Flucht und Asyl in europäischen Migrationsregimen - Oapen
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Polen 291<br />
Die Flüchtl<strong>in</strong>gspolitik <strong>in</strong> Polen ist gekennzeichnet durch e<strong>in</strong>en sehr ger<strong>in</strong>gen<br />
Politisierungsgrad. 319 Die Etablierung des Flüchtl<strong>in</strong>gsschutzregimes war e<strong>in</strong> bürokratischer<br />
Akt (M S. 3), der von Juristen aus dem Innenm<strong>in</strong>isterium <strong>und</strong> dem<br />
URIC/UdSC sowie Mitarbeitern des Grenzschutzes vollzogen wurde. Vor diesem<br />
H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> soll es nun um die Beantwortung der folgenden zwei Fragen gehen:<br />
Wie können 1) die fehlende politische Ause<strong>in</strong>andersetzung <strong>und</strong> 2) die – trotz fehlender<br />
Politisierung – vergleichsweise restriktive Ausgestaltung erklärt werden?<br />
Wie die Ausführungen gezeigt haben, kann die (restriktive) Ausgestaltung des<br />
polnischen Flüchtl<strong>in</strong>gsschutzregimes weder mit Erfahrungen aus der polnischen<br />
Geschichte von Aus-, E<strong>in</strong>- <strong>und</strong> Transitwanderung begründet werden, die zum<br />
Beispiel e<strong>in</strong>e besondere Art Polens im Umgang mit Flüchtl<strong>in</strong>gen geprägt hätten.<br />
Die lange Geschichte Polens als Herkunftsland von EmigrantInnen <strong>und</strong> Flüchtl<strong>in</strong>gen<br />
– also die ‚eigene‘ Emigrationsgeschichte – haben jedenfalls nicht zu e<strong>in</strong>er<br />
öffentlichen Debatte über den Umgang mit Flüchtl<strong>in</strong>gen, die nun Schutz <strong>in</strong> Polen<br />
suchen, geführt <strong>und</strong> auch nicht zu e<strong>in</strong>er liberalen Gesetzgebung im Flüchtl<strong>in</strong>gsbereich.<br />
Ebenso wenig kann e<strong>in</strong> besonderer Handlungsdruck aufgr<strong>und</strong> e<strong>in</strong>er hohen<br />
Zahl Schutz suchender Flüchtl<strong>in</strong>ge oder e<strong>in</strong>e polarisierte öffentliche Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />
mit dem Thema, wie wir sie <strong>in</strong> west<strong>europäischen</strong> E<strong>in</strong>wanderungsländern<br />
vorf<strong>in</strong>den, festgestellt werden. Das vorliegende Datenmaterial – die gesetzlichen<br />
Regelungen <strong>und</strong> ihre Ähnlichkeit mit den EU-Vorgaben 320 sowie die Interviews<br />
mit ExpertInnen, die an der Ausarbeitung 321 <strong>und</strong> Implementierung 322 der Politiken<br />
beteiligt waren, <strong>und</strong> die e<strong>in</strong>schlägige (polnische) Literatur – bestätigen fast<br />
e<strong>in</strong>stimmig die These, dass die EU-Vorgaben den entscheidenden Anstoß für die<br />
Entwicklung gaben <strong>und</strong> die konkrete Ausgestaltung des Flüchtl<strong>in</strong>gsschutzregimes<br />
durch die übrigen dargestellten AkteurInnen vor Ort stark geprägt haben. 323 In<br />
319 Beispielhaft sei hier auch auf die Aussage e<strong>in</strong>es Interviewpartners verwiesen: „Me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung<br />
nach ist das Thema <strong>in</strong> Polen ke<strong>in</strong> politisches. Es spaltet nicht die politische Szene, wie es <strong>in</strong><br />
Deutschland oder <strong>in</strong> Frankreich der Fall ist. […] Ich mache das auch an der Entstehung des Ausländergesetztes<br />
von 1997 fest. Es gab dazu ke<strong>in</strong>e öffentliche oder politische Debatte. […] Wenn<br />
ich auf die polnische Migrationspolitik schaue, würde ich diesen Fakt unterstreichen: die nichtpolitische<br />
Entstehung <strong>und</strong> Existenz.“ (O S. 5)<br />
320 Zu nennen wären unter anderem: temporäre Aufenthaltserlaubnisse, Inverantwortungnahme der<br />
Beförderungsunternehmen für die Ausstattung ihrer Passagiere mit den erforderlichen Papieren<br />
sowie die sichere Dritt- <strong>und</strong> Herkunftsstaatenregelung, ‚offensichtlich unbegründete‘ Anträge <strong>und</strong><br />
beschleunigte Verfahren.<br />
321 H S. 1; J S. 2, 12.<br />
322 G S. 2; G S. 1; O S. 6.<br />
323 In der Literatur wird dies meist vertreten, ohne weitere Belege anzuführen oder andere Aspekte<br />
durchzudiskutieren. E<strong>in</strong>zige Ausnahme ist Kic<strong>in</strong>ger 2005. Vgl. folgende Beispiele für den e<strong>in</strong>stimmigen<br />
Tenor: „The development of the Polish asylum regime has been shaped by adoption of<br />
<strong>in</strong>ternational standards on Poland’s path to European Union“ (Kępińska/Stola 2004, S. 168); „At<br />
this stage, policy development has reflected ma<strong>in</strong>ly Poland’s efforts for EU accession and related<br />
negotiations.“ (ebd., S. 173); „Adopt<strong>in</strong>g EU acquis turned out to be similar to follow<strong>in</strong>g a mov<strong>in</strong>g<br />
target“ (ebd., S. 164, Hervorh. i. Orig.); „Zentraler Punkt der Beitrittsverhandlungen im Kapitel<br />
‚Justiz <strong>und</strong> Inneres‘ war stets die Sicherung der Ostgrenze Polens gewesen, denn das größte migra-