Der Zivilprozess lebt - die neueste Rechtsprechung ... - Anwaltsblatt
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MN Prozessrecht 61 BGH, Beschlüsse vom 7.7.2010 – XII ZB 149/10 und XII ZB 150/10.<br />
BGH muss der Behördenvertreter <strong>die</strong> Befähigung zum Richteramt<br />
haben. 61<br />
Die Beiordnung eines Notanwalts nach § 78 b ZPO setzt<br />
voraus, dass <strong>die</strong> beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht mutwillig<br />
oder aussichtslos erscheint und <strong>die</strong> Partei darlegt, trotz<br />
zumutbarer Anstrengungen einen zu ihrer Vertretung bereiten<br />
Anwalt nicht zu finden, obwohl <strong>die</strong> Partei den geschuldeten<br />
Vorschuss zahlt, 62<br />
sie sich erfolglos mit der Bitte um<br />
Mandatsübernahme an mindestens fünf beim BGH zugelassene<br />
Rechtsanwälte gewandt 63<br />
und der bisherige Anwalt<br />
nicht grundlos sein Mandat niedergelegt hat. 64 Ist der Antrag<br />
einer Partei auf Beiordnung eines Notanwalts abgelehnt worden,<br />
besteht auch für <strong>die</strong> gegen <strong>die</strong>se Entscheidung gerichtete<br />
sofortige Beschwerde bzw. – falls kein Rechtsmittel gegeben<br />
ist – für <strong>die</strong> Anhörungsrüge kein Anwaltszwang. 65<br />
III. Sachvortrag<br />
Mit zahlreichen prozessrechtlichen Entscheidungen macht<br />
der BGH immer wieder deutlich, dass der wirkungsvolle<br />
Rechtsschutz des Einzelnen nicht an einer zu strengen Anwendung<br />
von Formvorschriften scheitern soll. Es ist ein<br />
deutliches Signal an solche Zivilsenate in den Oberlandesgerichten,<br />
<strong>die</strong> zu einer besonders detailverliebten, geradezu<br />
anwaltsfeindlichen Auslegung von Formvorschriften neigen.<br />
Für das Wettbewerbs- und Markenrecht gibt es eine grundlegende<br />
Neuerung: Wie im normalen <strong>Zivilprozess</strong> gibt es<br />
keine alternative Klagehäufung mehr.<br />
1. Unterschrift (§ 130 Nr. 6 ZPO)<br />
Die eigenhändige Unterschrift soll den Aussteller identifizieren<br />
und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck bringen,<br />
den Schriftsatz zu verantworten und bei Gericht einzureichen.<br />
66 Was unter einer Unterschrift zu verstehen ist, ergibt<br />
sich aus dem Sprachgebrauch und dem Zweck der Formvorschrift,<br />
67<br />
so dass auch unleserliche Zeichen ausreichen<br />
können. 68<br />
Das Fehlen einer Unterschrift ist sogar unschädlich,<br />
wenn auch ohne <strong>die</strong> Unterschrift des Anwalts aus anderen,<br />
eine Beweisaufnahme nicht erfordernden Umständen<br />
zweifelsfrei feststeht, dass der Prozessbevollmächtigte <strong>die</strong><br />
Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes übernommen<br />
hat. 69 Unterzeichnet ein Rechtsanwalt für den bezeichneten<br />
Prozessbevollmächtigten der Partei mit dem Zusatz<br />
„i. V.“, handelt er erkennbar als Unterbevollmächtigter (nicht<br />
bei Zusatz „i. A.“!) und übernimmt <strong>die</strong> Verantwortung für<br />
den Inhalt der Berufungsbegründungsschrift. 70<br />
Bei einer elektronisch übermittelten Berufungsbegründung<br />
muss <strong>die</strong> qualifizierte elektronische Signatur grundsätzlich<br />
durch einen postulationsfähigen Anwalt erfolgen. 71<br />
2. Inhalt<br />
a) Bestimmtheitsgebot (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO)<br />
aa) Ein Unterlassungsantrag darf nicht derart undeutlich gefasst<br />
sein, dass Gegenstand und Umfang der Entscheidungsbefugnis<br />
des Gerichts (§ 308 Abs. 1 ZPO) nicht erkennbar abgegrenzt<br />
sind, sich der Beklagte deshalb nicht erschöpfend<br />
verteidigen kann und letztlich <strong>die</strong> Entscheidung darüber,<br />
was dem Beklagten verboten ist, dem Vollstreckungsgericht<br />
überlassen bliebe, 72<br />
zum Beispiel bei bloßer Wiederholung<br />
des Gesetzeswortlauts. 73<br />
bb) Die alternative Klagehäufung verletzt das Bestimmtheitsgebot,<br />
wenn der Kläger ein einheitliches Klagebegehren aus<br />
mehreren prozessualen Ansprüchen (Streitgegenständen)<br />
herleitet und dem Gericht ohne Bestimmung der Reihenfolge<br />
<strong>die</strong> Auswahl überlässt, auf welchen Klagegrund es <strong>die</strong><br />
Verurteilung stützt. 74<br />
b) Substanziierung<br />
Grundsätzlich genügt eine Partei ihrer Darlegungslast, wenn<br />
sie Tatsachen vorträgt, <strong>die</strong> in Verbindung mit einem Rechtssatz<br />
geeignet und erforderlich sind, <strong>die</strong> daraus abgeleitete<br />
Rechtsfolge zu tragen. 75<br />
Nähere Angaben sind nur dann<br />
nötig, wenn <strong>die</strong>se für <strong>die</strong> Rechtsfolgen von Bedeutung sind,<br />
wenn der Vortrag infolge der Einlassung des Gegners unklar<br />
wird oder wenn <strong>die</strong> Angabe weiterer Umstände erforderlich<br />
ist, um dem Gegner <strong>die</strong> Nachprüfung der behaupteten Tatsachen<br />
und den Antritt von Gegenbeweisen zu ermöglichen. 76<br />
Substanziiert ist der Vortrag, wenn der Mieter nur den<br />
Sachmangel vorträgt, aber nicht das Maß der Beeinträchtigung<br />
77<br />
oder der Geschädigte nur <strong>die</strong> geschätzten Kosten<br />
(zum Beispiel Kostenvoranschlag) darlegt und Sachverständigenbeweis<br />
anbietet. 78<br />
Es besteht keine Pflicht, erforderliche<br />
Kosten vorprozessual durch ein Privatgutachten zu ermitteln.<br />
79<br />
<strong>Der</strong> Beweisführer braucht sich nicht darüber zu äußern,<br />
welche Anhaltspunkte er für <strong>die</strong> Richtigkeit der in das<br />
Wissen eines Zeugen gestellten Behauptungen hat. 80 Unsubstanziiert<br />
ist der Vortrag, wenn <strong>die</strong> unter Beweis gestellten<br />
Tatsachen so ungenau bezeichnet sind, dass das Gericht aufgrund<br />
der Darstellung nicht beurteilen kann, ob <strong>die</strong> Behauptung<br />
überhaupt erheblich ist 81 oder <strong>die</strong> beweisbelastete Partei<br />
ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten<br />
Sachverhalts willkürlich Behauptungen „aufs Geratewohl“<br />
oder „ins Blaue hinein“ aufstellt. 82<br />
<strong>Der</strong> Umfang der sekundären Darlegungslast richtet sich<br />
einerseits nach der Intensität des Sachvortrags der beweisbelasteten<br />
Partei und findet andererseits seine Grenze in der<br />
Zumutbarkeit der den Prozessgegner treffenden Offenbarungspflicht.<br />
83<br />
c) Geständnis<br />
Durch <strong>die</strong> in der Antragstellung liegende stillschweigende<br />
Bezugnahme auf bisherigen Vortrag wird <strong>die</strong> Geständniswirkung<br />
des § 288 ZPO auch auf vorinstanzliches Vorbringen<br />
erstreckt. 84 Gegenstand eines Geständnisses können auch ju-<br />
62 BGH, Beschluss vom 8.9.2011 – III ZR 89/11.<br />
63 BGH, Beschluss vom 28.6.2010 – IX ZA 26/10.<br />
64 BGH, Beschluss vom 19.10.2011 – I ZR 98/11.<br />
65 BGH, Beschluss vom 24.3.2011 – I ZA 1/11.<br />
66 BGH, Beschluss vom 26.7.2012 – III ZB 70/11.<br />
67 BGH, Beschluss vom 9.2.2010 – VIII ZB 67/09.<br />
68 BGH, Beschluss vom 26.4.2012 – VII ZB 36/10.<br />
69 BGH, Beschluss vom 9.12.2010 – IX ZB 60/10.<br />
70 BGH, Beschluss vom 26.4.2012 – VII ZB 83/10.<br />
71 BGH, Beschluss vom 1.12.2010 – VI ZB 28/10.<br />
72 BGH, Urteil vom 4.11.2010 – I ZR 118/09.<br />
73 BGH, Urteil vom 5.10.2010 – I ZR 46/09.<br />
74 BGH, Beschluss vom 24.3.2011 – I ZR 108/09.<br />
75 BGH, Urteil vom 29.2.2012 – VIII ZR 155/11.<br />
76 BGH, Beschluss vom 14.9.2010 – VIII ZR 219/07.<br />
77 BGH, Urteil vom 29.2.2012 – VIII ZR 155/11.<br />
78 BGH, Beschluss vom 2.4.2009 – V ZR 177/08.<br />
79 BGH, Beschluss vom 20.5.2010 – V ZR 201/09.<br />
80 BGH, Urteil vom 8.5.2012 – XI ZR 262/10.<br />
81 BGH, Beschluss vom 11.5.2010 – VIII ZR 212/07.<br />
82 BGH, Urteil vom 15.9.2010 – XII ZR 188/08.<br />
83 BGH, Beschluss vom 17.1.2012 – XI ZR 254/10.<br />
84 BGH, Beschluss vom 13.4.2011 – IX ZR 129/10.<br />
<strong>Der</strong> <strong>Zivilprozess</strong> <strong>lebt</strong> – <strong>die</strong> <strong>neueste</strong> <strong>Rechtsprechung</strong> des BGH, Geisler AnwBl 11 / 2012 857