Abschlussbericht Teil II herunterladen - Geschichtswerkstatt Europa
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<strong>II</strong>.2. Alte und neue Gedenktage für die Opfer der politischen Repressionen<br />
<strong>II</strong>.2.1. Der Tag des politischen Gefangenen am 30. Oktober<br />
Am 30. Oktober 1974 führten politische Häftlinge der Lager in Perm und Mordowien sowie<br />
des Gefängnisses in Wladimir 1 einen zeitgleichen Hungerstreik durch. Sie wollten damit ein<br />
Zeichen setzen und gegen die unmenschlichen Haftbedingungen protestieren. Die Häftlinge<br />
zündeten Kerzen im Gedenken an die unzähligen Opfer der politischen Repressionen an und<br />
beschlossen, dass der 30. Oktober von nun an als „Tag des politischen Häftlings“ (День<br />
политзаключённого) gelten solle. Am selben Tag veranstaltete der berühmte Physiker und<br />
Menschenrechtler Andrej Dmitirijewitsch Sacharow 2 in seiner Wohnung in Moskau eine<br />
Pressekonferenz, auf der auch westliche JournalistInnen anwesend waren. Er informierte über<br />
die Lager in der Sowjetunion, die Situation der Dissidenten und die menschenverachtenden<br />
Haftbedingungen, unter denen Tausende Menschen auch zwanzig Jahre nach Stalins Tod<br />
noch immer litten.<br />
Seit diesem Tag gab es in der gesamten Sowjetunion am 30. Oktober Hungerstreiks von<br />
politischen Häftlingen, die damit ihren Protest gegen das sowjetische Justizsystem zum<br />
Ausdruck brachten. Im Zuge der Perestrojka fanden ab Ende Oktober 1987 auch<br />
Demonstrationen in Moskau, Leningrad, Lviv, Tbilissi und anderen Städten der Sowjetunion<br />
statt. Am 30. Oktober 1989 versammelte sich das erste Mal eine große Menschenmenge vor<br />
dem KGB-Gebäude in Moskau. Etwa 3000 DemonstrantInnen bildeten mit Kerzen in den<br />
Händen eine Lichterkette um das Gebäude und zogen anschließend weiter zum Puschkinplatz.<br />
Eigentlich war dort ein Treffen geplant, doch Sondereinheiten der Miliz trieben die Menge<br />
auseinander 3 .<br />
Zwei Jahre später wurde der 30. Oktober offiziell als „Gedenktag für die Opfer der politischen<br />
Repressionen“ vom Obersten Sowjet Russlands anerkannt. Ehemalige Häftlinge und<br />
Menschenrechtler von Memorial weisen jedoch immer wieder darauf hin, dass dieser<br />
Gedenktag nicht vom Staat, sondern von politischen Häftlingen selber eingeführt wurde 4 . In<br />
vielen Städten Russlands finden jährlich am 30. Oktober Treffen und Veranstaltungen in<br />
Erinnerung an die Opfer der staatlichen Gewaltherrschaft statt. Viele Organisationen nutzen<br />
diesen Tag auch, um für die Freilassung von russischen Staatsbürgern zu demonstrieren, die<br />
heutzutage aus politischen Gründen inhaftiert sind 5 .<br />
1 Die Stadt Wladimir liegt ca. 190 km östlich von Moskau<br />
2 Nachdem Sacharow wegen seines mutigen Einsatzes für Menscherechte und Demokratie in der Sowjetunion<br />
1975 den Friedensnobelpreis verliehen bekam, war er immer stärkeren Repressionen von Seiten der sowjetischen<br />
Regierung ausgesetzt. Im Januar 1980 wurde Sacharow verhaftet und nach Nischni Nowgorod verbannt.<br />
Nachdem die Verbannung 1986 aufgehoben wurde, kehrte Sacharow nach Moskau zurück. Er wurde 1989<br />
Gründungsmitglied von Memorial und starb noch im selben Jahr im Alter von 68 Jahren.<br />
Seit 1988 verleiht das Europäische Parlament jährlich den Sacharow-Preis an Menschen und Organisationen, die<br />
sich um die Verteidigung der Menschenrechte und der Freiheit des Geistes verdient gemacht haben. Wie es der<br />
Zufall will wurde der Sacharow-Preis 2009 an Memorial verliehen.<br />
3 Vgl. den Artikel „Gedenktag für die Opfer der politischen Repressionen“ in der russischen Ausgabe der freien<br />
Internetenzyklopädie Wikipedia: http://ru.wikipedia.org/wiki/День_памяти_жертв_политических_репрессий<br />
(Aufruf vom 14. Dezember 2009)<br />
4 Die Menschenrechtsorganisation Memorial gibt einmal im Monat eine Zeitung mit dem Titel „30. Oktober“<br />
heraus.<br />
5 Vgl. z.B. die Internetseite der Organisation „Solidarität mit den politischen Gefangenen“ http://politzeki.<br />
voinenet.ru/index.php?aid=17188 oder Fotos vom Treffen am 30. Oktober 2009 in Moskau auf einer privaten<br />
Internetseite: http://andrei-naliotov.livejournal.com/90572.html (Aufruf vom 14. Dezember 2009)<br />
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