74 <strong>Augsburg</strong>er Besuch * Heute zu Besuch bei: Ekkehard Wun der ESM-Kläger aus <strong>Augsburg</strong> Am 12. September <strong>2012</strong> entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe über die bis dato größte Verfassungsbeschwerde in der Geschichte der Bundesrepublik: 37.018 Bürger haben gegen den Eurorettungsschirm ESM und den Fiskalpakt geklagt, darunter 155 <strong>Augsburg</strong>er. Das macht uns nicht gerade zur Protesthochburg, aber laut dem Initiator der Klage, dem Verein „Mehr Demokratie e.V.“, liegt <strong>Augsburg</strong> im guten Mittelfeld zwischen 1.430 Teilnehmern in München und 23 in Gelsenkirchen. Wir haben einen <strong>Augsburg</strong>er getroffen, der sich der Klage angeschlossen hat: Ekkehard Wunder, 35, Architekturstudent. neue <strong>Szene</strong>: Wie hast du den 12.09. verbracht? Wunder: Das weiß ich gar nicht mehr genau. Ich glaube, ich war irgendwann Salsatanzen und habe ansonsten an meiner Diplomarbeit gearbeitet. Du bist nicht vor dem Fernseher bzw. Laptop gehangen? Drangehangen nicht, aber ich hab mich natürlich im Internet informiert. Deine erste Reaktion? Ich bin schon ein bisschen sauer auf die Richter. Dass sie die Summe begrenzt haben, finde ich gut, die Klage hat also was gebracht, aber der ESM ist immer noch undemokratisch. Die Klage ging weniger gegen den ESM an sich, als vielmehr gegen dessen Zustandekommen und Ausführung, oder? Die Bevölkerung wurde bei der Einführung nicht gefragt. Bei der Wahl wusste man noch nicht, dass es so etwas geben würde, und jetzt konnte man auch nicht drüber abstimmen. Für mich war der Hauptgrund zur Klage, dass dadurch eine Art Finanzregierung entsteht, die nicht gewählt wurde. Das ist für mich eine Diktatur, auch wenn es noch Bereiche gibt, über die der Bundestag entscheidet Diktatur ist ein starkes Wort... Das ist aus meiner Sicht gerechtfertigt, wenn die Gewaltenteilung abgeschafft wird. Wenn kein Gericht mehr was sagen darf und die Entscheider nicht gewählt wurden, halte ich es für angemessen, von einer Diktatur zu sprechen. Hattest du Hoffnung, dass das Urteil anders ausfällt? Ich habe diesen Ausgang befürchtet. Bei Herrn Voßkuhle (Präsident des Bundesverfassungsgerichts, d. Red.) hatte ich den Eindruck, er will es allen recht machen und auch nicht für den Finanzcrash verantwortlich sein. Die Märkte haben zumindest erleichtert reagiert. Die Europäische Zentralbank hat dem ja schon vorgegriffen und verkündet, sowieso Geld zu drucken, in den USA dasselbe. Bist du generell Europakritiker? Die Vereinigten Staaten von Europa kann ich mir durchaus vorstellen, aber es sollte demokratisch zugehen. Ich will einfach nicht, dass irgendwelche Leute, die nicht gewählt wurden, mir etwas vorschreiben können. Die Kläger waren eine bunte Mischung, von Peter Gauweiler bis zur Partei Die Linke. Wo siehst du dich da? Ich mach’s nicht aus chauvinistischen Gründen, mir geht’s um die Demokratie. Die Massenklage hat aber zusätzlichen Druck auf das Gericht ausgeübt. Na ja, das ist doch ein Ausdruck für die Wichtigkeit der Sache. Die Finanzkrise ist für mich eine Systemkrise und der ESM nur Symptombekämpfung. Was sollte man anders machen? Die Mindestreserve der Banken ist zu niedrig, die machen Geld aus nichts, das führt immer zu Problemen. Und unser Zinssystem führt immer zu einem Crash. Ein Staatsbankrott war früher völlig normal. Das Problem gab’s schon bei den Babyloniern, die haben alle 50 Jahre die Schulden erlassen, weil sie immer irgendwann zu hoch waren. Also haben alle Rettungsmaßnahmen nur aufschiebende Wirkung? Ich denke, ja. Die nächsten Probleme kommen vermutlich aus den USA, die haben auch wieder kräftig Schulden gemacht, entgegen den Versprechen von Obama. Bist du für bundes- und europaweite Volksentscheide? Ja. Die Leute würden eher dahinterstehen, wenn sie darüber entschieden haben. Ich selber könnte ich es auch besser akzeptieren, wenn die Mehrheit dahintersteht. Welche Interessen die Politiker vertreten, weiß man ja nie genau. Würde das Prozedere aber nicht viel zu lange dauern? Die Demokratie hat natürlich Nachteile, aber andere Regierungssysteme sicher noch mehr. Kennst du Mitkläger aus <strong>Augsburg</strong>? Nein. Ich weiß auch nicht, warum sich so wenige dafür interessieren. Vielleicht ist es eine Phase der kollektiven Verdrängung. Aber irgendwann geht das nicht mehr. Den meisten ist es wahrscheinlich zu kompliziert. Man muss ja nicht jedes einzelne Finanzprodukt kennen, aber die Grundprinzipien der Finanzmärkte sollte man schon verstehen. So schwer ist das auch nicht. Glaubst du, dass irgendwann der große Crash kommt? Ich befürchte schon, dass wir große Probleme bekommen werden, etwa wie in der Depression 1929. Das würde allerdings auch die Chance bieten, es danach besser zu machen. Und wer ist schuld an allem? Das Finanzsystem und die Wachstumsabhängigkeit. Die Exponentialfunktion steigt immer steiler an, irgendwann klappt das nicht mehr. Aber welcher Politiker traut sich, einen grundlegenden Wechsel einzuleiten? Gute Frage. (flo)
ENERGIE. EFFIZIENT. LEW. Werner Klimek, Netzmonteur beim LEW Netzservice