Stadtmagazin Neue Szene Augsburg 2012-10
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34 Zoom<br />
Wegen dieser Textzeile bekam der Berliner Rapper Tapete vor einem halben Jahr Ärger mit<br />
dem Jobcenter. Man forderte eine Stellungnahme und drohte mit Kürzungen seiner Hartz-<br />
<strong>Neue</strong> <strong>Szene</strong>: Tapete, du hast vor einem halben<br />
Jahr diesen provokanten Satz über Vater Staat<br />
gesagt, das Jobcenter wollte deswegen eine<br />
Stellungnahme deinerseits. Wie ging es weiter?<br />
Tapete: Ich bin zum Rechtsanwalt gegangen, der<br />
setzte erstmal ein Schreiben an das Jobcenter auf.<br />
Die mediale Aufmerksamkeit hat dazu geführt,<br />
dass der Pressesprecher der Arbeitsagentur sich in<br />
einem Interview entschuldigte und damit hat sich<br />
die Sache erledigt.<br />
Wofür genau hat sich der Pressesprecher denn<br />
entschuldigt?<br />
Er hat gesagt, dass sich niemand für seine Textzeilen<br />
rechtfertigen muss und dass da ein Mitarbeiter<br />
übers Ziel hinausgeschossen ist<br />
Man könnte einwenden, dass sich z.B. ein<br />
arbeitsloser Maurer für ähnliche Aussagen auch<br />
rechtfertigen müsste, ohne dass er sich auf<br />
Satire oder Meinungsfreiheit berufen kann.<br />
Das kann theoretisch allen passieren, die im Internet<br />
ihren Gefühlen freien Lauf lassen und durch<br />
Klarnamen identifizierbar sind. Beispielsweise wenn<br />
besagter, fiktiver Maurer einen Blog führt und sich<br />
kritisch zu den Umständen auf dem Amt äußert<br />
oder einfach mal aus Jux behauptet, er wolle nie<br />
wieder arbeiten. Plötzlich rasselt ein Brief ins Haus<br />
und du wirst eingeladen. Da sitzt du dann alleine<br />
vor drei Leuten, die dich befragen, da fühlst du<br />
dich wie ein Verbrecher. Ich bin nicht der Einzige,<br />
dem es so gegangen ist, ich hatte nur das Glück,<br />
dass es bei mir die Öffentlichkeit mitbekommen<br />
hat. Es gibt zahlreiche Hartz-IV-Foren, in denen<br />
unter anderem auch der Kontrolldrang einiger<br />
übereifriger Jobcenter-Agenten thematisiert wird.<br />
Für viele ist das die einzige Möglichkeit, mit solchen<br />
Vorfällen an die Öffentlichkeit zu gehen und<br />
Motivation und Zuspruch zu erhalten.<br />
IV-Bezüge. Ein Vorgang, der Tapete bundesweit mediale Aufmerksamkeit verschaffte.<br />
Was seitdem geschah und was Tapete heute macht, darüber sprach er mit Marcus Ertle.<br />
Wie werden Künstler bei der Arbeitsagentur<br />
behandelt?<br />
In der Regel haben die Mitarbeiter der Jobcenter<br />
kein Know-how, was künstlerische Berufe<br />
anbelangt und belächeln alle, die mit ihrer Kunst<br />
zu überleben gedenken. Eine Idee, um als Künstler<br />
beim Jobcenter anerkannt zu werden, wäre, noch<br />
während des Bezuges von Leistungen den Weg in<br />
die Künstlersozialkasse zu finden. Das ist möglich<br />
wie ich kürzlich von der KüSo selbst erfuhr. Ich<br />
hörte außerdem, bei der Agentur für Arbeit gibt es<br />
einen Künstlerdienst, vielleicht rutschst du dann da<br />
rein. Dahingehend habe ich aber keine tiefergehende<br />
Erfahrung. Zuviel würde ich generell nicht<br />
erwarten.<br />
Du hast einen Song mit dem Titel „Master of<br />
Hartz“ geschrieben, da erwähnst du, dass du<br />
Papierkram vermieden hast. Man kann das auch<br />
schlicht Schwarzarbeit nennen.<br />
In meinem Song geht es grundlegend um Meinungsfreiheit.<br />
Wenn ich rappe "...in den Hartz-Jahren<br />
wurde ich in bar bezahlt, nicht dokumentiert nicht<br />
rekonstruierbar, dank des unerlässlichen Vermeidens<br />
von Papierkram…", dann klingt das erst mal<br />
sicher riskant oder provozierend. Es geht aber noch<br />
weiter mit "...das ist kein Geständnis, das ist meine<br />
Meinung, bei Bedarf Satire, meine Entscheidung…",<br />
spätestens jetzt sollte das Riskante nicht mehr im<br />
Mittelpunkt stehen und übrig bleibt reine Provokation<br />
auf der Basis tatsächlicher Ereignisse.<br />
Gab es auch negative Reaktionen?<br />
Bei Facebook und unter den entsprechenden Artikeln<br />
mit Kommentarfunktion gab es einige, die sich<br />
sehr unreflektiert über mich empörten. Zumindest<br />
bei Facebook konnte ich sehen, dass diese Reaktionen<br />
häufig aus dem rechten bürgerlichen Spektrum<br />
entsprangen. Trotzdem: Wer in der Öffentlichkeit<br />
steht, muss sich auch mal mit Scheiße bewerfen<br />
lassen. Ich habe ein Schutzschild aus Toilettenspülungen<br />
und zieh einfach ab wenn’s mir zuviel wird.<br />
Ich werde es tunlichst vermeiden. Ich konnte den<br />
psychologischen Druck, die respektlose Behandlung<br />
und die völlig unzulässigen Jobangebote zwar immer<br />
ganz gut durch meine Musik kompensieren, aber ich<br />
fühle mich jetzt besser, ohne Amt. Auch wieder ein<br />
Bankkonto zu haben, ist sehr hilfreich.<br />
Steht auf der Bankkarte dann als Name „Tapete“?<br />
Ja, auf meiner Bankkarte steht jetzt „Tapete“ statt<br />
meines bürgerlichen Namens.<br />
Was sind deine Pläne für die nächste Zeit?<br />
Ich arbeite mit Lena Stoehrfaktor an unserer<br />
gemeinsamen EP "Nichts, für Niemand und ohne<br />
das gewisse Etwas." Der Titel ist Programm. Sobald<br />
das Projekt über die Bühne ist, intensiviere ich die<br />
Arbeiten an meinem besten Album aller Zeiten: meinem<br />
vierten Album. Es wird dicke Musikvideos geben<br />
und sowieso weiterhin chaotisch-derbe Konzerte mit<br />
meinem Live-Kollegen Crying Wölf. Im Süden sind<br />
wir im Oktober: Ulm (05.<strong>10</strong>.), Regensburg (26.<strong>10</strong>.)<br />
und München (27.<strong>10</strong>.), dabei bleibt es aber nicht.<br />
*<br />
Beziehst du aktuell noch Hartz IV?<br />
Nein, ich bin jetzt selbstständig und bei der Künstlersozialkasse.<br />
Eigentlich war das Verhalten der Arbeitsagentur<br />
dann ja eine ungewollte Arbeitsbeschaffungsmaßnahme<br />
für dich.<br />
Na ja, es war ja wirklich keine absichtliche Unterstützung<br />
vom Jobcenter, aber die öffentliche Aufmerksamkeit<br />
war natürlich schon gut in dem Fall.<br />
Wie war dann dein letzter Besuch im Jobcenter?<br />
Wir waren zu zweit, mein Bruder hat mich als<br />
Beistand begleitet und ich wurde wirklich sehr<br />
freundlich behandelt. Trotzdem wurden mir nur<br />
Vollzeitjobs in Callcentern bei Zeitarbeitsfirmen<br />
angeboten, so wie immer, egal, was man wirklich<br />
machen will. Da ich als Arbeitslosengeld-II-Empfänger<br />
keine Konzerte mehr hätte spielen dürfen, war<br />
die Sache für mich ohnehin gelaufen und ich bin zu<br />
keinem weiteren Termin mehr erschienen.<br />
Verstehst du die Wut mancher Leute, die<br />
fälschlicherweise annehmen, dass du die Arbeitsagentur<br />
um Geld beschissen hast?<br />
Ich kann verstehen, wenn jemand wütend ist, weil<br />
er denkt, dass ein Hartz-IV-Empfänger schwarz<br />
Geld verdient, während er selbst mit seinem<br />
Vollzeitjob am Ende des Monats gerade nur seinen<br />
Grundbedarf decken kann. Dem eigentlichen Problem<br />
nähern wir uns aber, wenn wir darüber nachdenken,<br />
dass die Menschen, die arbeiten, mehr<br />
Geld bekommen sollten und nicht die Arbeitslosen<br />
weniger Geld. Ich denke da auch an die ganzen<br />
Leute, die für ihre Arbeit bei Zeitarbeitsfirmen viel<br />
weniger bekommen als für dieselbe Arbeit in einem<br />
normalen Arbeitsverhältnis. Ich verstehe schon,<br />
dass die Leute dann gefrustet sind und Schuldige<br />
suchen, aber wenn sie mal ein wenig nachdenken,<br />
kommen sie vielleicht darauf, dass an der generell<br />
unfairen Verteilung im System nicht irgendwelche<br />
Hartz-IV-Empfänger schuld sind. Die Politik schürt<br />
nach Bedarf die Wut auf die Arbeitslosen, das sind<br />
Placebo-Diskussionen.<br />
Hast du Angst, irgendwann wieder von Hartz-IV<br />
abhängig zu sein?