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jung & liberal 3|06 - Junge Liberale

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Liberal<br />

Liberal<br />

>Fortsetzung von Seite 15<br />

16<br />

17<br />

für eine Herabsetzung des Scoring-<br />

Wertes sorgen. Merkmale wie Alter,<br />

Familienstand oder Wohnanschrift<br />

mögen aus statistischer Sicht einen<br />

Einfluss auf das Zahlungsverhalten<br />

haben. Für eine Kollektivhaftung für<br />

die Verfehlungen gleichaltriger Singles<br />

aus der gleichen Straße muss allerdings<br />

niemand Verständnis haben.<br />

Die bestehenden Datenschutzgesetze<br />

bieten dem Verbraucher bereits die<br />

Möglichkeit, bei den Betreibern einer<br />

Scoring-Datenbank eine Auskunftsanfrage<br />

zu stellen. Grundsätzlich<br />

müssten in diesem Rahmen auch Fragen<br />

nach dem Berechnungsverfahren<br />

beantwortet werden. Jedoch dürfen<br />

die Datenbankbetreiber mit Verweis<br />

auf ihre Geschäftsgeheimnisse diese<br />

Auskünfte verweigern. So bleibt das<br />

Scoring-Verfahren für den Betroffenen<br />

eine Blackbox. Verweigert man<br />

bei einer Vertragsanbahnung die<br />

Zustimmung zur Weitergabe der eigenen<br />

Daten, muss man mit erheblichen<br />

Nachteilen rechnen. In der Regel<br />

bedeutet dies die Ablehnung der Geschäftsbeziehung.<br />

Stellungnahme<br />

Die Schwarz-Rote Regierung zeigt bislang<br />

wenig bis gar kein Problembewusstsein.<br />

Auf eine kleine Anfrage an<br />

die Bundesregierung gestellt u.a. durch<br />

die FDP-Fraktion zum Thema Scoring,<br />

offenbarte die Bundesregierung Unkenntnis<br />

und verwies lediglich auf die<br />

laufende Prüfung eines Forschungsberichtes<br />

zum Thema. Der zuständige Minister<br />

Horst Seehofer appelliert in nahezu<br />

naiver Weise an die Verantwortung<br />

der Wirtschaft gegenüber den Verbrauchern.<br />

Solange ein Verzicht auf<br />

Scoring-Verfahren oder deren Offenlegung<br />

der Wirtschaft keine Wettbewerbsvorteile<br />

bringen, wird freiwillige<br />

Transparenz Wunschdenken bleiben.<br />

Das unabhängige Landeszentrum<br />

für Datenschutz Schleswig-Holstein<br />

empfiehlt den politisch Verantwortlichen<br />

einige wenige, aber ausreichend<br />

effektive Maßnahmen: Verstärkte<br />

Durchsetzung und Konkretisierung<br />

der bestehenden Datenschutzgesetze,<br />

Sanktionen für Auskunftsverweigerungen<br />

gegenüber Verbrauchern,<br />

bessere technische und personelle<br />

Ausstattung der Aufsichtsbehörden,<br />

verbindliche Verhaltensrichtlinien<br />

und verstärkte Öffentlichkeitsarbeit.<br />

Es bleibt zu hoffen, dass die Verantwortlichen<br />

sich diese Ratschläge zu<br />

Herzen nehmen. Schon in eigenem<br />

Interesse, fließt doch ihr Verhalten in<br />

dieser Frage in ihren durch die Wähler<br />

ermittelten Scoring-Wert ein.<br />

Sven Janka (28) ist J&L Redakteur.<br />

Ihr erreicht ihn unter<br />

sven.janka@berlin.de<br />

Die Wachsflügel der Moral<br />

Günther Grass hat mit seiner Offenbarung die Republik kräftig durchgeschüttelt<br />

> von Sven Görgens<br />

Wer hoch fliegt, der muss auch tief<br />

fallen, sagt eine alte Weisheit und<br />

beruft sich damit nicht ganz zu<br />

unrecht auf den griechischen Mythos<br />

des Ikarus. In diesem Herbst hat die<br />

deutsche Medienlandschaft ihren<br />

ganz eigenen Ikarus gefunden, bzw.<br />

hat ihn geliefert bekommen. Günter<br />

Grass, linksideologischer Wahlkämpfer<br />

der SPD und seit dem Ende des<br />

zweiten Weltkrieges eine moralische<br />

Instanz, schockte die Republik im<br />

Vorfeld der Veröffentlichung seines<br />

neuen Buches.<br />

Die Gründe für die plötzliche Offenbarung,<br />

dass der Literaturnobelpreisträger<br />

gegen Ende des Zweiten<br />

Weltkriegs in der Waffen-SS gedient<br />

hat, sind zumindest den Spekulationen<br />

nach so vielfältig wie auch die<br />

Reaktionen. Und auch wenn viele<br />

Medien nach einem Sommer des neu<br />

erblühten positiven Nationalstolzes<br />

durch die WM diese Entwicklung nun<br />

als braunen Herbst der Vergangenheit<br />

titulieren, so hat Grass Offenbarung<br />

auch etwas Positives. Sie regt<br />

zu offenen Diskussionen an und<br />

bringt somit eine lange verdrängte<br />

Debatte um die Vergangenheit vieler<br />

Deutschen wieder auf das Tableau.<br />

Es ist gut, sich mit der Vergangenheit<br />

auseinanderzusetzen und solche<br />

Ereignisse machen die Menschen<br />

darauf aufmerksam, dass bei der<br />

deutschen Vergangenheitsbewältigung<br />

längst nicht alles Gold ist was<br />

glänzt. Für die jüngere Generation<br />

ist diese Debatte vor allem eine<br />

Möglichkeit die Frage nach Schuld und<br />

Moral nicht nur passiv mitzuerleben,<br />

sondern auch aktiv mitzudebattieren.<br />

Wenn sich abermals moralische<br />

Institutionen und Instanzen in einem<br />

Feuerwerk der Anschuldigungen<br />

und Verteidigungen ergehen, dann<br />

können sich nun auch jene eine<br />

Meinung bilden, die in bisherigen<br />

Diskussionen aufgrund des Alters<br />

und aufgrund mangelnder Erfahrung<br />

stumm bleiben mussten.<br />

Auf Kosten seiner Integrität<br />

Martin Walser merkte an, dass Grass<br />

nur deswegen nicht früher damit an<br />

die Öffentlichkeit gegangen sei, weil<br />

das Klima der Vergangenheitsbewältigung<br />

es nicht zugelassen hätte.<br />

Fraglich ist jedoch, ob nicht eine<br />

frühere Offenbarung nicht auch viel<br />

früher zu einer Debatte und damit<br />

einen Austausch darüber geführt<br />

hätte. Grass Geständnis fügt ihm<br />

unweigerlich Schaden zu, denn wer<br />

eine solch hohe Moral predigt, wie<br />

er es immer getan hat, der unterliegt<br />

dann selbstverständlich den gleichen<br />

oder sogar höheren Maßstäben, wenn<br />

es um die Bewertung seiner eigenen<br />

Person geht. Seine Äußerung, man<br />

würde versuchen ihn zur „Unperson“<br />

zu machen, ist daher nur mit einem<br />

Kopfschütteln zu versehen. Konnte<br />

er denn wirklich annehmen, dass<br />

nach seinen Aussagen zwar alle<br />

den Buchhandel konsultieren und<br />

sein neues Werk kaufen würden, es<br />

ansonsten aber keine Reaktion gäbe?<br />

Und vielleicht war es aber doch nicht<br />

die Ankurbelung des Buchverkaufes,<br />

die ihn zu dieser späten Offenbarung<br />

getrieben hat. Vielleicht hatte der alte<br />

Mann beschlossen in seinen späten<br />

Lebensstunden die Republik noch<br />

einmal kräftig durchzuschütteln, auch<br />

wenn es auf Kosten seiner Integrität<br />

geht. Man weiß es nicht.<br />

Grass hat sich seiner Aussage nach<br />

nie an einem Verbrechen beteiligt<br />

und dies ist aus vielerlei Hinsicht ein<br />

glücklicher Faktor. Nicht nur, dass<br />

durch seine Hand keine Menschen<br />

sterben mussten, sondern auch,<br />

dass er mit dieser „Ich war dabei,<br />

ich war überzeugt und habe aber<br />

nichts gemacht!“-Mentalität eine<br />

Symbolfigur für viel mehr Menschen<br />

sein kann, als wenn er tatsächlich aktiv<br />

den Tod von Menschen herbeigeführt<br />

hätte. Selbstverständlich ist er mit<br />

dieser Vergangenheit keine positive<br />

Symbolfigur, aber auch das ist eine<br />

Eigenschaft eben solcher Symbole<br />

und Symbolfiguren; sie können auch<br />

für das Schlechte stehen. Grass hat<br />

in seinem Leben und in seinen Werken<br />

viele gute Ideen und moralische<br />

Vorstellungen an die Menschen<br />

gebracht, seine Vergangenheit macht<br />

diese Aussagen nicht weniger richtig.<br />

Vielleicht erreicht diese Entwicklung<br />

eines, dass Moral auch ein Stück weit<br />

menschlicher wird. Oder aber, dass<br />

die <strong>jung</strong>e Generation aufhorcht und<br />

feststellt, dass die Vergangenheit und<br />

deren Bewältigung längst noch nicht<br />

Vergangenheit sind, wie sich das<br />

manch einer wünscht.<br />

Sven Görgens ist j&l Redakteur.<br />

Ihr erreicht ihn unter<br />

sven.goergens@gmx.de<br />

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<strong>jung</strong> & <strong>liberal</strong> Ausgabe 3|2006

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