PDF-Datei - Kirchentag 2005
PDF-Datei - Kirchentag 2005
PDF-Datei - Kirchentag 2005
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
− 10 −<br />
Fingern an. Die Frage: Was bringt's? ist ihm nicht geheuer. Recht so, wenn es um die<br />
Gerechtigkeit geht, die vor Gott gilt. Aber dort, wo es um innerweltliche Folgen des<br />
menschlichen Verhaltens geht, tun wir uns keinen Gefallen, wenn wir diese Frage schlecht<br />
machen.<br />
2. Man kann allerdings kein Plädoyer halten für die lebenspraktische Bedeutung des<br />
Zusammenhangs von Tun und Ergehen, ohne im nächsten Atemzug hinzuzufügen: Die<br />
Rechnungen gehen nicht glatt auf. Die Geschichten von Oliver Held und Oliver Neuville<br />
lösen Genugtuung aus. So wünscht man sich die Welt. Aber man weiß zugleich: So<br />
funktioniert sie nicht immer, ja, so funktioniert sie, gerade im Fußball, eher selten. Das<br />
menschliche Leben und das Weltgeschehen sind kein Mechanismus, den wir berechnen<br />
könnten. Wir können aus der Fülle der Erfahrungen gewisse Vermutungen und Erwartungen<br />
ableiten. Das ist auch eine große Hilfe, sich im Leben und in der Welt zu orientieren. Aber<br />
wer die Erfahrungssätze für Gesetzmäßigkeiten hält, wird leicht am Leben und an Gott irre<br />
und produziert bei anderen Enttäuschung und Verzweiflung. Es geht – Gott sei's geklagt –<br />
nicht immer gerecht zu in der Welt. Das wird mir bei Jeremias Gotthelf zu wenig spürbar.<br />
Was er in der „schwarzen Spinne“ schreibt, klingt mir zu sicher, zu ungebrochen, fast<br />
triumphalistisch. Die dunklen, undurchdringlichen Seiten des Menschenlebens, der Welt,<br />
aber gerade auch Gottes lassen sich nicht bewältigen, wenn wir die störenden<br />
Gegenerfahrungen wegerklären oder mit Gewalt in das System unserer erworbenen<br />
Überzeugungen einpassen. Wir können nur versuchen, ihnen im Maß der menschlichen<br />
Kräfte selbst standzuhalten und denen, die davon umgetrieben und angefochten werden,<br />
beizustehen.<br />
Wie sensibel wir mit der Einsicht umgehen müssen, daß ein Zusammenhang besteht<br />
zwischen Tun und Ergehen, will ich noch in einer besonderen Hinsicht entfalten. Es ist, auch<br />
medizinisch, durchaus vernünftig, eine Krankheit unter dem Gesichtspunkt eines möglichen<br />
Zusammenhangs zwischen Tun und Ergehen zu betrachten. Es gibt nicht wenige<br />
Krankheitszustände, die hervorgerufen oder jedenfalls befördert werden durch ein<br />
gesundheitsschädliches Verhalten. Insofern gehört es zu einer vernünftigen Gesundheitserziehung<br />
und allgemeinen Gesundheitsprophylaxe, auf die Gefahren hinzuweisen, die sich<br />
mit bestimmten Verhaltensweisen oder Lebensumständen verbinden. Es kann auch seinen<br />
guten Sinn haben, wenn jemand, der krank geworden ist, sich darauf besinnt, ob und wie er<br />
vielleicht selbst zum Ausbruch der Krankheit beigetragen haben könnte. Aber man bewegt<br />
sich hier in einer sehr gefährlichen Zone. Denn unversehens verstehen kranke Menschen<br />
diesen Gedankengang so, als seien sie in jedem Fall selbst schuld an ihrer Krankheit. Dann<br />
kann es passieren, daß sie nicht nur mit ihrer Krankheit, sondern mit quälenden<br />
Selbstvorwürfen zu kämpfen haben. Dabei gilt gerade auch im Blick auf Krankheit und<br />
Gesundheit: Unsere Rechnungen gehen nicht glatt auf.<br />
3. „Gerecht muß es zugehn“, sagt Astrid Lindgrens Karlsson. Es ist derselbe Karlsson, der<br />
bei der Verteilung nie genug bekommen kann. Das macht in erzählerischer Übertreibung<br />
aufmerksam auf eine charakteristische Differenz zwischen Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung.<br />
Was gerecht ist und was sie verdient haben, beurteilen die Handelnden und<br />
Redenden selbst oft auffällig anders als ein Beobachter. Nachdem ich lange genug die<br />
Dialogpartner vor dem Urteil Maleachis in Schutz genommen habe, muß ich dies doch<br />
einräumen: Besonders selbstkritisch sind sie nicht. Auf jede Vorhaltung reagieren sie erst<br />
einmal in einer Mischung von Unschuldsmiene und Gegenangriff: 'Was haben wir denn<br />
Falsches gesagt und getan?' Darum hat es auch sein Recht, wenn Maleachi die Frage, wo<br />
denn Gott sei und wann er Recht schaffe, gegen die Fragesteller selbst kehrt: Gott schafft<br />
Recht, indem er Anklage erhebt gegen alle, die finstere Machenschaften treiben.<br />
Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort.<br />
Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.