Der Europäer und das Andere

Der Europ er und das AndereㆍHong, Kil-Pyo 147
Um aus Venedig ein Land des Anderen zu machen, setzt der Autor zunächst
das Klima als das Nicht-europäische ein. Er weist wiederholt auf den
tropischen “Scirocco” (TV 509) hin, der von Afrika stammend die Stadt in
seine Gewalt zu nehmen scheint. In Venedig ist schon realisiert, was die
Begierde Aschenbachs am Anfang der Geschichte anfallsmäßig im Zeichen der
Vision sieht. “Lau angerührt vom Hauch des Scirocco” (TV 464) ist Venedig
nicht mehr die sichere “Wasserstadt” (TV 464) des zivilisierten Europas. “Eine
widerliche Schwüle” (TV 480), die die ganze Stadt beherrscht, und “die faul
riechende Lagune”(TV 479) besagen, dass die Stadt nichts anderes als “ein
tropisches Sumpfgebiet unter dickdunstigem Himmel” (TV 447) ist, wo die
tödliche Krankheit floriert. Es ist in diesem Kontext von großer Bedeutung zu
betrachten, wovon gerade über die Venedig erkrankende, fatale Cholera die
Rede ist.
Seit mehreren Jahren schon hatte die indische Cholera eine verstärkte Neigung
zur Ausbreitung und Wanderung an den Tag gelegt. Erzeugt aus den warmen
Morästen des Ganges-Deltas, aufgestiegen mit dem mephitischen Odem jener
üppiguntauglichen, von Menschen gemiedenen Urwelt- und Inselwildnis, in deren
Bambusdickichten der Tiger kauert, hatte die Seuche in ganz Hindustan
andauernd und ungewöhnlich heftig gewütet, hatte östlich nach China, westlich
nach Afghanistan und Persien übergriffen und, den Hauptstraßen des
Karawanenverkehrs folgend, ihre Schrecken bis Astrachan, ja selbst bis Moskau
getragen. (TV 512)
34) Werner Frizen sieht in dem “ziegenbärtige[n] Mann” (TV 458) des Polesaner Schiffs,
der Aschenbach einen Fahrschein nach Venedig verkauft und dessen Haltung “etwas
Betäubendes und Ablenkendes” (TV 459) hat, die Mephistofigur: Vgl. Werner Frizen: a.
a. O., S. 39.