Der Zivilprozess lebt - die neueste Rechtsprechung ... - Anwaltsblatt
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MN Prozessrecht 255 BGH, Beschlüsse vom 26.10.2010 – VI ZB 74/08 und vom 27.04.2010 – VIII ZB 91/09.<br />
Hat das Erstgericht keine Entscheidung über <strong>die</strong> Zulassung<br />
der Berufung getroffen, weil es den Streitwert auf über<br />
600 Euro festgesetzt hat, muss das Berufungsgericht, wenn<br />
es <strong>die</strong>sen Wert nicht für erreicht hält, <strong>die</strong> Entscheidung über<br />
<strong>die</strong> Zulassung der Berufung nachholen. 255<br />
Unterlässt <strong>die</strong>s<br />
das Berufungsgericht, kann der BGH im Rahmen der Erheblichkeit<br />
<strong>die</strong>ses Verfahrensfehlers prüfen, ob eine Zulassung<br />
geboten gewesen wäre 256 und eventuell <strong>die</strong> Zulassung nachholen.<br />
257 Eine inhaltliche Überprüfung der nachgeholten Zulassungsentscheidung<br />
durch den BGH ist ausgeschlossen. 258<br />
b) Frist<br />
<strong>Der</strong> Beginn der Fristen zur Einlegung (§ 517 ZPO) und Begründung<br />
(§ 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO) der Berufung setzt <strong>die</strong><br />
Zustellung einer Ausfertigung des in vollständiger Form abgefassten<br />
Urteils voraus, 259<br />
nicht nur einer beglaubigten Urteilsabschrift.<br />
260<br />
Fehlt es an einer wirksamen Urteilszustellung,<br />
beginnt auch für eine im Ausland wohnhafte, nicht<br />
anwaltlich vertretene Partei <strong>die</strong> Frist für <strong>die</strong> Einlegung der<br />
Berufung grundsätzlich fünf Monate nach Verkündung des<br />
Urteils. 261<br />
Das Protokoll (§ 160 Abs. 3 Nr. 6 ZPO) erbringt<br />
nur dann Beweis für eine ordnungsgemäße Verkündung,<br />
wenn das Protokoll innerhalb der Fünfmonatsfrist des § 517<br />
ZPO erstellt worden ist. 262 Bei einem ersten Antrag auf Verlängerung<br />
der Begründungsfrist sind keine hohen Anforderungen<br />
an <strong>die</strong> Darlegung der Gründe für <strong>die</strong> Notwendigkeit<br />
der Fristverlängerung zu stellen, 263 jedoch ist für <strong>die</strong> zweite<br />
Verlängerung <strong>die</strong> Einwilligung des Gegners erforderlich. 264<br />
c) Berufungsschrift (§ 519 ZPO)<br />
Trotz fehlender Bezeichnung der Parteirollen ist <strong>die</strong> Berufung<br />
zulässig, wenn sich durch einen Abgleich der Berufungsschrift<br />
mit der beigefügten Urteilsabschrift feststellen<br />
lässt, für wen <strong>die</strong> Berufung eingelegt worden ist. 265<br />
An <strong>die</strong><br />
Bezeichnung des Rechtsmittelgegners sind weniger strenge<br />
Anforderungen zu stellen als an <strong>die</strong> Bezeichnung des Rechtsmittelführers.<br />
Wenn der in der Vorinstanz obsiegende Gegner<br />
aus mehreren Streitgenossen besteht, richtet sich das<br />
Rechtsmittel im Zweifel gegen <strong>die</strong> gesamte angefochtene<br />
Entscheidung und somit gegen alle gegnerischen Streitgenossen,<br />
es sei denn, <strong>die</strong> Rechtsmittelschrift lässt eine Beschränkung<br />
der Anfechtung erkennen. 266 Berufungseinlegung<br />
unter der Bedingung gewährter Prozesskostenhilfe<br />
ist unzulässig. 267 Sind jedoch <strong>die</strong> formalen Anforderungen an<br />
eine Berufungsschrift erfüllt, kommt eine Deutung, dass der<br />
Schriftsatz nicht als unbedingte Berufung bestimmt war, nur<br />
dann in Betracht, wenn sich <strong>die</strong>s entweder aus dem Schriftsatz<br />
selbst oder aus den Begleitumständen deutlich ergibt. 268<br />
Spätere „klarstellende“ Parteierklärungen können dabei nicht<br />
berücksichtigt werden. 269<br />
d) Anschlussberufung (§ 524 ZPO)<br />
Wird „Anschlussberufung“ eingelegt, ist im Wege der Auslegung<br />
zu ermitteln, ob auch <strong>die</strong> Anforderungen an <strong>die</strong> Zulässigkeit<br />
einer eigenständigen Berufung erfüllt sind. 270<br />
Ebenso kann eine unzulässige Hauptberufung in eine zulässige<br />
Anschlussberufung umgedeutet werden. 271<br />
e) Berufungsbegründung (§ 520 ZPO)<br />
Die Berufungsbegründung muss eindeutig erkennen lassen,<br />
in welchem Umfang das erstinstanzliche Urteil angefochten<br />
werden soll. Ob <strong>die</strong> erhobenen Rügen schlüssig oder auch<br />
nur vertretbar sind, ist ohne Belang. 272 Das Rechtsmittel ist<br />
insgesamt unzulässig, wenn sich <strong>die</strong> angefochtene Entscheidung<br />
auf mehrere voneinander unabhängige Erwägungen<br />
stützt und <strong>die</strong> Begründung nicht für jede darlegt, warum sie<br />
keinen Bestand haben können. 273 Unzulässig ist <strong>die</strong> Bezugnahme<br />
auf den Inhalt einer beigefügten, weder beglaubigten<br />
noch unterzeichneten Abschrift der Berufungsbegründungsschrift<br />
aus einem Parallelverfahren. 274<br />
Dagegen erfüllt eine<br />
handschriftlich auf Kopfbogen verfasste, von dem Prozessbevollmächtigten<br />
unterschriebene und mit Telefaxsendung<br />
beim Berufungsgericht eingegangene Berufungsschrift <strong>die</strong><br />
Mindestanforderungen an eine Berufungsbegründung. 275<br />
Eine Erweiterung der Berufungsanträge ist bis zum Schluss<br />
der mündlichen Verhandlung zulässig, soweit <strong>die</strong> erweiterten<br />
Anträge durch <strong>die</strong> fristgerecht eingereichten Berufungsgründe<br />
gedeckt sind. 276<br />
f) Vollstreckungsschutzantrag gemäß § 712 ZPO<br />
Die vom Berufungsgericht getroffene vorläufige Einstellung<br />
„bis zum rechtskräftigen Abschluss des Berufungsverfahrens“<br />
wirkt trotz ihres Wortlauts nur für <strong>die</strong> Dauer des Berufungsverfahrens<br />
und nicht über den Erlass des Berufungsurteils<br />
hinaus. 277 Deshalb sollte im Berufungsrechtszug<br />
immer ein Vollstreckungsschutzantrag gemäß §§ 712, 714<br />
ZPO gestellt werden.<br />
g) Klageänderung, Aufrechnung und Widerklage<br />
(§ 533 ZPO)<br />
Nur auf <strong>die</strong> Klageänderung nach § 263 ZPO bezieht sich<br />
§ 533 ZPO, nicht auf Änderungen des Klageantrags nach<br />
§ 264 Nr. 2 und 3 ZPO, 278 wie der Übergang vom Vorschussanspruch<br />
auf den Anspruch auf Erstattung der tatsächlichen<br />
Kosten. 279 Klägerwechsel 280 oder das Abstehen vom Urkundenprozess<br />
281 werden in der Berufungsinstanz wie eine Klageänderung<br />
behandelt.<br />
Die Sach<strong>die</strong>nlichkeit ist nach objektiven Gesichtspunkten<br />
zu beurteilen. Es kommt entscheidend darauf an, ob und inwieweit<br />
der Streitstoff sachgemäß und endgültig erledigt<br />
wird. Dabei ist unerheblich, ob eine Tatsacheninstanz abge-<br />
256 BGH, Beschluss vom 23.3.2011 – XII ZB 436/10.<br />
257 BGH, Beschluss vom 12.4.2011 – VI ZB 31/2010.<br />
258 BGH, Beschluss vom 9.2.2012 – III ZB 55/11.<br />
259 BGH, Beschluss vom 9.6.2010 – XII ZB 132/09.<br />
260 BGH, Beschluss vom 28.10.2010 – VII ZB 40/10.<br />
261 BGH, Beschluss vom 20.1.2011 – IX ZB 214/09.<br />
262 BGH Urteil vom 13.4.2011 – XII ZR 131/09.<br />
263 BGH, Beschluss vom 10.6.2010 – V ZB 42/10.<br />
264 BGH, Beschluss vom 26.7.12 – III ZB 57/11.<br />
265 BGH, Beschluss vom 12.1.2010 – VIII ZB 64/09.<br />
266 BGH, Urteile vom 15.12.2010 – XII ZR 18/09 und 11.05.2010 – VIII ZB 93/09.<br />
267 BGH, Beschluss vom 30.11.2011 – III ZB 34/11.<br />
268 BGH, Beschluss vom 27.10.2010; vom 08.12.2010 – XII ZB 140/10.<br />
269 BGH, Beschluss vom 7.3.2012 – XII ZB 421/11.<br />
270 BGH, Beschluss vom 29.3.2011 – VIII ZB 25/10.<br />
271 BGH, Beschluss vom 13.10.2011 – VII ZB 27/11.<br />
272 BGH, Beschluss vom 31.8.2010 – VIII ZB 13/10.<br />
273 BGH, Urteil vom 20.5.2011 – V ZR 250/10.<br />
274 BGH, Urteil vom 20.7.2010 – KZR 9/09.<br />
275 BGH, Beschluss vom 21.9.2010 – VIII ZB 9/10.<br />
276 BGH, Beschluss vom 27.9.2010 – II ZR 185/09.<br />
277 BGH, Beschluss vom 24.11.2010 – XII ZR 31/10.<br />
278 BGH, Urteil vom 22.4.2010 – IX ZR 160/09.<br />
279 BGH, Beschluss vom 26.11.2009 – VII ZR 133/08.<br />
280 BGH, Urteil vom 23.2.2011 – XII ZR 59/09.<br />
281 BGH, Urteil vom 4.7.2012 – VIII ZR 109/11.<br />
866 AnwBl 11 / 2012 <strong>Der</strong> <strong>Zivilprozess</strong> <strong>lebt</strong> – <strong>die</strong> <strong>neueste</strong> <strong>Rechtsprechung</strong> des BGH, Geisler