jung & liberal 3|06 - Junge Liberale
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Liberal<br />
Liberal<br />
>Fortsetzung von Seite 15<br />
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für eine Herabsetzung des Scoring-<br />
Wertes sorgen. Merkmale wie Alter,<br />
Familienstand oder Wohnanschrift<br />
mögen aus statistischer Sicht einen<br />
Einfluss auf das Zahlungsverhalten<br />
haben. Für eine Kollektivhaftung für<br />
die Verfehlungen gleichaltriger Singles<br />
aus der gleichen Straße muss allerdings<br />
niemand Verständnis haben.<br />
Die bestehenden Datenschutzgesetze<br />
bieten dem Verbraucher bereits die<br />
Möglichkeit, bei den Betreibern einer<br />
Scoring-Datenbank eine Auskunftsanfrage<br />
zu stellen. Grundsätzlich<br />
müssten in diesem Rahmen auch Fragen<br />
nach dem Berechnungsverfahren<br />
beantwortet werden. Jedoch dürfen<br />
die Datenbankbetreiber mit Verweis<br />
auf ihre Geschäftsgeheimnisse diese<br />
Auskünfte verweigern. So bleibt das<br />
Scoring-Verfahren für den Betroffenen<br />
eine Blackbox. Verweigert man<br />
bei einer Vertragsanbahnung die<br />
Zustimmung zur Weitergabe der eigenen<br />
Daten, muss man mit erheblichen<br />
Nachteilen rechnen. In der Regel<br />
bedeutet dies die Ablehnung der Geschäftsbeziehung.<br />
Stellungnahme<br />
Die Schwarz-Rote Regierung zeigt bislang<br />
wenig bis gar kein Problembewusstsein.<br />
Auf eine kleine Anfrage an<br />
die Bundesregierung gestellt u.a. durch<br />
die FDP-Fraktion zum Thema Scoring,<br />
offenbarte die Bundesregierung Unkenntnis<br />
und verwies lediglich auf die<br />
laufende Prüfung eines Forschungsberichtes<br />
zum Thema. Der zuständige Minister<br />
Horst Seehofer appelliert in nahezu<br />
naiver Weise an die Verantwortung<br />
der Wirtschaft gegenüber den Verbrauchern.<br />
Solange ein Verzicht auf<br />
Scoring-Verfahren oder deren Offenlegung<br />
der Wirtschaft keine Wettbewerbsvorteile<br />
bringen, wird freiwillige<br />
Transparenz Wunschdenken bleiben.<br />
Das unabhängige Landeszentrum<br />
für Datenschutz Schleswig-Holstein<br />
empfiehlt den politisch Verantwortlichen<br />
einige wenige, aber ausreichend<br />
effektive Maßnahmen: Verstärkte<br />
Durchsetzung und Konkretisierung<br />
der bestehenden Datenschutzgesetze,<br />
Sanktionen für Auskunftsverweigerungen<br />
gegenüber Verbrauchern,<br />
bessere technische und personelle<br />
Ausstattung der Aufsichtsbehörden,<br />
verbindliche Verhaltensrichtlinien<br />
und verstärkte Öffentlichkeitsarbeit.<br />
Es bleibt zu hoffen, dass die Verantwortlichen<br />
sich diese Ratschläge zu<br />
Herzen nehmen. Schon in eigenem<br />
Interesse, fließt doch ihr Verhalten in<br />
dieser Frage in ihren durch die Wähler<br />
ermittelten Scoring-Wert ein.<br />
Sven Janka (28) ist J&L Redakteur.<br />
Ihr erreicht ihn unter<br />
sven.janka@berlin.de<br />
Die Wachsflügel der Moral<br />
Günther Grass hat mit seiner Offenbarung die Republik kräftig durchgeschüttelt<br />
> von Sven Görgens<br />
Wer hoch fliegt, der muss auch tief<br />
fallen, sagt eine alte Weisheit und<br />
beruft sich damit nicht ganz zu<br />
unrecht auf den griechischen Mythos<br />
des Ikarus. In diesem Herbst hat die<br />
deutsche Medienlandschaft ihren<br />
ganz eigenen Ikarus gefunden, bzw.<br />
hat ihn geliefert bekommen. Günter<br />
Grass, linksideologischer Wahlkämpfer<br />
der SPD und seit dem Ende des<br />
zweiten Weltkrieges eine moralische<br />
Instanz, schockte die Republik im<br />
Vorfeld der Veröffentlichung seines<br />
neuen Buches.<br />
Die Gründe für die plötzliche Offenbarung,<br />
dass der Literaturnobelpreisträger<br />
gegen Ende des Zweiten<br />
Weltkriegs in der Waffen-SS gedient<br />
hat, sind zumindest den Spekulationen<br />
nach so vielfältig wie auch die<br />
Reaktionen. Und auch wenn viele<br />
Medien nach einem Sommer des neu<br />
erblühten positiven Nationalstolzes<br />
durch die WM diese Entwicklung nun<br />
als braunen Herbst der Vergangenheit<br />
titulieren, so hat Grass Offenbarung<br />
auch etwas Positives. Sie regt<br />
zu offenen Diskussionen an und<br />
bringt somit eine lange verdrängte<br />
Debatte um die Vergangenheit vieler<br />
Deutschen wieder auf das Tableau.<br />
Es ist gut, sich mit der Vergangenheit<br />
auseinanderzusetzen und solche<br />
Ereignisse machen die Menschen<br />
darauf aufmerksam, dass bei der<br />
deutschen Vergangenheitsbewältigung<br />
längst nicht alles Gold ist was<br />
glänzt. Für die jüngere Generation<br />
ist diese Debatte vor allem eine<br />
Möglichkeit die Frage nach Schuld und<br />
Moral nicht nur passiv mitzuerleben,<br />
sondern auch aktiv mitzudebattieren.<br />
Wenn sich abermals moralische<br />
Institutionen und Instanzen in einem<br />
Feuerwerk der Anschuldigungen<br />
und Verteidigungen ergehen, dann<br />
können sich nun auch jene eine<br />
Meinung bilden, die in bisherigen<br />
Diskussionen aufgrund des Alters<br />
und aufgrund mangelnder Erfahrung<br />
stumm bleiben mussten.<br />
Auf Kosten seiner Integrität<br />
Martin Walser merkte an, dass Grass<br />
nur deswegen nicht früher damit an<br />
die Öffentlichkeit gegangen sei, weil<br />
das Klima der Vergangenheitsbewältigung<br />
es nicht zugelassen hätte.<br />
Fraglich ist jedoch, ob nicht eine<br />
frühere Offenbarung nicht auch viel<br />
früher zu einer Debatte und damit<br />
einen Austausch darüber geführt<br />
hätte. Grass Geständnis fügt ihm<br />
unweigerlich Schaden zu, denn wer<br />
eine solch hohe Moral predigt, wie<br />
er es immer getan hat, der unterliegt<br />
dann selbstverständlich den gleichen<br />
oder sogar höheren Maßstäben, wenn<br />
es um die Bewertung seiner eigenen<br />
Person geht. Seine Äußerung, man<br />
würde versuchen ihn zur „Unperson“<br />
zu machen, ist daher nur mit einem<br />
Kopfschütteln zu versehen. Konnte<br />
er denn wirklich annehmen, dass<br />
nach seinen Aussagen zwar alle<br />
den Buchhandel konsultieren und<br />
sein neues Werk kaufen würden, es<br />
ansonsten aber keine Reaktion gäbe?<br />
Und vielleicht war es aber doch nicht<br />
die Ankurbelung des Buchverkaufes,<br />
die ihn zu dieser späten Offenbarung<br />
getrieben hat. Vielleicht hatte der alte<br />
Mann beschlossen in seinen späten<br />
Lebensstunden die Republik noch<br />
einmal kräftig durchzuschütteln, auch<br />
wenn es auf Kosten seiner Integrität<br />
geht. Man weiß es nicht.<br />
Grass hat sich seiner Aussage nach<br />
nie an einem Verbrechen beteiligt<br />
und dies ist aus vielerlei Hinsicht ein<br />
glücklicher Faktor. Nicht nur, dass<br />
durch seine Hand keine Menschen<br />
sterben mussten, sondern auch,<br />
dass er mit dieser „Ich war dabei,<br />
ich war überzeugt und habe aber<br />
nichts gemacht!“-Mentalität eine<br />
Symbolfigur für viel mehr Menschen<br />
sein kann, als wenn er tatsächlich aktiv<br />
den Tod von Menschen herbeigeführt<br />
hätte. Selbstverständlich ist er mit<br />
dieser Vergangenheit keine positive<br />
Symbolfigur, aber auch das ist eine<br />
Eigenschaft eben solcher Symbole<br />
und Symbolfiguren; sie können auch<br />
für das Schlechte stehen. Grass hat<br />
in seinem Leben und in seinen Werken<br />
viele gute Ideen und moralische<br />
Vorstellungen an die Menschen<br />
gebracht, seine Vergangenheit macht<br />
diese Aussagen nicht weniger richtig.<br />
Vielleicht erreicht diese Entwicklung<br />
eines, dass Moral auch ein Stück weit<br />
menschlicher wird. Oder aber, dass<br />
die <strong>jung</strong>e Generation aufhorcht und<br />
feststellt, dass die Vergangenheit und<br />
deren Bewältigung längst noch nicht<br />
Vergangenheit sind, wie sich das<br />
manch einer wünscht.<br />
Sven Görgens ist j&l Redakteur.<br />
Ihr erreicht ihn unter<br />
sven.goergens@gmx.de<br />
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<strong>jung</strong> & <strong>liberal</strong> Ausgabe 3|2006