jung & liberal 3|06 - Junge Liberale
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Thema Blindtext<br />
Thema<br />
Neosozial – Schlagwort oder<br />
programmatischer Impuls ?<br />
> von Sven Görgens<br />
Guido Westerwelle hat eine neue<br />
Wortkreation geschaffen. Das<br />
ist an sich nichts Neues und für einen<br />
Mann in seiner Position auch<br />
nichts Ungewöhnliches. Doch mit der<br />
bloßen Kreation von Worten und Begriffen<br />
sollte er sich nicht begnügen<br />
und deswegen hat er zudem eine Erklärung<br />
geliefert, was denn neosozial<br />
heißt und wie er letztlich damit auch<br />
die <strong>Liberale</strong>n um- und beschreibt.<br />
Seine Definition wirft jedoch Fragen<br />
auf. Steht für ihn das Schaffen<br />
von Wohlstand und Arbeitsplätzen<br />
tatsächlich vor der Frage nach einer<br />
gerechten Unterstützung bzw.<br />
Verteilung? Ist das nicht eine merkwürdige<br />
Herangehensweise an ein<br />
von Finanzmitteln von finanzkräftigen<br />
Bürgern zu denen, die z.B. aus gesundheitlichen<br />
Gründen nicht in der Lage<br />
sind sich selbst zu versorgen, kann<br />
durchaus als gerecht bezeichnet werden,<br />
solange man von einem universellen<br />
Solidaritätsgedanken ausgeht.<br />
Ist sich jeder selbst aber der nächste,<br />
dann ist diese Umverteilung für eben<br />
diese Personen wohl kaum als gerecht<br />
zu bezeichnen. Es wird daher deutlich,<br />
dass sozial gerecht auch immer<br />
das wäre, was die Bevölkerung bereit<br />
wäre abzugeben bzw. zu verteilen um<br />
die Unterschiede in der Gesellschaft<br />
zu einem kleinen Teil auszugleichen.<br />
Selbstverständlich ist auch, dass der<br />
Staat Geld, welches er nicht besitzt<br />
gumentationskonstrukte wie „Liberal<br />
ist sozial“ und „Sozial ist was Arbeit<br />
schafft!“. Dass er mit den dahinter<br />
stehenden Konzepten als Neo<strong>liberal</strong>er<br />
angegangen wurde, war ihm zumeist<br />
egal, auch wenn es manchmal nicht<br />
zu unrecht geschah. Doch jetzt ist das<br />
Schaffen von Wohlstand und Arbeitsplätzen<br />
plötzlich neosozial. Eine wirkliche<br />
programmatische Kehrtwende<br />
oder Innovation lässt sich jedoch als<br />
Grundlage für die neue Wortschöpfung<br />
nicht erkennen, es sei denn, die<br />
Programmatik der FDP ließ sich früher<br />
dahingehend verstehen, dass die<br />
Unterstützung von Bedürftigen nicht<br />
vorgesehen war. Da dies jedoch kaum<br />
anzunehmen ist, muss man letztlich<br />
„Neosozial heißt: Das Erwirtschaften, also das Schaffen von Wohlstand und Arbeitsplätzen,<br />
ist die Voraussetzung für jede sozial gerechte Unterstützung der wirklich Bedürftigen.“<br />
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Prinzip (soziale Gerechtigkeit), das im<br />
Grundgesetz verankert ist und welches<br />
letztlich doch ein Grundgedanke<br />
menschlichen Handels sein sollte?<br />
Man kann davon ausgehen, dass G.W.<br />
mit dem Schaffen von Wohlstand und<br />
Arbeitsplätzen die Erwirtschaftung<br />
von Geld meint. Geld, dass wiederum<br />
anderweitig für eine Vielzahl von<br />
Zwecken verwendet werden kann,<br />
unter anderem auch der sozialen Verteilung<br />
und der damit gewünschten<br />
einhergehenden Gerechtigkeit. Oder<br />
vielleicht auch nicht? Ist die staatliche<br />
verordnete Umverteilung von Finanzmitteln<br />
zwangsläufig gleichzusetzen<br />
mit Gerechtigkeit? Partiell, muss die<br />
Antwort hier lauten. Die Umverteilung<br />
und nicht akquirieren kann natürlich<br />
auch nicht an Bedürftige weitergeben<br />
kann. Gesamtgesellschaftlich kann es<br />
aber daraus resultierend nicht heißen,<br />
dass sozial gerecht das ist, was sich<br />
der Staat und die Gesellschaft im weiteren<br />
Sinne leisten können. Soziale<br />
Gerechtigkeit ist doch keine Frage von<br />
vollen oder leeren Kassen, sondern immer<br />
zwingend eine Frage von grundsätzlichen<br />
Anforderungen und Erfordernissen<br />
im Leben der Menschen.<br />
Selbst wenn wir aber die moralischprogrammatische<br />
Dimension des<br />
Begriffs Neosozial nicht näher betrachten,<br />
so stellt sich zumindest eine<br />
andere Frage. Seit einigen Jahren verwendete<br />
Westerwelle konsequent Ar-<br />
zu der Erkenntnis gelangen, dass hier<br />
wohl alter Wein in neuen Schläuchen<br />
an den Bürger gebracht werden soll –<br />
mehr nicht.<br />
Und genau damit hat Westerwelle<br />
eine Chance vertan. In den Zeiten der<br />
fortschreitenden Globalisierung und<br />
den damit verbundenen Folgen wollen<br />
die Leute nicht hören, dass es sozial<br />
ist Arbeitsplätze zu schaffen, sondern<br />
sie wollen stichhaltige Argumente<br />
wie sie ihren Job behalten können<br />
oder auch, wie sie persönlich endlich<br />
wieder einen finden können. Wenn<br />
das rasante Tempo der weltweiten<br />
Wirtschaftsentwicklung dazu führt,<br />
dass auch Milliardengewinne kein Argument<br />
mehr sind um Mitarbeiter zu<br />
halten anstatt sie auf die Strasse zu<br />
setzen, dann bringt die Programmatik<br />
der FDP kaum Sicherheit. Das darf nun<br />
nicht als Kritik am Liberalismus als solches<br />
verstanden werden, aber es ist<br />
doch nur zu gut nachvollziehbar, dass<br />
es für den Bürger schwer zu begreifen<br />
ist, wieso ein Unternehmen, dem es<br />
finanziell gut geht und welches sich<br />
dank der eingebrachten Arbeitskraft<br />
auch dementsprechend entwickelt,<br />
plötzlich beschließt sich von einem<br />
oftmals nicht unerheblichen Teil der<br />
Mitarbeiter zu trennen – mit der Begründung<br />
man müsse auf dem Weltmarkt<br />
wettbewerbsfähig bleiben.<br />
Hier klafft eine Lücke zwischen der<br />
politischen Theorie und der tatsächlichen<br />
Wahrnehmung für den Bürger.<br />
Ist die Wirtschaft nicht dazu da, den<br />
Menschen ein System zu geben in<br />
dem sie agieren können, welches sie<br />
aber auch kontrollieren können und<br />
müssen? Es entsteht vielmehr der<br />
Eindruck, dass wir die Götter, die wir<br />
riefen nun nicht mehr loswerden, und<br />
dass wir alle mehr oder minder unsere<br />
eigene Sklaverei begründet haben,<br />
und daran auch noch voller Wonne<br />
teilnehmen.<br />
Und für diese Fragen hat Westerwelle<br />
leider keine Antwort parat. Seine<br />
neueste Wortschöpfung ist weder eine<br />
Antwort für die FDP, noch kann sie<br />
die Fragen der Bürger beantworten<br />
oder ihren Ängsten entgegenkommen.<br />
Der Bürger will wissen, warum weitergehende<br />
Marktfreiheit für Unternehmen<br />
nicht dazu führt, dass noch<br />
mehr Menschen trotz hoher Gewinne<br />
entlassen werden – und diese Antwort<br />
bleibt Westerwelle schuldig – leider.<br />
Sven Görgens (26) ist j&l Redakteur.<br />
Ihr erreicht ihn unter<br />
sven.goergens@gmx.de<br />
<strong>jung</strong> & <strong>liberal</strong> Ausgabe 3|2006