08.11.2013 Aufrufe

Stadtmagazin Neue Szene Augsburg 2012-10

Das Stadtmagazin für Augsburg und Umgebung. Aktuelle Info immer auch unter www.neue-szene.de

Das Stadtmagazin für Augsburg und Umgebung. Aktuelle Info immer auch unter www.neue-szene.de

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

32 Zoom<br />

Ein Interview mit dem Vorsitzenden der Geschäftsführung der Arbeitsagentur<br />

<strong>Augsburg</strong>, Reinhold Demel, über Arbeitslosigkeit,<br />

Mindestlohn und Armut. Von Marcus Ertle<br />

Herr Demel, wann dürfen wir mit Vollbeschäftigung<br />

rechnen?<br />

Demel: Hier in Bayern leben wir heute, verglichen<br />

mit anderen Ländern und bezogen auf die<br />

Arbeitslosigkeit, auf einer Insel der Glückseligkeit.<br />

Momentan haben wir eine Quote, die gegen vier<br />

Prozent geht. Derzeit haben wir in der Region<br />

etwa 14.000 Menschen in der Arbeitslosigkeit, vor<br />

sieben Jahren waren es im Jahresdurchschnitt über<br />

30.000. Und das trotz Finanzkrise, das ist fast<br />

sensationell.<br />

Also Vollbeschäftigung in Sicht?<br />

Vollbeschäftigung in dem Sinne, dass alle beschäftigt<br />

sind, wird es nie geben, weil man immer<br />

wieder Menschen haben wird, die den Arbeitgeber<br />

wechseln oder weil Arbeitgeber sich immer wieder<br />

von Arbeitnehmern trennen werden.<br />

Oder weil manche Menschen keine Chance auf<br />

dem Arbeitsmarkt haben.<br />

Es gibt sicher Menschen, die sich etwas schwerer<br />

auf dem Arbeitsmarkt tun, die vielleicht auch nicht<br />

die Qualifikation haben. Denen versuchen wir unter<br />

die Arme zu greifen, indem wir ihnen zu einer entsprechenden<br />

Qualifikation verhelfen. Deutschland<br />

ist ein rohstoffarmes Land, wir verdanken unseren<br />

Wohlstand den Gehirnen.<br />

Die berühmten Maßnahmen der Arbeitsagentur.<br />

Qualifikationsmaßnahmen. Wenn wir aus einer solchen<br />

Maßnahme heraus 70 bis 80 Prozent in eine<br />

Beschäftigung bringen, ist das ein Erfolg. Aber es<br />

geht auch oft darum, dass die Teilnehmer schon<br />

lange arbeitslos waren und bestimmte Kompetenzen<br />

erst wieder erwerben müssen.<br />

Tauchen die Teilnehmer solcher Maßnahmen in<br />

der Arbeitslosenstatistik auf?<br />

Nein, das hat aber auch seinen Grund. Es wird ja<br />

oft behauptet, dass wir damit die Statistik verfälschen<br />

würden, dass wir die Menschen ganz bewusst<br />

in solche Maßnahmen stecken, damit sie aus<br />

der Statistik verschwinden. Gegen diesen Vorwurf<br />

wehre ich mich, diese Leute sind in der Maßnahme,<br />

damit sich ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt<br />

verbessern.<br />

Sie gelten nicht als arbeitssuchend?<br />

Arbeitssuchend sind sie ja trotzdem, aber sie<br />

werden nicht als arbeitslos geführt, weil nur der<br />

als arbeitslos gilt, der verfügbar ist. Wenn sich<br />

jemand in einer Ganztagsmaßnahme befindet, ist<br />

er ja nicht verfügbar.<br />

Aber wenn er während einer Maßnahme ein<br />

Jobangebot bekommt, würde man ihn doch<br />

sicherlich freistellen.<br />

Da haben Sie sicher Recht, Vermittlung geht vor<br />

Qualifizierung.<br />

Gibt es einen Fachkräftemangel?<br />

Der soll angeblich da sein.<br />

Gehen uns wegen der niedrigen Geburtenrate<br />

nicht zunehmend die Arbeitskräfte aus?<br />

2005 kamen in unserem Bezirk auf <strong>10</strong>0 Jugendliche<br />

rechnerisch 50 offene Ausbildungsstellen, heute<br />

kommen auf <strong>10</strong>0 Bewerber ungefähr 115 Ausbildungsplätze.<br />

Wir sind vom Nachfragemarkt zum<br />

Angebotsmarkt geworden.<br />

Wer gar nicht erst geboren wird, kann später<br />

auch nicht arbeitslos werden.<br />

Das wird so weitergehen, bis zum Jahr 2025<br />

werden wir weiter abnehmende Schülerzahlen und<br />

damit ein abnehmendes Potenzial an Bewerbern<br />

haben. Man sollte die Familienplanung aber nicht<br />

von dieser Gleichung abhängig machen.<br />

Ein anderes Schlagwort ist ja die Globalisierung<br />

als Jobkiller.<br />

Wir hatten in den 90er Jahren einen sehr starken<br />

Drang in Richtung Osten, die Firmen haben<br />

Arbeitsplätze beispielsweise nach Tschechien<br />

verlagert. Dieser Trend ist zunächst gestoppt,<br />

viele Firmen haben da bitteres Lehrgeld zahlen<br />

müssen, weil sich manche Verlagerungen nicht<br />

gerechnet haben. Es gab einen Wettstreit, was die<br />

Arbeitsplätze angeht, manchen Wettstreit haben<br />

wir verloren, zum Beispiel bei der <strong>Augsburg</strong>er<br />

Textilindustrie.<br />

Wird die Bedrohung durch Massenarbeitslosigkeit<br />

durch die neue Bedrohung sogenannter<br />

Hungerlöhne ersetzt?<br />

In der zweiten Hälfte der 90er hat sich die Arbeitslosigkeit<br />

sehr stark nach oben entwickelt, die<br />

Firmen haben damals alle Beschäftigten, die 50<br />

und älter waren, ausgestellt. Es gab dann ein Zwischenhoch<br />

während der Internetblase, den Höchststand<br />

2005. Wenn damals jemand gesagt hätte,<br />

wir werden mal knapp drei Millionen Arbeitslose<br />

haben, hätte man ihn als Phantast abgetan. Dann<br />

kam die Agenda 20<strong>10</strong>, das war der Auftakt zu einer<br />

Entspannung am Arbeitsmarkt, auch durch Liberalisierung<br />

zugunsten der Zeitarbeit.<br />

Was Sozialverbände und Gewerkschaften laut<br />

beklagen.<br />

Das ist richtig, es gab da in der Tat Verwerfungen.<br />

Noch mal die Frage: Gibt es in Deutschland<br />

Hungerlöhne?<br />

Ich würde nicht von Hungerlöhnen sprechen wollen,<br />

aber was mir in der Tat nicht gefällt ist, dass<br />

jemand Vollzeit arbeitet und nicht genug verdient,<br />

um sich selbst zu unterhalten.<br />

Wer sich nicht selbst unterhalten kann, muss<br />

also hungern, trotz Vollzeitjob.<br />

Dann geht man zum Jobcenter und es wird geprüft,<br />

ob man bedürftig ist. Bei der Bedürftigkeitsprüfung<br />

muss sich der Antragsteller gewissermaßen<br />

ausziehen, was seine finanzielle Situation angeht,<br />

und wenn er bedürftig ist, bekommt er als Aufstocker<br />

zusätzlich Hartz-4-Leistungen, mit denen er<br />

sich über Wasser halten kann.<br />

Wieso führt man keinen Mindestlohn ein? Dann<br />

müsste der Staat gar nicht erst aufstocken.<br />

Ich spreche mich ganz klar für Mindestlöhne aus,<br />

allerdings muss man das auf unterschiedliche<br />

Bereiche beziehen und es muss austariert sein.<br />

Also kein allgemeiner Mindestlohn?<br />

Man kann sich auf einen allgemeinen Mindestlohn<br />

verständigen, die Frage ist, ob ein allgemeiner<br />

Mindestlohn hilft. Man kann das nicht pauschal für<br />

alle Branchen festlegen, weil es welche gibt, die<br />

sich beispielsweise bei einem bestimmten Mindestlohn<br />

sehr schwer tun würden.<br />

Würde ein zu hoher Mindestlohn Arbeitsplätze<br />

kosten?<br />

Das sehe ich so. Nehmen Sie Friseure, den<br />

Logistikbereich, das Nahrungsmittelgewerbe, den<br />

Pflegebereich.<br />

Die Friseure könnten mehr für einen Haarschnitt<br />

verlangen, der Paketdienst mehr fürs<br />

Paket.<br />

Wenn der Friseur einen Mindestlohn zahlen muss,<br />

der höher als der bisherige ist, dann muss er<br />

automatisch die Preise erhöhen, dann kommen<br />

die Kunden nicht mehr. Gehen Sie mal zum Friseur<br />

hier über die Straße, der schneidet Ihnen für zehn<br />

Euro die Haare, den Bart, die Augenbrauen, die<br />

Nasenhaare. Aber wenn der einen Mindestlohn von<br />

beispielsweise neun Euro zahlen muss, kann er die<br />

Dienstleistung nicht mehr für zehn Euro anbieten.<br />

Dann muss er 15 Euro verlangen.<br />

Dann stellt sich die Frage, ob in einer Woche nur<br />

noch die Hälfte der Kunden kommt. Das bedeutet<br />

unterm Strich, dass er seine Friseure nicht mehr<br />

bezahlen kann und einige entlassen muss.<br />

Welchen Anteil hat die Hartz-4-Reform am<br />

Rückgang der Arbeitslosigkeit?<br />

Da kommen mehrere Punkte zusammen, es liegt<br />

nicht nur an den Reformen. Die Wirtschaft ist<br />

angesprungen, weil die Betriebe wettbewerbsfähiger<br />

wurden, sie wurden wettbewerbsfähiger,<br />

weil die Gewerkschaften sehr moderaten<br />

Lohnabschlüssen zugestimmt haben. Die Struktur<br />

der Arbeitsagentur wurde verbessert, wir haben<br />

uns zum Dienstleister entwickelt, gehen viel<br />

stärker auf die Betriebe zu. Und der Druck auf die<br />

Arbeitslosen wurde höher, dadurch setzte eine<br />

gewisse Flexibilität ein.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!