Der Europäer und das Andere

Der Europ er und das AndereㆍHong, Kil-Pyo 151
dass der Knabe “wahrscheinlich nicht alt werden” (TV 479) wird. Was der
polnische Knabe, der “etwas zugleich Süßes und Wildes” (TV 478) hat, für
den deutschen Aschenbach bedeutet, zeigt die folgende Darstellung:
Aschenbach verstand nicht ein Wort von dem, was er [Tadzio] sagte, und
mochte es das Alltäglichste sein, es war verschwommener Wohllaut in seinem
Ohr. So erhob Fremdheit des Knaben Rede zur Musik, eine übermütige Sonne
goß verschwenderischen Glanz über ihn aus, und die erhabene Tiefsicht des
Meeres war immer seiner Erscheinung Folie und Hintergrund. (TV 489)
Hier ist abzulesen, dass der Erzähler unmissverständlich darauf hinweist,
dass bei der Anziehung, die Tadzio auf Aschenbach ausübt, das ‘Bezugslose’,
d. i. das Fremde, das nur im Hinblick auf das Europäische ihre Bedeutung
erhält, eine wichtige Rolle spielt. Das Zitat zeigt dabei eindeutig, dass das
Fremde, das Tadzio für Aschenbach verkörpert, auf die Verneinung der
Vernunft verweist, wenn die Musik hier im Zeichen der Verneinung des Logos
steht 49) . Aschenbachs Liebe zu Tadzio bedeutet in diesem Zusammenhang den
“Hang[] zum Ungegliederten, Maßlosen, Ewigen” (TV 475), das Thomas Mann
im Zauberberg definitiv unter dem Asiatischen subsumiert: Der schöne Tadzio
ist wie Chauchat ein ‘icon’ für das Andere/Asiatische.
Der vom Fremden eroberte Aschenbach ist “der Betörte” (TV 501), der sich
wie Hans Castorp von einem “Ferienabenteuer, das vor dem Tribunal der
Vernunft - seines eigenen vernünftigen Gewissens - keinerlei Anspruch auf
Billigung erheben” 50) kann, nicht befreien kann. Der Erzähler beschreibt den
49) Vgl. zur Bedeutung der Musik: “Choral-Akkorde klangen gedämpft herüber, und Hans
Castorp, der Musik von Herzen liebte, da sie ganz ähnlich auf ihn wirkte wie sein
Frühstücksporter, nämlich tief beruhigend, betäubend, zum Dösen überedend, lauschte
wohlgefällig,[...].” (Thomas Mann: Der Zauberberg, a. a. O., S. 57f.)