I s l a n d - P o p Hoffnung trotz vertrödelter Tage <strong>Die</strong> verschmitzten Songs des ausdrucksstarken Sängers Snorri Helgason. A l t e r & L i t e r a t u r Kampf um Würde Demenz aus der Sicht Betroffener: Péter Farkas einfühlsamer Roman „Acht Minuten“. Markus von Schwerin Nach dem denkwürdigen Abend mit Sóley und Sin Fang letzten Juni <strong>im</strong> Apex bietet sich mit Snorri Helgasons Gig <strong>im</strong> Café des Jungen Theaters nun die Gelegenheit, einen weiteren Protagonisten des Island-Pop in einem int<strong>im</strong>en Rahmen zu erleben. Denn als Mitglied der Indie-Boygroup Sprengjuhöllin spielte Helgason schon in großen Hallen. Bei der aus Schulfreuden bestehenden Spaßcombo, deren Hit „Tímarnir Okkar“ allerlei Interna aus der Reykjavíker Musikszene preisgab, hatte Helgason das Image des introvertierten Feingeistes, der den Schenkelklopfern seiner Kollegen beatleske Balladen entgegensetzte. <strong>Die</strong> fanden selbst bei Kritikern des Sprengjuhöllin‘schen Übermuts lobende Worte und eine davon – „Verum í sambandi“ – wurde 2008 bei den Iceland Music Awards zum „Song des Jahres“ gekürt. Der Plan einer englischen Sprengjuhöllin-CD sollte aber wegen interner Differenzen platzen und Helgason bastelte auf eigene Faust an einem internationalen Album. Das Resultat „I’m Gonna Put My Name on Your Door“ (2009) bot mit seiner Mixtur aus blauäugigem Soul (à la Jens Lekman) und souveränem Folk-Fingerpicking (in José-Gonzáles-Manier) bereits beste Voraussetzungen, um in der Retropop-Schwemme zu bestehen. Doch das mit Produzent Sindri Már Sigfússon (alias Sin Fang) entstandene, deutlich reduzierter arrangierte Zweitwerk „Winter Sun“ bringt erst richtig zur Geltung, um was für einen ausdrucksstarken Sänger es sich bei dem 28-Jährigen handelt. Wenn er in „Boredom“ verschmitzt bekennt, nach einem vertrödelten Tag weiterhin die Hoffnung zu haben, dass inspirierende Sonnenstrahlen sein kahler werdendes Haupt treffen werden, hat sein Vortrag nichts mit den Heiligen aus der Knarz- und Anblaff-Fraktion gemein, sondern erinnert vielmehr an Pop-zugewandte Meister der Nuancen wie Harry Nilsson, Ron Sexsmith oder Phillip Goodhand-Tait. Gerade bei letzterem Pianisten (der <strong>im</strong> „Sounds“-Kultautoren Wolfgang Welt bis heute seinen größten Fan hat) ist die Ähnlichkeit <strong>im</strong> angerauten T<strong>im</strong>bre echt verblüffend. Und es dürfte kein Zufall sein, dass die freundliche Betrachtung eines „Winter‘s Day“ so munter endet wie „In the Summert<strong>im</strong>e“ von Mungo Jerry! Snorri Helgason spielt mit seiner isländischen All-Star-Band am 15.12. um 22:00 Uhr <strong>im</strong> Café des Jungen Theaters. Sein Album „Winter Sun“ ist bei Popup Records/Cargo erschienen. Péter Farkas liest am 11.1. um 20:00 <strong>im</strong> Literarischen Zentrum aus seinem Roman „Acht Minuten“ (Luchterhand, 2011, 136 Seiten, 16,99 Euro). Mit dem Autor spricht Isabelle Vonlanthen. Michael Saager „Mit der anderen Hand hielt sie ihre Bettdecke weiter fest, sie versuchte, sich damit zuzudecken, doch brachte sie das nicht fertig, die mitgeschleppte Fracht war zu schwer. Der alte Mann griff <strong>im</strong> Sitzen über die alte Frau hinweg und zog die Decke über sie. <strong>Die</strong> alte Frau schnaufte friedlich neben ihm, als hätte sie ihren Schlaf gar nicht unterbrochen. Von da an schliefen sie zusammen in einem Bett.“ Der alte Mann, die alte Frau – sie tragen keine Namen. Symbole sind sie nicht, doch ihr Schicksal geht uns alle an: Früher oder später werden wir es teilen. <strong>Die</strong> Gesellschaft wird <strong>im</strong>mer älter, die Demenz aber, sie ist nicht einmal ansatzweise behandelbar. Zu rechnen ist bereits in wenigen Jahrzehnten mit einer hochdementen Altersgesellschaft. Zeit, sich darauf einzustellen. Aber wie? Dem in Deutschland lebenden, ungarischen Schriftsteller Péter Farkas reichen 136 Seiten für einen bemerkenswerten Roman über Demenz, der trotz seiner geringen Seitenzahl alles andere ist als „schmal“. Natürlich erschöpft auch „Acht Minuten“ sein Thema nicht, das klappt sowieso nicht. Er kreist es präzise und einfühlsam ein, reduziert sein Figurenarsenal auf das Nötigste, spart aber auch nicht mit der Drastik menschlicher Entgleisungen, dieser Spur der Verwüstung, die ein Leben lang einstudierte Zivilsiationscodes zu papierenen Worthülsen macht. „Er hoffte, dass sie sich nicht jetzt, am Tisch, be<strong>im</strong> Frühstück, während des Essens einkotete. Daran konnte er sich einfach nicht gewöhnen.“ Kein Sachbuch, kein Roman über Demenz kommt ohne das Thema Sozialscham aus. Unverzichtbar scheint auch das nicht minder schwerwiegende Thema wachsender Ohnmacht <strong>im</strong> Verhältnis zu einer <strong>im</strong>mer größeren, entmündigenden Machtfülle des Pflegepersonals. „Acht Minuten“ bildet da keine Ausnahme. Und doch ist dieses Buch etwas Besonderes, denn es ist ganz aus der Innenperspektive eines Betroffenen geschrieben. Der Mann pflegt seine Frau, aber krank ist auch er. Lesen bedeutete ihm alles. Vorbei. Der alltägliche Kampf um Würde, gegen die Fremdbest<strong>im</strong>mung und Infantilisierung durch die Gesellschaft dominieren sein Leben. Glücklicherweise ist da noch die Liebe, die das Paar füreinander empfindet. Sie betrifft das „Wir“ und das „Ich“. Am Ende werden beide verloren sein. 7