Der Europäer und das Andere

144 유럽사회문화 제8호
geht um die Repräsentanz. Das Zitat macht zunächst deutlich, dass der
Künstler Aschenbach stellvertretend für die Helden/Menschen seiner Zeit steht.
Der Erzähler führt die “breite und tiefe Wirkung” des “Geistesprodukt[es]” (TV
452) (von Aschenbach) in der Gesellschaft eindeutig auf die “Übereinstimmung
zwischen dem persönlichen Schicksal seines Urhebers und dem allgemeinen
des mitlebenden Geschlechtes” (TV 452) zurück.
Bei dieser Repräsentanz handelt es sich jedoch nicht bloß um das allgemeine
Künstlerbild Thomas Manns, nach dem der Künstler “überindividuelle
Bedeutung hat wie der Fürst.” 24) Aschenbach, dessen Bewusstsein, wie das erste
Kapitel zeigt, von der Unterscheidung zwischen dem Europäischen und dem
Nicht-europäischen lebt, soll den Europäer im Allgemeinen repräsentieren, der
vor allem im Zeichen des Politischen zu identifizieren ist. In diesem Sinne
richtet sich das Problembewusstsein des Autors meines Erachtens weniger auf
das “Wesen und Gepräge des Künstlertums” (TV 494) als auf die Krise des
Europäers. Dieser Europäer ist für Thomas Mann in Gefahr, befindet sich am
Rande des Verfalls. Dem Autor geht es darum, diesen Europäer zu
diagnostizieren, das heißt, ihn im kritischen Zustand zu zeigen. Was sich im ersten
und zweiten Kapitel der Novelle abzeichnet, ist das Krisenbewusstsein des Autors,
für dessen Weltanschauung die Unterscheidung, also die Gegenüberstellung
‘europäisch/nicht-europäisch’ die entscheidende Rolle spielt.
Im folgenden soll aufgezeigt werden, dass und wie das im Süden des
Europas liegende Venedig als Surrogat für das Nicht-europäische die Welt des
Anderen repräsentiert, in der das europäische Subjekt dem Tode verfällt.
24) Werner Frizen: a. a. O., S. 14.