht in Betracht, wenn ein von Amts wegen<br />
förmlich zuzustellendes Dokument im Parteibetrieb zugestellt<br />
wird. 96 Ist eine Wohnanschrift des Zustellungsempfängers<br />
unbekannt oder nicht vorhanden, dann ist ein Postfach<br />
eine ähnliche Vorrichtung im Sinne von § 180 Satz 1 ZPO. 97<br />
IV. Verfahrensgrundrechte<br />
Bei den Verfahrensgrundrechten ist <strong>die</strong> aktuelle <strong>Rechtsprechung</strong><br />
des BGH zweigeteilt. Im Rahmen einer Instanz ist<br />
der BGH großzügig, wenn es um den Anspruch auf rechtliches<br />
Gehör geht. Er nimmt <strong>die</strong> Instanzgerichte in <strong>die</strong><br />
Pflicht. Bei der Frage, ob ein Rechtsbehelf eröffnet ist, dominiert<br />
dagegen vorsichtige Zurückhaltung. <strong>Der</strong> Eindruck<br />
drängt sich auf, dass nur bei eindeutigen Fehlleistungen der<br />
Instanzgerichte der Weg in Rechtsbehelfe eröffnet werden<br />
soll.<br />
1. Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG)<br />
Das Gericht ist verpflichtet, <strong>die</strong> Ausführungen der Parteien<br />
zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, sofern<br />
sie nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts nicht unerheblich<br />
oder aber offensichtlich unsubstanziiert sind. 98 Die unterbliebene<br />
Zulassung der Revision als solche kann den Anspruch<br />
auf rechtliches Gehör nicht verletzen, 99 ebenso wenig<br />
<strong>die</strong> Nichtberücksichtigung eines von der Partei angesprochenen<br />
rechtlichen Gesichtspunktes. 100 Es ist nicht erforderlich,<br />
alle Einzelpunkte des Parteivorbringens in den Gründen der<br />
Entscheidung auch ausdrücklich zu bescheiden 101 , jedoch<br />
muss das Gericht zu einer Frage, <strong>die</strong> für das Verfahren von<br />
zentraler Bedeutung ist, bei entsprechendem Parteivortrag<br />
Stellung nehmen. 102<br />
86 BGH, Urteil vom 2.6.2010 – XII ZR 160/08.<br />
87 BGH, Urteil vom 18.12.2008 – IX ZR 179/07; bestätigt BVerfG,<br />
Beschluss vom 22.4.2009 – 1 BvR 386/09.<br />
88 BGH, Beschluss vom 22.7.2010 – V ZB 178/09.<br />
89 BGH, Urteil vom 10.2.2011 – VII ZR 185/07.<br />
90 BGH, Urteil vom 3.2.2012 – V ZR 44/11.<br />
91 BGH, Urteil vom 11.2.2011 – V ZR 136/10.<br />
92 BGH, Urteil vom 6.4.2011 – VIII ZR 22/10.<br />
93 BGH, Urteil vom 2.2.2011 – VIII ZR 190/10.<br />
94 BGH, Urteil vom 4.7.2012 – XII ZR 94/10.<br />
95 BGH, Beschluss vom 7.12.2010 – VI ZR 48/10.<br />
96 BGH, Urteil vom 19.5.2010 – IV ZR 14/08.<br />
97 BGH, Beschluss vom 14.6.2012 – V ZB 182/11.<br />
98 BGH, Beschluss vom 9.11.2011 – IV ZR 239/09.<br />
99 BGH, Urteil vom 4.3.2011 – V ZR 123/10.<br />
100 BGH, Beschluss vom 14.10.2010 – IX ZR 224/08.<br />
101 BGH, Beschluss vom 1.7.2010 – IX ZR 165/09.<br />
102 BGH, Beschluss vom 28.10.2010 – VII ZR 82/09.<br />
858 AnwBl 11 / 2012 <strong>Der</strong> <strong>Zivilprozess</strong> <strong>lebt</strong> – <strong>die</strong> <strong>neueste</strong> <strong>Rechtsprechung</strong> des BGH, Geisler
MN Prozessrecht 103 BGH, Beschluss vom 20.5.2010 – V ZR 201/09.<br />
a) Sachvortrag/Beweisangebot<br />
Eine Gehörsverletzung liegt vor bei Nichtberücksichtigung<br />
des Sachvortrags oder eines erheblichen Beweisangebots 103 ,<br />
wenn das Gericht <strong>die</strong> Präklusionsvorschriften (§ 282 Abs. 1,<br />
§ 296 Abs. 1, §§ 525, 530 ZPO) offenkundig unrichtig anwendet,<br />
104 Substanziierungsanforderungen überspannt, 105 einen<br />
fristgerecht eingereichten Schriftsatz versehentlich nicht<br />
berücksichtigt, 106 einen Terminsverlegungsantrag verfahrensfehlerhaft<br />
ablehnt, 107<br />
ein Sachverständigengutachten gemäß<br />
§ 411 a ZPO verwertet ohne <strong>die</strong> Parteien vorher darauf hinzuweisen<br />
oder entgegen § 285 Abs. 1, § 279 Abs. 3 ZPO mit<br />
den Parteien weder über das Ergebnis der Beweisaufnahme<br />
verhandelt noch den Sach- und Streitstand erneut erörtert. 108<br />
Das Gericht darf <strong>die</strong> Beweisaufnahme zu einem bestrittenen<br />
erheblichen Vorbringen nicht deshalb ablehnen, weil es zu<br />
früherem Vortrag in Widerspruch steht. Eine Widersprüchlichkeit<br />
ist bei der Beweiswürdigung zu berücksichtigen.<br />
109<br />
Das Berufungsgericht verletzt den Anspruch auf<br />
rechtliches Gehör, wenn es Zeugen nicht erneut vernimmt,<br />
obwohl es deren Aussagen anders würdigt als das Erstgericht.<br />
110<br />
b) Richterliche Hinweispflicht (§ 139 ZPO) und faires Verfahren<br />
(Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip)<br />
Das Gericht hat nach § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO dahin zu wirken,<br />
dass <strong>die</strong> Parteien sich rechtzeitig und vollständig über<br />
alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende<br />
Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen<br />
ergänzen, <strong>die</strong> Beweismittel bezeichnen und <strong>die</strong> sach<strong>die</strong>nlichen<br />
Anträge stellen. 111 Die Hinweispflicht ist verletzt, wenn<br />
das Gericht Anforderungen an den Sachvortrag stellt, mit denen<br />
ein gewissenhafter und kundiger Verfahrensbeteiligter<br />
nach dem bisherigen Verfahrensverlauf nicht zu rechnen<br />
brauchte. 112<br />
Eine Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn<br />
das Gericht Argumente anführt, zu denen <strong>die</strong> Prozessbeteiligten<br />
keine Gelegenheit zur Stellungnahme hatten. 113<br />
Das<br />
Gericht muss <strong>die</strong> Parteien frühzeitig informieren, dass Bedenken<br />
gegen seine funktionelle Zuständigkeit bestehen. 114<br />
Insbesondere darf den Prozessparteien der Zugang zu den<br />
Gerichten nicht in unzumutbarer, durch Sachgründe nicht<br />
mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden. 115 Das Gericht<br />
aber muss nicht auf <strong>die</strong> mangelnde Substanziierung<br />
hinweisen, wenn es um eine der zentralen Fragen im Streit<br />
der Parteien geht und <strong>die</strong> Gegenpartei bereits darauf hingewiesen<br />
hat, dass der Vortrag hierzu unsubstanziiert war. Auf<br />
<strong>die</strong> Notwendigkeit ergänzenden Vortrags ist aber hinzuweisen,<br />
wenn der Vortrag in einem wesentlichen Punkt unklar<br />
oder ersichtlich unvollständig ist. 116<br />
Auf <strong>die</strong> Folgen einer<br />
rügelosen Einlassung (§ 295 ZPO) ist nur dann hinzuweisen,<br />
wenn <strong>die</strong> Partei anderenfalls in unzumutbarer Weise durch<br />
<strong>die</strong> Entscheidung des Gerichts überrascht würde. 117<br />
Das Berufungsgericht muss <strong>die</strong> Parteien auf <strong>die</strong> beabsichtigte<br />
vom Erstgericht abweichende Antragsauslegung hinweisen<br />
118 oder bei Bedenken gegen <strong>die</strong> Antragsfassung <strong>die</strong> Verhandlung<br />
wieder eröffnen zur Ermöglichung einer<br />
angepassten Antragsformulierung. 119<br />
Vor Verwerfung einer Berufung wegen Fristversäumung<br />
ist dem Rechtsmittelführer <strong>die</strong> Möglichkeit zu geben, sich<br />
zur Säumnis zu äußern und einen Antrag auf Wiedereinsetzung<br />
in den vorigen Stand zu stellen. 120 Ebenso wenig darf<br />
das Gericht über einen Antrag auf Wiedereinsetzung vor Ablauf<br />
der Wiedereinsetzungsfrist entscheiden. 121 Nach § 139<br />
Abs. 4 Satz 2 ZPO kann <strong>die</strong> Erteilung rechtlicher Hinweise<br />
nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Sofern<br />
<strong>die</strong>se <strong>die</strong> Erteilung eines Hinweises nicht hinreichend dokumentieren,<br />
gilt <strong>die</strong>ser als nicht erteilt. Es darf daher kein Beweis<br />
erhoben werden zur Frage, ob <strong>die</strong> Vorinstanz einen<br />
Hinweis erteilt hat. 122<br />
2. Effektiver Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung<br />
mit dem Rechtsstaatsprinzip)<br />
Den Gerichten ist es verboten, den Parteien den Zugang zu<br />
einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in<br />
unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender<br />
Weise zu erschweren. So ist ein Berufungsurteil aufzuheben,<br />
wenn das Berufungsgericht <strong>die</strong> Berufung im Hinblick auf<br />
<strong>die</strong> Wertgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO fehlerhaft als unzulässig<br />
verworfen hat. 123<br />
Durch <strong>die</strong> gleichzeitige Verwerfung der Berufung als unzulässig<br />
und <strong>die</strong> Versagung von Prozesskostenhilfe für das<br />
Berufungsverfahren wird der Partei <strong>die</strong> Möglichkeit genommen,<br />
Wiedereinsetzung zu beantragen und das Berufungsverfahren<br />
auf eigene Kosten fortzuführen. 124<br />
3. Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG)<br />
Für <strong>die</strong> Annahme von Willkür reicht eine nur fragwürdige<br />
oder sogar fehlerhafte Rechtsanwendung nicht aus, selbst<br />
ein offensichtlicher Rechtsfehler genügt nicht, wenn sich das<br />
Gericht mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und<br />
seine Auffassung nicht jeden sachlichen Grundes entbehrt. 125<br />
Erforderlich ist vielmehr, dass <strong>die</strong> fehlerhafte Rechtsanwendung<br />
unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar<br />
ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf<br />
sachfremden Erwägungen beruht; <strong>die</strong> Rechtslage muss mithin<br />
in krasser Weise verkannt sein. 126 Es ist objektiv willkürlich<br />
unter Verletzung des Verfassungsgebots des gesetzlichen<br />
Richters, wenn der Einzelrichter statt der Kammer eine<br />
Rechtsbeschwerde zulässt. 127<br />
104 BGH, Beschluss vom 11.5.2010 – VIII ZR 301/08.<br />
105 BGH, Beschluss vom 28.2.2012 – VIII ZR 124/11.<br />
106 BGH, Beschluss vom 19.8.2010 – VII ZB 2/09.<br />
107 BGH, Beschluss vom 16.12.2011 – AnwZ (Brfg) 52/11.<br />
108 BGH, Beschluss vom 23.11.2011 – IV ZR 49/11.<br />
109 BGH, Urteil vom 13.3.2012 – II ZR 50/09.<br />
110 BGH, Beschluss vom 16.9.2010 – V ZR 61/10; BVerfG,<br />
Beschluss vom 14.09.2010 – 2 BvR 2638/09.<br />
111 BGH, Beschluss vom 23.4.2009 – IX ZR 95/06.<br />
112 BGH, Beschluss vom 17.8.2010 – I ZR 153/08.<br />
113 BGH, Beschluss vom 13.1.2011 – VII ZR 22/10.<br />
114 BGH, Beschluss vom 14.12.2010 – VIII ZB 20/09.<br />
115 BGH, Beschluss vom 10.1.2011 – IV ZB 29/10.<br />
116 BGH, Beschluss vom 30.9.2010 – V ZB 173/10.<br />
117 BGH, Beschluss vom 21.1.2010 – I ZB 74/08.<br />
118 BGH, Beschluss vom 6.7.2010 – VI ZR 177/09.<br />
119 BGH, Urteil vom 4.11.2010 – I ZR 118/09.<br />
120 BGH, Beschluss vom 24.2.2010 – XII ZB 168/08.<br />
121 BGH, Beschluss vom 17.2.2011 – V ZB 310/10.<br />
122 BGH, Beschluss vom 30.6.2011 – IX ZR 35/10.<br />
123 BGH, Beschluss vom 12.4.2011 – VI ZB 58/10.<br />
124 BGH, Beschluss vom 23.3.2011 – XII ZB 51/11.<br />
125 BGH, Beschluss vom 15.12.2011 – IX ZR 187/09.<br />
126 BGH, Beschluss vom 3.2.2011 – IX ZR 132/10.<br />
127 BGH, Beschluss vom 24.11.2011 – VII ZB 33/11.<br />
<strong>Der</strong> <strong>Zivilprozess</strong> <strong>lebt</strong> – <strong>die</strong> <strong>neueste</strong> <strong>Rechtsprechung</strong> des BGH, Geisler AnwBl 11 / 2012 859
MN Prozessrecht 128 BGH, Urteil vom 4.3.2011 – V ZR 123/10.<br />
4. Anhörungsrüge (§ 321 a ZPO)<br />
Die Anhörungsrüge räumt dem Gericht keine umfassende<br />
Abhilfemöglichkeit ein, sondern <strong>die</strong>nt allein der Behebung<br />
von Verstößen gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör.<br />
Sämtlichen von der <strong>Rechtsprechung</strong> entwickelten Fallgruppen<br />
zu § 321 a ZPO (sog. Pannenfälle, Präklusionsfälle, Hinweisfälle,<br />
Nichtberücksichtigungsfälle) liegt zugrunde, dass<br />
den Parteien eine gebotene Stellungnahmemöglichkeit verwehrt<br />
wurde. Deshalb ist eine Gehörsrüge wegen sonstiger<br />
Verfahrensverstöße ausgeschlossen. 128<br />
9 Eine Anhörungsrüge ist unzulässig, <strong>die</strong> vor Bekanntgabe<br />
der mit Gründen versehenen Entscheidung erhoben wird. 129<br />
Gegen einen Beschluss, mit dem eine Anhörungsrüge<br />
zurückgewiesen wird, ist eine erneute Anhörungsrüge nicht<br />
statthaft. 130<br />
9 Wird <strong>die</strong> Anhörungsrüge begründet mit einem unterlassenen<br />
Hinweis auf ergänzungsbedürftigen Vortrag, dann<br />
muss dargelegt werden, was <strong>die</strong> Partei auf einen solchen gerichtlichen<br />
Hinweis ergänzend vorgetragen hätte. 131<br />
9 Eine unterbliebene Zulassung der Revision kann auf <strong>die</strong><br />
Gehörsrüge nachgeholt werden, wenn ein auf <strong>die</strong> Zulassungsentscheidung<br />
bezogener Vortrag der Parteien übergangen<br />
worden ist. 132<br />
Die unterlassene Zulassung der Revision<br />
als Verstoß gegen andere Verfahrensgrundrechte ist in analoger<br />
Anwendung von § 321 a ZPO möglich, wenn dem Berufungsgericht<br />
eine willkürlich unterlassene Zulassung 133 bzw.<br />
eine unzumutbare, sachlich nicht mehr zu rechtfertigende<br />
Verkürzung des Instanzenzuges vorzuwerfen ist. 134<br />
9 Nach dem Inhalt des in § 295 ZPO zum Ausdruck kommenden<br />
Rechtsgedankens kann eine Partei eine Gehörsverletzung<br />
nicht mehr rügen, wenn sie <strong>die</strong> ihr nach Kenntnis<br />
des Verstoßes verbliebenen Möglichkeiten einer Äußerung<br />
nicht genutzt hat. Es verbleibt nur ein Rechtsmittel. Auf einen<br />
erstinstanzlichen Gehörsverstoß kann eine Partei in der Revisionsinstanz<br />
nur dann zurückgreifen, wenn sie den Gehörsverstoß<br />
des Erstgerichts mit der Berufung gerügt hat. 135 Mit<br />
der Anhörungsrüge beim Rechtsmittelgericht können nur<br />
neue und eigenständige Verletzungen durch das Rechtsmittelgericht<br />
gerügt werden. 136<br />
9 Auf <strong>die</strong> Gehörsrüge ist das Verfahren nach § 321 a Abs. 5<br />
ZPO nur insoweit fortzusetzen als der Anspruch auf Gewährung<br />
des rechtlichen Gehörs verletzt ist. Da <strong>die</strong> Anhörungsrüge<br />
kein Rechtsmittel ist, gilt das Verbot der reformatio<br />
in peius nicht. 137 Das Gericht entscheidet gemäß § 321 a<br />
Abs. 5 Satz 3 ZPO in Verbindung mit § 343 ZPO nicht durch<br />
Beschluss, sondern durch Urteil. 138<br />
9 Die Anhörungsrüge hemmt weder <strong>die</strong> Rechtskraft der<br />
gerügten Entscheidung noch eine laufende Verjährungsfrist. 139<br />
9 Eine Verfassungsbeschwerde ist mangels Rechtswegerschöpfung<br />
(§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) unzulässig, wenn<br />
zuvor keine Anhörungsrüge erhoben wird oder <strong>die</strong>se aus<br />
prozessualen Gründen (zum Beispiel Fristversäumnis) erfolglos<br />
bleibt. 140 Die versäumte Anhörungsrüge hat zur Folge,<br />
dass <strong>die</strong> Verfassungsbeschwerde nicht nur wegen der Gehörsverletzung<br />
unzulässig ist, sondern insgesamt, also auch<br />
hinsichtlich etwaiger weiterer Grundrechtsverstöße.<br />
V. Verfahren<br />
Bei den Verfahrensvorschriften hat der BGH in der aktuellen<br />
<strong>Rechtsprechung</strong> vor allem Auslegungsfragen geklärt. Die<br />
Stärkung der Berufungsinstanz steht dabei im Vordergrund.<br />
1. Präklusion<br />
a) Erste Instanz (§ 296 ZPO) 141<br />
Ist <strong>die</strong> Vertretung durch Rechtsanwälte nicht zwingend geboten,<br />
kommt eine Anwendung des § 282 Abs. 2 ZPO (Rechtzeitigkeit<br />
des Vorbringens) nur in Betracht, wenn den Parteien<br />
durch richterliche Anordnung aufgegeben worden ist,<br />
<strong>die</strong> mündliche Verhandlung durch Schriftsätze oder zu Protokoll<br />
der Geschäftsstelle abzugebende Erklärungen gemäß<br />
§ 129 Abs. 2 ZPO vorzubereiten. 142 In Arzthaftungssachen<br />
kann ein Verstoß gegen das verfassungsmäßige Verbot einer<br />
„Überbeschleunigung“ vorliegen, wenn das als verspätet<br />
zurückgewiesene Verteidigungsvorbringen ein Sachverständigengutachten<br />
veranlasst hätte, <strong>die</strong>ses Sachverständigengutachten<br />
aber in der Zeit zwischen dem Ende der Frist und der<br />
darauf folgenden mündlichen Verhandlung ohnehin nicht<br />
hätte eingeholt werden können. 143<br />
b) Berufungsinstanz 144<br />
aa) Bindung an tatsächliche Feststellungen der Vorinstanz<br />
(§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO)<br />
Das Berufungsgericht legt seiner Entscheidung <strong>die</strong> vom Erstgericht<br />
festgestellten Tatsachen zugrunde, soweit nicht konkrete<br />
Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit<br />
der entscheidungserheblichen Feststellungen<br />
begründen, wie Anhörung des Sachverständigen 145 oder Zeugen.<br />
146<br />
Die nochmalige Vernehmung eines Zeugen kann<br />
dann unterbleiben, wenn sich das Rechtsmittelgericht auf<br />
solche Umstände stützt, <strong>die</strong> weder <strong>die</strong> Urteilsfähigkeit, das<br />
Erinnerungsvermögen oder <strong>die</strong> Wahrheitsliebe des Zeugen,<br />
noch <strong>die</strong> Vollständigkeit oder Widerspruchsfreiheit seiner<br />
Aussage betreffen. 147<br />
bb) Verspätet vorgebrachte Angriffs- und Verteidigungsmittel<br />
(§ 530 ZPO)<br />
Die Benennung von Zeugen erst nach einer Beweisaufnahme<br />
und außerhalb der Berufungsbegründungsfrist ist<br />
entschuldigt, wenn erst das Ergebnis der Beweisaufnahme<br />
Anlass zur Benennung der Zeugen gibt und den Parteien<br />
vom Berufungsgericht ausdrücklich nachgelassen wurde,<br />
schriftlich zum Ergebnis der Beweisaufnahme Stellung zu<br />
nehmen. 148<br />
129 BGH, Beschluss vom 15.7.2010 – I ZR 160/07.<br />
130 BVerfG, Beschluss vom 26.4.2011 – 2 BvR 597/11.<br />
131 BGH, Beschluss vom 14.9.2010 – IX ZR 169/08.<br />
132 BGH, Beschluss vom 29.1.2009 – V ZB 140/08.<br />
133 BGH, Beschluss vom 4.7.2007 – VII ZB 28/07.<br />
134 BVerfG, Beschluss vom 27.5.2010 – 1 BvR 2643/07.<br />
135 BGH, Urteil vom 9.2.2011 – VIII ZR 285/09.<br />
136 BGH, Beschluss vom 16.12.2010 – V ZR 96/10.<br />
137 BGH, Urteil vom 20.6.2012 – VIII ZR 268/11.<br />
138 BGH, Urteil vom 4.3.2011 – V ZR 123/10.<br />
139 BGH, Urteil vom 10.5.2012 – IX ZR 143/11.<br />
140 BVerfG, Beschlüsse vom 14.4.2010 – 1 BvR 299/10<br />
und vom 17.2.2011 – 1 BvR 279/11.<br />
141 Vgl. Geisler AnwBl 2006, 524 ff.<br />
142 BGH, Beschluss vom 25.2.2010 – I ZB 18/08.<br />
143 BGH, Urteil vom 3.7.2012 – VI ZR 120/11.<br />
144 Vgl. Geisler AnwBl 2006, 609 ff.<br />
145 BGH, Beschluss vom 24.3.2010 – VIII ZR 270/09.<br />
146 BGH, Beschluss vom 21.3.2012 – XII ZR 18/11.<br />
147 BGH, Beschluss vom 9.2.2010 – XI ZR 140/09.<br />
148 BGH, Beschluss vom 25.1.2012 – IV ZR 230/11.<br />
860 AnwBl 11 / 2012 <strong>Der</strong> <strong>Zivilprozess</strong> <strong>lebt</strong> – <strong>die</strong> <strong>neueste</strong> <strong>Rechtsprechung</strong> des BGH, Geisler
MN Prozessrecht 149 BGH, Urteil vom 22.4.2010 – IX ZR 160/09.<br />
cc) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel<br />
(§ 531 Abs. 2 ZPO)<br />
<strong>Der</strong> Kläger kann in der Berufungsinstanz seine Klage erweitern<br />
im Hinblick auf in erster Instanz bereits gehaltenen<br />
Sachvortrag. 149 Nach Abschluss der mündlichen Verhandlung<br />
in erster Instanz neu entstandene Angriffs- und Verteidigungsmittel<br />
können jederzeit in das Berufungsverfahren eingeführt<br />
werden. 150 Unstreitiges Vorbringen ist nicht neu und<br />
daher immer zuzulassen. 151 Die Einrede der Dürftigkeit des<br />
Nachlasses (§ 1990 BGB) ist im Berufungsverfahren zuzulassen,<br />
denn für <strong>die</strong> Aufnahme des Vorbehalts der beschränkten<br />
Erbenhaftung bedarf es keines Sachvortrags. 152<br />
Für <strong>die</strong><br />
Anwendung des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO ist <strong>die</strong> ungeschriebene<br />
Voraussetzung zu beachten, dass <strong>die</strong> Rechtsansicht<br />
des Gerichts des ersten Rechtszugs den Sachvortrag<br />
der Partei beeinflusst hat und daher mitursächlich dafür<br />
geworden ist, dass sich Parteivorbringen in das Berufungsverfahren<br />
verlagert. 153 Ein gerichtlicher Hinweis an <strong>die</strong><br />
erstinstanzlich obsiegende Partei ist erforderlich bei abweichender<br />
Ansicht des Berufungsgerichts in einem entscheidungserheblichen<br />
Punkt. 154 Eine Nachlässigkeit im Sinne von<br />
§ 531 Abs. 2 Satz Nr. 3 ZPO liegt nur dann vor, wenn <strong>die</strong> Partei<br />
gegen ihre Prozessförderungspflicht verstoßen hat. So<br />
darf eine Partei ein Vorbringen aus prozesstaktischen Erwägungen<br />
nicht zurückhalten, ist aber nicht verpflichtet, ihr<br />
nicht bekannte Tatsachen erst noch zu ermitteln. 155<br />
Es ist<br />
nicht nachlässig, wenn eine Partei erst durch ein Gutachten<br />
nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils Kenntnis von Tatsachen<br />
erlangt hat und <strong>die</strong>se im Berufungsverfahren vorträgt.<br />
156<br />
c) Aufhebung und Zurückweisung durch BGH<br />
(§ 563 Abs. 2 ZPO)<br />
Nach Aufhebung und Zurückweisung durch den BGH ist<br />
das Berufungsgericht nur an <strong>die</strong> Rechtsauffassung des BGH<br />
gebunden, auf der <strong>die</strong> Aufhebung des Berufungsurteils beruht.<br />
Bloße Hinweise des Revisionsgerichts für das wiedereröffnete<br />
Berufungsverfahren und <strong>die</strong> neue Entscheidung<br />
werden von der Bindungswirkung nicht erfasst. 157<br />
Die Bindungswirkung<br />
greift auch nicht, soweit sich in der Tatsacheninstanz<br />
ein neuer nicht präklu<strong>die</strong>rter Sachverhalt<br />
ergibt. 158<br />
Gibt der BGH <strong>die</strong> Einholung eines Sachverständigengutachtens<br />
vor, ist es willkürlich, wenn das Berufungsgericht<br />
<strong>die</strong>s mit überzogenen Anforderungen an <strong>die</strong> Darlegungslast<br />
ablehnt. 159<br />
2. Erledigung des Rechtsstreits<br />
Eine hilfsweise Erledigungserklärung ist unzulässig, wenn der<br />
Hauptantrag als unbegründet abgewiesen worden ist. 160<br />
Es<br />
wäre widersprüchlich, nach einer Abweisung des Hauptantrags<br />
als unbegründet auf den Hilfsantrag <strong>die</strong> Erledigung<br />
festzustellen. 161 Die erstmalige Erhebung der Einrede der Verjährung<br />
stellt im Laufe des Rechtsstreits auch dann eine erledigendes<br />
Ereignis dar, wenn <strong>die</strong> Verjährung bereits vor<br />
Rechtshängigkeit eingetreten ist; 162<br />
nicht <strong>die</strong> Verjährung,<br />
sondern erst <strong>die</strong> Erhebung der Einrede wirkt sich verändernd<br />
auf <strong>die</strong> Rechtslage aus. Die Kosten des Rechtsstreits sind<br />
dem Beklagten aufzuerlegen, wenn <strong>die</strong> Parteien eine vor<br />
dem unzuständigen Gericht erhobene, in der Sache aber begründete<br />
Unterlassungsklage übereinstimmend in der<br />
Hauptsache für erledigt erklären, nachdem der Beklagte <strong>die</strong><br />
Unzuständigkeit gerügt und sodann eine strafbewehrte Unterlassungserklärung<br />
abgegeben hatte. 163 Die Erledigung der<br />
Hauptsache kann noch in der Rechtsmittelinstanz erklärt werden.<br />
Wird durch <strong>die</strong> übereinstimmenden Erklärungen der<br />
Parteien der Rechtsstreit insgesamt erledigt, ist über alle bisher<br />
entstandenen Kosten des Rechtsstreits einschließlich der<br />
Kosten der Vorinstanzen zu entscheiden. 164 Wird nach übereinstimmender<br />
Teilerledigungserklärung durch Urteil zugleich<br />
in der Hauptsache und über <strong>die</strong> Kosten des erledigten<br />
Teils entschieden, so ist <strong>die</strong> Berufung nur zulässig, wenn der<br />
nicht erledigte Teil der Hauptsache <strong>die</strong> Berufungssumme erreicht.<br />
165 Gegen eine Kostenentscheidung gemäß § 91 a ZPO<br />
darf <strong>die</strong> Rechtsbeschwerde nicht aus materiell-rechtlichen<br />
Gründen zugelassen werden. 166 Bei einer einseitigen Erledigungserklärung<br />
des Klägers reduziert sich der Streitwert auf<br />
<strong>die</strong> bis dahin entstandenen Kosten nicht schon mit Eintritt<br />
des erledigenden Ereignisses, sondern erst, wenn der Kläger<br />
den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Dennoch<br />
reduziert der BGH den Streitwert für <strong>die</strong> Terminsgebühr<br />
auf das Interesse nach Erledigung, wenn <strong>die</strong> Erledigung<br />
vor dem Termin eingetreten ist. Obwohl RVG und<br />
ZPO hierfür keine Grundlage bieten, begründet er <strong>die</strong>s mit<br />
dem Grundsatz von Treu und Glauben. 167<br />
3. Klagerücknahme (§ 269 ZPO)<br />
Mit Rücknahme der Klage vor dem BGH sind <strong>die</strong> vorinstanzlichen<br />
Urteile wirkungslos. 168 Nimmt der Kläger im aktienrechtlichen<br />
Anfechtungsprozess im Rahmen eines Vergleichs <strong>die</strong><br />
Klage zurück, hat er – vorbehaltlich der Ausnahmeregelung<br />
des § 269 Abs. 3 Satz 2 Hs. 2 ZPO – auch <strong>die</strong> außergerichtlichen<br />
Kosten der auf Beklagtenseite beigetretenen, am Vergleich<br />
nicht beteiligten streitgenössischen Nebenintervenienten<br />
gemäß § 269 Abs. 3 Satz 2 Hs. 1 ZPO zu tragen. 169 Im Falle<br />
einer Klagerücknahme kommt ein der Kostenentscheidung<br />
nach § 269 Abs. 3 Satz 2 Hs. 1 ZPO entgegengerichteter materiell-rechtlicher<br />
Anspruch auf Kostenerstattung nicht in Betracht,<br />
wenn der Sachverhalt, der zu <strong>die</strong>ser Kostenentscheidung<br />
geführt hat, unverändert bleibt. 170<br />
4. Vorgreifliche Verfahren<br />
a) Schlichtungsverfahren (§ 15 a EGZPO)<br />
Eine Klage, der in einigen Bundesländern ein obligatorisches<br />
Schiedsverfahren vorauszugehen hat, ist zulässig, wenn der<br />
Kläger mit der Klageschrift eine von der Gütestelle aus-<br />
150 BGH, Beschluss vom 22.4.2010 – I ZR 17/09.<br />
151 BGH, Beschluss vom 23.6.2008 – GSZ 1/08.<br />
152 BGH, Urteil vom 2.2.2010 – VI ZR 82/09.<br />
153 BGH, Urteil vom 21.12.2011 – VIII ZR 166/11.<br />
154 BGH, Beschluss vom 17.4.2012 – VI ZR 126/11.<br />
155 BGH, Beschluss vom 10.6.2010 – Xa ZR 110/09.<br />
156 BGH, Beschluss vom 30.6.2010 – IV ZR 229/07.<br />
157 BGH, Beschluss vom 16.11.2010 – X ZR 104/08.<br />
158 BGH, Beschluss vom 28.10.2010 – Xa ZR 70/08.<br />
159 BGH, Beschluss vom 7.7.2010 – IV ZR 63/08.<br />
160 BGH, Beschluss vom 16.8.2010 – II ZR 105/09.<br />
161 BGH, Urteil vom 8.2.2011 – II ZR 206/08.<br />
162 BGH, Urteil vom 27.1.2010 – VIII ZR 58/09.<br />
163 BGH, Beschluss vom 18.3.2010 – I ZB 37/09.<br />
164 BGH, Beschluss vom 11.2.2010 – I ZR 154/08.<br />
165 BGH, Beschluss vom 12.4.2011 – VI ZB 44/10.<br />
166 BGH, Beschluss vom 8.3.2011 – VIII ZB 65/10.<br />
167 BGH, Beschluss vom 31.8.2010 – X ZB 3/09.<br />
168 BGH, Beschluss vom 1.6.2010 – XI ZR 63/10.<br />
169 BGH, Beschluss vom 14.6.2010 – II ZB 15/09.<br />
170 BGH, Urteil vom 16.2.2011 – VIII ZR 80/10.<br />
<strong>Der</strong> <strong>Zivilprozess</strong> <strong>lebt</strong> – <strong>die</strong> <strong>neueste</strong> <strong>Rechtsprechung</strong> des BGH, Geisler AnwBl 11 / 2012 861
MN Prozessrecht 171 BGH, Urteil vom 20.11.2009 – V ZR 94/09.<br />
gestellte Bescheinigung über einen erfolglosen Einigungsversuch<br />
einreicht. Es ist nicht zu prüfen, ob das Verfahren ordnungsgemäß<br />
durchgeführt worden ist. 171 Wird der im Mahnverfahren<br />
(Schlichtungsverfahren nicht erforderlich!) nur<br />
gegen den Kfz-Haftpflichtversicherer geltend gemachte Anspruch<br />
mit der Anspruchsbegründung im Klageverfahren<br />
auf den Versicherungsnehmer erweitert, ist <strong>die</strong> gegen <strong>die</strong>sen<br />
erhobene Klage als unzulässig abzuweisen, wenn vor der<br />
Parteierweiterung das Schlichtungsverfahren nicht durchgeführt<br />
worden ist. 172 Ein Schlichtungsverfahren ist nicht erforderlich<br />
bei Parteiwechsel auf Klägerseite. 173<br />
b) Schiedseinrede<br />
Die Einrede des Schiedsvertrags ist nur dann rechtzeitig erhoben,<br />
wenn der Beklagte vor Beginn der mündlichen Verhandlung<br />
zur Hauptsache auch den Schiedsvertrag konkret<br />
bezeichnet. 174 Die Erhebung der Schiedsabrede kann wegen<br />
Verstoßes gegen § 242 BGB unbeachtlich sein, z. B. Vermögensverfall<br />
des Schuldners der zur Aufrechnung gestellten<br />
„schiedsvereinbarten“ Forderung. 175<br />
Hat ein Schiedsgericht eine zur Aufrechnung gestellte<br />
Gegenforderung nicht berücksichtigt, kann der Aufrechnungseinwand<br />
noch im Verfahren auf Vollstreckbarerklärung<br />
vor dem ordentlichen Gericht geltend gemacht werden,<br />
außer <strong>die</strong> Aufrechnungsforderung unterliegt ihrerseits einer<br />
Schiedsabrede. 176<br />
5. Teilurteil<br />
Ein Teilurteil darf nur ergehen, wenn <strong>die</strong> Gefahr widersprechender<br />
Entscheidungen ausgeschlossen ist. 177 Auch <strong>die</strong> Anordnung<br />
des Ruhens des Verfahrens auf übereinstimmenden<br />
Antrag der Parteien hinsichtlich eines abtrennbaren<br />
Teils lässt ein Teilurteil über den übrigen Teil des Rechtsstreits<br />
wegen der bei erneuter Aufnahme des Verfahrens bestehenden<br />
Gefahr einer abweichenden Entscheidung nicht<br />
zu. 178 Die dem Erlass eines Teilurteils entgegenstehende Gefahr<br />
der Widersprüchlichkeit kann in der Berufungsinstanz<br />
dadurch beseitigt werden, dass über <strong>die</strong> Vorfragen ein Zwischenfeststellungsurteil<br />
(§ 256 Abs. 2 ZPO) ergeht. 179<br />
VI. Besondere Verfahrensarten<br />
zu entscheiden, damit der Betroffene noch Gelegenheit hat,<br />
einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu<br />
stellen. 182<br />
c) Mutwilligkeit (§ 114 Satz 1 ZPO)<br />
Ein Versicherungsnehmer, der sich im Verkehrsunfallprozess<br />
gegen den von seinem mitverklagten Haftpflichtversicherer<br />
gegen ihn erhobenen Vorwurf eines versuchten Versicherungsbetrugs<br />
verteidigen will, handelt nicht mutwillig,<br />
wenn er Prozesskostenhilfe für <strong>die</strong> Vertretung durch einen<br />
eigenen Anwalt begehrt, obwohl ihm der Haftpflichtversicherer<br />
als Streithelfer beigetreten ist und dessen Prozessbevollmächtigter<br />
auf <strong>die</strong>sem Wege auch für ihn Klageabweisung<br />
beantragt hat. 183<br />
<strong>Der</strong> Versicherer muss den Fahrer im Rahmen<br />
seiner Rechtsschutzverpflichtung von den Kosten für<br />
<strong>die</strong> Vertretung durch einen eigenen Anwalt freihalten. 184 <strong>Der</strong><br />
Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für eine Klage<br />
auf Aufhebung der mit einem Ausländer zum Zwecke der<br />
Erlangung eines Aufenthaltstitels eingegangenen Scheinehe<br />
ist nicht rechtsmissbräuchlich. Eine Partei, <strong>die</strong> rechtsmissbräuchlich<br />
<strong>die</strong> Ehe geschlossen und hierfür ein Entgelt erhalten<br />
hat, trifft jedoch <strong>die</strong> Pflicht, hiervon Rücklagen zu bilden,<br />
um <strong>die</strong> Kosten eines Eheaufhebungsverfahrens finanzieren<br />
zu können. 185 Eine beabsichtigte Teilungsversteigerung nach<br />
§§ 180 ff. ZVG ist mutwillig, wenn sie aller Voraussicht nach<br />
fehlschlägt, weil sich kein Bieter finden wird, der ein nach<br />
§§ 182, 44 ZVG zulässiges Gebot abgibt, so dass das Verfahren<br />
wegen Ergebnislosigkeit aufgehoben werden muss. 186<br />
d) Einkommensermittlung (§ 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO)<br />
Bei der Einkommensermittlung ist es nicht angemessen, <strong>die</strong><br />
auf eine Geldstrafe zu zahlende Rate zu berücksichtigen,<br />
weil der Bedürftige nach § 42 StGB i. V. m. § 459 a StPO bei<br />
einer nicht mehr zumutbaren wirtschaftlichen Belastung<br />
eine Zahlungserleichterung bei der Vollstreckungsbehörde<br />
erreichen kann. 187 Eine Kapital-Lebensversicherung, ggf.<br />
durch Beleihung, ist einzusetzen. 188 Wer ein fremdes Recht<br />
im eigenen Namen geltend macht (gewillkürte Prozessstandschaft),<br />
muss für <strong>die</strong> Bewilligung von Prozesskostenhilfe darlegen,<br />
dass auch der Rechtsinhaber <strong>die</strong> Prozesskosten nicht<br />
aufbringen kann. 189<br />
Die ZPO kennt verschiedene besondere Verfahrensarten.<br />
Streitfragen klärt <strong>die</strong> aktuelle <strong>Rechtsprechung</strong> des BGH vor<br />
allem im Bereich der Prozesskostenhilfe und Verfahrenskostenhilfe<br />
sowie im selbständigen Beweisverfahren.<br />
1. Prozesskostenhilfe/Verfahrenskostenhilfe<br />
a) Antrag (§ 117 ZPO)<br />
<strong>Der</strong> Formularzwang gilt auch für Antrag auf Verfahrenskostenhilfe<br />
eines Beteiligten, der seinen Wohnsitz oder ständigen<br />
Aufenthalt in einem anderen Staat hat, auch bei Abschiebung.<br />
180<br />
b) Hinreichende Erfolgsaussicht (§ 114 ZPO)<br />
Hinreichende Erfolgsaussicht (§ 114 ZPO) ist anzunehmen,<br />
wenn <strong>die</strong> Entscheidung in der Hauptsache von einer schwierigen,<br />
bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt. 181<br />
Hat der<br />
Berufungsführer vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist<br />
Prozesskostenhilfe beantragt und beabsichtigt das Gericht,<br />
Prozesskostenhilfe zu versagen, so hat es vor Verwerfung der<br />
Berufung als unzulässig über das Prozesskostenhilfegesuch<br />
172 BGH, Urteil vom 13.7.2010 – VI ZR 111/09.<br />
173 BGH, Urteil vom 18.6.2010 – V ZR 9/10.<br />
174 BGH, Urteil vom 8.2.2011 – XI ZR 168/08.<br />
175 BGH, Beschluss vom 29.7.2010 – III ZB 48/09.<br />
176 BGH, Beschluss vom 29.7.2010 – III ZB 48/09.<br />
177 BGH, Urteil vom 9.11.2011 – IV ZR 171/10.<br />
178 BGH, Urteil vom 11.5.2011 – VIII ZR 42/10.<br />
179 BGH, Urteil vom 26.4.2012 – VII ZR 25/11.<br />
180 BGH, Beschluss vom 14.10.2010 – V ZB 214/10.<br />
181 BVerfG, Beschluss vom 19.7.2010 – 1 BvR 1873/09.<br />
182 BGH, Beschluss vom 23.3.2011 – XII ZB 51/11.<br />
183 BGH, Beschluss vom 6.7.2010 – VI ZB 31/08.<br />
184 BGH, Urteil vom 15.9.2010 – IV ZR 107/09.<br />
185 BGH, Beschluss vom 30.3.2011 – XII ZB 212/09.<br />
186 BGH, Beschluss vom 15.3.2011 – V ZB 177/10.<br />
187 BGH, Beschluss vom 12.1.2011 – XII ZB 181/10.<br />
188 BGH, Beschluss vom 9.6.2010 – XII ZB 120/08.<br />
189 BGH, Beschluss vom 9.6.2010 – IV ZA 15/09.<br />
862 AnwBl 11 / 2012 <strong>Der</strong> <strong>Zivilprozess</strong> <strong>lebt</strong> – <strong>die</strong> <strong>neueste</strong> <strong>Rechtsprechung</strong> des BGH, Geisler
MN Prozessrecht 190 BGH, Beschluss vom 25.11.2010 – VII ZB 71/08.<br />
3. Abänderungsklage (§ 238 Abs. 1 Satz 2 FamFG, § 323<br />
e) Nachrangigkeit<br />
gehen. 202 212 BGH, Urteil vom 11.2.2010 – VII ZR 153/08.<br />
aa) Partei kraft Amtes (§ 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO)<br />
Abs. 1 Satz 2 ZPO n. F.)<br />
Vor der versuchten Inanspruchnahme staatlicher Mittel Sowohl eine Gesetzesänderung oder Änderung der gefestigten<br />
höchstrichterlichen <strong>Rechtsprechung</strong> 203 als auch eine Ve-<br />
muss der Insolvenzverwalter versuchen, <strong>die</strong> Finanzierung<br />
der Prozessführung durch <strong>die</strong> wirtschaftlich Beteiligten zu ränderungen der Tatsachenlage berechtigen zur Abänderung<br />
betreiben. 190<br />
Die wirtschaftliche Zumutbarkeit der Aufbringung<br />
der Prozesskosten für einen Insolvenzgläubiger ist zu rechtlichen Verhältnisse“). Keine wesentliche Änderung der<br />
einer rechtskräftigen Entscheidung („tatsächlichen und<br />
bejahen, wenn der Betrag, den der Gläubiger auch bei rechtlichen Verhältnisse liegt vor, wenn wegen einer maßgeblichen<br />
Entscheidung des BGH ein Urteil abgeändert wer-<br />
Berücksichtigung des Prozessrisikos bei der Verteilung der<br />
Masse zu erwarten hat, denjenigen deutlich übersteigt, den<br />
den soll, welches erst nach der <strong>Rechtsprechung</strong>sänderung ergangen<br />
ist. 204<br />
Für <strong>die</strong> Abänderung eines Versäumnisurteils<br />
er für <strong>die</strong> Kosten aufzubringen hat, und der Gläubiger <strong>die</strong><br />
betreffenden Mittel unschwer aufbringen kann, 191 z. B. wenn<br />
ist nicht auf <strong>die</strong> Änderung der fingierten, sondern der tatsächlichen<br />
Verhältnisse abzustellen, <strong>die</strong> sich inzwischen ge-<br />
eine Bank selbst bei Annahme eines Prozess- und Vollstreckungsrisikos<br />
von 50 Prozent immer noch mehr als das<br />
ändert haben. 205<br />
Fünffache der aufzubringenden Kosten erhält. 192<br />
bb) Juristische Person oder parteifähige Vereinigung<br />
(§ 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO)<br />
4. Vollstreckungsgegenklage (§ 767 ZPO)<br />
<strong>Der</strong> Zulässigkeit einer Vollstreckungsgegenklage steht <strong>die</strong><br />
Einrede der mangelnden Kostenerstattung nach § 269 Abs. 6<br />
Es besteht ein allgemeines Interesse an der Rechtsverfolgung,<br />
ZPO entgegen, wenn der Kläger nach Zurücknahme der<br />
wenn außer den an der Führung des Rechtsstreits wirtschaftlich<br />
Beteiligten <strong>die</strong> Entscheidung größere Kreise der Bevölke-<br />
Klage gegen den Kostenerstattungsanspruch des Beklagten<br />
mit einer streitigen Forderung aufrechnet, <strong>die</strong> Gegenstand<br />
rung oder des Wirtschaftslebens anspricht oder wenn sie<br />
der zurückgenommenen Klage war. 206<br />
soziale Wirkungen nach sich ziehen kann (z. B. Arbeitsplatzsicherung);<br />
unzureichend ist das bloße Interesse an einer<br />
5. Selbstständiges Beweisverfahren (§ 485 ZPO)<br />
richtigen Entscheidung oder <strong>die</strong> Beantwortung von Rechtsfragen.<br />
So berührt <strong>die</strong> Durchsetzung von Gebührenforderun-<br />
Das erforderliche rechtliche Interesse fehlt, wenn der Anspruch<br />
eindeutig nicht bestehen kann, 207 über den gleichen<br />
gen rechtsberatender Berufe keine allgemeinen Interessen. 195 Beweisgegenstand ein anderes Beweisverfahren anhängig ist<br />
oder vom Rechtsvorgänger bereits durchgeführt wurde. 208<br />
f) Anwaltsbeiordnung (§ 121 ZPO)<br />
<strong>Der</strong> Antragsteller kann gegen <strong>die</strong> Ablehnung einer Beweissicherung<br />
Beschwerde einlegen. Dagegen ist dem Antragsgegner<br />
<strong>die</strong> Anfechtung eines stattgebenden Beschlusses ver-<br />
Ist <strong>die</strong> Vertretung durch einen Anwalt nicht vorgeschrieben,<br />
ist dem Beteiligten im Rahmen der bewilligten Verfahrenskostenhilfe<br />
ein Anwalt beizuordnen, wenn <strong>die</strong>s wegen der<br />
sagt, 209 auch nicht gegen <strong>die</strong> Ablehnung eines zum<br />
Gegenbeweis beantragten weiteren Gutachtens. 210 Die Kosten<br />
Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage erforderlich ist. Die<br />
sind im nachfolgenden Kostenfestsetzungsverfahren der<br />
Erforderlichkeit beurteilt sich einzelfallbezogen nach einem<br />
Hauptsache geltend zu machen. Die Anordnung, dass ein Antragsteller<br />
eines selbständigen Beweisverfahrens binnen ei-<br />
objektiven Maßstab, nicht aus der Sicht des Anwalts oder der<br />
Partei. 196<br />
Die Beiordnung eines Rechtsanwalts ist geboten,<br />
ner bestimmten Frist Klage zu erheben hat, ist unanfechtbar.<br />
Solange kein Hauptsacheprozess anhängig ist, kann<br />
wenn der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist. 197<br />
<strong>Der</strong> bei einer Sozietät angestellte und beigeordnete Anwalt<br />
muss darauf hinwirken, dass der Mandant nur ihm und<br />
der Berechtigte mit seinem materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch<br />
aufrechnen. 212 Ausnahmsweise ist eine Kostenentscheidung<br />
zulässig, wenn <strong>die</strong> Beweisaufnahme in<br />
nicht der Sozietät das Mandat erteilt (Gleichlauf von Anwaltsmandat<br />
und Anwaltsbeiordnung), weil <strong>die</strong> öffentlich-rechtliche<br />
Beiordnung den zivilrechtlichen Mandatsvertrag unberührt<br />
lässt. 198<br />
Eine Beiordnung des zweitinstanzlichen<br />
Verfahrensbevollmächtigten als Verkehrsanwalt kommt im<br />
Rechtsbeschwerdeverfahren ebenso wenig in Betracht wie im<br />
191 BGH, Beschluss vom 14.12.2011 – XII ZA 22/11.<br />
Revisionsverfahren, weil es lediglich um Rechtsfragen geht, 192 BGH, Beschluss vom 7.6.2011 – II ZA 1/11.<br />
für <strong>die</strong> eine Korrespondenz mit der Partei von untergeordneter<br />
Bedeutung ist. 199 Die Aufhebung der Beiordnung setzt<br />
193 BGH, Beschluss vom 7.7.2011 – IX ZA 25/11.<br />
194 BGH, Beschluss vom 24.6.2010 – III ZR 48/10.<br />
195 BGH, Beschluss vom 10.2.2011 – IX ZB 145/09.<br />
nach § 48 Abs. 2 BRAO das Vorliegen wichtiger Gründe voraus,<br />
wie das gestörte Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt 197 BGH, Beschluss vom 18.5.2011 – XII ZB 265/10.<br />
196 BGH, Beschluss vom 23.6.2010 – XII ZB 232/09.<br />
und Mandant. 200<br />
198 BGH, Urteil vom 15.7.2010 – IX ZR 227/09.<br />
199 BGH, Beschluss vom 29.6.2011 – V ZA 10/11.<br />
2. Mahnverfahren<br />
Eine ordnungsgemäße Terminsladung nach Einspruch gegen<br />
einen Vollstreckungsbescheid (§ 215 ZPO) erfordert<br />
keine Belehrung, dass ein zweites Versäumnisurteil (§§ 345,<br />
200 BGH, Beschluss vom 15.9.2010 – IV ZR 240/08.<br />
201 BGH, Urteil vom 22.9.2010 – VIII ZR 182/09.<br />
202 BGH, Beschluss vom 20.12.2010 – VII ZB 72/09.<br />
203 BGH, Urteil vom 23.5.2012 – XII ZR 147/10.<br />
204 BGH, Urteil vom 29.9.2010 – XII ZR 205/08.<br />
700 Abs. 6 ZPO) nur mit Berufung anfechtbar ist. 201 205 BGH, Urteile vom 12.5.2010 – XII ZR 98/08 und vom 2.6.2010 – XII ZR 160/08.<br />
Das Gericht<br />
darf einen Termin zur mündlichen Verhandlung über 207 BGH, Beschluss vom 26.10.2009 – VI ZB 53/08.<br />
206 BGH, Urteil vom 13.4.2011 – VIII ZR 106/10.<br />
den Einspruch gegen ein Versäumnisurteil erst nach dem 208 BGH, Beschluss vom 27.10.2011 – VII ZB 126/09.<br />
209 BGH, Beschluss vom 13.9.2011 – VI ZB 67/10.<br />
Eingang des Einspruchs bestimmen. Ist <strong>die</strong> Terminsbestimmung<br />
nicht ordnungsgemäß, darf kein Versäumnisurteil er-<br />
211 BGH, Beschluss vom 8.7.2010 – VII ZB<br />
210 BGH, Beschluss vom 17.8.2011 – VIII ZB 57/10; vom 20.4.2011 – VII ZB 42/09.<br />
36/08.<br />
<strong>Der</strong> <strong>Zivilprozess</strong> <strong>lebt</strong> – <strong>die</strong> <strong>neueste</strong> <strong>Rechtsprechung</strong> des BGH, Geisler AnwBl 11 / 2012 863
MN Prozessrecht 213 BGH, Urteil vom 21.9.2010 – VIII ZB 73/09.<br />
dem selbstständigen Beweisverfahren tatsächlich nicht<br />
durchgeführt worden ist und deshalb keine Fristsetzung zur<br />
Klageerhebung nach § 494a Abs. 1 ZPO möglich ist. 213 Soweit<br />
dem Antragsteller eine Klage auf Feststellung offen steht,<br />
dass eine Verpflichtung des Antragsgegners bestanden hat,<br />
kann er in jenem Verfahren eine Kostengrundentscheidung<br />
erreichen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens<br />
umfasst. 214<br />
Da eine Kostenentscheidung in entsprechender<br />
Anwendung von § 91 a ZPO nicht ergehen kann, ist eine<br />
im selbstständigen Beweisverfahren unzulässige einseitige<br />
Erledigungserklärung des Antragstellers in eine Antragsrücknahme<br />
mit der Kostenfolge des § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO umzudeuten.<br />
215<br />
VII. Hemmung der Verjährung durch Rechtsverfolgung<br />
(§ 204 BGB)<br />
Verjährungsprobleme spielen in der anwaltlichen Praxis eine<br />
überragende Rolle. Die <strong>Rechtsprechung</strong> des BGH ist zusammenfassend<br />
gläubiger- und anwaltsfreundlich, wenn auch<br />
<strong>die</strong> Grenzen der Großzügigkeit deutlich aufgezeigt werden.<br />
1. Klageerhebung (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB)<br />
Die Verjährung wird gehemmt durch <strong>die</strong> Klage des Berechtigten,<br />
das ist neben dem ursprünglichen Rechtsinhaber und<br />
seinem Nachfolger auch der Prozessstandschafter. 216 Die verjährungshemmende<br />
Wirkung der gewillkürten Prozessstandschaft<br />
tritt aber erst in dem Augenblick ein, in dem <strong>die</strong>se<br />
prozessual offen gelegt wird oder offensichtlich ist. 217<br />
Auch<br />
<strong>die</strong> unzulässige Klage eines Berechtigten hemmt <strong>die</strong> Verjährung,<br />
zum Beispiel Klage vor unzuständigem Gericht, fehlendes<br />
Interesses bei Feststellungsklage, vorgeschriebenes<br />
Vorverfahren nicht eingehalten, dem Forderungsinhaber<br />
fehlt <strong>die</strong> Prozessführungsbefugnis oder der Anspruch ist anderweitig<br />
rechtshängig gemacht worden. 218 Eine Klage<br />
hemmt <strong>die</strong> Verjährung nur für Ansprüche in der Gestalt<br />
und in dem Umfang, wie sie mit der Klage rechtshängig gemacht<br />
werden. Maßgebend ist daher der den prozessualen<br />
Leistungsanspruch bildende Streitgegenstand. Eine Teilklage,<br />
mit der verschiedene Ansprüche geltend gemacht werden,<br />
hemmt in Höhe des insgesamt eingeklagten Betrages auch<br />
dann <strong>die</strong> Verjährung eines jeden <strong>die</strong>ser Ansprüche, wenn<br />
<strong>die</strong>se ohne nähere Aufgliederung geltend gemacht worden<br />
sind. 219<br />
Die Stufenklage hemmt <strong>die</strong> Verjährung des Anspruchs<br />
auf Zugewinnausgleich auch dann, wenn im Auskunftsantrag<br />
ein falscher Stichtag für das Endvermögen genannt<br />
ist. 220 Ein Anhörungsrügeverfahren hemmt nicht den<br />
Verjährungseintritt. 221<br />
Ein Gläubiger ist nicht gehalten zur<br />
Hemmung der Verjährung <strong>die</strong> Klage gemäß § 185 Nr. 1 ZPO<br />
öffentlich zustellen zu lassen, wenn der Aufenthaltsort des<br />
Schuldners nicht ermittelbar ist. 222 <strong>Der</strong> Anwalt hat keine allgemeine<br />
Pflicht, aus Gründen des sicheren Verjährungsschutzes<br />
neben der Führung von Verhandlungen andere verjährungshemmende<br />
Maßnahmen zu ergreifen. 223<br />
2. Mahnverfahren (§ 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB)<br />
Die Zustellung eines Mahnbescheids hemmt <strong>die</strong> Verjährung<br />
des geltend gemachten Anspruchs nur, wenn <strong>die</strong>ser im Antrag<br />
hinreichend individualisiert ist. Die Bezugnahme auf<br />
Unterlagen reicht aus. Ist ein solches Schriftstück dem Antragsgegner<br />
bekannt, braucht es dem Mahnbescheid nicht in<br />
Abschrift beigefügt zu werden; auch schadet <strong>die</strong> Falschangabe<br />
des Datums eines Schreibens nicht, wenn für den<br />
Antragsgegner ohne weiteres ersichtlich ist, um welches<br />
Schreiben es sich handelt. 224 Die Aufschlüsselung eines Gesamtbetrags<br />
ist nur erforderlich bei mehreren geltend gemachten<br />
Einzelforderungen, aber noch nicht bei einer einheitlichen<br />
Schadensersatzforderung (z. B. „Schadensersatz<br />
aus Mietvertrag“), <strong>die</strong> sich aus mehreren unselbstständigen<br />
Rechnungsposten zusammensetzt. 225<br />
Verjährungshemmung<br />
kann trotz unwirksamer Zustellung eines Mahnbescheids<br />
eintreten, wenn der Anspruchsinhaber für <strong>die</strong> wirksame Zustellung<br />
alles aus seiner Sicht Erforderliche getan hat, der<br />
Anspruchsgegner in unverjährter Zeit von dem Erlass des<br />
Mahnbescheids und seinem Inhalt Kenntnis erlangt und <strong>die</strong><br />
Wirksamkeit der Zustellung ebenfalls in unverjährter Zeit<br />
im Rechtsstreit geprüft wird. 226<br />
Die Berufung auf eine Verjährungshemmung<br />
kann im Einzelfall rechtsmissbräuchlich<br />
sein, wenn der Mahnbescheidsantrag <strong>die</strong> bewusst wahrheitswidrige<br />
Erklärung enthält, dass <strong>die</strong> Gegenleistung bereits erbracht<br />
sei. 227<br />
3. Selbstständiges Beweisverfahren (§ 204 Abs. 1 Nr. 7 BGB)<br />
Die Verjährung des Vergütungsanspruchs des Auftragnehmers<br />
wird gehemmt, wenn er zur Aufklärung von Werkmängeln<br />
ein selbstständiges Beweisverfahren einleitet, um <strong>die</strong><br />
Abnahmereife seiner Werkleistungen und <strong>die</strong> tatsächlichen<br />
Voraussetzungen für <strong>die</strong> Fälligkeit seines Vergütungsanspruchs<br />
nachweisen zu können. 228<br />
Hemmung tritt auch<br />
ein, wenn der Antrag dem Antragsgegner statt förmlicher<br />
Zustellung nur formlos übersandt wurde. 229 Die Hemmung<br />
endet gem. § 204 Abs. 2 BGB sechs Monate nach der sachlichen<br />
Erledigung des Verfahrens. Diese liegt beim schriftlichen<br />
Sachverständigengutachten regelmäßig vor, wenn das<br />
Gutachten den Parteien übergeben wird; bei mündlicher Erläuterung<br />
des Gutachtens mit dem Verlesen oder der Vorlage<br />
zur Durchsicht des Sitzungsprotokolls über <strong>die</strong> Vernehmung<br />
des Sachverständigen. Hat das Gericht eine Frist gesetzt oder<br />
haben <strong>die</strong> Parteien dem Gericht nach Erhalt des Gutachtens<br />
innerhalb eines angemessenen Zeitraums Einwendungen<br />
oder Anträge oder Ergänzungsfragen mitgeteilt, endet das<br />
Beweisverfahren erst mit dem Verstreichen <strong>die</strong>ser Frist oder<br />
der Erledigung der Anträge oder Ergänzungsfragen. 230<br />
4. Schwebende Verhandlungen (§ 203 BGB)<br />
Verhandlungen sind weit auszulegen und schweben schon<br />
dann, wenn eine der Parteien Erklärungen abgibt, <strong>die</strong> der je-<br />
214 BGH, Urteil vom 21.9.2010 – VIII ZB 73/09<br />
215 BGH, Beschlüsse vom 24.2.2011 – VII ZB 20/09; vom 7.12.2010 – VIII ZB 14/10.<br />
216 BGH, Urteil vom 29.10.2009 – I ZR 191/07.<br />
217 BGH, Beschluss vom 6.4.2010 – VII ZR 166/08.<br />
218 BGH, Urteil vom 9.12.2010 – III ZR 56/2010.<br />
219 BGH, Beschluss vom 1.6.2010 – VI ZR 346/08.<br />
220 BGH, Urteil vom 24.5.2012 – IX ZR 168/11.<br />
221 BGH, Urteil vom 10.5.2012 – IX ZR 143/11.<br />
222 BGH, Urteil vom 28.2.2012 – XI ZR 192/11.<br />
223 BGH, Beschluss vom 1.7.2010 – IX ZR 40/07.<br />
224 BGH, Urteil vom 14.7.2010 – VIII ZR 229/09.<br />
225 BGH, Urteil vom 17.11.2010 – VIII ZR 211/09.<br />
226 BGH, Urteil vom 26.2.2010 – V ZR 98/09.<br />
227 BGH, Urteil vom 21.12.2011 – VIII ZR 157/11.<br />
228 BGH, Beschluss vom 9.2.2012 – VII ZR 135/11.<br />
229 BGH, Urteil vom 10.3.2011 – VII ZR 168/09.<br />
230 BGH, Urteil vom 28.10.2010 – VII ZR 172/09.<br />
864 AnwBl 11 / 2012 <strong>Der</strong> <strong>Zivilprozess</strong> <strong>lebt</strong> – <strong>die</strong> <strong>neueste</strong> <strong>Rechtsprechung</strong> des BGH, Geisler
MN Prozessrecht 231 BGH, Urteil vom 12.5.2011 – IX ZR 91/08.<br />
weils anderen <strong>die</strong> Annahme gestatten, der Erklärende lasse<br />
sich auf Erörterungen über <strong>die</strong> Berechtigung des Anspruchs<br />
oder dessen Umfang ein; 231<br />
Vergleichsbereitschaft, Bereitschaft<br />
zum Entgegenkommen oder Erfolgsaussicht sind<br />
nicht erforderlich. 232<br />
Die Mitteilung eines Anwalts über <strong>die</strong><br />
Einschaltung seiner Haftpflichtversicherung ist nur dann<br />
eine <strong>die</strong> Verjährung hemmende Erörterung, wenn der Anwalt<br />
nicht zugleich erklärt, zur Haftung dem Grunde und<br />
der Höhe nach keine Erklärung abzugeben. 233<br />
Eine Hemmung<br />
der Verjährung des dem Erwerber gegen den Bauträger<br />
zustehenden Mängelanspruchs kommt in Betracht,<br />
wenn der Bauträger in Abstimmung mit ihm einen den<br />
Mangel betreffenden Rechtsstreit gegen seinen Nachunternehmer<br />
führt. 234<br />
VIII. Rechtsmittel<br />
Die Grundlinie des BGH in seiner <strong>Rechtsprechung</strong> zu<br />
Rechtsmitteln: Die Einlegung eines Rechtsmittels soll wegen<br />
der Gewährleistung weitestgehenden Rechtsschutzes nicht<br />
eingeschränkt werden. Allerdings hält der BGH in <strong>die</strong>sem<br />
Bereich an strengeren Formvorgaben fest. Vom Anwalt wird<br />
– wie es aus der Parteimaxime folgt – Sorgfalt erwartet.<br />
1. Verschlechterungsverbot (§ 528 Satz 2 ZPO)<br />
Hat das Erstgericht unter Abweisung im Übrigen einer Zahlungsklage<br />
teilweise stattgegeben und <strong>die</strong> Aufrechnungsgegenforderung<br />
des Beklagten als unbegründet angesehen,<br />
dann darf das Berufungsgericht auf <strong>die</strong> Berufung des Beklagten<br />
den in erster Instanz aberkannten Teil der Klageforderung<br />
nicht mehr als bestehend betrachten. 235<br />
2. Rechtsbeschwerde<br />
Gemäß § 574 Abs. 1 ZPO ist <strong>die</strong> gegen einen Beschluss<br />
durch einen beim BGH zugelassenen Anwalt einzulegende<br />
Rechtsbeschwerde nur statthaft, wenn <strong>die</strong>s entweder im Gesetz<br />
bestimmt ist oder das Beschwerdegericht <strong>die</strong> Rechtsbeschwerde<br />
zugelassen hat. 236<br />
Enthält eine Beschwerdeentscheidung<br />
keine Ausführungen über <strong>die</strong> Zulassung der<br />
Rechtsbeschwerde, ist der Rechtsweg erschöpft. 237<br />
Die ZPO<br />
sieht ausnahmslos keine Beschwerde gegen <strong>die</strong> Nichtzulassung<br />
einer Rechtsbeschwerde vor. Auch der Weg einer außerordentlichen<br />
Beschwerde ist weder eröffnet noch verfassungsrechtlich<br />
geboten. 238<br />
Beschlüsse, <strong>die</strong> der Rechtsbeschwerde unterliegen,<br />
müssen den maßgeblichen Sachverhalt, über den entschieden<br />
wird, wiedergeben und den Streitgegenstand und <strong>die</strong><br />
Anträge in beiden Instanzen erkennen lassen; andernfalls<br />
sind sie nicht mit den nach dem Gesetz erforderlichen<br />
Gründen versehen. Dies gilt auch für einen Beschluss,<br />
durch den <strong>die</strong> Berufung verworfen wird, weil <strong>die</strong> Berufungssumme<br />
(§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) nicht erreicht wird. 239 Gegen<br />
eine Kostenentscheidung gemäß § 91a ZPO darf <strong>die</strong><br />
Rechtsbeschwerde nicht aus materiell-rechtlichen Gründen<br />
zugelassen werden. 240<br />
Eine Zulassungsbeschränkung auf<br />
Teile des Streitstoffes durch das Beschwerdegericht ist<br />
möglich. 241<br />
Hat das Berufungsgericht zur Hauptforderung gewordene<br />
werterhöhende Nebenforderungen nicht berücksichtigt<br />
und deswegen <strong>die</strong> Berufung wegen Unterschreitung der<br />
Wertgrenze als unzulässig verworfen, so ist <strong>die</strong> Rechtsbeschwerde<br />
zulässig. 242<br />
3. Berufung<br />
a) Beschwer<br />
Wird das abgewiesene Klagebegehren mit der Berufung auf<br />
einen erstmals geltend gemachten veränderten Lebenssachverhalt<br />
gestützt, ist mangels Bekämpfung der erstinstanzlichen<br />
Beschwer eine Berufung unzulässig. 243 Bestehen Zweifel,<br />
ob der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro<br />
übersteigt, hat der Rechtsanwalt den für seinen Mandanten<br />
sichersten Weg zu beschreiten, selbst wenn <strong>die</strong>s zu der Notwendigkeit<br />
führt, zwei Rechtsbehelfe (Berufung und Anhörungsrüge)<br />
parallel anhängig zu machen. 244 Wurde im Urteil<br />
über einen erstinstanzlichen Antrag nicht ausdrücklich entschieden,<br />
hat das Berufungsgericht durch Auslegung festzustellen,<br />
ob von einer Entscheidung hierüber auszugehen<br />
ist. 245<br />
Soweit das Erstgericht <strong>die</strong> Klage wegen eines Anspruchs<br />
abgewiesen hat, bleibt der Wert <strong>die</strong>ser Forderung<br />
bei der Berechnung der Berufung des Beklagten unberücksichtigt.<br />
246<br />
Die Beschwer einer Zug-um-Zug-Verurteilung richtet sich<br />
nach dem Zeit- und Kostenaufwand, der bei der Erfüllung<br />
des Gegenanspruchs entsteht. <strong>Der</strong> Antrag auf Feststellung<br />
des Annahmeverzugs neben dem Antrag auf eine Zug-um-<br />
Zug-Verurteilung hat keine eigenständige wirtschaftliche<br />
Bedeutung. 247 Eine mit der Berufung weiterverfolgte Nebenforderung<br />
im Sinne des § 4 Abs. 1 ZPO ist bei der Rechtsmittelbeschwer<br />
zu berücksichtigen, soweit sie Hauptforderung<br />
geworden ist. 248 <strong>Der</strong> Wert einer Vollstreckungsabwehrklage für<br />
den erstinstanzlich unterlegenen Beklagten richtet sich danach,<br />
inwieweit <strong>die</strong> Zwangsvollstreckung für unzulässig erklärt<br />
worden ist. 249 Ist eine Partei zusammen mit einer anderen<br />
Partei als Gesamtschuldner verurteilt worden, entfällt<br />
ihre Beschwer nicht schon dadurch, dass <strong>die</strong> andere Partei<br />
den Urteilsbetrag zahlt. 250 Wurde eine Partei zur Erteilung einer<br />
Auskunft oder Rechnungslegung verurteilt, bemisst sich<br />
der Beschwerdewert für das Rechtsmittel nach dem Interesse,<br />
<strong>die</strong> Auskunft nicht erteilen zu müssen, wie Aufwand<br />
an Zeit und Kosten zur Erteilung der Auskunft 251<br />
oder ein<br />
schützenswertes Interesse des Beklagten daran, bestimmte<br />
Tatsachen vor dem Gegner geheim zu halten. 252 Anwaltskosten<br />
erhöhen den Wert nicht, 253 jedoch kann der eigene Zeitaufwand<br />
entsprechend § 22 JVEG mit maximal 17 Euro pro<br />
Stunde bewertet werden. 254<br />
232 BGH, Urteil vom 8.12.2011 – V ZR 110/11.<br />
233 BGH, Urteil vom 3.2.2011 – IX ZR 105/10.<br />
234 BGH, Beschluss vom 28.10.2010 – VII ZR 82/09.<br />
235 BGH, Urteil vom 6.10.2010 – VIII ZR 209/07.<br />
236 BGH, Beschluss vom 23.8.2010 – IX ZB 154/10.<br />
237 BGH, Beschluss vom 10.5.2012 – IX ZB 295/11.<br />
238 BGH, Beschluss vom 13.7.2011 – IX ZA 77/11.<br />
239 BGH, Beschluss vom 14.6.2010 – II ZB 20/09.<br />
240 BGH, Beschluss vom 8.3.2011 – VIII ZB 65/10.<br />
241 BGH, Beschluss vom 11.1.2011 – VIII ZB 92/09.<br />
242 BGH, Beschluss vom 11.1.2011 – VIII ZB 62/10.<br />
243 BGH, Beschluss vom 29.9.2011 – IX ZB 106/11.<br />
244 BGH, Beschluss vom 8.5.2012 – VI ZB 1/11, VI ZB 2/11.<br />
245 BGH, Beschluss vom 12.4.2011 – VI ZB 58/10.<br />
246 BGH, Beschluss vom 5.4.2011 – VI ZB 61/10.<br />
247 BGH, Beschluss vom 6.7.2010 – XI ZB 40/09.<br />
248 BGH, Beschluss vom 11.1.2011 – VIII ZB 62/10.<br />
249 BGH, Beschluss vom 27.1.2011 – VII ZB 21/09.<br />
250 BGH, Beschluss vom 7.12.2010 – VI ZB 87/09.<br />
251 BGH, Beschluss vom 9.2.2012 – III ZB 55/11.<br />
252 BGH, Beschluss vom 28.10.2010 – III ZB 28/10.<br />
253 BGH, Beschluss vom 29.9.2010 – XII ZB 49/09.<br />
254 BGH, Beschluss vom 28.9.2011 – IV ZR 250/10.<br />
<strong>Der</strong> <strong>Zivilprozess</strong> <strong>lebt</strong> – <strong>die</strong> <strong>neueste</strong> <strong>Rechtsprechung</strong> des BGH, Geisler AnwBl 11 / 2012 865
MN Prozessrecht 255 BGH, Beschlüsse vom 26.10.2010 – VI ZB 74/08 und vom 27.04.2010 – VIII ZB 91/09.<br />
Hat das Erstgericht keine Entscheidung über <strong>die</strong> Zulassung<br />
der Berufung getroffen, weil es den Streitwert auf über<br />
600 Euro festgesetzt hat, muss das Berufungsgericht, wenn<br />
es <strong>die</strong>sen Wert nicht für erreicht hält, <strong>die</strong> Entscheidung über<br />
<strong>die</strong> Zulassung der Berufung nachholen. 255<br />
Unterlässt <strong>die</strong>s<br />
das Berufungsgericht, kann der BGH im Rahmen der Erheblichkeit<br />
<strong>die</strong>ses Verfahrensfehlers prüfen, ob eine Zulassung<br />
geboten gewesen wäre 256 und eventuell <strong>die</strong> Zulassung nachholen.<br />
257 Eine inhaltliche Überprüfung der nachgeholten Zulassungsentscheidung<br />
durch den BGH ist ausgeschlossen. 258<br />
b) Frist<br />
<strong>Der</strong> Beginn der Fristen zur Einlegung (§ 517 ZPO) und Begründung<br />
(§ 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO) der Berufung setzt <strong>die</strong><br />
Zustellung einer Ausfertigung des in vollständiger Form abgefassten<br />
Urteils voraus, 259<br />
nicht nur einer beglaubigten Urteilsabschrift.<br />
260<br />
Fehlt es an einer wirksamen Urteilszustellung,<br />
beginnt auch für eine im Ausland wohnhafte, nicht<br />
anwaltlich vertretene Partei <strong>die</strong> Frist für <strong>die</strong> Einlegung der<br />
Berufung grundsätzlich fünf Monate nach Verkündung des<br />
Urteils. 261<br />
Das Protokoll (§ 160 Abs. 3 Nr. 6 ZPO) erbringt<br />
nur dann Beweis für eine ordnungsgemäße Verkündung,<br />
wenn das Protokoll innerhalb der Fünfmonatsfrist des § 517<br />
ZPO erstellt worden ist. 262 Bei einem ersten Antrag auf Verlängerung<br />
der Begründungsfrist sind keine hohen Anforderungen<br />
an <strong>die</strong> Darlegung der Gründe für <strong>die</strong> Notwendigkeit<br />
der Fristverlängerung zu stellen, 263 jedoch ist für <strong>die</strong> zweite<br />
Verlängerung <strong>die</strong> Einwilligung des Gegners erforderlich. 264<br />
c) Berufungsschrift (§ 519 ZPO)<br />
Trotz fehlender Bezeichnung der Parteirollen ist <strong>die</strong> Berufung<br />
zulässig, wenn sich durch einen Abgleich der Berufungsschrift<br />
mit der beigefügten Urteilsabschrift feststellen<br />
lässt, für wen <strong>die</strong> Berufung eingelegt worden ist. 265<br />
An <strong>die</strong><br />
Bezeichnung des Rechtsmittelgegners sind weniger strenge<br />
Anforderungen zu stellen als an <strong>die</strong> Bezeichnung des Rechtsmittelführers.<br />
Wenn der in der Vorinstanz obsiegende Gegner<br />
aus mehreren Streitgenossen besteht, richtet sich das<br />
Rechtsmittel im Zweifel gegen <strong>die</strong> gesamte angefochtene<br />
Entscheidung und somit gegen alle gegnerischen Streitgenossen,<br />
es sei denn, <strong>die</strong> Rechtsmittelschrift lässt eine Beschränkung<br />
der Anfechtung erkennen. 266 Berufungseinlegung<br />
unter der Bedingung gewährter Prozesskostenhilfe<br />
ist unzulässig. 267 Sind jedoch <strong>die</strong> formalen Anforderungen an<br />
eine Berufungsschrift erfüllt, kommt eine Deutung, dass der<br />
Schriftsatz nicht als unbedingte Berufung bestimmt war, nur<br />
dann in Betracht, wenn sich <strong>die</strong>s entweder aus dem Schriftsatz<br />
selbst oder aus den Begleitumständen deutlich ergibt. 268<br />
Spätere „klarstellende“ Parteierklärungen können dabei nicht<br />
berücksichtigt werden. 269<br />
d) Anschlussberufung (§ 524 ZPO)<br />
Wird „Anschlussberufung“ eingelegt, ist im Wege der Auslegung<br />
zu ermitteln, ob auch <strong>die</strong> Anforderungen an <strong>die</strong> Zulässigkeit<br />
einer eigenständigen Berufung erfüllt sind. 270<br />
Ebenso kann eine unzulässige Hauptberufung in eine zulässige<br />
Anschlussberufung umgedeutet werden. 271<br />
e) Berufungsbegründung (§ 520 ZPO)<br />
Die Berufungsbegründung muss eindeutig erkennen lassen,<br />
in welchem Umfang das erstinstanzliche Urteil angefochten<br />
werden soll. Ob <strong>die</strong> erhobenen Rügen schlüssig oder auch<br />
nur vertretbar sind, ist ohne Belang. 272 Das Rechtsmittel ist<br />
insgesamt unzulässig, wenn sich <strong>die</strong> angefochtene Entscheidung<br />
auf mehrere voneinander unabhängige Erwägungen<br />
stützt und <strong>die</strong> Begründung nicht für jede darlegt, warum sie<br />
keinen Bestand haben können. 273 Unzulässig ist <strong>die</strong> Bezugnahme<br />
auf den Inhalt einer beigefügten, weder beglaubigten<br />
noch unterzeichneten Abschrift der Berufungsbegründungsschrift<br />
aus einem Parallelverfahren. 274<br />
Dagegen erfüllt eine<br />
handschriftlich auf Kopfbogen verfasste, von dem Prozessbevollmächtigten<br />
unterschriebene und mit Telefaxsendung<br />
beim Berufungsgericht eingegangene Berufungsschrift <strong>die</strong><br />
Mindestanforderungen an eine Berufungsbegründung. 275<br />
Eine Erweiterung der Berufungsanträge ist bis zum Schluss<br />
der mündlichen Verhandlung zulässig, soweit <strong>die</strong> erweiterten<br />
Anträge durch <strong>die</strong> fristgerecht eingereichten Berufungsgründe<br />
gedeckt sind. 276<br />
f) Vollstreckungsschutzantrag gemäß § 712 ZPO<br />
Die vom Berufungsgericht getroffene vorläufige Einstellung<br />
„bis zum rechtskräftigen Abschluss des Berufungsverfahrens“<br />
wirkt trotz ihres Wortlauts nur für <strong>die</strong> Dauer des Berufungsverfahrens<br />
und nicht über den Erlass des Berufungsurteils<br />
hinaus. 277 Deshalb sollte im Berufungsrechtszug<br />
immer ein Vollstreckungsschutzantrag gemäß §§ 712, 714<br />
ZPO gestellt werden.<br />
g) Klageänderung, Aufrechnung und Widerklage<br />
(§ 533 ZPO)<br />
Nur auf <strong>die</strong> Klageänderung nach § 263 ZPO bezieht sich<br />
§ 533 ZPO, nicht auf Änderungen des Klageantrags nach<br />
§ 264 Nr. 2 und 3 ZPO, 278 wie der Übergang vom Vorschussanspruch<br />
auf den Anspruch auf Erstattung der tatsächlichen<br />
Kosten. 279 Klägerwechsel 280 oder das Abstehen vom Urkundenprozess<br />
281 werden in der Berufungsinstanz wie eine Klageänderung<br />
behandelt.<br />
Die Sach<strong>die</strong>nlichkeit ist nach objektiven Gesichtspunkten<br />
zu beurteilen. Es kommt entscheidend darauf an, ob und inwieweit<br />
der Streitstoff sachgemäß und endgültig erledigt<br />
wird. Dabei ist unerheblich, ob eine Tatsacheninstanz abge-<br />
256 BGH, Beschluss vom 23.3.2011 – XII ZB 436/10.<br />
257 BGH, Beschluss vom 12.4.2011 – VI ZB 31/2010.<br />
258 BGH, Beschluss vom 9.2.2012 – III ZB 55/11.<br />
259 BGH, Beschluss vom 9.6.2010 – XII ZB 132/09.<br />
260 BGH, Beschluss vom 28.10.2010 – VII ZB 40/10.<br />
261 BGH, Beschluss vom 20.1.2011 – IX ZB 214/09.<br />
262 BGH Urteil vom 13.4.2011 – XII ZR 131/09.<br />
263 BGH, Beschluss vom 10.6.2010 – V ZB 42/10.<br />
264 BGH, Beschluss vom 26.7.12 – III ZB 57/11.<br />
265 BGH, Beschluss vom 12.1.2010 – VIII ZB 64/09.<br />
266 BGH, Urteile vom 15.12.2010 – XII ZR 18/09 und 11.05.2010 – VIII ZB 93/09.<br />
267 BGH, Beschluss vom 30.11.2011 – III ZB 34/11.<br />
268 BGH, Beschluss vom 27.10.2010; vom 08.12.2010 – XII ZB 140/10.<br />
269 BGH, Beschluss vom 7.3.2012 – XII ZB 421/11.<br />
270 BGH, Beschluss vom 29.3.2011 – VIII ZB 25/10.<br />
271 BGH, Beschluss vom 13.10.2011 – VII ZB 27/11.<br />
272 BGH, Beschluss vom 31.8.2010 – VIII ZB 13/10.<br />
273 BGH, Urteil vom 20.5.2011 – V ZR 250/10.<br />
274 BGH, Urteil vom 20.7.2010 – KZR 9/09.<br />
275 BGH, Beschluss vom 21.9.2010 – VIII ZB 9/10.<br />
276 BGH, Beschluss vom 27.9.2010 – II ZR 185/09.<br />
277 BGH, Beschluss vom 24.11.2010 – XII ZR 31/10.<br />
278 BGH, Urteil vom 22.4.2010 – IX ZR 160/09.<br />
279 BGH, Beschluss vom 26.11.2009 – VII ZR 133/08.<br />
280 BGH, Urteil vom 23.2.2011 – XII ZR 59/09.<br />
281 BGH, Urteil vom 4.7.2012 – VIII ZR 109/11.<br />
866 AnwBl 11 / 2012 <strong>Der</strong> <strong>Zivilprozess</strong> <strong>lebt</strong> – <strong>die</strong> <strong>neueste</strong> <strong>Rechtsprechung</strong> des BGH, Geisler
MN Prozessrecht 282 BGH, Urteil vom 4.7.2012 – VIII ZR 109/11.<br />
schnitten wird oder der Beklagte sein Recht schon erstinstanzlich<br />
hätte geltend machen können oder neue Parteierklärungen<br />
und gegebenenfalls Beweiserhebungen notwendig<br />
werden und <strong>die</strong> Erledigung des Prozesses verzögert wird. 282<br />
So ist <strong>die</strong> Klageänderung von der Vollstreckungsabwehrklage<br />
in eine Klauselgegenklage sach<strong>die</strong>nlich, 283 aber nicht <strong>die</strong> Feststellungswiderklage<br />
auf Rückzahlung geleisteten Unterhalts.<br />
284<br />
Sach<strong>die</strong>nlichkeit liegt nicht vor, wenn ein völlig<br />
neuer Streitstoff in den Rechtsstreit eingeführt werden soll,<br />
bei dessen Beurteilung das Ergebnis der bisherigen Prozessführung<br />
nicht verwertet werden kann. 285<br />
Die Klageänderung kann nach § 533 Nr. 2 ZPO auf Tatsachen<br />
gestützt werden, <strong>die</strong> aufgrund der vom erstinstanzlichen<br />
Gericht vertretenen Rechtsansicht unerheblich waren 286<br />
oder in erster Instanz zwar vorgetragen wurden, für <strong>die</strong> Entscheidung<br />
über <strong>die</strong> Klage aber unerheblich waren. 287<br />
h) Entscheidung<br />
Eine Zurückverweisung an das Erstgericht wegen eines wesentlichen<br />
Verfahrensmangels gem. § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO<br />
kommt nur in Betracht, wenn das erstinstanzliche Verfahren<br />
an einem so wesentlichen Mangel leidet, dass es keine<br />
Grundlage für eine instanzbeendende Entscheidung sein<br />
kann. Das ist nicht der Fall, wenn das Berufungsgericht den<br />
materiell-rechtlichen Standpunkt des Erstgerichts für verfehlt<br />
erachtet 288 oder aufgrund einer anderen materiell-rechtlichen<br />
Würdigung des Parteivorbringens eine Beweisaufnahme für<br />
erforderlich hält. 289<br />
Nach § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO muss ein Berufungsurteil<br />
zwar keinen Tatbestand enthalten. Erforderlich ist aber<br />
eine Bezugnahme auf <strong>die</strong> tatsächlichen Feststellungen in<br />
dem erstinstanzlichen Urteil mit einer Darstellung etwaiger<br />
Änderungen oder Ergänzungen und <strong>die</strong> sinngemäße Wiedergabe<br />
der Berufungsanträge. 290 Lässt das Berufungsgericht<br />
<strong>die</strong> Revision zu, muss aus den Urteilsgründen zu ersehen<br />
sein, von welchem Sach- und Streitstand es ausgegangen ist,<br />
welches Rechtsmittelbegehren <strong>die</strong> Parteien verfolgt haben<br />
und welche tatsächlichen Feststellungen der Entscheidung<br />
zugrunde liegen. 291 Bei einem sog. Protokollurteil müssen alle<br />
mitwirkenden Richter entweder das Protokoll, das <strong>die</strong> Urteilsbestandteile<br />
des § 313 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 4 ZPO enthalten<br />
muss, oder das als Anlage mit dem Protokoll verbundene<br />
Urteil unterschreiben. 292<br />
4. Revision/Nichtzulassungsbeschwerde<br />
Das Berufungsgericht kann <strong>die</strong> Revision beschränken auf einen<br />
rechtlich selbstständigen und damit abtrennbaren Teil<br />
des Streitstoffs, wie Zulässigkeit der Klage 293 oder Höhe des<br />
Anspruchs. 294<br />
Lässt das Berufungsgericht auf eine Anhörungsrüge<br />
hin <strong>die</strong> Revision nachträglich zu, ohne einen darauf<br />
bezogenen Gehörsverstoß festzustellen, ist <strong>die</strong> Zulassungsentscheidung<br />
verfahrensfehlerhaft ergangen und<br />
bindet den BGH. 295<br />
Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist zurückzuweisen,<br />
wenn das Berufungsurteil trotz zulassungsrelevanter<br />
Rechtsfehler im Ergebnis aus Gründen richtig ist,<br />
<strong>die</strong> ihrerseits <strong>die</strong> Zulassung der Revision nicht erfordern. 296<br />
Von Amts wegen ist zu prüfen, ob <strong>die</strong> Beschwer von mehr als<br />
20.000 Euro (§ 26 Nr. 8 EGZPO, vorläufig bis 31.12.2014)<br />
übersteigt. Dabei ist der BGH weder an <strong>die</strong> Angaben der Parteien<br />
noch an <strong>die</strong> Streitwertfestsetzung des Berufungsgerichts<br />
gebunden. 297 Eine Einstellung der Zwangsvollstreckung<br />
durch den BGH kommt nicht in Betracht, wenn der Schuldner<br />
es versäumt hat, im Berufungsrechtszug einen Vollstreckungsschutzantrag<br />
gemäß § 712 ZPO zu stellen, obwohl<br />
ihm ein solcher Antrag möglich und zumutbar war, 298 außer<br />
es haben sich nachträglich neue Gründe ergeben. 299<br />
IX. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand<br />
(§ 234 ZPO)<br />
Fristversäumnisse gehören nach wie vor zu den häufigsten<br />
Pflichtverletzungen bei Anwälten. Mit der Wiedereinsetzung<br />
kann aber gerade im Berufungsverfahren vieles gerettet werden.<br />
Die <strong>Rechtsprechung</strong> des BGH zur Wiedereinsetzung ist<br />
daher sehr praxisrelevant. Grundtendenz des BGH ist es,<br />
den Parteien den Zugang zum Gericht durch eine Überspannung<br />
der Sorgfaltspflichten nicht in unzumutbarer, aus<br />
Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren.<br />
Es kommt immer wieder vor, dass der BGH sehr<br />
strenge Entscheidungen der Oberlandesgerichte kassiert.<br />
1. Verschulden des Rechtsanwalts<br />
Den Anwalt trifft ein eigenes Verschulden an der Fristversäumung,<br />
wenn er sich nicht rechtzeitig von der erforderlichen<br />
Bearbeitungszeit überzeugt. 300<br />
<strong>Der</strong> Anwalt darf das Empfangsbekenntnis<br />
nur unterzeichnen und zurückgeben, wenn<br />
sichergestellt ist, dass in den Handakten <strong>die</strong> Rechtsmittelfrist<br />
festgehalten und <strong>die</strong> Fristnotierung im Fristenkalender vermerkt<br />
ist. 301 Eine fristwahrende Maßnahme darf im Kalender<br />
als erledigt gekennzeichnet werden, wenn der fristwahrende<br />
Schriftsatz in ein Postausgangsfach des Anwalts als „letzte<br />
Station“ eingelegt wird, insbesondere nicht mehr in einen<br />
Umschlag einsortiert werden muss 302 . Die Übermittlung per<br />
Telefax ist durch Überprüfung des Sendeberichts anhand eines<br />
aktuellen Verzeichnisses oder einer anderen geeigneten<br />
Quelle sicherzustellen. 303 Besteht in einer Anwaltskanzlei <strong>die</strong><br />
Möglichkeit, dass ein Anwalt selbst Fristen streicht, dann<br />
muss der Anwalt ein eigenes Verschulden ausräumen und<br />
gegebenenfalls zu den organisatorischen Maßnahmen Stellung<br />
nehmen, <strong>die</strong> er zur Vermeidung von Fehlerquellen<br />
durch Kompetenzüberschneidung (auch Urlaub, Krankheit)<br />
getroffen hat. 304<br />
Fristversäumung wegen Verzögerung der<br />
Postlaufzeit ist dem Rechtsmittelführer nicht zuzurechnen. 305<br />
283 BGH, Urteil vom 27.1.2012 – V ZR 92/11.<br />
284 BGH, Urteil vom 11.8.2010 – XII ZR 102/09.<br />
285 BGH, Urteil vom 30.3.2011 – IV ZR 137/08.<br />
286 BGH, Urteil vom 27.1.2010 – XII ZR 148/07.<br />
287 BGH, Urteil vom 13.1.2012 – V ZR 183/10.<br />
288 BGH, Urteil vom 13.7.2010 – VI ZR 254/09.<br />
289 BGH, Urteil vom 14.6.2012 – IX ZR 150/11.<br />
290 BGH, Urteil vom 11.8.2010 – XII ZR 102/09.<br />
291 BGH, Urteil vom 24.2.2011 – VII ZR 169/10.<br />
292 BGH, Urteil vom 1.3.2010 – II ZR 213/08.<br />
293 BGH, Urteil vom 12.4.2011 – XI ZR 341/08.<br />
294 BGH, Urteil vom 27.9.2011 – II ZR 221/09.<br />
295 BGH, Urteil vom 1.12.2011 – IX ZR 70/10.<br />
296 BGH, Beschluss vom 10.6.2010 – Xa ZR 110/09.<br />
297 BGH, Beschluss vom 6.4.2011 – IX ZR 113/08.<br />
298 BGH, Beschluss vom 20.3.2012 – V ZR 275/11.<br />
299 BGH, Beschluss vom 27.10.2010 – VIII ZR 155/10.<br />
300 BGH, Beschluss vom 29.3.2011 – VI ZB 25/10.<br />
301 BGH, Beschluss vom 12.1.2010 – VI ZB 64/09.<br />
302 BGH, Beschluss vom 12.4.2011 – VI ZB 6/10.<br />
303 BGH, Beschluss vom 12.6.1212 – VI ZB 54/11.<br />
304 BGH, Beschluss vom 3.11.2010 – XII ZB 177/10.<br />
305 BGH, Beschluss vom 17.1.1212 – VIII ZB 42/11.<br />
<strong>Der</strong> <strong>Zivilprozess</strong> <strong>lebt</strong> – <strong>die</strong> <strong>neueste</strong> <strong>Rechtsprechung</strong> des BGH, Geisler AnwBl 11 / 2012 867
MN Prozessrecht 306 BGH, Beschluss vom 13.1.2011 – VII ZB 95/08.<br />
2. Delegieren von Pflichten<br />
Ein Anwalt darf einfache Tätigkeiten, wie Fristenkontrolle<br />
oder Botengang, einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten<br />
und sorgfältig überwachten Bürokraft nach Ablauf<br />
einer beanstandungsfreien sechsmonatigen Probezeit 306<br />
anvertrauen,<br />
sofern durch geeignete organisatorische Maßnahmen<br />
sichergestellt ist, dass <strong>die</strong> Fristen zuverlässig festgehalten<br />
und kontrolliert werden. 307<br />
Deshalb sind dem Anwalt<br />
Fehler einer zuverlässigen Büroangestellten nicht zuzurechnen,<br />
wie das versehentliche Einwerfen eines Schriftsatzes<br />
beim falschen Gericht 308 oder der Verwendung einer unrichtigen<br />
Telefaxnummer. 309<br />
Unverzichtbar sind eindeutige Anweisungen<br />
an das Büropersonal, <strong>die</strong> Festlegung klarer Zuständigkeiten<br />
und <strong>die</strong> zumindest stichprobenartige Kontrolle<br />
der Angestellten. 310 <strong>Der</strong> Anwalt kann sich nur von der routinemäßigen<br />
Fristenkontrolle entlasten, muss den Fristablauf<br />
aber eigenverantwortlich nachprüfen, wenn ihm <strong>die</strong> Sache<br />
zur Vorbereitung der fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt<br />
wird. 311<br />
a) Organisation<br />
Zu den Aufgaben des Anwalts gehört es, das Fristenwesens<br />
in seiner Kanzlei durch Vermeidung von Fehlerquellen so zu<br />
organisieren, dass ein Fristversäumnis ausgeschlossen ist. 312<br />
Da weder ein bestimmtes Verfahren vorgeschrieben noch allgemein<br />
üblich ist, 313 steht es dem Anwalt frei, wie er seine<br />
Fristenkontrolle gestaltet. Es muss nur gewährleistet sein,<br />
dass sämtliche organisatorischen Maßnahmen so beschaffen<br />
sind, dass auch bei unerwarteten Störungen des Geschäftsablaufs<br />
(z. B. Überlastung, Erkrankung etc.) <strong>die</strong> Einhaltung<br />
der Frist vom Eingang 314 bis zur Ausgangskontrolle gesichert<br />
ist. Nur ein plötzliches und unvorhersehbares Ereignis entlastet.<br />
315<br />
Beantragt der Prozessbevollmächtigte eine Fristverlängerung,<br />
so muss das beantragte Fristende bei oder alsbald nach<br />
Einreichung des Verlängerungsantrags in den Fristenkalender<br />
eingetragen werden, 316 als vorläufig gekennzeichnet und<br />
rechtzeitig, spätestens nach Eingang der gerichtlichen Mitteilung,<br />
überprüft werden, damit das wirkliche Ende der Frist<br />
festgestellt wird. 317 <strong>Der</strong> Anwalt ist nicht verpflichtet, sich innerhalb<br />
des Laufs der Frist bei Gericht zu erkundigen, ob<br />
sein Verlängerungsantrag rechtzeitig eingegangen ist und<br />
ihm stattgegeben wurde. 318<br />
Wenn in mehreren Verfahren gleicher Parteien mehrere<br />
Fristen zu notieren sind, muss verhindert werden, dass eine<br />
Verwechslung in der Behandlung der verschiedenen Verfahren<br />
entstehen kann durch getrennte Notierung jeder Frist<br />
mit zusätzlichem eindeutigen Erkennungszeichen für jede<br />
Frist. 319 Werden zwei Fristenkalender geführt, darf ein Erledigungsvermerk<br />
in <strong>die</strong> Handakte erst dann aufgenommen werden,<br />
wenn <strong>die</strong> Fristen in beiden Kalendern eingetragen<br />
sind. 320<br />
b) Einzelanweisung<br />
Auf allgemeine organisatorische Vorkehrungen bzw. Anweisungen<br />
kommt es nicht mehr an, wenn der Anwalt einer zuverlässigen<br />
Kanzleikraft eine konkrete Einzelanweisung erteilt,<br />
welche für sich selbst bei Befolgung <strong>die</strong> Fristwahrung<br />
gewährleistet hätte. 321<br />
Ein Anwalt darf grundsätzlich darauf<br />
vertrauen, dass seine bisher zuverlässige Büroangestellte<br />
eine Einzelanweisung befolgt. 322<br />
Deshalb ist er nicht verpflichtet,<br />
sich anschließend über <strong>die</strong> Ausführung seiner Weisung<br />
zu vergewissern. 323<br />
Eine konkrete Einzelanweisung<br />
kann den Anwalt dann nicht von einer unzureichenden<br />
Büroorganisation entlasten, wenn sie vorhandene Organisationsmängel<br />
nicht beseitigt 324 oder unvollständig ist und deshalb<br />
der Fristversäumung nicht wirksam entgegenwirken<br />
kann. 325<br />
3. Kausalität<br />
Bei der Beurteilung, ob ein Fehler für <strong>die</strong> Versäumung einer<br />
Frist ursächlich geworden ist, darf kein weiteres, nicht aufgetretenes<br />
Fehlverhalten hinzu gedacht werden, sondern es<br />
ist von einem ansonsten pflichtgemäßen Verhalten auszugehen,<br />
326<br />
zum Beispiel das unzuständige Gericht leitet das<br />
Rechtsmittel nicht an das zuständige Gericht im ordentlichen<br />
Geschäftsgang weiter. 327<br />
a) <strong>Der</strong> durch eine unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung<br />
hervorgerufene Rechtsirrtum ist verschuldet, wenn <strong>die</strong><br />
Rechtsmittelbelehrung so falsch ist, dass sie nicht einmal<br />
den Anschein der Richtigkeit zu erwecken vermag, 328<br />
aber<br />
nicht, wenn sie nicht offenkundig fehlerhaft und der durch<br />
sie verursachte Irrtum nachvollziehbar ist. 329 Erkennt das zunächst<br />
angerufene Berufungsgericht frühzeitig, dass Bedenken<br />
gegen seine örtliche 330 oder funktionelle 331 Zuständigkeit<br />
bestehen und teilt es <strong>die</strong>se Bedenken dem Rechtsmittelführer<br />
nicht mit, wirkt sich ein Verschulden an der Fristversäumung<br />
dann nicht mehr aus. Die Rechtzeitigkeit des Eingangs<br />
eines per Telefax übersandten Schriftsatzes beurteilt<br />
sich ausschließlich danach, ob <strong>die</strong> gesendeten Signale noch<br />
vor Ablauf des letzten Tages der Frist vom Telefaxgerät des<br />
Gerichts vollständig empfangen (gespeichert) worden sind<br />
und dass sich <strong>die</strong>ser Zeitpunkt mit der Einzelverbindungsübersicht<br />
des Telefaxgerätes zuverlässig bestimmen lässt. 332<br />
Bei Störungen des gerichtlichen Empfangsgeräts liegt <strong>die</strong> Ursache<br />
für <strong>die</strong> Fristversäumung in der dem Anwalt nicht zuzurechnenden<br />
Sphäre des Gerichts. 333 Ist das Empfangsgerät<br />
mit anderen Telefaxsendungen belegt, muss der Betreffende<br />
307 BGH, Beschluss vom 8.2.2010 – II ZB 10/09.<br />
308 BGH, Beschluss vom 21.9.2010 – VIII ZB 14/09.<br />
309 BGH, Beschluss vom 14.10.2010 – IX ZB 34/10.<br />
310 BGH, Beschluss vom 28.9.2010 – X ZR 57/10.<br />
311 BGH, Beschluss vom 5.6.1212 – VI ZB 76/11.<br />
312 BGH, Beschluss vom 13.7.2010 – VI ZB 1/10.<br />
313 BGH, Beschluss vom 9.12.2009 – XII ZB 154/09.<br />
314 BGH, Beschluss vom 13.7.2010 – VI ZB 1/10.<br />
315 BGH, Beschluss vom 1.2.2012 – XII ZB 298/11.<br />
316 BGH, Beschluss vom 22.3.2011 – II ZB 19/09.<br />
317 BGH, Beschluss vom 13.7.2010 – VI ZB 1/10.<br />
318 BGH, Beschluss vom 5.6.2012 – VI ZB 16/12.<br />
319 BGH, Beschluss vom 6.10.2010 – XII ZB 66/10, XII ZB 67/10.<br />
320 BGH, Beschluss vom 10.3.2011- VII ZB 37/10.<br />
321 BGH, Beschluss vom 20.9.2011 – VI ZB 23/11.<br />
322 BGH, Beschluss vom 20.3.2012 – VIII ZB 41/11.<br />
323 BGH, Beschluss vom 8.2.2012 – XII ZB 165/11.<br />
324 BGH, Beschluss vom 25.6.2009 – V ZB 191/08.<br />
325 BGH, Beschluss vom 26.6.1212 – VI ZB 12/12.<br />
326 BGH, Beschluss vom 24.1.2012 – II ZB 3/11.<br />
327 BGH, Beschluss vom 21.6.2012 – IX ZB 265/11.<br />
328 BGH, Beschluss vom 13.6.2012 – XII ZB 592/11.<br />
329 BGH, Beschluss vom 12.1.2012 – V ZB 198/11, V ZB 199/11.<br />
330 BGH, Beschluss vom 20.4.2011 – VII ZB 78/09.<br />
331 BGH, Beschluss vom 14.12.2010 – VIII ZB 20/09.<br />
332 BGH, Beschluss vom 18.11.2010 – I ZB 62/10.<br />
333 BGH, Beschluss vom 11.1.2011 – VIII ZB 44/10.<br />
868 AnwBl 11 / 2012 <strong>Der</strong> <strong>Zivilprozess</strong> <strong>lebt</strong> – <strong>die</strong> <strong>neueste</strong> <strong>Rechtsprechung</strong> des BGH, Geisler
MN Prozessrecht<br />
bis zum Fristablauf um 24:00 Uhr seine Übermittlungsversuche<br />
fortsetzen 334 und alle noch möglichen und zumutbaren<br />
Maßnahmen ergreifen. 335<br />
Steht fest, dass <strong>die</strong> Übermittlung<br />
per Telefax nicht mehr rechtzeitig erfolgen kann, muss der<br />
Anwalt den Versuch unternehmen, den Schriftsatz unmittelbar<br />
zum Nachtbriefkasten des Gerichts zu bringen, auch<br />
wenn <strong>die</strong> Gefahr besteht, dass <strong>die</strong> Zeit hierfür nicht mehr ausreicht.<br />
336<br />
b) Die Mittellosigkeit einer Partei ist kausal für <strong>die</strong> unverschuldete<br />
Fristversäumung, wenn eine Partei wegen ihrer<br />
Mittellosigkeit keinen Anwalt mit der Einlegung und Begründung<br />
eines Rechtsmittels beauftragen kann. 337 Dies gilt<br />
auch, wenn der Anwalt ein Prozesskostenhilfegesuch für<br />
eine beabsichtigte Berufung einreicht und <strong>die</strong>ses vor Ablauf<br />
der Begründungsfrist mit einem „Entwurf“ begründet. Dies<br />
gilt nicht, wenn ein Anwalt bereit war, <strong>die</strong> Berufung auch<br />
ohne Bewilligung von Prozesskostenhilfe einzulegen oder zu<br />
begründen. 338<br />
4. Antragsfrist (§ 234 Abs. 1 ZPO)<br />
Grundsätzlich müssen nach §§ 234 Abs. 1, 236 Abs. 2 ZPO<br />
alle Tatsachen, <strong>die</strong> für <strong>die</strong> Gewährung der Wiedereinsetzung<br />
in den vorigen Stand von Bedeutung sein können, innerhalb<br />
der zweiwöchigen Antragsfrist vorgetragen werden, 339<br />
zum<br />
Beispiel welche Sicherungen es in der Kanzlei gegen ein unbeabsichtigtes<br />
Löschen von Fristen gab. 340 Einer bedürftigen<br />
Partei ist Wiedereinsetzung in <strong>die</strong> versäumte Frist zu versagen,<br />
wenn sie den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe<br />
erst nach Fristablauf gestellt hat. 341 Lediglich erkennbar<br />
unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren<br />
Aufklärung nach § 139 ZPO geboten gewesen wäre, dürfen<br />
noch nach Fristablauf vervollständigt werden. 342 Ist der Prozessbevollmächtigte<br />
einer Partei erkrankungsbedingt an der<br />
Einhaltung der Frist gehindert, ist für den Beginn der Frist<br />
der Wegfall der Erkrankung und nicht der Zeitpunkt maßgebend,<br />
an dem <strong>die</strong> Gegenseite ihre Zustimmung zu einer<br />
erneuten Fristverlängerung verweigert. 343 Ist ein für <strong>die</strong> Berufungsinstanz<br />
nach Klageabweisung gestellter Prozesskostenhilfeantrag<br />
des Klägers abgewiesen worden und wurde hiergegen<br />
<strong>die</strong> Anhörungsrüge erhoben, läuft <strong>die</strong> Frist für einen<br />
Wiedereinsetzungsantrag in <strong>die</strong> versäumte Berufungsfrist<br />
ungeachtet der Anhörungsrüge, so dass ein nach deren<br />
Zurückweisung zugleich mit der Berufungseinlegung gestellter<br />
Wiedereinsetzungsantrag unzulässig ist. 344 Bei offenkundig<br />
unverschuldeter Fristversäumung kann Wiedereinsetzung<br />
auch ohne Antrag gewährt werden, 345<br />
wenn <strong>die</strong><br />
versäumte Prozesshandlung fristgerecht nachgeholt wurde<br />
und <strong>die</strong> unverschuldete Fristversäumung offensichtlich ist 346<br />
oder plausibel 347 glaubhaft gemacht wurde. 348<br />
X. Fazit<br />
Mediation und außergerichtliche Konfliktbeilegung sind<br />
„in“. Das hat das im Juli 2012 in Kraft getretene Mediationsgesetz<br />
gezeigt. Unabhängig davon ist der <strong>Zivilprozess</strong> aber<br />
ein zwingender Bestandteil des Rechtsstaats. Erst <strong>die</strong>ser<br />
ermöglicht es wirklich jedem, seine zivilrechtlichen Ansprüche<br />
in einem geordneten und verlässlichen, bewährten<br />
und finanzierbaren Verfahren zu sichern. Das ist nicht nur<br />
für den Bürger, sondern auch für Unternehmen jeder<br />
Größenordnung wichtig. Die vielfältige <strong>Rechtsprechung</strong> des<br />
BGH zum <strong>Zivilprozess</strong>recht belegt auch: <strong>Der</strong> <strong>Zivilprozess</strong><br />
<strong>lebt</strong>. Erfreulich ist dabei, dass der BGH den Zugang zum<br />
Recht und einen wirkungsvollen Rechtsschutz betont. Das<br />
ist ein Fingerzeig an Amtsgerichte, Landgerichte und Oberlandesgerichte,<br />
mit Augenmaß und nicht formalistisch zu judizieren.<br />
Die Anwältin oder der Anwalt sollte <strong>die</strong> Chancen des <strong>Zivilprozess</strong>es<br />
kunstvoll nutzen. Dabei gilt: Die Anwaltschaft<br />
sollte nicht blind den Instanzgerichten trauen, auch <strong>die</strong>se<br />
können Fehler machen. Umso wichtiger ist es, <strong>die</strong> aktuelle<br />
<strong>Rechtsprechung</strong> des BGH zu kennen.<br />
334 BGH, Beschluss vom 6.4.2011 – XII ZB 701/10.<br />
335 BGH, Beschluss vom 21.7.2011 – IX ZB 218/10.<br />
336 BGH, Beschluss vom 3.5.2011 – XI ZB 24/10.<br />
337 BGH, Beschluss vom 8.2.2012 – XII ZB 462/11.<br />
338 BGH, Beschluss vom 29.3.2012 – IV ZB 16/11.<br />
339 BGH, Beschluss vom 19.4.2011 – XI ZB 4/10.<br />
340 BGH, Beschluss vom 21.12.2010 – IX ZB 115/10.<br />
341 BGH, Beschluss vom 6.4.2011 – IX ZB 92/11.<br />
342 BGH, Beschluss vom 31.3.2010 – XII ZB 166/09.<br />
343 BGH, Beschluss vom 5.4.2011 – VIII ZB 81/10.<br />
344 BGH, Beschluss vom 24.6.2009 – IV ZB 2/09.<br />
345 BGH, Beschluss vom 23.5.2012 – XII ZB 375/11.<br />
346 BGH, Beschluss vom 8.12.2010 – XII ZB 334/10.<br />
347 BGH, Beschluss vom 14.1.2010 – I ZB 97/08.<br />
348 BGH, Beschluss vom 6.10.2010 – XII ZB 22/10.<br />
Dr. Herbert Geisler, Karlsruhe<br />
<strong>Der</strong> Autor ist Rechtsanwalt beim BGH.<br />
Er ist Herausgeber des Juris Praxisreport BGH-Zivilrecht.<br />
Sie erreichen den Autor unter der E-Mail-Adresse<br />
autor@anwaltsblatt.de.<br />
<strong>Der</strong> <strong>Zivilprozess</strong> <strong>lebt</strong> – <strong>die</strong> <strong>neueste</strong> <strong>Rechtsprechung</strong> des BGH, Geisler AnwBl 11 / 2012 869