Der Zivilprozess lebt - die neueste Rechtsprechung ... - Anwaltsblatt
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MN Prozessrecht 85 BGH, Urteil vom 16.9.2010 – IX ZR 203/08.<br />
ristisch eingekleidete Tatsachen oder einfache Rechtsbegriffe<br />
sein. 85 Trotz der Geständnisfiktion des § 331 Abs. 1 Satz 1<br />
ZPO ist für <strong>die</strong> Abänderung eines Versäumnisurteils nicht<br />
auf <strong>die</strong> Änderung der fingierten, sondern allein der tatsächlichen<br />
Verhältnisse abzustellen. 86<br />
d) Rechtsausführungen<br />
Da <strong>die</strong> Rechtsanwendung Aufgabe des Gerichts ist, brauchen<br />
<strong>die</strong> Parteien dem Gericht nur Tatsachen vorzutragen. Rechtsausführungen<br />
sind nicht erforderlich. Dennoch soll der Anwalt<br />
haften, wenn das Gericht eine Entscheidung des BGH<br />
übersehen und er das Gericht nicht auf <strong>die</strong> für seine Partei<br />
günstige <strong>Rechtsprechung</strong> des BGH hingewiesen hat. 87<br />
3. Zustellung<br />
a) § 167 ZPO: „demnächst“<br />
Die in § 167 ZPO („demnächst“) angeordnete Rückwirkung<br />
auf den Eingang des Antrags beschränkt sich auf Fälle, in denen<br />
durch <strong>die</strong> Zustellung eine Frist gewahrt oder <strong>die</strong> Verjährung<br />
neu beginnen oder nach § 204 BGB gehemmt werden<br />
soll. Für sonstige Wirkungen der Zustellung gilt sie nicht, 88<br />
zum Beispiel rechtsbegründende oder rechtsverstärkende<br />
Folgen, <strong>die</strong> Vorschriften des materiellen Rechts (z. B. § 286<br />
Abs. 1 Satz 2, § 291 Satz 1, § 407 Abs. 2, § 818 Abs. 4, § 1002<br />
Abs. 1 BGB) oder des Verfahrensrechts (z. B. § 323 Abs. 3<br />
ZPO), <strong>die</strong> an <strong>die</strong> Rechtshängigkeit bzw. an <strong>die</strong> gerichtliche<br />
Geltendmachung und damit an <strong>die</strong> Zustellung einer Antrags-<br />
oder Klageschrift knüpfen. Bei der Berechnung der<br />
Zeitdauer der Verzögerung ist auf <strong>die</strong> Zeitspanne abzustellen,<br />
um <strong>die</strong> sich der ohnehin erforderliche Zeitraum für <strong>die</strong><br />
Zustellung der Klage als Folge der Nachlässigkeit des Klägers<br />
verzögert, 89<br />
wobei eine nur geringfügig über zwei Wochen<br />
liegende Verzögerung (16 Tage) der Einzahlung der Gerichtskosten<br />
noch hinzunehmen ist. 90 Verzögerungen im gerichtlichen<br />
Geschäftsbetrieb gehen nicht zu Lasten des Zustellungsbetreibers.<br />
91<br />
b) Zustellung an Rechtsanwalt<br />
Gibt der Kläger in der Klageschrift einen Prozessbevollmächtigten<br />
des Beklagten an, so hat <strong>die</strong> Zustellung an den Rechtsanwalt<br />
(§ 172 Abs. 1 ZPO) zu erfolgen. Das Risiko, dass <strong>die</strong>ser<br />
keine Prozessvollmacht besitzt und <strong>die</strong> Zustellung<br />
deshalb unwirksam ist, trägt der Kläger. 92<br />
c) Zustellung im Ausland<br />
Die in § 184 ZPO geregelte Befugnis des Gerichts, bei einer<br />
Zustellung im Ausland nach § 183 ZPO anzuordnen, dass bei<br />
fehlender Bestellung eines Prozessbevollmächtigten ein inländischer<br />
Zustellungsbevollmächtigter zu benennen ist und andernfalls<br />
spätere Zustellungen durch Aufgabe zur Post bewirkt<br />
werden können, erstreckt sich nur auf <strong>die</strong>jenigen<br />
Zustellungen im Ausland, <strong>die</strong> gemäß § 183 Abs. 1 bis Abs. 4<br />
ZPO nach den bestehenden völkerrechtlichen Vereinbarungen<br />
vorzunehmen sind. Dagegen gilt <strong>die</strong>se Anordnungsbefugnis<br />
nicht für Auslandszustellungen, <strong>die</strong> nach den gemäß § 183<br />
Abs. 5 ZPO unberührt bleibenden Bestimmungen der EuZVO<br />
(Einschreiben mit Rückschein) vorgenommen werden. 93<br />
d) Öffentliche Zustellung<br />
Im Erkenntnisverfahren darf eine öffentliche Zustellung nur<br />
angeordnet werden, wenn <strong>die</strong> begünstigte Partei alle der Sache<br />
nach geeigneten und ihr zumutbaren Nachforschungen<br />
angestellt hat, um den Aufenthalt des Zustellungsadressaten<br />
zu ermitteln und ihre ergebnislosen Bemühungen gegenüber<br />
dem Gericht dargelegt hat. Hierfür genügt nicht allein<br />
<strong>die</strong> ergebnislose Anfrage beim Einwohnermeldeamt und<br />
dem Zustellungspostamt des letzten Wohnsitzes des Zustellungsadressaten.<br />
94<br />
e) Fehlerhafte Zustellung<br />
Eine fehlerhafte Zustellung der Klage rechtfertigt nicht <strong>die</strong><br />
Klageabweisung wegen fehlender Rechtshängigkeit, falls <strong>die</strong><br />
Heilung des etwaigen Zustellungsmangels noch möglich<br />
ist. 95 Die Heilung eines Zustellungsmangels nach § 189 ZPO<br />
kommt nicht in Betracht, wenn ein von Amts wegen<br />
förmlich zuzustellendes Dokument im Parteibetrieb zugestellt<br />
wird. 96 Ist eine Wohnanschrift des Zustellungsempfängers<br />
unbekannt oder nicht vorhanden, dann ist ein Postfach<br />
eine ähnliche Vorrichtung im Sinne von § 180 Satz 1 ZPO. 97<br />
IV. Verfahrensgrundrechte<br />
Bei den Verfahrensgrundrechten ist <strong>die</strong> aktuelle <strong>Rechtsprechung</strong><br />
des BGH zweigeteilt. Im Rahmen einer Instanz ist<br />
der BGH großzügig, wenn es um den Anspruch auf rechtliches<br />
Gehör geht. Er nimmt <strong>die</strong> Instanzgerichte in <strong>die</strong><br />
Pflicht. Bei der Frage, ob ein Rechtsbehelf eröffnet ist, dominiert<br />
dagegen vorsichtige Zurückhaltung. <strong>Der</strong> Eindruck<br />
drängt sich auf, dass nur bei eindeutigen Fehlleistungen der<br />
Instanzgerichte der Weg in Rechtsbehelfe eröffnet werden<br />
soll.<br />
1. Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG)<br />
Das Gericht ist verpflichtet, <strong>die</strong> Ausführungen der Parteien<br />
zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, sofern<br />
sie nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts nicht unerheblich<br />
oder aber offensichtlich unsubstanziiert sind. 98 Die unterbliebene<br />
Zulassung der Revision als solche kann den Anspruch<br />
auf rechtliches Gehör nicht verletzen, 99 ebenso wenig<br />
<strong>die</strong> Nichtberücksichtigung eines von der Partei angesprochenen<br />
rechtlichen Gesichtspunktes. 100 Es ist nicht erforderlich,<br />
alle Einzelpunkte des Parteivorbringens in den Gründen der<br />
Entscheidung auch ausdrücklich zu bescheiden 101 , jedoch<br />
muss das Gericht zu einer Frage, <strong>die</strong> für das Verfahren von<br />
zentraler Bedeutung ist, bei entsprechendem Parteivortrag<br />
Stellung nehmen. 102<br />
86 BGH, Urteil vom 2.6.2010 – XII ZR 160/08.<br />
87 BGH, Urteil vom 18.12.2008 – IX ZR 179/07; bestätigt BVerfG,<br />
Beschluss vom 22.4.2009 – 1 BvR 386/09.<br />
88 BGH, Beschluss vom 22.7.2010 – V ZB 178/09.<br />
89 BGH, Urteil vom 10.2.2011 – VII ZR 185/07.<br />
90 BGH, Urteil vom 3.2.2012 – V ZR 44/11.<br />
91 BGH, Urteil vom 11.2.2011 – V ZR 136/10.<br />
92 BGH, Urteil vom 6.4.2011 – VIII ZR 22/10.<br />
93 BGH, Urteil vom 2.2.2011 – VIII ZR 190/10.<br />
94 BGH, Urteil vom 4.7.2012 – XII ZR 94/10.<br />
95 BGH, Beschluss vom 7.12.2010 – VI ZR 48/10.<br />
96 BGH, Urteil vom 19.5.2010 – IV ZR 14/08.<br />
97 BGH, Beschluss vom 14.6.2012 – V ZB 182/11.<br />
98 BGH, Beschluss vom 9.11.2011 – IV ZR 239/09.<br />
99 BGH, Urteil vom 4.3.2011 – V ZR 123/10.<br />
100 BGH, Beschluss vom 14.10.2010 – IX ZR 224/08.<br />
101 BGH, Beschluss vom 1.7.2010 – IX ZR 165/09.<br />
102 BGH, Beschluss vom 28.10.2010 – VII ZR 82/09.<br />
858 AnwBl 11 / 2012 <strong>Der</strong> <strong>Zivilprozess</strong> <strong>lebt</strong> – <strong>die</strong> <strong>neueste</strong> <strong>Rechtsprechung</strong> des BGH, Geisler