festivalzeitung ausgabe 4 vom 28. juni 2013 - 17. Internationale ...
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in der Heimat arbeiten<br />
Sie sind Schauspieler, Performer und Regisseure. Feïçal Bang’Na und Seyram<br />
Agbalekpor-Doudjih kommen aus dem westafrikanischen Togo, studieren dort<br />
Germanistik und nehmen am Stipendiatenprogramm der Schillertage teil<br />
Seyram Agbalekpor-Doudjih und Feïçal Bang’Na<br />
Kann man von der Kunst bzw. der Schauspielkunst leben?<br />
FB: Von traditioneller togolesischer Kunst kann man<br />
das ganz gut, aber Theaterleute müssen nebenher<br />
Geld verdienen.<br />
SD: Deshalb gehen auch so viele Künstler erst einmal<br />
ins Ausland. Es gibt wenig Zuschüsse für das Theater.<br />
Wenn man sich schon einen Namen gemacht hat, ist<br />
es leichter, Sponsoren zu finden. Viele Unternehmer<br />
nutzen so ein Theaterstück, um in eigener Sache Werbung<br />
zu machen. Anfänger haben kaum eine Chance.<br />
Wie steht es in der Republik Togo mit der Redefreiheit? Dürfte<br />
ein „Wilhelm Tell“ zum Beispiel regierungskritisch sein?<br />
FB: Heute auf jeden Fall. Togo ist eine demokratische<br />
Republik, und man spricht auch über heikle Themen,<br />
demonstriert. Vor zehn Jahren sah das anders aus. Da<br />
war das tabu. Es stand unter Strafe, die Regierung zu<br />
kritisieren.<br />
SD: Das nennt sich dann Demokratur. Unser jetziger<br />
Präsident, Faure Gnassingbé, hat sein Amt <strong>vom</strong> Vater<br />
geerbt.<br />
Das Gespräch führten Carmen Bauer und Franziska Weber<br />
Togo stand nach dem ersten Weltkrieg unter französischem<br />
Protektorat, Französisch ist auch heute noch Amtssprache.<br />
Wie kommt man da auf die Idee, Germanistik zu studieren?<br />
Feïçal Bang’Na: Ich habe bereits in der Schule<br />
angefangen, Deutsch zu lernen. 2008 konnte ich<br />
mit einem DAAD-Stipendium schon einmal nach<br />
Deutschland kommen und habe vor allem sprachlich<br />
profitiert. Nach dem Abitur hätte mein Vater sich gewünscht,<br />
dass ich Jura studiere, aber mit meinen guten<br />
Deutschkenntnissen konnte ich ihn von meinem<br />
Wunschstudium Germanistik überzeugen. An der<br />
Uni liegt mein Fokus allerdings auf Kulturwissenschaft.<br />
Wir lesen natürlich auch ein bisschen Schiller,<br />
ein bisschen Goethe, aber die tatsächliche Analyse ist<br />
den Literaturwissenschaftlern vorbehalten. Außerdem<br />
helfe ich manchmal im Goethe-Institut in Lomé<br />
aus. Dort habe ich zufällig auch erfahren, dass es am<br />
Mannheimer Nationaltheater die Schillertage gibt.<br />
Was fasziniert euch an einem Klassiker wie Schiller?<br />
FB: Ich interessiere mich vor allem für sein Leben,<br />
seine Schriften. Seine Literatur ist so vielschichtig.<br />
Mein Lieblingsstück ist „Die Räuber“. Bei den Schillertagen<br />
habe ich nun das erste Mal die Gelegenheit,<br />
es auf der Bühne zu sehen. Es würde mich reizen, das<br />
Stück in Afrika zu inszenieren, obwohl die Sprachbarriere<br />
ein Hindernis ist. Aber mit einer guten<br />
Inszenierung könnte man Interesse wecken. Möglicherweise<br />
müsste man sich einer französischen<br />
Übersetzung bedienen und einheimische Tänze und<br />
Lieder einbauen, es afrikanisieren.<br />
Es ist heute euer zweiter Tag beim Schiller-Festival. Wie waren<br />
eure Eindrücke? Was erhofft ihr euch von eurem Stipendium?<br />
FB: Es ist sehr interessant. Allerdings sind die anderen<br />
Teilnehmer in meinem Seminar alle Deutsche. Wenn<br />
Dr. Setton in seinem Seminar „Politik der Imagination“<br />
etwas erklärt, geht mir das noch zu schnell. Auf<br />
jeden Fall ist es eine gute Gelegenheit, mein Deutsch<br />
zu verbessern. Ich hoffe, in Zukunft in meiner Heimat<br />
arbeiten zu können und dort die Theaterlandschaft<br />
mit dem hier Gelernten auszubauen. Vielleicht<br />
würde dann die Regierung Geld investieren, und das<br />
Theater würde endlich vorankommen.<br />
Wie sieht die Theaterlandschaft in Togo aus?<br />
FB: Es gibt ein Nationaltheater. Allerdings ist es mit<br />
nur fünfzig Mitarbeitern ziemlich klein. Die erste<br />
Anlaufstelle für Theaterprojekte ist das Kultusministerium,<br />
aber mehr als moralische Unterstützung<br />
können sie dort oft nicht leisten. Erklärte Förderer<br />
des Theaters sind vor allem das Goethe-Institut, das<br />
Institut Français und viele kleinere private Förderer.<br />
Meistens funktioniert Theater überhaupt nur durch<br />
Mundpropaganda. Bevor ein Stück mehrmals aufgeführt<br />
werden kann, braucht man die Unterstützung<br />
der Masse. Aber dazu kann Seyram mehr sagen. Er<br />
war mein Regisseur, als ich zum ersten Mal auf der<br />
Bühne stand.<br />
Seyram Agbalekpor-Doudjih: Ich arbeite eigentlich<br />
als Schauspieler am Nationaltheater. Anders als hier<br />
gibt es keine fest angestellten Autoren oder Dramaturgen.<br />
Erst vor Kurzem brachten wir ein Stück von<br />
Kevin Rittberger auf die Bühne. Für solche Produktionen<br />
haben wir aber kein festes Schauspielhaus.<br />
Wir hatten Glück und konnten es zweimal aufführen.<br />
Wenn wir es finanzieren können, gehen wir auf<br />
Tour durch Togo und ins angrenzende Benin.<br />
zwei<br />
Welten<br />
Ich heiße Carmen. Das<br />
kann man übersetzen mit:<br />
Gedicht. Als Gedicht in<br />
einer Familie von Kriegern<br />
und Heiligen machte mich meine literarische<br />
Neigung zu einer unberechenbaren Fremden. Als<br />
ich aus der bunt schillernden Welt der Literatur<br />
trat und umringt von schwarzen und weißen<br />
Figuren ins grelle Licht der Realität blickte, begann<br />
ich, in zwei Welten zu leben. Während ich Anna<br />
Karenina zum Bahnhof begleitete oder mich auf die<br />
Suche nach der verlorenen Zeit begab, schlüpfte ich<br />
in der echten Welt in immer andere Rollen: die<br />
Tochter, die Freundin, die Studentin, die Praktikantin,<br />
die Zuschauerin. So gehörte ich immer einer<br />
Gruppe an; je nach Rollenbeschreibung und Label<br />
wurde ich entweder in diesen Club aufgenommen<br />
oder ausgeschlossen. Wann hat man aufgehört, den<br />
Menschen zu sehen, und begonnen, nur seine Rolle,<br />
seine gesellschaftliche Funktion, seine Nützlichkeit<br />
wichtig zu nehmen? Mein Fluchtort wurde das<br />
Theater. Es hob die Grenzen von Realität und<br />
Illusion für kurze Zeit auf und machte mich zum<br />
Menschen.<br />
Carmen Bauer<br />
10 massenmedium # 04/ <strong>28.</strong> Juni <strong>2013</strong>