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festivalzeitung ausgabe 4 vom 28. juni 2013 - 17. Internationale ...

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Theresia Walser:<br />

Entflammt<br />

Die schillersche Sprache ist ein Zustand<br />

Vor einigen Jahren saß ich einmal in einer Schultheateraufführung<br />

von Schillers „Jungfrau“, mehr zufällig,<br />

weil die Tochter einer Freundin mitspielte. Man<br />

schreckt ja immer ein wenig zurück bei der Vorstellung,<br />

wie sich Schüler mit der schillerschen Sprache<br />

herumschlagen, wie sie auf einer Bühne stehen wie<br />

in zu schweren Schuhen, in denen sie kaum laufen<br />

können. Selbst von sogenannten professionellen<br />

Theatern weiß man, wie schnell diese schillersche<br />

Sprache kalenderspruchstarr daherdekliniert werden<br />

kann, so dass diese Verse zum leblos-erbaulichen<br />

Wunschkonzertkitsch verkommen.<br />

Diese Schulaufführung war in allem etwa so, wie<br />

man es wahrscheinlich von einer Schulaufführung<br />

erwartet. Man war schon von vorneherein gerührt<br />

über den Mut, dass sich diese 13-, 14-Jährigen einen<br />

solchen schillerschen Brocken ausgesucht hatten.<br />

Und trotzdem gab es etwas, was ich so noch nie in einer<br />

Schilleraufführung gesehen habe: Diese Schauspieler<br />

wurden beim Schillersprechen rot. Sicherlich<br />

war das auch Lampenfieberröte. Immerhin standen<br />

sie mit so einem Text zum ersten Mal vor Publikum,<br />

einem Publikum, das aus nichts als Verwandten, Eltern<br />

und Lehrern bestand.<br />

Und trotzdem hatte man das Gefühl, so, wie diese<br />

Jungen- und Mädchengesichter beim Schillersprechen<br />

erröteten, hatte das mit Schillers Sprache selbst<br />

zu tun, diesen so vollgepackten, sich in hin- und herwindenden<br />

Gedanken und überschlagenden Schillersätzen,<br />

die nur selten einmal mit Leichtigkeit<br />

daherkommen, die getränkt sind mit Überforderungen,<br />

denen immer ein Ringen, ja auch ein gewisses<br />

Angestrengtsein innewohnt. Nie kann man sich bei<br />

einem Schillersatz so zurücklehnen, wie man das<br />

zum Beispiel bei einem Goethesatz kann. Schillers<br />

Erhabenheit ist nicht umsonst zu haben.<br />

Das konnte man diesen 13-, 14-Jährigen auf die<br />

wunderbarste Weise ansehen. Wie gut es der schillerschen<br />

Sprache steht, wenn man dabei so erröten<br />

kann! Als entflamme diese Sprache die Gesichter der<br />

Sprechenden. Diese schillersche Sprache ist ja immer<br />

mehr als Sprache, sie ist ein Zustand, ein Zustand,<br />

der sich nie zur Eindeutigkeit einebnen lässt. In<br />

Schillers Sätzen spreizen sich oft mehrere Gefühle<br />

gleichzeitig in verschiedene Richtungen.<br />

Insgeheim freue ich mich bei jeder „Jungfrau“ immer<br />

schon auf ihren frühen Abschiedsmonolog.<br />

Er ist eine meiner Lieblingsarien. Ob ich will oder<br />

nicht, komme ich dabei immer in so eine Art Wehmutswippen:<br />

„Lebt wohl ihr Berge, ihr geliebten<br />

Triften, ihr traulich stillen Täler ...“, diesem vor innigem<br />

Trotz glühenden Text. Auf der Schulaulabühne<br />

steht ein Mädchen und fängt mit einer Stimme an zu<br />

sprechen, die so leise ist, dass sie uns alle im Saal von<br />

jetzt auf gleich zwingt, den Atem anzuhalten, damit<br />

wir sie überhaupt hören können: „Lebt wohl ihr Berge,<br />

ihr geliebten Triften, ihr traulich stillen Täler,<br />

lebet wohl ...“ Ihre Stimme zittert, dass ich fürchte,<br />

sie werde im nächsten Moment stocken, stolpern<br />

oder gleich ganz wegbleiben. Ich fürchte, sie schafft<br />

es nicht bis zum Ende. Dabei beeilt sie sich nicht<br />

einmal, durch den Text zu kommen, im Gegenteil,<br />

sie spricht mit einer ungeheuren Langsamkeit, als<br />

gäbe es eine Angst, die einen derart langsam macht,<br />

dass man es schon wieder für eine große Ruhe hal-<br />

Wie gut<br />

es der schillerschen<br />

Sprache<br />

steht,<br />

wenn man dabei so<br />

erröten<br />

kann<br />

!<br />

ten könnte. Ich habe das Gefühl, ich muss ihr helfen,<br />

so ausgesetzt wie sie dasteht, andrerseits merke ich,<br />

wie ich auf einmal, je länger dieses Mädchen auf<br />

der Bühne ihr langsames Leisesein durchhält, Angst<br />

vor mir selbst kriege, Angst, ich könnte jetzt gleich<br />

in dieser Schulaula vor allen in ein irres Gelächter<br />

ausbrechen, weil ich es kaum aushalte, wie schutzlos<br />

die da vorne steht und sich nicht einmal beeilt,<br />

nein, sie hält geradezu die Zeit an, mit ihrer die Stille<br />

drangsalierenden Stimme, während mir gleichzeitig<br />

zum Heulen ist, ein Heulen, das, wenn es herauskäme,<br />

weit schlimmer wäre als das Gelächter, weil es<br />

am Ende gar nicht mehr zu unterscheiden wäre, ob<br />

Heulen oder Lachen, in jedem Fall bodenlos, so, als<br />

wollte ich dieses Mädchen retten, indem ich die viel<br />

schlimmere Katastrophe anrichte. In meinem Mund,<br />

an der Innenseite meiner Backe, gibt es für solche<br />

Momente eine Stelle. In meinem Leben habe ich<br />

mich immer wieder in die Innenseite meiner Backe<br />

verbeißen müssen, als Kind in der Kirche, bei Beerdigungen<br />

etc. etc.<br />

Am Ende dieser Aufführung komme ich wie nur<br />

selten euphorisch, aufgekratzt vor lauter Erleichterung<br />

aus dem Theater heraus, als hätte ich etwas<br />

überstanden, was nicht alltäglich ist. Und je weiter<br />

dieser Abend zurückliegt, desto mehr will mir scheinen,<br />

dass ich kaum einmal einer Theaterfigur derart<br />

schutzlos ausgesetzt gewesen bin wie diesem Schillermädchen<br />

auf der Schulaulabühne.<br />

Theresia Walser, 1967 in Friedrichshafen geboren, ist<br />

ausgebildete Schauspielerin und schreibt seit 1997<br />

Theaterstücke, von denen fünf in Mannheim uraufgeführt<br />

wurden, zuletzt die Diktatorengattinnen-Talkshow<br />

„Ich bin wie ihr, ich liebe Äpfel“. In der kommenden<br />

Spielzeit ist sie Hausautorin am Nationaltheater<br />

Mannheim.<br />

8 massenmedium # 04/ <strong>28.</strong> Juni <strong>2013</strong>

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